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GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/004: Krieg der Bäume - Knüppeldick und ohne Grund ...    Todde Kemmerich im Gespräch (SB)


Grafik: © 2017 by Schattenblick

Gefahrenzone Braunkohletagebau

Der Aktionskünstler Todde Kemmerich ist im Widerstand gegen die Vernichtung des Waldes und der Landschaft im Rheinischen Braunkohlerevier engagiert. Am Rande der Rote-Linie-Aktion, bei der 1200 Menschen am 19. Februar ein physisches Zeichen gegen die weitere Zerstörung des Hambacher Forstes setzten, hatte der Schattenblick Gelegenheit, ihn zu seinen politischen und künstlerischen Aktivitäten wie auch zu einer folgenschweren Begegnung mit der Polizei, die die Durchführung des Braunkohletagebaus absichert, zu befragen.


Im Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Todde Kemmerich
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Todde, könntest du einmal berichten, wie du zu deinem Engagement im Widerstand gegen die Braunkohleverstromung gekommen bist?

Todde Kemmerich (TK): Ich bin seit 27 Jahren als freischaffender Künstler tätig und mache hauptsächlich soziokulturelle Projekte mit Erwachsenen und Jugendlichen, auch gerne große Installationen mit großen Gruppen. Und das hier ist im Prinzip auch eine soziokulturelle Angelegenheit, das kann man ja nicht anders nennen. Ich habe im März 2014 in Aachen in der Zeitung gelesen, daß hier die Räumung der Waldbesetzung stattgefunden hat, das wollte ich mir vor Ort angucken. Und dann stand ich hier an der Stelle, wo sieben 200 Jahre alte Eichen gefällt worden sind, auf denen fünf Baumhäuser errichtet waren. Die Räumung war am 27. März, ich bin drei Tage später da gewesen und habe dieses Schlachtfeld gesehen.

Das hat mich so emotionalisiert, daß ich etwas machen mußte. Da ich mich nicht in der Lage fühlte, aktiv in den Wald zu ziehen und vor Ort Widerstand zu leisten, habe ich beschlossen, im Rahmen eines Filmprojekts zu dokumentieren, was hier im Wald passiert. Ich habe dann viel mit den Aktivisten gesprochen und die Bürgerinitiativen aufgesucht, habe auch teilweise mit Politikern gesprochen, hauptsächlich von den Grünen, um die noch einmal dazu zu bringen, sich hier vielleicht etwas mehr zu engagieren. Ich habe mich nicht nur auf den Tagebau Hambach beschränkt, sondern war im ganzen Rheinischen Revier unterwegs, viel auch in Garzweiler, um die Zerstörung der Dörfer zu dokumentieren. Daraus wird ein Film mit dem Titel "Der Braunkohletourist" entstehen, und das bin ich.

SB: Wie bist du auf den Namen gekommen?

TK: An der Autobahn stehen diese Schilder, die auf Sehenswürdigkeiten verweisen. Auch das Rheinische Braunkohlerevier ist ein touristisches Ziel, und deswegen heißt es "Der Braunkohletourist", mit dem Untertitel "Eine Reise in die Unterwelt". Erstens weil hier Riesenlöcher gebuddelt werden, und zweitens auch aus dem Grund, weil es hier schon sehr viele Aktionen gegeben hat, die man als militant bezeichnen kann. Das sind ja sehr wenige Aktivsten, die sich daran beteiligen. Die meisten, die hier im Wald sind, haben eher eine sehr friedliche Gesinnung. Und es geht hier nicht nur um die Vernichtung von Lebensräumen, sondern natürlich auch um eine Kapitalismuskritik und alles, was damit zusammenhängt.

Ich bin sehr oft hier im Hambacher Fort gewesen und habe auch die eine oder andere Aktion miterlebt. Kurz darauf habe ich mich mit Michael (Zobel) unterhalten, und der meinte: "Oh, interessant, fahren wir mal zusammen hin." Daraus sind dann auch diese Waldspaziergänge entstanden. Wir befinden uns heute auf dem 35. Waldspaziergang.

