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GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/002: Krieg der Bäume - Menschenketten, Waldbesetzer und Besucher ... (SB)


Grafik: © 2017 by Schattenblick

"Sei die Rote Linie!"

Und siehe da, was kommt denn da,
bunt und gesund eine muntere Schar,
dort aus dem letzten Stückchen Wald,
der Bagger hat es sich noch nicht gekrallt,
und ruft uns zu: Gebt keine Ruh.
Und lädt uns ein: Kommt mit in unser Heim
im tausend Jahre alten Wald.

Klaus der Geiger


Erdgeschichtlich mag die Braunkohle mit einem Alter von 40 bis 50 Millionen Jahren ein vergleichsweise junges Überbleibsel urzeitlichen organischen Wachstums sein. Bei einem Sauerstoffgehalt der Luft von 35 Prozent - heute 21 Prozent - explodierte die Pflanzenwelt regelrecht. Die biologischen Vorläufer von Gewächsen wie dem Ackerschachtelhalm, an denen man heute achtlos vorbeigeht, konnten Dutzende von Metern hoch werden. Stürmten die Pflanzen im heißen und feuchten Klima dieser Epoche regelrecht der Sonne entgegen, so wurden sie nach ihrem Verfall desto tiefer unter jenen Erdschichten begraben, denen sie heute mit Hilfe gigantischer Schaufelradbagger wieder entrissen werden. Die in ihrer organischen Substanz gebundene Sonnenenergie wurde unter der Last darüber liegender Gesteinsschichten und unter Abwesenheit von Sauerstoff zu energiehaltigem Kohlenstoff komprimiert. Bei dessen Abbrand wird das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid freigesetzt, so daß die atembare Atmosphäre praktisch mit historischen Stoffwechselprozessen kontaminiert wird, die normalerweise im fossilen Aggregatzustand konserviert geblieben wären.

Als ob das vor Ewigkeiten wild wuchernde bioorganische Leben in untoter Gestalt wiederersteht, um Mensch und Natur im schwarzen Abglanz seines einstmals grünen Aufbaus heimzusuchen, könnte das Geschehen im Braunkohletagebau auch als finstere Beschwörung ganz und gar nicht freundlich gesonnener Erdgötter imaginiert werden. So paradox die Vorstellung wirkt, daß die vom Schaufelradbagger zu den Förderbändern und Kohlebunkern bis zur Verladung auf Eisenbahnwaggons, die die Kohlekraftwerke beliefern, verlaufende Stromproduktion ihrerseits erheblicher Mengen an fossiler Energie bedarf, um überhaupt ins Werk gesetzt zu werden, so unabweislich ist das Ergebnis dieses zerstörerischen Prozesses. Immer weiter fräsen sich die Zähne der gigantischen Schaufeln des Baggers in das Land, graben die im Verhältnis zur Tiefe der Grube feine Humusschicht ab und zerstören alles, was auf ihr wächst und gedeiht. Um die im Erdreich gebundene Hinterlassenschaft eines Pflanzenwachstums, das alle Vergleiche zur heutigen Vegetation sprengt, als Brennstoff zu nutzen, wird das viel bescheidenere und damit um so wertvollere Leben der Felder und Wälder dieser Zeit vernichtet.

Von dem industriellen Verlauf, der in den Tagebauen des Rheinischen Braunkohlereviers seinen Anfang nimmt und in den metropolitanen Zentren Westeuropas eine höchst verschwenderische Lebensqualität und Warenproduktion ermöglicht, bleibt vor allem Asche übrig. Der beeindruckende Reichtum moderner Industriegesellschaften wird auf dem Treibsand eines Verbrauchs erwirtschaftet, der nur scheinbar nichts mit den sozialen Widersprüchen zu tun hat, die die Gesellschaften des warenproduzierenden Systems erschüttern. Schaut man genauer hin, zeigt sich, daß die sozialen Konflikte in den Städten, die Verelendung im Globalen Süden und das unaufhaltsam wirkende Versinken ganzer Landschaften im Braunkohletagebau allesamt Ausdruck eines Aneignungsprozesses sind, bei dem nicht nach den Bedürfnissen und Interessen der Menschen und Lebewesen gefragt, sondern nach dem Prinzip des Überlebens zu Lasten des anderen verfahren wird.


