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WIENER GESPRÄCHE/02: Begegnungen am roten Rand Wiens - Teil 2 (SB)


Interview mit Paula Abrams-Hourani am 10. Juni 2009 in Wien


Paula Abrams-Hourani ist eine jüdische, in den USA gebürtige Menschenrechtsaktivistin. Sie ist österreichische Staatsbürgerin und lebt in Wien. Frau Abrams-Hourani gründete die Wiener Sektion der Frauen in Schwarz, sie gehört der Organisation Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost an, die sich mit anderen jüdischen Friedensorganisationen zur Föderation European Jews for a Just Peace (EJJP - www.ejjp.org) zusammengeschlossen hat, und setzt sich im Rahmen der Wiener Initiative "Gaza muss leben" für die Verwirklichung und Respektierung der Menschenrechte der Palästinenser ein.

Schattenblick: Geht es bei der Kampagne "Gaza muss leben" lediglich um Aufklärung über den Krieg im Dezember und Januar oder ergreifen Sie darüber hinaus Partei für die Palästinenser?

Paula Abrams-Hourani: Ich würde das Wort Krieg nicht benutzen. Es war ein Massaker im Dezember und Januar. Es war kein Krieg. Professor Finkelstein führte das in seinem Vortrag aus. In einem Krieg hat man zwei Parteien, die in der Lage sind, sich gegenseitig zu bekämpfen.

Diese Kampagne richtet sich gegen die kollektive Bestrafung. Wir begannen sie bereits im letzten Jahr. Wir haben ein Komitee, das von verschiedenen Leuten aus verschiedenen Gruppen gebildet wird. Ich komme von der Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost und den Frauen in Schwarz. Ich war in den späten neunziger Jahren selbst in Gaza und habe schon von daher persönliches Interesse an der Lage dort. Weil ich die Situation und viele Leute dort kenne - mein Ehemann hat Familie dort -, bin ich seit langem sehr über die Belagerung Gazas besorgt. Die Frauen in Schwarz halten seit vielen Monaten, also schon vor dem Massaker, Mahnwachen zu diesem Thema ab. Ich glaube, die Kampagne begann im April 2008. Wir ergriffen Initiative gegen die kollektive Bestrafung, gegen diese schreckliche Belagerung, die selbst vor dem Dezember 2008 so viele Tote forderte. Die Menschen konnten das Gebiet nicht verlassen, Kinder konnten es nicht verlassen, um medizinische Hilfe zu erhalten. Es ist keine Initiative, die mit dem Massaker begann, denn es hat bereits eine ganze Anzahl von Massakern in Gaza gegeben. Es hat seit Oslo Blockaden gegeben, die Menschen wurden belogen, als behauptet wurde, daß die Grenzen offen sein werden.

SB: Zur hermetischen Abriegelung des Gazastreifens kam es kurz nach dem Wahlsieg der Hamas.

PAH: Ja. Ich möchte dennoch klarstellen, daß die Unterstützung nicht Hamas gewidmet ist. Die Unterstützung gilt den Menschen, die in dieser Situation leben müssen. Ich gehöre den European Voices for a Just Peace, die eine Sektion in Deutschland hat, die Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden, an. Wir unterstützen die Tatsache, daß der demokratisch gewählten Partei gestattet werden sollte, die Regierungstätigkeit auszuüben, für die sie gewählt wurde. Aber zumindest was mich betrifft, und ich glaube, das gilt auch für die anderen, unterstützen wir nicht die Hamas. Wir unterstützen die palästinensische Bevölkerung, die seit Jahrzehnten gezwungen wird, unter unmenschlichen Bedingungen in Gaza zu leben. Ich möchte das klarstellen, weil ich der Hamas nicht angehöre. Wir haben einen Brief an die EU verfaßt und darin erklärt, daß wir keine religiöse Gruppierung sind, daß wir kein reaktionäres Denken unterstützen, aber das Prinzip verteidigen, daß eine Partei, die gewählt wurde, auch das Recht haben sollte, zu regieren. Ich meine, niemand sagt etwas gegen die rechte israelische Regierung.