Dann hat sich letztes Jahr noch etwas anderes ergeben. Überall in den Zeitungen hieß es "Monstergewalt im Hambacher Forst, das kann nicht so weitergehen". Daraufhin hat sich eine Friedensplaninitiative gegründet, an der auch der eine oder andere von den Grünen beteiligt war, hauptsächlich aus dem Kreis Düren, dann haben sich noch die Kerpener und die Kirchengemeinden angeschlossen. Diese relativ große Gemeinschaft kam dann auch mit RWE ins Gespräch. Daraus ergab sich, daß auch die Polizei Interesse hatte, an diesen Gesprächen teilzunehmen. An der Delegation, die daraus entstand, bin ich beteiligt. Zu den vielen sogenannten Friedensgesprächen, die bereits geführt wurden, hat man sich darauf geeinigt, deren Inhalte nicht in die Öffentlichkeit zu bringen, woran sich auch alle halten.

Man sollte dennoch nicht verschweigen, und dazu stehe ich auch, daß die Gespräche eigentlich sehr einseitig laufen. Wir machen viele Vorschläge, was man alles tun könnte, so zum Beispiel eine Rodungssaison auszusetzen, weil überhaupt nicht klar ist, wie lange hier sinnvollerweise noch Braunkohle gefördert werden kann. RWE bringt dann immer das Argument "Wir können ja nicht morgen aufhören" - das verlangt gar keiner. Man kann sich doch mal ein Ziel setzen, aber dieses Ziel wird weder von RWE noch von der Landesregierung gesetzt. Jetzt gibt es unter anderem von den Bundesgrünen den Vorschlag, den sie auch in ihr Parteiprogramm geschrieben haben: "Kohleausstieg 2025". Dazu haben die Grünen im Rhein-Erft-Kreis gesagt: "Nein, das geht nicht".

Wieso torpedieren die jetzt ihre Bundespartei? Was ist hier eigentlich los? Von den vielen Grünen, mit denen ich gesprochen habe, kommt immer wieder das Argument "Ja, wir sitzen hier in der Landesregierung mit der SPD und haben damals im Koalitionsvertrag das und das vereinbart". Und dann wird immer gesagt "O ja, wir haben doch einen Riesenerfolg, es bleibt ja ein Dorf stehen, Holzweiler". Das bedeutet aber nicht, daß wir ein Ausstiegsdatum haben, sondern nur, daß man sich jetzt glücklich schätzt, daß ein Dorf gerettet wird. Doch die Bewohner von Holzweiler sind total unglücklich, denn jetzt werden sie genauso wie Buir Grubenrandgemeinde.

Die "Buirer für Buir" sind die aktivste Bürgerinitiative von allen. Sie werden von allen, die hier irgendwie noch pro Braunkohle sind, angefeindet, indem behauptet wird, daß sie den militanten Widerstand unterstützen, was natürlich überhaupt nicht stimmt. Alle, die sich im Widerstand engagieren, laufen Gefahr, auf diese Weise kriminalisiert zu werden.

SB: Könntest du einmal zu dem Vorfall berichten, den Michael Zobel zu Beginn des heutigen Waldspaziergangs erwähnt hat?

TK: Hier, wo wir sitzen, haben im November massive Rodungen stattgefunden. 70 Hektar wurden gerodet. Davor gab es die erste Rote-Linie-Aktion am 23. Oktober. Es ging darum, ein Zeichen zum Umdenken zu setzen, doch RWE hat hier Tatsachen geschaffen. Eine Gruppe, die sich zusammenfand, um irgendwie darauf zu reagieren, kam auf die Idee: Wir machen einen sogenannten Aktionsadventskalender. Vom 1. bis 24. Dezember kam es jeden Tag zu einer Aktion gegen die Vernichtung des Hambacher Forstes. Ich habe an vielen dieser Aktionen teilgenommen.

Am 3. Dezember haben wir uns morgens um sechs Uhr an der Zufahrtsstraße zum RWE-Betriebsgelände Tagebau Hambach getroffen und dort im Dunkeln ein Frühstück veranstaltet. Das war auch bei der Polizei angemeldet. Um acht Uhr, als es langsam hell wurde, machte Michael den Vorschlag, doch einen kleinen Spaziergang zu unternehmen. Wir sind dann mit ungefähr 25 Leuten in den Wald gegangen. Es waren auch Polizeikräfte da, und niemand hat gesagt, daß wir irgendwo nicht hingehen dürfen. Das heißt, es war ein ganz normaler Waldspaziergang, der Wald ist frei zugänglich.