Spielt und singt vor Publikum - Foto: © 2017 by Schattenblick

Klaus der Geiger - mit 77 rebellisch wie eh und je
Foto: © 2017 by Schattenblick

Bis hierher und nicht weiter ...

Dagegen anzugehen fühlen sich nicht nur die Besetzer des Hambacher Forstes verpflichtet. Ist ihnen auch in erster Linie zu verdanken, daß eine breitere Öffentlichkeit in NRW die destruktiven Folgen der Produktion von Kohlestrom in ihrem Bundesland wahrnimmt, so gibt es inzwischen zahlreiche Initiativen und Einzelpersonen, die die Braunkohleverstromung und den durch die fossile Energiegewinnung ermöglichten Lebensstil als sozial wie ökologisch verheerend kritisieren. Heute wird der auf weniger als ein Zehntel des einstmals 85.000 Hektar großen Maiglöckchen-Stieleichen-Hainbuchenwaldes geschrumpfte Hambacher Forst nach vielen Jahren, in denen Rheinbraun die Kohleverstromung lediglich gegen die einheimische Bevölkerung und einige frühe Aktivistinnen und Aktivisten, die das ökologische Verhängnis des 1975 beschlossenen Braunkohleplans erkannten, durchsetzen mußte, von einem breiten Bündnis von Menschen verteidigt.


Auf eine Anhöhe bei der Ansage - Foto: © 2017 by Schattenblick

Michael Zobel und Eva Töller
Foto: © 2017 by Schattenblick

So auch am 19. Februar. An diesem Sonntag veranstalteten Michael Zobel und Eva Töller nicht nur den allmonatlichen Waldspaziergang, sondern im Anschluß daran wurde unter dem Motto "Sei die rote Linie!" dazu aufgerufen, den Verlauf der stillgelegten alten Autobahn A 4 als rote Linie für die Rodungsmaschinen und Bagger RWEs zu markieren. Zwar wurden in der laufenden Rodungssaison, die am 28. Februar endete, bereits südlich der A 4 Bäume gefällt. Die rot gekleideten und rote Banner tragenden Menschen setzten dennoch ein Zeichen, um zu verhindern, daß der verbliebene Wald weiter angetastet wird. Antje Grothus von der rührigen BI Buirer für Buir, deren Ort bei vollständiger Erfüllung des Braunkohleplans am Grubenrand läge und der durch die Verlegung der A 4 und die Hambacher Kohlebahn erheblich mit Lärm und Feinstaub belastet wird, hat zu Beginn dieser Rodungssaison eine Petition gegen die weitere Waldzerstörung initiiert, die inzwischen von gut 26.000 Menschen unterzeichnet wurde [1].

Nachdem bereits am 23. Oktober 2016 tausend Menschen mit einer Roten Linie an der alten A 4 den sofortigen Stopp der Rodungsarbeiten gefordert hatten, reisten zum Ende der Rodungssaison sogar Aktivistinnen und Aktivisten aus den Niederlanden und Belgien an, um den Zug der Protestierenden zu verstärken. Was vor etwa drei Jahren in Eigeninitiative des Waldführers Zobel als beschaulicher Spaziergang begann, ist zu einem von vielen Medien beachteten Ereignis angewachsen, an dem insgesamt über 7000 Menschen teilgenommen haben. Dementsprechend nehmen auch die Vorträge, in denen Zobel inmitten des Waldes über dessen Biologie, Geschichte und Zerstörung aufklärt, wie der Schattenblick am 14. Juni 2015 erleben konnte [2], heute eher den Charakter von Ansagen an, in denen mehr vom Protest selbst und den vielen Menschen, die daran beteiligt sind, die Rede ist.


