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WIENER GESPRÄCHE/05: Begegnungen am roten Rand Wiens - Teil 5 (SB)


Interview mit dem österreichischen Autor und Regisseur Kurt Palm


Zu den interessantesten Figuren unter den Kulturschaffenden Österreichs gehört zweifelsohne der 1955 geborene Kurt Palm. Seit rund einem Vierteljahrhundert bietet der Regisseur seinem Publikum zahlreiche witzige und gedankenanregende Inszenierungen, sei es von Alan Bennets "Kafkas Franz" in Wien, von Berthold Brechts erotischen Gedichten in New York oder von Johann Strauß' Oper "Die Fledermaus" in Dublin. Für Furore im deutschsprachigen Fernsehland und Entzücken bei den Kritikern sorgte er zwischen 1994 und 1996 mit der urkomischen ORF-Produktion Phettbergs Nette Leit Show. Palm hat auch ein Faible für irische Literatur und war so freundlich, am 10. Juni dem Schattenblick ein Interview zu diesem und anderen Aspekten seines künstlerischen Lebens zu geben.

Treffpunkt Café Westend am Wiener Westbahnhof

Treffpunkt Café Westend am Wiener
Westbahnhof

SB: Aus Ihrem Lebenslauf geht hervor, daß Sie ein großer Joyceaner sind. Vorhin erzählten Sie, daß der Bloomsday am kommenden 16. Juni auch in Wien gefeiert wird. Was wird dann in der österreichischen Hauptstadt alles passieren?

KP: Also ich spreche über die Hintergründe des Bloomsday, warum der 16. Juni weltweit als literarischer Feiertag begangen wird und natürlich über die Parallelen, die Überschneidungen, die es zwischen dem Leben von James Joyce und dem "Ulysses" gibt. Natürlich wissen wir, warum der "Ulysses" ausgerechnet am 16. Juni 1904 spielt, weil James Joyce an diesem Tag zum ersten Mal ein Rendezvous mit seiner späteren Ehefrau Nora Barnacle hatte.

SB: Ein Rendezvous? So, so ... (lacht)

KP: Ein Rendezvous, ja. (lacht) Im "Ulysses" wird genau beschrieben, was da passiert ist. (lacht) Und ja, es gibt noch eine andere Geschichte, also ein anderer Wissenschaftler wird über die Bedeutung der Musik in "Ulysses" sprechen. Dazu kommt eine ganz lustige Sache: Einige Anzeigenakquisiteure werden jenes Kapitel aus dem "Ulysses" vorlesen, in dem geschildert wird, wie die Hauptfigur Leopold Bloom bei der Tageszeitung Freeman's Journal, dem heutigen Irish Independent, versucht Annoncen zu verkaufen beziehungsweise wo über seinen beruflichen Alltag berichtet wird. Also, ich bin mindestens bei fünf oder sechs verschiedenen Bloomsdays dabei gewesen in den letzten Jahren ...

SB: Hier in Wien?

KP: Auch in Wien, in Graz, in Salzburg, aber in Dublin, dem eigentlichen Schauplatz von "Ulyssses" noch nicht. Ich bin ein großer Joyce-Fan und unlängst erschien bei der österreichischen Tageszeitung "Kurier" eine Umfrage, in der ich und andere Leute über das Buch ihres Lebens gefragt wurden. Ich habe mich für "Finnegan's Wake" entschieden, weil das ein Buch ist, mit dem ich mich schon sehr lange beschäftige. Und man weiß, das Buch lesen, im klassischen Sinn, kann man nicht, eher muß man sich irgendwie dort hineinfallen lassen. Ich finde, daß "Finnegan's Wake" wirklich eine große Bereicherung ist. Ich könnte Ihnen jetzt nicht sagen, worum es geht ...

SB: Wir schneiden das Thema "Finnegan's Wake" vielleicht etwas später an.

KP: Einverstanden.

SB: In Ihrem Buch über Joyce, worum geht es da hauptsächlich?

