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KORRESPONDENZEN/017: Leserbrief zur Rezension "Monsieur Ibrahim et les fleurs du Coran" (SB)


Leserbrief zur Schattenblick-Rezension
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REZENSION/077: Monsieur Ibrahim et les fleurs du Coran (Französisch) (SB)
www.schattenblick.de/infopool/buch/romane/buror077.html


Dienstag, 10. März 2020, 11:02 Uhr

Sehr geehrte Damen und Herren,

Leider bin ich bei der Recherche zum Buch Monsieur Ibrahim et les fleurs du Coran auch auf Ihre Rezension gestoßen und fühle mich nun genötigt ein paar Dinge loszuwerden.

Bevor ich mich Ihrer Rezension auf einer emotionalen Ebene widme, muss etwas klargestellt werden. Sie haben die Kernaussage des Buches nicht verstanden. Darüber gibt es leider keine zwei Meinungen, da sie schlichtweg den Schlüsselsatz des Buches falsch übersetzt haben. Monsieur Ibrahim sagt an keiner einzigen Stelle "Ich weiß was in meinem Koran steht.". Er sagt "Je sais ce qu'il y a dans mon Coran." Ich weiß was in meinem Koran ist. Dieser Satz wird nicht umsonst drei bis vier Mal wiederholt und am Ende findet Moise Blumen in der Ausgabe, die Monsieur Ibrahim ihm schenkt. Die Kernaussage des Buches ist, dass Religion das ist, was man darin hineinlegt. Er sagt an einer anderen Stelle, dass er überhaupt nichts davon hält auf ein Buch zu vertrauen und diesem zu folgen. Er sagt, dass wem Gott nichts offenbaren konnte, dem kann ein Buch erst recht nichts offenbaren. Unabhängig von der Schönheit dieser Aussage, die selbst einen überzeugten Atheisten wie mich nicht unberührt lässt, zeigt sie dass Sie das Buch nicht verstanden haben. Ihre Übersetzung verzerrt die gesamte Aussage des Buches und mich wundert es, dass man so einer schlampigen Arbeit eine Plattform gibt.

Die Art und Weise, in der dieses Buch rezensiert wird zeigt einem wieder einmal, wie sehr die Arroganz des Intellektualismus, die Fähigkeit die einfachsten Gefühle zu empfinden und die banalsten Aussagen zu verinnerlichen verkrüppelt. Dies ist zum einen sehr bemitleidenswert hat allerdings leider auch eine sehr politische Komponente, da sie immer mehr zu einer Spaltung der Gesellschaft in vermeintlich gebildete und ungebildete Menschen beiträgt. Gefühle sind Ihnen nicht komplex genug, richtige und schöne Aussagen sind für Sie nicht unwahr und hässlich genug und das was viele Leute gut finden können sie nicht gut finden, da Sie ja so besonders, einzigartig und darüber hinaus sowieso viel schlauer als alle anderen sind.

Ich hoffe Sie lesen das Buch eventuell noch einmal und überdenken ihre Meinung oder sind zumindest in Zukunft etwas vorsichtiger beim Übersetzen.

Mit freundlichen Grüßen
Ein sehr unerfreuter Leser ihrer Rezension

*


Kommentar des Rezensenten zum Leserbrief vom 10. März 2020

Natürlich hätte ich der Rezension des Buches eine ganz andere Richtung geben können, nämlich in den höchsten Tönen loben, wie sich ein alter, lebensweiser Mann - Moslem zudem - eines alleingelassenen und vernachlässigten jüdischen Jungen - der später zum Islam übertritt - annimmt und ihm die Schönheiten des Lebens nahebringt...
Das wollte ich nicht.

Damit, daß "falsch" übersetzt wurde und auf dem Wege die Kernaussage des Buches verkannt, gehe ich nicht überein. Die Aussage "Je sais ce qu'il y a dans mon Coran" ("Ich kenne das/weiß, was da in meinem Koran ist") lautet einigermaßen wortgetreu übersetzt zwar: "Ich weiß, was in meinem Koran ist" oder "Ich weiß, was es in meinem Koran gibt", widerspricht jedoch aus meiner Sicht nicht der Übersetzung: "Ich weiß, was in meinem Koran steht", denn sie sagt nichts über den Umgang des Protagonisten mit dem Koran aus, wenn man von dem Wort "mein" absieht, das hier ja nicht in Frage gestellt ist. Ich habe sie gewählt, weil es sich um ein Buch handelt. Die wortwörtliche Übersetzung hingegen klänge aus meiner Sicht an dieser Stelle eher fehlgegriffen.

Weitere Formulierungen wären angesichts des französischen "sais" (wissen, kennen) und des "il y a" (es hat da / es gibt da) möglich gewesen: "Ich kenne meinen Koran". "Ich weiß, was sich in meinem Koran befindet". "Ich weiß, was in meinem Koran steckt". etc.

Wichtig ist das "mein", das möglicherweise sowohl eine enge Bindung an den Koran als auch eine ganz eigene Interpretation seiner Inhalte andeutet.

Unter Umständen hat der unerfreute Leser - abgesehen von dem übersetzungstechnischen Ärger - in der Eile übersehen, daß die Rezension ihre Ausführungen wie auch diese Aussage nicht in den luftleeren Raum stellt, sondern mit französischer Zitation begleitet:

  • Comment vous faites, vous, pour être heureux, monsieur Ibrahim?
  • Je sais ce qu'il y a dans mon Coran. (S. 35)

(kurz grob übersetzt:

  • Was machen Sie, Monsieur Ibrahim, um glücklich zu sein?
  • Ich weiß, was in meinem Koran steht.)
  • La beauté, Momo, elle est partout. Où que tu tournes les yeux. Ça, c'est dans mon Coran. (S. 41)

(kurz grob übersetzt:

  • Die Schönheit, Momo, sie ist überall. Wohin auch immer du die Augen wendest. Das, das steht in meinem Koran.)

Im weiteren Sinne denkbar als Übersetzung - wenn auch stark interpretiert - wäre also auch gewesen: "Ich weiß, was ich an meinem Koran habe." Ich vertraue auf seine Weisheit.

Die im Koran befindlichen getrockneten Blumen, die Monsieur Ibrahim dem Jungen mit dem Buch weitergibt, würde ich auch im übertragenen Sinne (im Koran enthaltene Lebensweisheiten) verstehen und nicht davon ausgehen, daß der alte Mann allein diese gemeint hat mit: "Ich weiß, was in meinem Koran ist", bzw. auch nicht etwas in der Art wie: Ich lege die Lebensweisheiten (Blumen) hinein.

Im übrigen begrüßt der Rezensent gerade die kontroverse Diskussion, weil sie die Chance eröffnet, Widersprüche zu erkennen, zu tolerieren oder notfalls zu verschärfen - genau zu werden, um einer Weiterentwicklung willen. In dem Sinne: Vielen Dank für den Anstoß.

Mit freundlichen Grüßen,
SB-Redaktion

11. März 2020


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