Menschen in Gruppen vor dem Hambacher Forst - Foto: © 2017 by Gabor Fekete

Aus dem Wald auf die Rodungsfläche ...
Foto: © 2017 by Gabor Fekete

Zugleich ist dieser Wald seit 2012 von Aktivistinnen und Aktivisten besetzt, deren Motto "Hambi bleibt!" weltweit Verbreitung gefunden hat. So marschieren ganze Scharen rotgekleideter Menschen unter Bäumen entlang, in deren Kronen Häuser thronen, die den logistischen Kern der Verteidigung des Hambacher Forstes bilden, und finden freundliches Gehör, wenn sie die dort lebenden Menschen mit zahlreichen Fragen behelligen. Wie der laute Applaus beweist, wenn Michael Zobel die Verdienste der Waldbesetzung hervorhebt, sind sich die Protestierenden im Klaren darüber, daß das entbehrungsreiche Leben im winterlich naßkalten Forst unter permanenter Bedrohung, jederzeit von der Polizei geräumt werden zu können, das Rückgrat der Verteidigung des Waldes gegen seine Abholzung bildet.

Vertreter politischer Parteien gaben sich nur im Ausnahmefall zu erkennen. Zwei Menschen von der Partei Die Linke im Rhein-Erft-Kreis zeigten sich dem Anliegen des Protestes verbunden und begrüßten das anwachsende Interesse an sozialökologischen Themen in ihren Reihen. Zugleich gaben sie zu erkennen, daß der Konflikt zwischen Kohlegegnern und Gewerkschaften [3] auch in ihrer Partei Verwerfungen hinterlassen hat. Die Bewältigung dieses Widerspruchs ist für eine Linke, die den klassischen Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit nicht vergessen hat, zugleich aber an der Entwicklung neuer Formen gleichberechtigten Lebens und Arbeitens interessiert ist, von essentieller Bedeutung, wenn sie das politische Feld nicht der sozialdarwinistisch argumentierenden Rechten überlassen will.


Langer Zug von Menschen, im Hintergrund Bagger - Foto: © 2017 by Gabor Fekete

Auf dem Weg zur Autobahntrasse
Foto: © 2017 by Gabor Fekete

Die Rote Linie formierte sich auf der Trasse der A 4, die dort, wo bereits in südlicher Richtung über die ehemalige Autobahn hinaus gerodet wurde, nurmehr eine schlammige, zur Grube hin von einer Geröllhalde begrenzte Rollbahn darstellt. Die Rodungsarbeiten, zu denen auch die Bearbeitung des Bodens nach dem Abtransport der gefällten Bäume zählt, wurden schon zwei Tage später fortgesetzt. An diesem Sonntag wurde der Zugang zum Tagebau zwar durch die Sicherheitskräfte des Grubenbetreibers und die Polizei abgesperrt, ansonsten konnte sich die lange Reihe von Aktivistinnen und Aktivisten aber ungestört formieren. Da die Aktion auch im Terminplan einiger Medien verbucht worden war, wurde daran erinnert, daß die Linie auch zum Zwecke eines Fotos bis zu einem bestimmten Zeitpunkt geschlossen werden sollte, was auch gelang.

Das breite Vorfeld des Hambacher Forstes, auf dem Baumstümpfe und Baumreste das Zerstörungswerk der diesjährigen Rodungssaison veranschaulichen, ist ein auf erschreckende Weise beeindruckender Ort. Gerade noch durch den lichten, trotz der vielen Besucher besinnliche Ruhe verströmenden Wald gelaufen, tritt der Mensch auf den Schauplatz eines Krieges gegen die uralte Welt der Bäume und Tiere, die den Harvestern, Kettensägen, Transport- und Rodungsmaschinen ohnmächtig ausgeliefert ist. Diese mit fossilem Brennstoff befeuerten, ihre mechanische Kraft hochmobil an jeden Ort tragenden Gerätschaften, die einen in hundert Jahren gewachsenen Baum innerhalb einer Minute fällen, entasten und zerteilen können, sind die Angriffswaffen einer Produktionsweise, der der Brand, von dem sie betrieben wird, nicht nur notwendiges Betriebsmittel, sondern zentrales Funktionsprinzip des Mensch-Natur-Stoffwechsels ist. Den gerodeten Wald vor Augen ist nicht zu vergessen, daß auch für die als Erneuerbare Energieerzeugung geltende Verheizung von Holz als Biomasse Wälder in einem Ausmaß gerodet werden, das die Unterstellung, es handle sich dabei um eine nachhaltige Praxis, als zynisches Greenwashing entlarvt [5].