SB: Ich kann Ihre Sorge gut verstehen. Wenn Sie etwa das Existenzrecht Israels gutheißen, müssen Sie nicht erklären, daß sie die israelische Regierung nicht unterstützen. Aber sobald man sagt, daß man die demokratische Wahl der Palästinenser unterstützt, muß man jedes Mal dazusagen, daß man nicht die Hamas-Regierung unterstützt.

PAH: Irgendwie fühlt man sich genötigt, dies zu konstatieren. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, daß ich eine reaktionäre Kraft unterstütze. Ich unterstütze niemanden, weil ich meine, daß das nicht meine Angelegenheit ist. Aber wenn sie gewählt wurden, sollten sie das Recht haben, und die Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden und die European Jews haben zusammen mit vielen israelischen Gruppen ihr Recht zu regieren unterstützt.

SB: Das ist eine prinzipielle Position, die eigentlich selbstverständlich sein sollte, zumal die Hamas gewählt wurde in einem Zusammenhang, in dem der damalige US-Präsident die Demokratisierung des Nahen und Mittleren Ostens auf seine Fahnen geschrieben hatte. Die anschließende Reaktion war ja eine gegenteilige, die Palästinenser wurden für ihre Wahl bestraft. Was die israelische Regierung und Bevölkerung selbstverständlich für sich in Anspruch nimmt, ein demokratischer Staat zu sein, wird den Palästinensern aktiv vorenthalten. Könnte es sein, daß das daraus hervorgehende Problem der intensiven Rivalität zwischen Fatah und Hamas von äußeren Interessen betrieben beziehungsweise systematisch erzeugt wird?

PAH: Ich bin zwar keine Politikwissenschaftlerin, aber es scheint so zu sein, daß der Versuch, die Palästinenser zu teilen, was man durch die finanzielle Bevorzugung einer Gruppe gegen die andere erreichen kann, eine wirksame Möglichkeit ist, dieses Ziel zu erreichen. Das ist eine große Tragödie, denn in der Einheit liegt Stärke. Zwei politische Gruppen bekämpfen sich gegenseitig, obwohl ihr Land bereits besetzt wird, und stehen dabei unter einem Druck, den sich kein Westler vorstellen kann. Ich respektiere die Palästinenser sehr dafür, daß sie unter diesem Druck in der Lage sind zu überleben. Das ist die Art und Weise, wie der Westen sie gespalten hat. Israel hat die Palästinenser mit der Mauer und mit den Siedlungen geteilt, mit der Trennung zwischen Gaza und dem Westjordanland, mit den Absperrungen im Westjordanland, mit der Tatsache, daß den Palästinensern nicht erlaubt wird zurückzukehren. Es handelt sich um eine Methode des Regierens, teile und herrsche.

SB: Inwiefern wird Ihnen als Gruppe und Menschen, die sich für die Beseitigung dieses Unrechts einsetzen, vorgeworfen, einseitig Partei zu ergreifen? Sie fielen ja selbst einem bösartigen Angriff im Internet zum Opfer.

PAH: Ich habe den Eindruck, daß das öffentliche Ansehen Israels sehr gering ist. Ich spreche in dieser Sache als Jüdin - irgendwie ist es in Deutschland und Österreich sehr wichtig, sich mit einem Etikett zu versehen -, ich weiß, daß sich die Situation in den Vereinigten Staaten verändert hat. Es gab in den USA kürzlich eine Umfrage, aus der hervorgeht, daß jüdische Bürger immer weniger mit der Politik der Regierung Israels einverstanden sind. Ich glaube, daß diese Angriffe, die sehr haßerfüllt sind, auch ein Akt der Verzweiflung sind. Sie gelten insbesondere jüdischen Menschen, die von sich sagen, daß sie keine Israelis sind, und die sich nicht im mindesten mit dem identifizieren, was die israelische Regierung tut. Sofern mich derartige Angriffe betrafen, muß ich zugestehen, daß ich recht schockiert darüber war. Aber das kann mich nicht in meiner Meinung irritieren. Ich glaube nicht, daß ich einseitig bin. Ich bin gegen Besatzung, wo immer sie stattfindet.