KP: Also das ist ein Buch, das aus 26 Kapiteln besteht, alphabetisch gegliedert ist und heißt: "Der Brechreiz eines Hottentotten". Der Titel entstammt einem Zitat aus einer Ausgabe der "Sporting Times" aus dem Jahr 1922. Als "Ulysses" erschien, gab es, wie man weiß, sehr viele Verisse. Das Buch wurde erst später zu dem, was es heute ist. Und in einem dieser Verisse, das eben in der "Sporting-Times" veröffentlicht wurde, hat der Autor, irgendein Journalist, geschrieben: "Das Buch 'Ulysses' ist so schlecht, daß es selbst einem Hottentotten Brechreiz verursachen würde." Das war ein Bild, das mir natürlich sehr gut gefallen hat. Ich stellte mir vor, wie eben so ein Hottentotte in seinem Kaff in Afrika mit seiner Kopie von "Ulysses" dasteht und einen Brechreiz bekommt. Der Untertitel meines Buches lautet "Ein James-Joyce-Alphabet von Aal bis Zahl", das heißt, jeder Buchstabe bekommt einen Begriff zugewiesen und über diese Begriffe stelle ich Zusammenhänge, Querverbindungen zu Leben und Werk von James Joyce her. Das Buch ist eine Art lexikalischer Einführung in das Leben und das Werk von James Joyce, auf relativ hohem Niveau, wenn ich das selbst sagen darf.

SB: Gerade dieser Tage ist ein neues Buch von Declan Kiberd mit dem Titel "Ulysses and Us: The Art of Everyday Living" erschienen. Darin bringt Irlands Literaturpapst seine Enttäuschung und in gewisser Weise sein Unverständnis darüber zum Ausdruck, daß ein Buch, das Joyce hauptsächlich für die gemeinen Leute und über deren Leben geschrieben hat, weshalb die Handlung trotz oder gerade wegen des Titels so gar nichts Heldenhaftes an sich hat, praktisch von keinen einfachen Leuten und statt dessen hauptsächlich von Akademikern, Literaten und Menschen mit höherer Bildung gelesen wird. Trotz des Kiberdschen Einwandes stellt sich die Frage, inwieweit das Buch zu abgehoben ist.

KP: Ist es sicher nicht.

SB: Aber der Vorwurf wird immer wieder erhoben. Ist er vielleicht begründet?

KP: Meiner Meinung nach nicht. Also mein Buch geht dezidiert davon aus, daß auch Leute "Ulysses" lesen und verstehen können, die davor noch nie einen Satz von James Joyce gelesen haben. Meine Intention war es, über die Zeit, in der Joyce geboren wurde, in der er gelebt hat, und über seine persönlichen Lebensumstände zu schreiben. Ich glaube, daß es sehr viele Anknüpfungspunkte gibt, die, sozusagen jeden Leser, jede Leserin betreffen. Also jeder Mann und jede Frau kann über "Brechreiz eines Hottentotten" einen Zugang zum Werk von Joyce finden. Es ist auch sehr vielschichtig; es behandelt zum Beispiel die Alkoholproblematik. Wir wissen, daß Joyce ein schwerer Alkoholiker war. Ich beschäftige mich in meinem Buch ausführlich mit seinen Krankheiten. Es ist hochinteressant, die Querverbindungen zwischen den Krankheiten der Figuren in Joyces Werk und denen, die er selbst hatte, zu sehen. Wie man weiß, unterzog er sich mindestens elf Augenoperationen und es kommt in seinem Werk sehr oft vor, daß Leute schlecht sehen.

Gerade in dem frühen Bildungsroman "Ein Porträt des Künstlers als junger Mann" werden Szenen geschildert, die sehr autobiographisch sind. Es geht natürlich auch viel um Sexualität, um Joyces Verhältnis einerseits zu Nora Barnacle, seiner späteren Ehefrau, andererseits um seine erotische Phantasien, die er später im "Ulysses" und in "Finnegan's Wake" schildert oder die er in den berühmten pornographischen Briefen an Nora Barnacle darlegt. Also, ich glaube schon, daß meine Erläuterungen Lust machen, "Ulysses" oder irgendein anderes Buch von Joyce in die Hand zu nehmen. Jetzt gerade, in Vorbereitung des Bloomsday, habe ich wieder einmal ein bißchen im "Ulysses", das ich schon des öfteren gelesen habe, geblättert und erneut festgestellt, was für ein tolles Buch es ist. Da kann man sagen, was man will; es ist zwar nicht sehr einfach, aber es ist ein fabelhaftes Buch.

SB: Eine Sache, die viele Leute an "Ulysses" zu stören scheint, ist die Tatsache, daß Joyce mit jedem Kapitel einen radikalen Stilwechsel vollzieht - einmal liest sich die Geschichte wie Geoffrey Chaucers berühmten Pilgergeschichten "Canterbury Tales" aus dem 14. Jahrhundert, einmal wie ein Kriminalroman aus der Edwardianischen Ära und so weiter -, um einfach seine absolute Beherrschung der englischen Sprache in all ihrer Facetten zu demonstrieren. Hat er es vielleicht ein bißchen übertrieben?

