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GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/006: Krieg der Bäume - Wer A sagt ...    Aktivist Simon im Gespräch (SB)


Grafik: © 2017 by Schattenblick

Keine Kompromisse

Interview im Hambacher Forst am 20. Februar 2017


Bei einem Besuch im Hambacher Forst hatte der Schattenblick Gelegenheit, mit Simon von der Waldbesetzung ein Gespräch über die Beweggründe seines Eintretens für den Erhalt der Natur, über das Leben in einem solidarischen widerständigen Zusammenhang und über weitere Zukunftsperspektiven zu führen.


Im Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Simon, Aktivist im Hambacher Forst
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Simon, was hat dich dazu veranlaßt, hier im Hambacher Forst in der Waldbesetzung zu leben?

Simon: Ich hatte schon immer Wertschätzung für die Umwelt und die Natur und auch ein gewisses Bewußtsein darüber, was da alles schiefgeht. Vielleicht auch durch mein Elternhaus. Meine Mutter war Biologin und kannte sich da sehr gut aus, aber eher auf einer sachlich-rationalen Ebene.

Ich bin dann beim Reisen durch eine Person, die mir vom Hambacher Forst erzählt hat, hierhergelangt. Schon vom ersten Besuch an bin ich geblieben, mit Unterbrechungen hier und da. Die Lebens- und Protestform, die hier im Hambacher Forst geführt wird, betrifft ganz viele Bereiche, die mich interessiert oder bewegt haben. Dabei ist mir klar geworden, daß sie eigentlich alle zusammengehören. Die weltweite Zerstörung der natürlichen Systeme, der Klimawandel und die Ausbeutung von Menschen und Tieren, das alles entspringt den gleichen Strukturen. Wir können daher nicht nur die Zerstörung des Waldes hier oder die Unterdrückung von Frauen dort und so weiter kritisieren, sondern das gehört alles zusammen. Nur wenn wir versuchen, wirklich eine Gesellschaft aufzubauen, die frei von Herrschaft und Dominanz ist, können wir diese Probleme vielleicht lösen.

SB: Wo würdest du das verbindende Glied sehen, was macht für dich den Gewaltfaktor aus in den verschiedenen Bereichen Naturzerstörung, Frauenunterdrückung, Rassismus, Homophobie und so weiter?

Simon: Ich hatte schon vorher ein rationales Verständnis von der Wichtigkeit des Umweltschutzes oder der Änderung der Lebens- und Produktionsform. Über die Jahre des Lebens in relativ unberührter Natur - ganz unberührte Natur gibt es natürlich in Europa nicht mehr - habe ich noch einmal auf spiritueller Ebene ein ganz anderes Verhältnis zu dieser Wichtigkeit von Wildnis bekommen. Das hat bei mir den Ausschlag für die Dringlichkeit hierzubleiben gegeben. Es ist eine Sache, wenn du rational weißt, daß viel zu viel Kohlendioxid produziert wird und jeden Tag Hunderte von Arten sterben, von denen wir den Großteil vielleicht noch gar nicht gesehen oder kennengelernt haben. Das ist die eine Ebene.

Aber wenn du eine ganz emotionale Verbindung mit der Natur hast oder diese beeindruckende Wildheit und diese tolle Komplexität und Kooperation natürlicher Systeme - System ist ein technischer Ausdruck, aber das Wort fällt mir gerade dazu ein - entdeckst, dann ist es noch einmal etwas ganz anderes für die Motivation dazubleiben und den Kampf weiterzuführen. Für mich persönlich ist die Bewahrung von Wildnis und Natur der wichtigste dieser Kämpfe, weil er unsere Lebensgrundlage betrifft. Wenn wir die zerstören, dann werden wir wahrscheinlich irgendwie überleben, aber auf eine Art und Weise, bei der ich nicht wirklich dabeisein will.

SB: Der Mensch befindet sich im ständigen Stoffwechsel mit der Natur, er atmet, ißt und trinkt. Der Körper macht alles mögliche, tritt auf Lebewesen und so weiter. Das zu beenden ist keine Frage des bloßen Willens. Wie weit sollte man gehen, um Natur nicht zu zerstören?