Dann kamen wir an die Stelle, wo vor kurzem gerodet wurde. Da fanden keine Arbeiten statt. Ich schätze, es waren etwa 20 Polizeibeamte auf der Autobahn. Wir sind dann mit einer kleineren Gruppe von 15 Leuten in Richtung Autobahn gegangen. Die Videokamera in der rechten und die Fotokamera in der linken Hand habe ich den Polizeibeamten gesagt, daß ich zu Dokumentationszwecken hier bin, weil ich einen Film mache. Ich will hier niemanden angreifen, ich habe auch keine Waffe dabei. Dann hat man mich aufgefordert stehenzubleiben. Ich bin dieser Aufforderung nachgekommen und bin stehengeblieben. Die nächste Aufforderung lautete: "Bitte entfernen Sie sich." Dann habe ich mich entfernt, aber dabei weiter gefilmt.

Dann wurde ich von hinten von vier Polizeibeamten angehalten. Der eine hat mich am Arm gehalten. Dann wurde mir, während ich festgehalten wurde, mehrfach gesagt, daß ich mich entfernen soll, also eine völlig widersprüchliche Aufforderung. Als ich dann viermal vehement gesagt habe, man solle mich doch bitte loslassen, hat man mich auch losgelassen, und ich habe mich weiter entfernt. Dann haben die Polizeibeamten eine Polizeikette aufgebaut, und ich habe das kommentiert "Ah, eine neue rote Linie, beziehungsweise schwarze Linie". Ich habe die Beamten dann darauf hingewiesen, daß sie hier ein Umweltverbrechen schützen und daß sie den Werkschutz von RWE spielen.

Dann kam der Truppführer dieser Einheit wie ein American-Footballspieler mit einem Affenzahn auf mich zugerannt. Ich hatte, wie gesagt, in beiden Händen eine Kamera und so überhaupt keine Möglichkeit, in irgendeiner Art zu verhindern, daß er mich in diesem hohen Tempo umriß. Als ich bäuchlings auf dem Boden lag, haben mich zwei oder drei Beamte - ich konnte das nur noch taktil beobachten - zu Boden gedrückt. Dann haben zwei Beamte, wie andere beobachtet haben, deren Gedächtnisprotokolle es ja gibt, meinen Rücken mit Schlagstöcken traktiert. Gott sei Dank hatte ich einen Rucksack an, deswegen habe ich da keine größeren Verletzungen, aber einer der Beamten hat mir mit seinen Polizeihandschuhen den Hals zugedrückt und mich massiv zu Boden gedrückt. Dann wurde ich mehrfach im aggressivstem Ton aufgefordert, meine Arme herauszugeben, damit man mich fesseln kann.

Die Arme waren unter meinem Körper, auch die Videokamera hielt ich noch in der Hand, die lief da zu diesem Zeitpunkt noch, und ich konnte meine Arme gar nicht herausnehmen, weil ich so massiv zu Boden gedrückt wurde. Letztendlich haben sie meine Arme unter Gewaltanwendung nach hinten bekommen, haben mich dann mit einem Kabelbinder gefesselt, und zwar so massiv, daß das an den Handgelenken sehr stark geschmerzt hat. Ich habe mich mehrfach darüber beschwert und wurde dann irgendwann umgedreht. Dann saß ich da auf dem Boden und wurde aufgefordert, aufzustehen und mit den Beamten mitzugehen. Ich habe zu den Beamten gesagt: "Nach dieser Behandlung gehe ich mit Ihnen nirgendwo hin, wer weiß, was Sie da noch mit mir vorhaben".

Dann hat ein Beamter - ob der hinter mir gekniet oder gehockt hat, weiß ich nicht - mir von hinten rechts und links mit voller Wucht auf die Backenknochen geschlagen. Ich habe nur die beiden Fäuste gesehen, die von hinten auf mich zukamen. Ich habe das nachher fotografieren lassen und im Krankenhaus, wo ich mich behandeln ließ, alle meine Verletzungen dokumentieren lassen. Dann haben mehrere Zeugen, die dabei waren, Gedächtnisprotokolle geschrieben.

