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GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/005: Krieg der Bäume - Keinesfalls nur Verweigerung ... (SB)


Grafik: © 2017 by Schattenblick

Was tun? Von der Praxis eines radikalökologischen Entwurfs

Wald- und Wiesenbesetzung im Hambacher Forst im Februar 2017


Oh, let the wolves howl, they won't find us there by a soft oil lamp we will lie,
Now winter is nigh let us fly to my log cabin home in the sky.

The Incredible String Band - Log Cabin Home In The Sky

Nähert sich der Besucher dem Hambacher Forst aus Richtung des nahegelegenen Städtchens Buir, dann eröffnet sich ihm ein Panorama von symbolschwerer Bedeutung. Über der Silhouette der Bäume des kleinen Restes, der von diesem uralten und einzigartigen Wald geblieben ist, türmt sich wie eine drohende Woge ein Berg auf, der noch vor wenigen Jahren hinter dem Grün der großen Buchen und Eichen verborgen lag. Für sein permanentes Anwachsen sorgt ein riesiger, auch nachts unter gespenstischer Beleuchtung arbeitender Bagger, der den Abraum aus dem größten und tiefsten der drei Tagebaue des Rheinischen Braunkohlereviers, dem Hambacher Loch, immer weiter gen Himmel streben läßt. Die Sophienhöhe, so der Name des Berges, wird von dem Grubenbetreiber RWE Power als Musterbeispiel für die sogenannte Rekultivierung der Landschaft beworben.


Aus Ästen geflochtener Rundbogen - Foto: © 2017 by Schattenblick

Zutritt zu der Welt ...
Foto: © 2017 by Schattenblick

Diese wird in einer derzeitigen Ausdehnung von 35 Quadratkilometern bis zu einer Tiefe von 400 Metern umgewälzt, um an einen fossilen Brennstoff heranzukommen, über den die Bundesrepublik im Überfluß verfügt und der als Klimakiller Nummer eins bekannt ist. Für die Förderung einer Tonne Braunkohle werden etwa hunderttausend Tonnen Erde auf eine Weise durchmischt, daß die hohe Fruchtbarkeit des organisch gewachsenen Humus und des in der rheinischen Tiefebene bis zu 20 Meter tiefen Lößboden unwiederbringlich geschädigt wird. Das in seiner biologischen Form sich niemals identisch wiederholende Geflecht hochkomplex miteinander verwachsener Bioorganismen in Flora und Fauna wird zerrissen und in den Motor einer gesellschaftlichen Maschine eingespeist, deren Produkte im fahlen Glanz des Versprechens, die Unterwerfung unter ihren Zwang und die Vernichtung unverfälschten und autonomen Lebens erträglich zu machen, bloßer Abglanz originären Lebens bleiben.


Blick auf Gayen/Gallien - Foto: © 2017 by Schattenblick Blick auf Gayen/Gallien - Foto: © 2017 by Schattenblick Blick auf Gayen/Gallien - Foto: © 2017 by Schattenblick

... fliegender Häuser
Foto: © 2017 by Schattenblick

Unwiederbringlich wird die alte Landschaft unter dem Anspruch der Rekultivierung in eine neue Ordnung gepreßt, die den realen Verlust aus sich selbst heraus wachsenden Lebens auf eine Karikatur menschlicher Vorstellung dessen reduziert, was Natur zu sein hat, wenn ihr der Zahn der Wildheit gezogen und der Stempel zivilisatorischen Nutzungsdenkens aufgedrückt wurde. Nicht minder groß ist der Verlust, wenn das individuelle Subjekt in millionenfacher Ausfertigung zum allgemein verfügbaren und bemessbaren Wechselwert sozialer Identität eingeebnet wird. Dem Kapitalverhältnis unterworfen, das keine persönlichen Interessen und Bedürfnisse, sondern lediglich das nackte Verwertungsprinzip, durch die Ausbeutung von Lohnarbeit aus Geld mehr Geld zu machen, kennt, werden auch Menschen zum Brennstoff einer Produktivität, die unter hoher Verbrauchslast leerläuft, weil sie nicht in der Lage ist, die Versorgung mit existentiell notwendigen Gütern auf angemessene Weise zu garantieren und zugleich die natürlichen Grundlagen des Lebens zu erhalten.