Simon: Irgend jemand hat einmal gesagt, der Mensch lebt mit der und gegen die Natur gleichzeitig. Was Tiere von Pflanzen unterscheidet, ist im Grunde genommen die Ernährungsform, daß Pflanzen größtenteils Photosynthese betreiben und Tiere größtenteils in irgendeiner Weise andere Lebensformen töten müssen, seien es Pflanzen oder andere Tiere, um zu überleben. Es ist halt so, wenn wir überleben wollen, dann müssen wir Pflanzen oder vielleicht auch Tiere essen, aber ohne geht es nicht. Das ist für mich auch kein konkretes Problem, genausowenig ich es als Problem betrachte, wenn du wald- und naturnah ausgewählte Bäume fällst und das Holz benutzt. Aber es ist ein Problem, wenn du nicht nur einen Baum fällst, sondern den ganzen Wald.

SB: Du lebst in einem Baum. Hast du zu dem Baum eine Beziehung, ist er für dich so etwas wie ein eigenständiger Organismus oder hat er eher eine Dinglichkeit?

Simon: Ich glaube, das entwickelt sich noch. Ich fand die übliche Methode schön, wenn man ein Baumhaus baut, mit Bandschlingen anzufangen und sich hochzutapen. Das ist ein relativ langsamer Prozeß, wenn du von unten hochkletterst und jeden Zentimeter von der Rinde siehst.

SB: Geht ihr so sensibel damit um, daß ihr versucht, dem Baum nichts zuzufügen?

Simon: Darauf achten wir. Natürlich tun wir eine ganze Menge Gewicht rein und belasten den Baum auch, aber wir versuchen es so sanft wie möglich. Wenn wir unsere Baumhäuser abbauen, bleiben keine Wunden. Wir schrauben nicht rein, sondern alles ist reingebunden oder reingehängt.

SB: Menschen sind sehr triebgesteuert, können sehr gierig und zerstörerisch sein. Wie erlebst du das im Umgang untereinander, was tut ihr dafür, diese Art von Naturgewalt im Zaum zu halten?

Simon: Ich weiß gar nicht, ob es wirklich so eine Naturgewalt ist, was der menschlichen Natur innewohnt. Für mich ist es total wichtig, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen, weil es ja nicht nur darum geht, hier gegen etwas zu protestieren oder einen Konzern oder eine Kohlegrube lahmzulegen, sondern für mich ist das Positive viel wichtiger. Am Ende geht es darum, daß wir eine Lebensform finden wollen, in der wir mit den Lebewesen, die uns umgeben, ob menschliche oder nichtmenschliche Tiere, auf Augenhöhe stehen und miteinander respektvoll umgehen.

Aber gleichzeitig merke ich, daß wir alle in dieser Gesellschaft aufgewachsen sind, in der wir von Grund auf beigebracht bekommen, wie wichtig es ist, daß du dich alleine an die Spitze setzt und wo es nie um Kooperation geht, sondern immer darum, besser zu sein als die anderen und sich im Konkurrenzkampf durchzusetzen. Diese Werte werden uns in staatlichen Institutionen wie vor allem der Schule beigebracht. Das ganze konventionelle Schulsystem ist auf Konkurrenz und nicht auf Kooperation aufgebaut. Wir alle hier sind in diesen Gesellschaften aufgewachsen und haben diese Verhaltensmuster in uns. Es ist für jeden von uns Arbeit, das an sich selber zu reflektieren und zu versuchen, es zu überwinden. Das klappt manchmal besser und manchmal auch schlechter.

SB: Der Begriff Naturgewalt ist natürlich insofern irreführend, weil er die biologistische Idee des sozialdarwinistischen Denkens transportiert, laut der der Mensch sich zu dieser Konstanten, die er angeblich nicht verändern kann, zu verhalten hat.

Simon: Es gibt ganz viele anthropologische und archäologische Funde, die das widerlegen. Bei vielen klassischen Philosophen oder bei Thomas Hobbes geht es darum, daß früher alles ganz brutal war und die Menschen sich ständig umgebracht haben. Dann kam der Gesellschaftsvertrag, der ein zivilisiertes und weniger blutiges Verhalten ermöglichte, so die Theorie. Aus anthropologischen und anderen Quellen wissen wir, daß die frühen Jäger- und Sammlerkulturen sehr egalitäre Gruppen waren, die keine Führer oder Hierarchien kannten, sondern sich alle Menschen die anfallenden Aufgaben geteilt und relativ frei gelebt haben.