SB: Ging die Einladung an Norman Finkelstein, der am 27. Mai einen Vortrag in Wien hielt, von der Initiative "Gaza muss leben" aus?

PAH: Die Initiative ging von einer Gruppe aus, deren Organisatoren ich, wie ich gestehen muß, nicht kenne. Es ist ein UNESCO-Projekt namens "Kultur des Friedens". Sie haben mit mir Kontakt aufgenommen und uns um Unterstützung gebeten. Die Jüdische Stimme hat keine großen finanziellen Mittel, sie finanziert sich ausschließlich durch die eigenen Mitglieder, während Frauen in Schwarz hauptsächlich aus meiner Tasche bestritten wird, weil ich die Gruppe ins Leben gerufen habe, um gegen die Medien in Wien vorzugehen. Wir haben vor Jahren die andere Seite der Geschichte gezeigt. Wir erhalten keine öffentliche Unterstützung. Aber wir stellten den Organisatoren einige hundert Euro zur Verfügung. Wir haben dabei geholfen, Professor Finkelstein nach Wien zu bringen. Wir unterstützten den Vortrag dadurch, daß wir Werbung dafür machten. Wir haben eine E-Mail-Liste von fünf- bis sechshundert Personen, und wir plakatierten im Umfeld von Wien, um auf seinen Auftritt hinzuweisen. Ich habe höchsten Respekt vor Professor Finkelstein. Ich halte ihn für einen vollkommen ehrlichen Menschen, der Prinzipien folgt. Menschen, die nicht gelesen haben, was er geschrieben hat, haben ihn dämonisiert.

SB: War es sein einziger Auftritt in Europa?

PAH: Ich weiß es nicht. Er kam direkt aus den USA, und so weit ich informiert bin, hat er dann versucht, über Kairo nach Gaza zu kommen. Ich weiß nicht, ob er das geschafft hat. Den Organisatoren war von der Universität Wien ein Raum zugesagt worden. So weit ich weiß, wurde er nicht von der Universität selbst eingeladen. Aber sie hat ihm als Akademiker einen Vortragssaal zugestanden. Daraufhin wurde auf recht eindeutige Weise Druck auf die Leitung der Universität ausgeübt. Dieser ging, wie ich glaube, von der jüdischen Gemeinde und ihren Unterstützern aus. Es gibt ein Forum gegen Antisemitismus, das nicht nur aus Juden besteht, aber es ist eine Gruppe, die Israel unterstützt. Zudem eine Gruppe, die sich Scholars for Peace in the Middle East nennt. Aufgrund dieses Drucks wurden die Organisatoren davon in Kenntnis gesetzt, daß Professor Finkelstein trotz des, so weit ich gehört habe, bereits abgeschlossenen Vertrags und der Tatsache, daß die Miete für den Raum bereits bezahlt worden war, dort nicht sprechen könne. So mußten sie sich nach einem anderen Raum umsehen. Sie fanden ein Hotel im 19. Bezirk am Rande Wiens. Zuerst einmal war es nicht das gleiche, als wenn er an der Universität gesprochen hätte. Es hatte nicht die Atmosphäre der Universität. Es bestand nicht die Gelegenheit, viele Studenten zu erreichen. Daher mußten die Menschen besondere Mühen auf sich nehmen, die Veranstaltung zu besuchen. Diverse Dinge waren dann nicht so, wie sie hätten sein sollen. Das Hotel war an einem entlegenen Ort, die Tonanlage war nicht besonders gut, es gab viele Probleme, mit denen Professor Finkelstein großartig umging. Man konnte nicht von einer sehr professionellen Organisation sprechen. Nichtsdestotrotz sind an die 200 Personen gekommen, um sich den Vortrag anzuhören. Die Tatsache, daß sich nur zwei Zeitungen in Wien bereit erklärten, seinen Vortrag anzukündigen, ist eine Schande für Österreich.