Panorama der Wiesenbesetzung - Foto: © 2017 by Schattenblick

Basiscamp auf der Wiese am Waldesrand
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Mit diesem schnöden Ersatz für ein Leben in Autonomie und Selbstbestimmung wollen sich einige junge und auch ältere Menschen nicht zufriedengeben. Sie leben in Wohnwagen und Holzbauten auf einer Wiese, die sie mit Einverständnis ihres Besitzers besetzt haben, wie in den Baumhäusern des Waldes, der sich ihr unmittelbar anschließt. Wird jenseits des kleinen Stückes Wald die Erde geöffnet, um das historische Vermächtnis längst vollzogener Stoffwechselprozesse in eine Atmosphäre zu entlassen, die auf ihre feuergetriebene Vernutzung längst mit schweren Unwettern, biblischen Dürren und weltweiter Eisschmelze reagiert, so wird unter den Kronen seiner Bäume und auf der nahegelegenen Wiese ein Leben geführt, das den Entwurf einer ganz anderen Zukunft in sich trägt.


Wandschriften und Textsammlungen - Foto: © 2017 by Schattenblick Wandschriften und Textsammlungen - Foto: © 2017 by Schattenblick Wandschriften und Textsammlungen - Foto: © 2017 by Schattenblick

Diskursformationen ...
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Foto: © 2017 by Schattenblick Foto: © 2017 by Schattenblick Foto: © 2017 by Schattenblick

... und Kampfansagen
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Vom Bruch zum Riß - Schrittfolgen der Befreiung

Fast schon zur Institution geworden und doch alles andere als das, wird dort Widerstand geleistet nicht nur gegen die Vernichtung des Waldes durch den Braunkohletagebau, sondern die Vereinnahmung jedes Wesens durch eine Aneignungs- und Verbrauchslogik, die das konkrete Leben ihrer höchst abstrakten, im Endeffekt als Herrschaft hervortretenden Wertproduktion unterwirft. Der Schwierigkeit, bei allem guten Willen und erstrebenswerten Idealen zutiefst von den Kräften und Wirkungen dieses Systems durchdrungen zu sein, werden die Besetzerinnen und Besetzer des Waldes und der Wiese auf ganz praktische Weise gerecht. "Fragend schreiten wir voran" - die Devise der Zapatistas ist in der multidimensionalen Krise gültiger denn je, bringt doch jeder Schritt auf unsicherem und haltlosem Terrain neue Möglichkeiten der Korrektur und Präzisierung hervor.

Nicht, daß die Aktivistinnen und Aktivisten der Wald- und Wiesenbesetzung im Hambacher Forst über zu wenig Beachtung durch die Öffentlichkeit klagen könnten. Ganz im Gegenteil, spätestens mit der spektakulären Räumung der ersten Waldbesetzung, die im April 2012 begonnen hatte und für deren Beendigung die Polizei im November des Jahres vier Tage benötigte [1], ist der Widerstand gegen die Vernichtung des uralten Waldes durch den Braunkohletagebau Hambach weit über die Region hinaus bekannt. "Hambacher Forst bleibt!" - fünf Jahre hat die Parole gehalten, was sie verspricht. Auch wenn die Rodungsmaschinen jedes Jahr mehr Wald vernichten und die Bagger ihre Zähne tiefer ins Land schlagen, hat das Symbol mit der Silhouette eines Baumes, in dessen Wurzelwerk diese kategorische Ansage organisch eingebettet ist, inzwischen weltweit Verbreitung gefunden.