Hochsitz mit Banner am Waldrand - Foto: © 2017 by Gabor Fekete

Waldbesetzung zeigt Präsenz
Foto: © 2017 by Gabor Fekete

Dieser Ort, wo die aus den Städten im Rheinland heranreisenden Menschen sinnlich erfassen können, was geschieht, damit bei ihnen zu Hause das Licht brennt und der Herd heiß wird, ist ein exemplarisches Beispiel für die Folgen der herrschenden Wachstumsdoktrin. Hier wird alles andere als schonend und an realen Verbrauchserfordernissen orientiert verheizt, was die Herstellung immer neuer Produkte einer glitzernden Warenwelt ermöglicht, die nach Kräften vergessen macht, was den Menschen mehr am Leben interessieren könnte, als Nutznießer eines von kapitalistischer Reichtumsproduktion privilegierten Landes zu sein. Wie es so schön in der neoliberalen Angebotstheorie heißt, ordnet sich alle ökonomische Entwicklung der Investitionstätigkeit der Unternehmen nach, sprich, wird Bedarf nach marktwirtschaftlichen Kriterien und nicht den Erfordernissen materieller Lebensbewältigung geschaffen. Das überdimensionierte Stromangebot in der Bundesrepublik, mit dem nicht nur Waren für den Export hergestellt werden, sondern auch das europäische Ausland mit Elektrizität in seit Jahren anwachsender Menge versorgt wird, treibt den Verbrauch quasi vor sich her, anstatt Erzeugung und Verbrauch rational zu regulieren. Daß zugleich mehreren hunderttausend Haushalten im Jahr der Strom abgeschaltet wird, weil die betroffenen Familien zu arm zum Begleichen der Rechnungen an die Energiekonzerne sind, zeigt das ganze Ausmaß an sozialer Verachtung einer Gesellschaft, in der Nachfrage bezahlbar sein muß, um als solche überhaupt wahrgenommen zu werden.


Aktivistinnen und Aktivisten mit langem roten Banner - Foto: © 2017 by Gabor Fekete

Die Rote Linie steht ...
Foto: © 2017 by Gabor Fekete


Rote Linie mit Banner von oben - Foto: © 2017 by Schattenblick

... und kann auch von der Brücke über die alte A 4 bestaunt werden
Foto: © 2017 by Schattenblick

Sozialökologischer Widerstand richtet sich heute, da nur noch eine kleine Minderheit sogenannter Klimaskeptiker den Klimawandel leugnet und dessen verheerende Auswirkungen insbesondere im Globalen Süden alltäglich zu spüren sind, nicht mehr nur gegen einzelne Orte und Praktiken massiver Umweltzerstörung. Die Frage, wie Menschen überhaupt leben, sich ernähren, kleiden und fortbewegen können, kann nicht unbeachtet bleiben, wenn zerstörerische Formen gesellschaftlicher Arbeit und Kapitalverwertung überwunden werden sollen. Vor diesem Hintergrund dient der Widerstand im Rheinischen Braunkohlerevier in seiner ganzen Vielfalt von der Waldbesetzung über die verschiedenen Initiativen, die in der Region Aufklärungsarbeit leisten, Demonstrationen veranstalten, gegen den Energiekonzern RWE klagen, bis hin zum alljährlichen Klimacamp, das im August 2015 in eine spektakuläre Besetzung des Tagebaus Garzweiler mündete [3], auch der Erprobung widerständiger Praktiken, der Schaffung organisatorischer Strukturen und der Realisierung eines solidarischen Umgangs, der gerade auch in Situationen äußerer Bedrohung Bestand hat.


Aktivistinnen und Aktivisten auf Anhöhe - Foto: © 2017 by Schattenblick

"Climate Justice Now!"
Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] https://weact.campact.de/petitions/hambacher-wald-retten-klimaziele-realisieren-1

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0103.html
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0104.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0062.html

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0054.html

[5] Kahlschlag für Stromkonzerne
http://www.kritischer-agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/KAB-2017/KAB_2017_216_217_Gerhardt_Gehardt.pdf

1. März 2017


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