KP: Das könnte man vielleicht sagen. Persönlich hätte ich es auch lieber gehabt, wenn er bestimmte Dinge einfacher geschrieben hätte. Es gibt Kapitel, die im Original auch für mich schwierig waren, aber in denen ich immer wieder bewundern konnte, wie Joyce gewisse Dinge beschreibt. Aber in der Übersetzung ist es natürlich problematisch, weil dann bestimmte Kapitel in einer Art mittelhochdeutscher Kunstsprache geschrieben werden, die ganz schwer verständlich ist. Es hat also Vorteile und Nachteile. Aber die Alltagslektüre erschwert dieser Aspekt sicherlich.

SB: Sie haben sich auch ausgiebig mit Flann O'Brien befaßt. Wie man weiß, werden im Werk dieses großen Satirikers wie beispielsweise "Der dritte Polizist" aus dem Jahr 1940 Stilmittel vorweg genommen, auf die man heute in modernen Romanen von Autoren wie Paul Auster trifft. Die Rede ist von der Verwendung verschiedener Erzählstränge, was dazu führt, daß niemand, weder der Leser noch die Figuren - und der Verfasser möglicherweise auch nicht, jedenfalls wird es suggeriert - weiß, worum es überhaupt geht. Inwieweit haben solche Ansätze von Flann O'Brien wie auch von Joyce zu einer Spezialisierung in der Literatur beziehungsweise zu einer Trennung zwischen der Hochliteratur und dem, was dem Durchschnittsmenschen zugänglich ist, geführt?

KP: Ich glaube ja, und das ist ein ganz wichtiger Aspekt, der leider zu kurz gekommen ist. Nichtsdestotrotz hat Berthold Brecht bereits Ende der zwanziger Jahre darauf hingewiesen, daß vor allem "Ulysses", aber auch die übrige Literatur von Joyce ein sehr großes Potential an Komik aufweist. Diese Komik ist etwas, was mich fasziniert. Das ist die komische Tradition von Lawrence Sterne, des Autors des 1759 erschienenen "Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman". Diese komische Tradition gibt es in der deutschsprachigen Literatur nicht wirklich, kaum oder sehr rudimentär.

SB: Über was für eine Art von Komik reden wir jetzt, die des Absurden?

KP: Im deutschen Kontext würde einem zum Beispiel Jean Paul, also Johann Paul Friedrich Richter, einfallen. Sicherlich auch im 20. Jahrhundert natürlich Leute wie Robert Gernhardt oder Eckhard Henscheid, die sich explizit auf diese Quellen beziehen. Oder dann auch Ludwig Tieck zum Teil. Es gibt bei uns auch diese Tradition, aber sie ist sehr schmal, während sie in der irischen Literatur viel breiter und viel stärker verankert ist. Das ist etwas, was mich fasziniert, und ich glaube, da ist der Einfluß von James Joyce und auch von Flann O'Brien sehr groß. Das gilt für das, was Sie erwähnt haben, wie viele Autorinnen und Autoren wie Paul Auster heute mit Versatzstücken arbeiten, die Flann O'Brien und Joyce entwickelt haben. Flann O'Brien ist leider ein Autor - ich weiß jetzt nicht, wie die Situation in Irland momentan ist; ich war sehr oft in Irland und es gab schon eine Zeit, in der er sehr populär war -, der die wirklich große literarische Bedeutung nicht bekommen hat, die ihm eigentlich zusteht.

SB: Wiewohl die Macher der US-Fernsehserie "Lost" durch die sichtbare Plazierung einer Kopie von "Der Dritte Polizist" in einer Episode der zweiten Staffel 2005 ihr bestes gegeben und einen kleinen Rummel um das Werk von Flann O'Brien ausgelöst haben. Daraufhin sprangen die Verkaufszahlen seiner Bücher zumindest kurzfristig wieder in die Höhe.

KP: Ja, das stimmt. Aber ich finde, ein Buch wie "In Schwimmen-zwei-Vögel" ist eigentlich eine Fundgrube und ein Schlüsselwerk. Ähnliches gilt für "Der Dritte Polizist", "Aus Dalkeys Archiven" und die darin enthaltenen abstrusen Atomaustauschtheorien des Wissenschaftlers De Selby. Meiner Meinung nach ist das alles von der Literaturwissenschaft bisher ein bißchen zu wenig gewürdigt worden.