Hambacher Forst bleibt! - Foto: © 2012 by Hambacher Forst

Foto: © 2012 by Hambacher Forst

Der Widerstand im Hambacher Forst hat eine soziale und politische Tiefendimension, die in den vielen Berichten in Presse und Rundfunk, selbst wenn sie sich nicht mit diffamierender Absicht an der Militanzdebatte abarbeiten, kaum zu Geltung gelangt. Während der lokale Widerstand, den es in der Region seit jeher gibt, auf das konkrete Ziel, die weitere Zerstörung der Landschaft durch den Braunkohletagebau zu beenden, beschränkt bleibt, geht es vielen der Aktivistinnen und Aktivisten um nichts geringeres, als den Destruktivkräften kapitalistischer Produktion und Vergesellschaftung eine ganz andere Daseins- und Lebensweise entgegenzustellen. Viele Bewohnerinnen und Bewohner des Rheinischen Braunkohlereviers haben inzwischen resigniert aufgegeben, und mit den alten Menschen, die die Umsiedlung ihrer Dörfer nicht verkraftet haben, stirbt auch die Erinnerung an die lokale Kultur und Tradition, die sie gegen das angebliche Gemeinwohl verteidigt haben, das in Form des Braunkohletagebaus über sie kam.

Sein Tun an den Erfolg desselben zu binden, also die Antwort vor die Frage zu setzen, bestätigt die eigene Ohnmacht und führt zu weiterer Lähmung. Der Widerstand im Hambacher Forst hingegen bezieht seine Vitalität nicht nur aus der Erreichbarkeit seiner primären Zwecksetzung, den Wald zu schützen und die Kohleverstromung zu beenden. Ums Ganze eines Lebens zu kämpfen und sich nicht von der Widersprüchlichkeit irritieren zu lassen, etwas scheinbar Aussichtsloses zu tun, setzt entschiedenes Eintreten für etwas voraus, das keiner äußeren Rechtfertigung oder sonstwie gearteter Legitimation, also immer neuer Überantwortung an fremdbestimmte Verhältnisse, bedarf.


Illustrierte Wohnwagen - Foto: © 2017 by Schattenblick Illustrierte Wohnwagen - Foto: © 2017 by Schattenblick Illustrierte Wohnwagen - Foto: © 2017 by Schattenblick

Aktionswohnen
Foto: © 2017 by Schattenblick

Um Mißverständnissen vorzubeugen - weder bei der Wald- und Wiesenbesetzung des Hambacher Forstes noch den Aktivistinnen und Aktivisten vergleichbarer Kämpfe handelt es sich um eine Gruppierung mit fester Programmatik, verbindlichen politischen Zielsetzungen oder dogmatischem Regelwerk. Im linken Minimalkonsens zweifellos gegen jede Form des Rassismus, Sexismus, Faschismus und Antisemitismus vereint, werden weitere Fragen wie etwa der Umgang mit Eigentumsfragen, die Zusammenarbeit mit Parteien oder die Legitimität militanter Aktionsmethoden durchaus individuell und divers gehandhabt. So stoßen Versuche der Gegner und Kritiker radikalökologischer, anarchistischer und herrschaftskritischer Bewegungen mit dem Versuch, diesen pauschal politische Positionen auch zum Zwecke ihrer Kriminalisierung zuzuschreiben, regelmäßig ins Leere.

Mit den herrschenden Verhältnissen so inkompatibel zu sein, daß die bei äußeren Betrachtern dieser aktivistischen Praxis aufkommenden Fragezeichen häufig keine befriedigenden Antworten erbringen, ist nicht allein taktischen Notwendigkeiten geschuldet, sondern erwächst in erster Linie aus der inhaltlichen Positionierung. Wer sich in der Welt des globalisierten Kapitalismus nicht in einer bürgerlichen Existenz einfinden möchte, um sich als Ware Arbeitskraft in zerstörerische Produktionsprozesse aller Art einzuspeisen, definiert sich, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des bisherigen Scheiterns sozialrevolutionärer und sozialutopischer Projekte, vor allem durch die Negation des Bestehenden. Keiner Herrschaft unterworfen zu sein, weder menschliche noch nichtmenschliche Tiere auszubeuten und zu unterdrücken, keine Vernichtung natürlicher und menschlicher Lebenswelten hinzunehmen, sind Positionen ausschließender Art, die keiner bürgerlichen Moral oder keines gesellschaftlich bestimmten Wertekatalogs bedürfen, um auf praktisch überprüfbare Weise wirksam zu werden.