SB: Wo würdest du potentielle Bündnispartner sehen? Gibt es Leute, die eine Empfindsamkeit für eure Entwicklung haben und dies mit einem politischen Anliegen verbinden können, etwa in Institutionen wie linken Parteien oder NGOs?

Simon: Ich habe mit der Linken als Begriff, der links im Parlament meint, ein Problem, weil sie wieder andere Herrschafts- und Dominanzstrukturen verkörpert. Sie machen das Leben vielleicht hier oder dort ein bißchen angenehmer und freier, aber im Grunde genommen bin ich zu der Überzeugung gelangt, daß eigentlich alle Probleme darin begründet liegen, daß Herrschaft und Macht ausgeübt werden. Zugleich können wir uns nicht auf die extremen Positionen versteifen. Gerade im konkreten Fall hier mit dem Wald arbeiten wir mit lauter zivilgesellschaftlichen Initiativen zusammen, die vielleicht aus ganz anderen Gründen den Wald schützen. Ihnen geht es etwa darum, daß sie in der Nähe wohnen und die Feinstaubbelastung fürchten, die noch viel größer wäre, wenn es den Wald nicht mehr gäbe. Im Englischen heißt es immer "Not in my own backyard".

Aber natürlich arbeiten wir mit ihnen zusammen, weil sie Öffentlichkeit schaffen. Mit Parteien kann ich persönlich gar nichts mehr anfangen. Als ich vierzehn oder fünfzehn war, fand ich die Grünen noch ganz cool. Dann habe ich in den letzten Jahren gemerkt, wie sie völlig abgedriftet sind und alle Grundwerte, für die sie damals noch standen, verlassen haben. Du merkst, daß es bei ganz vielen dieser Politiker darum geht, in irgendwelche Ämter zu gelangen. Die Themen sind am Ende verhandelbar. Ob man Flüchtlinge nach Kabul abschiebt, ist am Ende auch verhandelbar. Alles mögliche ist verhandelbar am Ende.

Ich finde dieses Motto von Earth First! "No Compromise in Defense of Mother Earth!" ganz gut, weil diese ganzen Kompromisse uns am Ende in den grünen Kapitalismus führen. Ich glaube nicht, daß wir die Probleme, deren Gründe viel tiefer liegen, damit lösen werden, wenn alle plötzlich mit E-Autos herumfahren und Solarzellen nutzen, die viele seltene Erden verbrauchen und superschwierig zu recyceln sind. Das sind alles Dinge, die gerne ausgeblendet werden. Oder die Windkraftwerke, bei deren Bau die Meeressäugetiere Gehörschäden bekommen, weil Schalldrücke von 200 Dezibel entstehen, wenn sie in den Boden gerammt werden, während über dem Meer Vögel zerschreddert werden. Es ist halt ein bißchen grüner als das andere, aber im Grunde genommen müssen wir mehr hinterfragen: Wofür brauchen wir das alles, wofür brauchen wir das ganze Zeug überhaupt?

Hier habe ich dieses Gefühl der Zugehörigkeit zum Ort und eine emotionale Verbindung zur Landschaft. Das ist uns in der Modernität komplett abhanden gekommen. Ich merke beim Leben hier auch, wieviel mehr es bringt, in einer tollen Gemeinschaft zu leben. Das ist halt viel schöner als einen Wäschetrockner zu besitzen. Dann ist es auch völlig egal, daß das Wasser hierhergetragen und das Essen auch irgendwie organisiert werden muß, weil es einfach so viel Spaß macht, hier zu sein.

SB: Ihr befindet euch hier auf RWE-Gelände.

Simon: Genau, die Kommunen haben alles an RWE verkauft.

SB: Der Verkauf fand unter dem Titel des gemeinnützigen Interesses statt, was auch die Zerstörung der Dörfer betrifft.

Simon: Richtig, diese ganzen Enteignungen sind immer gemeinnützig, wobei sich natürlich die Frage stellt, wer ist gemein und wem ist es nützlich. Wenn du sagst, okay, Kohlestrom ist für Deutschland total wichtig, dann ist es natürlich gemeinnützig, aber das greift zu kurz. Für die Frage, was für ein Leben wir auf diesem Planeten führen können, das langfristig nachhaltig und möglich ist, ist es nicht gemeinnützig.