SB: Sie haben einen offenen Brief an den Rektor der Universität Wien geschickt. Haben Sie schon eine Reaktion erhalten?

PAH: Noch nicht, aber jemandem anderen wurde mitgeteilt, daß die Absage des Raums aus Sicherheitsgründen erfolgte. Der Rektor der Universität Wien hat viele Briefe von bekannten Personen erhalten. Der bekannteste ist wahrscheinlich Noam Chomsky. Zudem Avi Shlaim, ein Israeli, der in Oxford lehrt. Ich habe gehört, daß Sara Roy einen Brief geschrieben hat. Sie ist ein Kind von Holocaust-Opfern und hat sich in Gaza aufgehalten. Sie war letztes Jahr in Wien. Sie ist eine sehr angesehene Professorin an der Universität Harvard. Ein Mathematikprofessor aus Südkalifornien schrieb ebenfalls einen Brief. Wir haben Kopien von diesen Briefen und übersetzen sie ins Deutsche, um sie im E-Mail-Verteiler zu versenden, damit man sieht, daß nicht nur Paula Abrams-Hourani, sondern viele wichtige Menschen diese kurzfristige Absage kritisieren.

Ich habe diesen Brief, der im Internet zirkuliert ist, vom Standpunkt einer Jüdin geschrieben, die sich sehr große Sorgen macht. Uns ist nicht erlaubt, unseren Mund zu öffnen. Viele Menschen wissen nicht einmal, daß es Juden gibt, die der israelischen Regierung kritisch gegenüberstehen. Das ist eine Schande, weil es für Juden nicht gut ist. Selbst die Israelis, die Kritik üben, erhalten keine Publicity. Einige Menschen bezahlen wirklich einen hohen Preis in Hinsicht auf ihre Zukunft und ihre Karriere für ihr Engagement. Davon weiß man in Wien nichts, diese Menschen werden einfach übergangen.

SB: Bei Menschen jüdischer Herkunft und jüdischen Glaubens, die sich in diesem Sinne öffentlich äußern, handelt es sich vermutlich in Deutschland wie in Österreich um eine kleine Minderheit.

PAH: In Wien ist es traurigerweise eine sehr kleine Gruppe. Ich glaube, es hat teilweise damit zu tun, daß die Medien hier so unterentwickelt sind und so wenig über die Realität mitteilen. So gibt es sehr viel Antisemitismus in Österreich, und die Menschen fürchten sich immer noch davor. Es gibt auch viel Islamophobie hier und ein großes Ressentiment gegen Afrikaner, das zum Teil zu Gewalttaten geführt hat. Asylbewerber und andere Minderheiten werden bedroht, und mit dem Rechtsruck bei den EU-Wahlen wird es nicht besser. Obwohl ich unglücklich darüber bin, daß es nicht mehr Menschen sind, kann ich nicht behaupten, daß ich, wenn man weiß, was hier 60 oder 70 Jahre zuvor geschehen ist, die Ängste bestimmter Personen nicht verstehe.

SB: In Israel war die Unterstützung für den Überfall auf Gaza Umfragen zufolge sehr hoch.

PAH: In Israel, aber ich bin mir nicht sicher, ob das auch für die Juden Wiens gilt. Ich glaube, die jüdischen Menschen hier wollen überhaupt nichts sagen. Es gab eine Demonstration am Holocaust-Mahnmal in Wien, die der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Dr. Muzicant, organisiert hat. Ich mochte die Tatsache nicht, daß sie dort abgehalten wurde, weil es wiederum darum ging, das Holocaust-Denkmal für die Schaffung einer Stimmung zu benutzen. Aber es waren nur 300 Personen dort, und ich bin nicht davon überzeugt, daß es sich bei allen um Juden handelte. Die Gemeinde umfaßt 8000 bis 9000 Personen, und die meisten von ihnen leben hier. Ich weiß nicht, ob die Stimmung unter den österreichischen Juden derart unterstützend war. Ich weiß es nicht, weil ich nicht wirklich in Kontakt mit der jüdischen Gemeinde stehe.