SB-Redakteur mit Kurt Palm

SB-Redakteur mit Kurt Palm

SB: Eine andere Frage zu beiden Autoren. Man kann Sie, Herr Palm, zum linken Spektrum im weitesten Sinne rechnen. Das könnte man aber nicht unbedingt von Flann O'Brien oder James Joyce sagen. Inwieweit spielt sich das Politische in Ihren Werken ab, oder gibt es da eine gewisse Verweigerung, indem Sie in das Künstlerische zum Nachteil einer Auseinandersetzung mit dem Politischen ausgewichen sind?

KP: Ich wäre da vorsichtig. Politisch stehe ich sehr weit links, aber es wäre ein großer Fehler, würde man Kunst oder Literatur danach beurteilen, welche politische Botschaft sie vermittelt. Das wäre meines Erachtens ganz gefährlich, weil man dann Kunst und Literatur auf Propagandismus oder auf propagandistische Inhalte reduzieren würde, und das finde ich nicht gut. Ich glaube, daß man als Literaturwissenschaftler oder als Leser auch zwischen den Zeilen lesen können muß. Und da werden eben Dinge transportiert, die der Künstler nicht bewußt darstellt. Sie haben hundertprozentig Recht, Joyce war eigentlich apolitisch, bis auf die Tatsache, daß er gegen England und die katholische Kirche eingestellt war. Aber politisch ist es natürlich nicht so, daß man sagen könnte, er habe eine dezidiert politische, fortschrittliche Auffassung vertreten. Also das ist sehr widersprüchlich und dasselbe gilt für Flann O'Brien.

SB: Wiewohl Flann O'Brien unter anderem in seiner berühmten Kolumne bei der Irish Times "The Cruiskeen Lawn" vieles an den konservativen Verhältnissen in der Irischen Republik der 40er Jahre kritisierte und sei es verklausuliert und auf Umwegen.

KP: Ich habe zum Beispiel "At Swim Two Birds" insofern als politisches Werk gesehen, weil darin eine Haltung vorgeführt wird, die mich fasziniert hat, nämlich daß Figuren, die von ihrem Autor gezwungen werden, eine bestimmte Rolle zu spielen, rebellieren, und daß, wenn man das überträgt, es sozusagen ein Aufruf ist, den Dingen, die einem vorgegeben werden, nicht zu folgen. Und das ist etwas, das ich bei der Auseinandersetzung mit und der Verfilmung von "In Schwimmen-zwei-Vögel" als sehr politische Botschaft gesehen habe.

SB: Eine andere Sache: Joyce lebte einige Zeit im Wirkungsbereich der K.u.K Monarchie, als er in Triest war. Und Flann O'Brien hatte als dritte Sprache neben Englisch und Gälisch auch Deutsch. Inwieweit kommen Ihrer Meinung nach Aspekte der deutschsprachigen Kultur in den Werken dieser beiden Autoren vor?

KP: Sehr stark, jedenfalls stärker als man glaubt. In "Finnegan's Wake" zum Beispiel werden immer wieder Bezüge zu Flüssen und zu Landschaften in Österreich hergestellt. Die sind zwar verschlüsselt, aber es gibt immer wieder Bezüge zur österreichischen Geographie und natürlich bezieht sich Joyce in "Ulysses" wie auch in "Finnegan's Wake" auf seine unmittelbare Zeit im damaligen Einflußbereich der K.u.K. Monarchie. Wie wir wissen, hat sich Joyce auch in Salzburg und in Vorarlberg aufgehalten. Einmal hat er sogar behauptet, daß sozusagen die Weichenstellung für den "Ulysses" in Feldkirch fiel, was natürlich ein bißchen übertrieben wäre. Aber dort kam es schon zu einer Situation, in der er entscheiden mußte, wie es weiterging. In beiden Werken kann man im Detail nachlesen, wie er über bestimmte Orte in Österreich schreibt. In "Ulysses" erwähnt er zum Beispiel die Rinderseuche im österreichischen Mürzsteg.

SB: Und der Vater von Bloom kam aus Ungarn.

KP: Genaugenommen aus Szombathely, das drei oder vier Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt liegt. Gleichwohl sollte man das nicht überinterpretieren.

SB: Bei Flann O'Brien ist bekannt, daß er sich an einer Stelle über die Engstirnigen unter den Gaelgeoirs, den Leuten, die sich für die Wiederbelebung der gälischen Sprache einsetzen, lustig machte, weil diese sich angeblich mit dem Vergleich gebrüstet hätten, wie urwüchsig und kraftvoll die gälische Aussprache, dem Deutschen ähnlich wäre, im Vergleich zum vermeintlich verweichlichten Englischen.

KP: Das stimmt. Es gibt natürlich Geschichten, wonach sich Flann O'Brien einige Monate in Heidelberg aufgehalten hat. Aber das ist nicht gesichert. Man weiß nicht, ob er das ganze nicht einfach erfunden hat.