SB: Ihr lebt hier auf eine Weise, in der ihr, wie mein Eindruck ist, versucht, Tauschwertprozesse im konventionellen gesellschaftlichen Sinne auszuschließen. Denkt ihr im besonderen darüber nach, wie mit dieser Frage umgegangen werden sollte?

Simon: Es wird bestimmt drüber nachgedacht, aber der Umgang damit ist auch total natürlich. Wir sind in einer Bewegung, wir sind gegen eine Sache, dabei kommen wir auch aus unterschiedlichen Verhältnissen, aus ganz unterschiedlichen Klassen, um einmal diesen Begriff, von dem ich eigentlich nicht mehr so viel halte, zu benutzen. Aber es ist trotzdem selbstverständlich, daß wir das, was vorhanden ist, untereinander teilen. Und zwar nicht in einem kalkulierenden Tauschwert, sondern Teilen macht auch Spaß. Es gibt in vielen Teilen der Welt diese Gift Economies, wo die Leute sich alles schenken und niemand Buch darüber führt. Aber wenn du dem anderen irgendwelche Früchte schenkst, dann denkt er natürlich auch daran, wenn er das nächste Mal Holz hackt und du keines hast, die dir etwas davon abzugeben.

SB: Seid ihr in der Lage, wenn ihr zusammen Essen macht und einen Kleidershop habt, in dem sich jeder bedienen kann, das so zu gestalten, daß es nicht zu Reibungsverlusten führt, weil sich Leute unsozial verhalten oder solche Möglichkeiten überbeanspruchen?

Simon: Ausschließen kann man das nie. Mein Erklärungsansatz dazu ist, daß wir aus dieser ziemlich desaströsen Gesellschaft kommen, wo jeder für sich selber seinen kleinen Profit macht und dies tief in den Leuten drinsteckt. Groß bereichern kannst du dich bei uns ohnehin nicht, aber es gibt manchmal das Problem, daß Leute kommen, bei denen wir das Gefühl haben, daß das Vorgehen gegen die Umweltzerstörung nicht so im Vordergrund steht, sondern es vor allem darum geht, daß hier ein Freiraum besteht, in dem meistens Essen und Wasser und Gesellschaft vorhanden ist und du, wenn du willst, dich eigentlich um gar nichts kümmern mußt.

SB: Aber das könnt ihr handhaben?

Simon: Bis jetzt lief das immer noch auf so einem Level, daß es handhabbar ist. Falls das plötzlich überhand nähme, müßte man darüber reden. Was natürlich kein Gespräch ist, das irgend jemand gerne führen wird. Wir wollen nicht anfangen zu bemessen, wer wie viel für die Bewegung tut.

SB: Kannst du dir für den Fall, daß der ganze Wald gerodet wird, vorstellen, daß sich Leute hier zusammentun und versuchen, gemeinsame Lebensverhältnisse zu entwickeln, die eine längere Perspektive haben und vielleicht auf ganz anderen Füßen stehen?

Simon: Darüber denke ich durchaus nach. Einmal ist es möglich, Protestformen oder Aktionsformen zu finden, die sich gegen bestimmte Zerstörungen richten. Zugleich ist es wichtig, für alles, was du kritisierst und vielleicht sogar sabotierst, immer etwas zu haben, was an dessen Stelle tritt. Rational gedacht zweifle ich oft daran, ob wir es schaffen werden, diesen Wald zu retten. Gleichzeitig bleibe ich, weil wir - das geht nicht nur mir so - hier voneinander und über dieses Leben so viel lernen und sich ein informelles Netzwerk gebildet hat, das auf persönlichen Beziehungen zu anderen Leuten in Europa oder vielleicht auf der ganzen Welt beruht, denen dieses "so wie es jetzt geht, funktioniert es nicht, wir müssen etwas anderes schaffen" durch den Kopf geht.

Langfristig wäre für mich der grobe Plan, noch mehr Strukturen zu schaffen, die autark oder selbstversorgerisch funktionieren. Was zum Beispiel die Nahrungsmittel betrifft, leben wir hier von den Überresten der Überproduktion. Gleichzeitig finde ich es wichtig, einen Weg zu finden, der nicht zum reinen Aussteigertum wird, wo du dich mit deiner netten Gruppe irgendwo in die Provinz schlägst und in der Isolation das schöne Leben lebst, sondern - wie in dieser Lebensform hier - die Dinge austragen und voranbringen kannst.

SB: Simon, vielen Dank für das Gespräch.


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15. März 2017


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