SB: Aber die Israelitische Kultusgemeinde, die dem Zentralrat der Juden in Deutschland entspricht, tritt tendenziell für die Politik der israelischen Regierung ein?

PAH: Ja, sie ist solidarisch mit Israel.

SB: Gibt es in der Gemeinde keinen Dissens darüber?

PAH: Nicht offen.

SB: In einem anderen Fall bekam die Initiative "Gaza muss leben" ebenfalls Schwierigkeiten.

PAH: Ja, aber auch in diesem Fall ging es auf Druck der jüdischen Gemeinde und der proisraelischen Kräfte in Wien zurück. Wir haben hier auch Gruppen, die nicht jüdisch sind, aber Israel unterstützen, aus welchen Gründen auch immer. Es handelte sich um eine exzellente Veranstaltung, auf der etwa acht Redner mit verschiedenem Hintergrund gegen die Blockade Gazas auftraten. Es war vor dem Dezember 2008. Wir hatten eine Frau aus dem europäischen Parlament, die in Gaza war, wir hatten einen katholischen Priester, wir hatten einen Bewohner Gazas, dem mit Hilfe der Italiener gestattet wurde, aus Gaza auszureisen, und der mit unserer Hilfe nach Österreich gelangte. Wir hatten Fritz Edlinger von der Gesellschaft für österreichisch-arabische Beziehungen, Leo Gabriel vom Österreichischen Sozialforum, das Oberhaupt der islamischen Gemeinde hier, Dr. Schakfeh, Peter Melvyn, der auch der Jüdischen Stimme angehört, und ich selbst sprach auch. Trotz dieses breiten Forums von Rednern mit unterschiedlichem Hintergrund teilte uns das Albert-Schweitzer-Haus zwei bis drei Tage vor dem Termin mit, daß wir die Veranstaltung dort nicht durchführen könnten. Das ist für eine Gruppe, die kein Geld hat und Werbung mit Flyern et cetera gemacht hat, keine Kleinigkeit. Wir mußten uns nur zwei Tage vorher nach einem neuen Veranstaltungsort umsehen, zudem mußten wir diesen Platz aus Angst vor weiteren Interventionen geheimhalten. Das fand ich einfach unglaublich.

SB: Sie haben es also mit einem konkreten Machtkampf zu tun?

PAH: Irgendwie, es ist so kompliziert in Wien. Die Menschen haben ein schlechtes Gewissen aufgrund dessen, was hier passiert ist. Sie fürchten sich, irgend etwas zu sagen oder zu tun. Wir hören immer wieder, daß man mit dieser Geschichte nichts sagen könne.

SB: Es ist natürlich immer wieder die Frage, wieso sich Menschen für eine Politik einsetzen, die im Grunde genommen konträr zu dem steht, was man als Anliegen der jüdischen Opfer vor 60 Jahren vermuten müßte.

PAH: Ja, es ist eine rechte faschistische Regierung in Israel. Sie ist rassistisch. Ich kann nicht verstehen, wie Linke sie unterstützen können. Ich verstehe nicht, warum sie nicht in Massen auf die Straßen gehen, um zu protestieren. Aber es ist dieses Schuldgefühl. Sie betrachten Juden nicht als normale Menschen, und sie sind der Ansicht, nichts Jüdisches kritisieren zu können, selbst wenn schreckliche Verbrechen begangen wurden.

SB: Die Politik Israels kontrastiert alles, was demokratische Kräfte hierzulande machen, in einer Weise, die jede Glaubwürdigkeit hinterfragbar macht, wenn man Israel bedingungslos unterstützt.