Das alles hat sich am 3. Dezember zugetragen. Ich stand mehrere Tage total unter Schock und habe sofort angekündigt, daß ich die Polizeibeamten anzeigen werde. Mein Anwalt hat sich die Aufnahmen und die Gedächtnisprotokolle angeschaut und gesagt "Alles klar, wir werden die alle anzeigen". Es gibt mehrere Straftatbestände, die zur Anzeige kommen. Das ist Körperverletzung im Amt, Beihilfe zur Körperverletzung im Amt und Freiheitsberaubung, weil ich danach noch anderthalb Stunden in einem Polizeitransporter eingesperrt und einer kompletten Leibesvisitation unterzogen wurde. Dazu gibt es noch eine Dienstaufsichtsbeschwerde.

Jetzt fragen mich viele Leute häufig, warum ich die Beamten bis zum heutigen Tage noch nicht angezeigt habe. Der Grund ist: Ich habe die Polizeibeamten gebeten, mir die Namen der entsprechenden Beamten zu nennen. Das wurde mir verweigert. Es handelte sich um einen Angriff, denn ich habe nichts getan, mich nicht den Anweisungen widersetzt, nichts habe ich gemacht. Insofern gibt es auch keinen Grund dafür, mich angegriffen zu haben. Es gab auch keine Bedrohungssituation.

Mein Anwalt sagte dann, er könne natürlich das Land NRW anzeigen, das kann man ja immer machen, aber dann kämen die Verantwortlichen, die gar nicht bekannt werden, davon. In der Woche danach habe ich drei Vorladungen von der Staatsschutzabteilung im Polizeipräsidium Aachen bekommen. Einmal wegen Widerstandes gegen Polizeivollzugsbeamte - ich weiß nicht, wo ich Widerstand geleistet haben soll. Dann wegen Hausfriedensbruches, allerdings nicht für den 3. Dezember, sondern für den 15. August 2015, wo wir im Rahmen des zivilen Ungehorsams im Tagebau Garzweiler waren. Das bestreite ich auch gar nicht, das habe ich gemacht, aber da ist noch gar nicht klar, ob das Hausfriedensbruch war, weil das Gelände nicht umfriedet ist. In der Lausitz hat die Staatsanwaltschaft Cottbus am Tag vor dem Klimacamp erklärt, daß es kein umfriedetes Gelände und daher kein Hausfriedensbruch ist. Vielleicht wird sich die Staatsanwaltschaft hier dem noch anschließen.

Die dritte Vorladung habe ich wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht. Das betraf die Aktion am 1. Dezember, wo wir die Zufahrtsstraße mit einem Banner blockiert haben. Ich war allerdings nur als Filmemacher zugegen, während drei andere Personen ein Banner über die Straße gehalten haben. Die Polizei erklärte dazu, was wir dürfen und was nicht, und daran haben sich auch alle gehalten. Dieser Vorwurf wurde inzwischen fallengelassen, das Verfahren ist eingestellt, die anderen beiden Verfahren laufen weiterhin.

Dann ließ uns die Staatsanwaltschaft wissen, daß es Anfang Januar Akteneinsicht gibt, die mein Anwalt natürlich beantragt hat. Diese Akteneinsicht gibt es seit letzter Woche. Darin werden zumindest vier der Polizeibeamten benannt, die ja eine Zeugenaussage gemacht haben. Zu den Zeugenaussagen darf ich nichts sagen, aber es gibt jetzt vier Namen, die bekannt sind. Unter anderem ist der Truppführer, der mich American-Football-mäßig zu Boden gerissen hat, dabei. Die werden jetzt alle innerhalb dieses Monates angezeigt. Klar ist auf jeden Fall, daß von keiner der Personen, die an dem Waldspaziergang am 3. Dezember teilgenommen haben, irgendeine Eskalation ausgegangen ist.

SB: Läßt die Polizei den Werkschutz, der hier der Hauptakteur zu sein scheint, gewähren?

TK: Nein, überhaupt nicht. Natürlich gibt es hier Werkschutz, aber alle Rodungsarbeiten, die hier stattgefunden haben, wurden immer von einem massiven Polizeiaufgebot gesichert, jedesmal. Auf Anfrage erklärt die Polizei immer "Wir sind hier, um die Waldarbeiter vor den militanten Aktivsten zu schützen". Das ist die Aussage, und die Polizei wird auch nicht von RWE, sondern aus Landesmitteln bezahlt. Mein Vorwurf, den ich immer erhebe, lautet, daß sie im Prinzip den Werkschutz für RWE spielen. Ob das so richtig ist, kann jeder selber beurteilen.