Der Kampf nicht um das eigene, als gesellschaftlicher Besitzstand in der neoliberalen Marktwirtschaft stets gegen den anderen Menschen durchzusetzende Dasein, sondern das Leben als solches könnte als gemeinsamer Nenner all jener sozialökologischen Protestbewegungen verstanden werden, in denen Menschen in Europa und weltweit aktiv sind. Daß diese häufig an Stellen hervortreten, wo der Rohstoffextraktivismus und die Verkehrslogistik des warenproduzierenden Systems die Existenz von Subsistenzwirtschaft abhängiger Bevölkerungen und verbliebener Naturräume mit hoher Biodiversität und alten Pflanzen- wie Tierbeständen bedrohen, ist einem Stand kapitalistischer Entwicklung geschuldet, der sich gut auf den von Christian Zeller geprägten Begriff der "globalen Aneignungsökonomie" [2] bringen läßt. Die immer rücksichtsloser, durch die andauernde Verwertungskrise des Kapitals beschleunigt vonstatten gehende Inwertsetzung verbliebener Lagerstätten fossiler und mineralischer Rohstoffe, der Wälder zur Gewinnung neuer Agrarflächen und der Produktion von Biomasse, der Meere für die Nahrungsmittelproduktion und Rohstofförderung sowie der Umbau der Landschaften durch logistische Infrastrukturen des Personen- und Güterverkehrs sind Ausdruck einer Akkumulationslogik, die als Unwert bloßen Verbrauchs industrielle Brachen, verwüstete Landschaften und lebensfeindliche Einöden hinterläßt.


Klingel, Schild, Karabinerhaken - Foto: © 2017 by Schattenblick Klingel, Schild, Karabinerhaken - Foto: © 2017 by Schattenblick Klingel, Schild, Karabinerhaken - Foto: © 2017 by Schattenblick

Infrastruktur für Waldbewohner
Foto: © 2017 by Schattenblick

Radikalökologischer Aktivismus grenzenlos

Wird auf der griechischen Halbinsel Chalkidiki [3] oder im rumänischen Rosia Montana gegen die Vergiftung und Zerstörung der Region durch den Goldbergbau gekämpft, im französischen Bure gegen den Bau eines Atommüllendlagers oder in La ZAD in Südwestfrankreich gegen den Bau eines Großflughafens [4] protestiert, im norditalienischen Susatal eine breite Trasse für den überregionalen Durchgangsverkehr verhindert, wird auf die Erweiterung der NATO-Air Base Geilenkirchen im grenznahen niederländischen Schinveld [5] aufmerksam gemacht, besetzen Tierbefreierinnen im niedersächsischen Wietze den Bauplatz einer Hühnerschlachtfabrik [6], dann waren oder sind häufig Aktivistinnen und Aktivisten beteiligt, denen auch die Waldbesetzung im Hambacher Forst vertraut ist. Der für die sozialökologische und anarchistische Bewegung in Europa signifikante Austausch der Kämpfe beinhaltet zwar die Gefahr zu großer Unverbindlichkeit, birgt aber auch die Stärke in sich, keiner isolierten Weltsicht zu verfallen und stets neue Impulse zu erhalten.

Im Hambacher Forst wird gegenüber bürgerlichen Medien immer wieder darauf hingewiesen, daß die meisten sich einig darin sind, keine Lebewesen in irgendeiner Form zu schädigen, die Besetzung als solche aber schwerlich für Aktionen von Personen verantwortlich gemacht werden kann, die diesem Konsens nicht entsprechen. Das ist, wie auch der Schattenblick bei einem Besuch auf der Wiese und im Wald erfahren konnte, kein handlungstaktischer Vorwand, sondern entspricht dem heterogenen Charakter einer sozialen Bewegung, die sich nicht erst im Hambacher Forst formiert hat. Sie speist sich aus den vielfältigen Quellen eines globalen Aktivismus, der schon in den 1970er Jahren im Kampf gegen destruktive Entwicklungen wie radioaktive Verstrahlung, Waldsterben, Tierausbeutung, Automobilismus, infrastrukturelle Großprojekte, agroindustrielle Landwirtschaft und die imperialistische Ausbeutung des Globalen Südens seinen Anfang nahm.