PAH: Genau. Ich fand es interessant, als Lieberman für das Amt des Außenministers nominiert wurde. Ich bin mir sicher, daß jeder Politiker in Europa weiß, wer er ist, wofür er steht und was er gesagt hat. Es kann keine Angelegenheit des Nichtwissens mehr sein. Und er wurde von diversen Regierungen in Europa empfangen. Diese doppelten Standards sind einfach unglaublich. Die Menschen in Gaza zu boykottieren und auszuhungern und sie zu einem Leben in Ruinen zu nötigen, weil das Geld für den Wiederaufbau nicht überwiesen wird, obwohl die Hälfte der Bevölkerung aus Kindern besteht, etwa 750.000 Kinder leben dort, und einen Mann wie Lieberman in Deutschland, in Frankreich, in Britannien zu empfangen. Es ist unglaublich, daß niemand auch nur darüber nachdenkt, etwas zu sagen. Es ist eine Angelegenheit doppelter Standards, die einem den Kopf verdreht.

SB: Verfügen die Frauen in Schwarz über eine politische Agenda?

PAH: Nein. Es geht nur um Menschenrechte, es geht um Protest gegen Kollektivbestrafungen. Mit den Frauen in Schwarz bin ich sehr befaßt, weil ich sie hier vor acht Jahren unter sehr schwierigen Bedingungen ins Leben gerufen habe. Wir waren die Antisemiten und die Radikalen. Dennoch sind wir den Leuten aufgrund, wie ich sagen würde, meiner Durchhaltefähigkeit zumindest bekannt. Und ich glaube, die Entwicklung hat bewiesen, daß das, was wir gesagt und getan haben, zutreffend war. Wir waren die ersten in Österreich, die auf die Mauer aufmerksam gemacht haben. Die Menschen hier wußten nicht einmal, daß die Mauer in Jerusalem und im Westjordanland existiert. Wir sammelten Unterschriften, wir wurden beim Außenministerium vorstellig, und wir hatten das Glück, daß ein Botschafter im Außenministerium uns mit unseren Petitionen empfangen hat. Petitionen haben normalerweise keine große Wirkung, aber sie können immerhin bewirken, die Menschen darauf aufmerksam zu machen, was vor sich geht. Die Menschen sahen die Fotos von der Mauer und fragten, was das ist, so daß wir es ihnen erklären konnten. Es herrscht eine große Ignoranz hier, weil die Medien nicht darüber berichten. Nur gelegentlich erhält man gute Berichte. Bettina Marx zum Beispiel hat über Gaza berichtet. Manchmal hört man so etwas im Radio. Es gibt in religiösen Programmen, wo man anscheinend mehr Freiheiten hat, gelegentlich gute Radioberichte.

Die Frauen in Schwarz haben keine politische Agenda, aber sie sind, zumindest was uns hier betrifft, gegen Krieg und Besatzung, gegen Militarismus, Rassismus, Antisemitismus. Wir beschränken uns allerdings meist auf das Thema Okkupation und dabei fast ausschließlich auf die israelische Besatzungspolitik. Aber wir haben auch eine Mahnwache gegen die Angriffe auf zivile Dörfer durch die USA und die NATO in Pakistan veranstaltet, und wir waren sehr engagiert bei den Friedendemonstrationen gegen den Irakkrieg.

SB: Ist der Tel Aviv Beach am Wiener Donaukanal ein Projekt der Wiener Stadtregierung?

PAH: Dort inszeniert die israelische Botschaft das Party-Image Israels. Das Projekt wurde mit Unterstützung des Wiener Bürgermeisters verwirklicht. Wir richteten den Gaza Beach auf der anderen Seite des von Architekten gestalteten und nachts illuminierten Tel Aviv Beaches unter erheblichem Einsatz junger Leute ein. Wir verfügen über keine Mittel und haben alles aus unserem eigenen Willen zur Unterstützung der Menschenrechte getan, was durchaus positiv ist. Manchmal jedoch denkt man, es könnte einfacher sein, wenn man über Geld verfügte. Der Gaza Beach ist eine Aktion von "Gaza muss leben". Unter diesem Titel artikulieren wir unseren Protest.