Wie ich vielleicht noch anfügen muß, ist alles, was mir widerfahren ist, im Krankenhaus und in der nachfolgenden Behandlung von Ärzten und Therapeuten, sowohl Physio- als auch Psychotherapeuten, dokumentiert worden. Das wird letztlich in der Verhandlung noch einmal zur Geltung kommen. Von den körperlichen Geschichten abgesehen, die inzwischen weitestgehend abgeklungen sind, stehe ich immer noch unter einer sehr großen psychischen Belastung. Ich hatte erst eine sogenannte akute Belastungsstörung. Inzwischen hat sich das zu einer posttraumatischen Belastungstörung ausgebildet. Mein komplettes vegetatives System ist im Eimer. Im Adrenalinschockzustand habe ich gleich am ersten Tag gesagt, daß diese Polizeibeamten eine Gewalt und Aggression in mich reingeprügelt haben, die ich vorher körperlich gar nicht kannte.

Diese Aggression ist jetzt in mir drin. Ich habe schon Leute angebrüllt und was weiß ich nicht alles gemacht, das bin nicht ich. Ich bin völlig aus meiner Mitte geworfen und ich fühle mich überhaupt nicht wohl, so wie ich mich verhalte und benehme. Ich habe natürlich große Schwierigkeiten, das in irgendeiner Art und Weise unter Kontrolle zu halten. Ich habe massive Schlafstörungen, Schweißausbrüche, nachts und tagsüber, ich habe Heulattacken bis zum heutigen Tage, und ich bin in einer relativ intensiven therapeutischen Betreuung. Daher bin ich froh, daß ich das gerade ganz nüchtern erzählen kann.

SB: Beeinträchtigt das dein Engagement? Bist du nicht nach wie vor dabei?

TK: Ich habe mich seit diesem Vorfall sehr zurückgezogen, weil ich vieles gar nicht mehr an mich ranlassen konnte. Heute bin ich erst das zweite Mal seit dem Vorfall wieder hier. Bei der letzten Waldführung konnte ich das nicht aushalten, da mußte ich wieder gehen. Ich will weiter aktiv sein, aber man hat mich in diese Ohnmachtssituation gebracht, und das hat mir ganz schön viel von meinem Mut, den ich bisher hatte, genommen. Das muß ich ganz klar sagen.

SB: Diese Ohnmachtserfahrung erleben viele Menschen wie etwa die Leute, die in Dakota gegen die Pipeline kämpfen oder die indigenen Bevölkerungen überall auf der Welt, deren Lebensräume vom Extraktivismus zerstört werden. Was wäre deine politische Konsequenz, damit umzugehen? Was sollen die Menschen deiner Ansicht nach machen, die sich mit dieser Gewalt, die physische wie ökonomische Formen annehmen kann, konfrontiert sehen?

TK: Viele sagen ja auch "ich fühle mich so ohnmächtig, weil ich allein nichts ändern kann". Was wir tun müssen, ist, und das passiert auch heute hier, große Gemeinschaften zu bilden und uns dem zu widersetzen, sowohl mit Worten als auch mit Taten, und damit meine ich nicht Mitarbeiter angreifen oder die Polizei mit Steinen beschmeißen, sondern Präsenz zeigen, vielleicht auch wieder in politischen Parteien aktiv werden oder Petitionen organisieren. Es gibt ja gerade eine Petition, die schon über 20.000 Leute unterschrieben haben. Ob das alles letztendlich etwas nützt oder nicht, weiß keiner. Aber nichts zu tun ist der falscheste Weg von allen. Präsenz zeigen, mit ganz vielen Menschen darüber reden, was hier passiert, was man hier für Eindrücke gewonnen hat und natürlich ganz klar sagen, daß die ökonomischen Ideale des Neoliberalismus unsere Lebensgrundlagen zerstören. Vielleicht noch nicht morgen, aber unsere Enkel werden sich später bei uns bedanken, daß wir das alles zugelassen haben, und das können wir nicht länger tun.

SB: Todde, vielen Dank für das offene Gespräch.


Todde Kemmerich mit Mikro - Foto: © 2017 by Schattenblick

Neben Michael Zobel beim Start der Rote-Linie-Aktion
Foto: © 2017 by Schattenblick


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6. März 2017


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