Baumhaus mit Flatterband und Fotos - Foto: © 2017 by Schattenblick Baumhaus mit Flatterband und Fotos - Foto: © 2017 by Schattenblick

Für die, die untenbleiben ...
Foto: © 2017 by Schattenblick

Heute sind Klimawandel, Artensterben und der drohende Kollaps natürlicher Systeme in aller Munde. Daß schon vor Jahrzehnten warnende Stimmen laut wurden, die Maßnahmen gegen die manifeste Entwicklung forderten, wird aus naheliegendem Grund tiefgehängt. Man müßte sich eingestehen, wider besseren Wissens den Wachstumsprimat von Staat und Kapital verabsolutiert zu haben, was die Dringlichkeit, jetzt endlich entschiedene Maßnahmen wie etwa den sofortigen Ausstieg aus der Kohleverstromung zu ergreifen, verstärkte. So wird der heutigen Generation radikalökologischer Bewegungen auch noch die Last dieses Versäumnisses aufgebürdet. Da der Mensch als Fluchttier dazu neigt, lieber nicht gegen die offensichtliche Bedrohung vorzugehen, sondern abzuwarten, bis die Situation ganz und gar ausweglos ist, müssen Menschen, die dennoch den Mut fassen, ein aussichtslos erscheinendes Unterfangen zu wagen, ihre Zeichen um so entschiedener setzen. Wie der Bote, der die schlechte Nachricht überbringt, mit der realen Gefahr verwechselt wird, kann auch ihnen der Versuch, die Trägheit einer Verwertungslogik zu unterbrechen, die alles mit sich in den Abgrund zu reißen droht, schuldhaft zur Last gelegt werden.

Dabei gehen die Aktivistinnen und Aktivisten im Hambacher Forst mit gutem Beispiel voran. Von der spezifischen Überproduktion kapitalistischer Produktion, also der gewinnorientierten, an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen vorbeigehenden Güterwirtschaft zu leben läßt sich zwar nicht verallgemeinern. Nach Möglichkeit Dinge zu verwenden, die ansonsten mit viel Aufwand als Müll entsorgt würden, entspricht jedoch dem Prinzip, so wenig Schaden wie möglich anzurichten. Ohne fließend Wasser und Strom, mit wenig Heizung und Nahrungsmitteln auch im Winter zu leben ist per se nicht erstrebenswert, öffnet dem Widerstand aber eine Nische inmitten durchregulierter Verhältnisse, aus der eine Handlungsfähigkeit erstehen kann, die niemand auf der Rechnung hat.

Gleiches gilt dafür, sich der anwachsenden informationstechnischen Kontrolle zu entziehen, indem diese Kommunikationsmöglichkeiten nur sehr bedingt in Anspruch genommen werden. Nachdem der sogenannte Plattformkapitalismus, der die digitalisierte Kommunikation den Monopolinteressen großer IT-Konzerne unterworfen hat, die sozialutopische Hoffnung auf herrschaftsfreie und egalitäre Kommunikation in den elektronischen Netzen widerlegt hat, besinnen sich immer mehr Menschen auf basale Formen der Kontaktaufnahme in der direkten Begegnung. Im Hambacher Forst, wo die ständig Laut gebenden Begleiter des informationstechnisch zugerichteten Metropolenmenschen nicht dazwischenfunken, wenn miteinander geredet wird, kehrt eine Gesprächskultur zurück, in der noch zugehört und geantwortet wird.


Bretterverbindung zwischen zwei Baumhäusern - Foto: © 2017 by Schattenblick

Der einzig echte "Skywalk"
Foto: © 2017 by Schattenblick

Auch auf die Gefahr hin, nach einem befristeten Besuch zu idealisieren - die soziale Praxis unter den Besetzerinnen und Besetzern des Hambacher Forstes belegt, daß dort ein Freiraum geschaffen wurde, in dem nicht die sozialdarwinistische Maxime "jeder gegen jeden" den Ton angibt. Die Aufmerksamkeit, die dort dem einzelnen gezollt wird, die Mühe, niemanden zu ignorieren, aber auch niemanden zu nötigen, läßt bei allen Problemen, die es dort wie überall im sozialen Miteinander gibt, die Konturen eines anderen Lebens erkennen. Das gilt auch für das Verrichten der zahlreichen, nicht selten unattraktiven Arbeiten, die in einer solchen Lebensform anfallen - allen Widrigkeiten insbesondere des winterlichen Wetters zum Trotz machen sich einzelne Menschen daran, etwas zu kochen, den Abwasch zu verrichten, die Komposttoilette zu entleeren und vieles andere mehr.