SB: Sie sind nicht an das andere Ufer gegangen, um eine Art Gegenstrand zu eröffnen?

PAH: Nein, es war eine Protestveranstaltung. Viele schwarze Ballons mit der Aufschrift "Free Palestine" stiegen auf, es wurden Reden von diversen Personen gehalten inklusive meiner selbst für die Jüdische Stimme. Es war eine Kombination diverser Gruppen, die den Protest gegen den Tel Aviv Beach unterstützt haben. Es war eine Aktion, um den Menschen deutlich zu machen "Seht her, was vor sich geht, und ihr sitzt in der Sonne, nehmt Drinks zu euch und eßt Falaffel - was eigentlich ein palästinensisches Gericht ist -, während die Menschen in Gaza in Ruinen leben und hungern". Wir waren froh darüber, daß es bei diesem Anlaß Medieninteresse gab, allerdings nichts im Vergleich zur Berichterstattung über den Tel Aviv Beach, der vom Bürgermeister und der Stadt unterstützt wird. Ich war bereits beeindruckt davon, daß man uns überhaupt erlaubt hat, zwei solcher Aktionen durchzuführen.

SB: Wissen Sie, wer für die Einrichtung des Tel Aviv Beach veranwortlich ist?

PAH: Wir haben vernommen, daß Bürgermeister Häupl und die Botschaft Israels für Tel Aviv Beach verantwortlich sind. Ich glaube, daß dies Teil der israelische Imagekampagne ist. Wir führten unseren Protest durch, weil wir es für eine Schande für Wien halten, die Hauptstadt eines Landes zu feiern, das Massenmord in Gaza begangen hat. Ich weiß, was ich sage. Wenn Sie das Interview veröffentlichen, gehe ich davon aus, daß es zu einem weiteren Angriff auf meine Person kommen wird. Aber das war, was es war. 1400 Menschen wurden in Gaza getötet, Menschen wurden mit weißem Phosphor verletzt, man spricht von DU-Munition in Gaza. Es war nicht das erste Mal, daß Massaker begangen wurden. Wir sind der Ansicht, daß es nicht die Zeit ist, das hundertjährige Jubiläum der Hauptstadt Israels zu feiern. Viele Länder, viele Personen selbst in den USA rufen zum Boykott auf, und hier werden hundert Jahre Tel Aviv gefeiert.

Zudem werden sie niemals darüber aufklären, daß fünf palästinensische Dörfer unter dem Boden Tel Avivs liegen, inklusive eines der größten, das unter dem Boden der Universität Tel Aviv liegt. Es gibt eine hervorragende linke, hauptsächlich jüdische Gruppe in Tel Aviv namens Zochrot (www.zochrot.org), die für das Rückkehrrecht der Palästinenser eintritt und sich mit der Nakba beschäftigt. Ihre Mitglieder veranstalten Touren in palästinensische Dörfer und haben eine wundervolle Broschüre über Tel Aviv verfaßt, in der die Geschichte dieser 1948 zerstörten Dörfer geschildert wird.

Gestern wurde, unterstützt von der israelischen Botschaft, von "Kultur Wien, Wien Kultur", vom ersten Programm des Österreichischen Radios und von der Tageszeitung Die Presse, im Jüdischen Museum eine Fotoausstellung israelischer Künstler namens "Tel Aviv - Hot City Cool" eröffnet. Ich bin eigens am Sonntag hingegangen, um mir den Prospekt zu holen, weil ich nicht zornig werden will, bevor ich nicht weiß, daß ich einen Grund dafür habe. Dieser Teil der Geschichte fand keine Erwähnung.

SB: Frau Abrams-Hourani, vielen Dank für das lange Gespräch.

(Übertragen aus dem Englischen von der Schattenblick-Redaktion)

23. Juni 2009