Dies zu tun, schlicht weil es erforderlich ist und ohne auf Anerkennung oder eine andere Form der Be- und Entlohnung zu hoffen, bildet, wenn es denn funktioniert, die Basis zur Überwindung sozialer Herrschaft. Nicht teilbar, nicht vergleichbar, nicht zählbar, nicht bemessbar zu sein, wie es jedem Lohnempfänger mit dem Ergebnis anwachsender sozialer Konkurrenz aufgenötigt wird, setzt allerdings mehr voraus als die bloße Einsicht in die Notwendigkeit solidarischer Praxis. Die Mühe der Auseinandersetzung mit den Bedingungen gesellschaftlicher Herrschaft nicht zu scheuen ist weit praktischer als die bloße Theorie eines Kommunismus, der schon im ersten Schritt an der Klippe des vergleichenden Abwägens scheitert, wer sich mehr aus dem Fenster lehnt und dabei einen Kopf kürzer gemacht wird.

Es wäre mithin leichtfertig, die Wald- und Wiesenbesetzung als eine Art Abenteuerspielplatz für Menschen, die noch nicht ihren Platz in der Welt gefunden haben, zu verkennen. Ob beim Aktionsklettern oder bei der Reproduktionsarbeit, ob beim Hausbau im Baum oder dem praktischen Widerstand gegen RWE, ob bei der Antirepressions- und Solidaritätsarbeit - was im Hambacher Forst geschieht, geht über den bloßen Antikohleaktivismus oder das Ausprobieren eines Soziallabors für Herrschaftsfreiheit deutlich hinaus. Viele Menschen dort meinen es ernst damit, sich den herrschenden Gewaltverhältnissen zu entziehen und zu widersetzen. Im Minenfeld aufgebrochener Verhältnisse und disparater Ordnungen sind romantische Vorstellungen, die von außen auf den Widerstand projiziert werden, fehl am Platz. Der Realitätsschock kann seelisch wie körperlich schmerzhafte Formen annehmen, wenn daran festgehalten wird, auf diese Weise um die Existenz zu kämpfen. Den Aktivistinnen und Aktivisten wird ihr Tun, je kontinuierlicher und konsequenter es verwirklicht wird, in aller erdenklichen Form zur Last gelegt. Was sonst ist unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen zu erwarten, wenn eine antagonistische Position auf nicht spalt- und integrierbare, mithin unkorrumpierbare Weise wirksam wird?


Innenraum eines Baumhauses - Foto: © 2016 by Hambacher Forst Innenraum eines Baumhauses - Foto: © 2016 by Hambacher Forst

Wipfeltraum
Foto: © 2016 by Hambacher Forst


Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0137.html

[2] http://schneider-dietram.de/wp-content/uploads/2014/03/25-ufo-falle.pdf

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0095.html

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0014.html

[5] https://eyfa.org/2017/02/20/art-installation-tree-house-to-protest-the-nato-air-base-geilenkirche/

[6] http://www.schattenblick.de/infopool/tiere/report/trbe0002.html


Beiträge zum Widerstand im Rheinischen Braunkohlerevier im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → REDAKTION → REPORT:

GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/001: Krieg der Bäume - Kohlebrand verschlingt das Land ... (SB)
GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/002: Krieg der Bäume - Menschenketten, Waldbesetzer und Besucher ... (SB)
GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/003: Krieg der Bäume - Demo, Stimmen und Proteste ...    O-Töne (SB)
GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/004: Krieg der Bäume - Knüppeldick und ohne Grund ...    Todde Kemmerich im Gespräch (SB)


14. März 2017


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