SB: Jedenfalls hatte er Germanistik an der Universität studiert.

KP: Genau. Also es gibt einige Hinweise in "At Swim Two Birds" auf seine Deutschkenntnisse, aber die Querverbindungen sind nicht allzu stark.

SB: Zu einem anderen Thema, vielleicht könnten Sie uns etwas über Ihre Mitgliedschaft in der Jem Casey Society erzählen?

KP: Ah ja. (lacht)

SB: Welche Verpflichtungen hat man als Mitglied dieser Gesellschaft?

KP: Das war sehr lustig, wie ich zu dieser Ehre gekommen bin. Für die Leserinnen und Leser muß man vielleicht dazu sagen, der Jem Casey ist der berühmte Arbeiterdichter aus "In Schwimmen-zwei-Vögel".

SB: Der gar nicht existiert.

KP: Genau. 1998 habe ich in Dublin an der Oper "Die Fledermaus" von Johann Strauß inszeniert. Das ist die berühmte Operette, in der es auch um Alkohol geht. Bei dieser Gelegenheit wurde dann auch mein Film "At Swim To Birds", den ich im Jahr davor fürs Kino gedreht hatte, in Dublin, Galway und verschiedenen Städten in Irland gezeigt. Während dieser Zeit in Irland habe ich auch Regie bei einer Aktion zum Thema "At Swim Two Birds" in Dublin geführt. Die Veranstaltung dauerte vierzehn Stunden; man fuhr mit einem Bus durch Dublin, während verschiedene Schauspieler Ausschnitte aus "At Swim Two Birds" vorlasen beziehungsweise vorspielten. Das war sozusagen "Mit Flann O'Brien on Tour". Es war eine große Geschichte, die in Irland auch im Fernsehen und Radio lief. Dabei hat man natürlich viel getrunken und gegessen, und Leute konnten bei dem ganzen Theater, wo immer wir mit dem Bus anhielten, zuschauen. Es gab einen genauen Plan, und man hat ganz Dublin, also diese verschiedenen Stationen des Buchs, abgefahren.

SB: Offenbar ein bißchen an dem angelehnt, wie man alljährlich den Bloomsday feiert.

KP: So ist es. Und bei dieser Gelegenheit wurde ich mit dieser Jem Casey Society konfrontiert. Man trat an mich heran und erklärte mir, daß man mir, nachdem ich so viele Verdienste um Flann O'Brien erworben habe, diese Mitgliedschaft anbieten möchte. Ich habe sie natürlich angenommen. Das ist natürlich eine Spaßgesellschaft, in der man zeigt, daß man ein großer Fan von Flann O'Brien und von Jem Casey ist. Das Aufnahmeritual sah so aus, daß ich in einen Pub eingeladen wurde und dort mit den anderen Mitgliedern viel trinken mußte. (lacht)

SB: (lacht ebenfalls) Vor zwei Jahren haben Sie Karl Marx' "Das Kapital", besser gesagt einige Auszüge daraus, vertont. Worum ging es Ihnen dabei?

KP: Das Werk gibt es auf CD und verkauft sich sehr gut, wie ich höre, zu meiner großen Freude. Ich weiß auch den Grund dafür, denn der Marx hat im ersten Band des "Kapitals" praktisch über unsere Gegenwart geschrieben.

SB: Sie meinen jetzt Finanzkrise und so weiter?

KP: Richtig. Ich mache ab und zu Lesungen aus dem "Kapital" und viele Leute kommen anschließend auf mich zu und fragen, ob ich das aktualisiert hätte. Und ich antworte, ich habe das nicht aktualisiert, das ist alles original, das ist alles Marx aus dem Jahre 1866. Und was mich fasziniert, ist, daß Marx mit den Augen eines Naturwissenschaftlers die Entwicklungsgesetze der kapitalistischen Gesellschaft beschreibt, und zwar in einer Art und Weise, die so präzise ist, daß man einfach über die Mechanismen erstaunt ist, die er freilegt. Ich glaube, daß das auch der Grund ist, warum die Leute diese CD kaufen und warum sie zu den Veranstaltungen kommen, weil man einfach auch ein bißchen erfahren möchte, wie Marx das analysiert und welche Vorschläge er hat, um diese Krise zu bewältigen.

SB: Aber da hätte man auch das Buch kaufen können, oder?

KP: Nur, das Problem ist, das gesamte "Kapital" hat einen Umfang von 2.400 Seiten. Allein der erste Band ist circa 700 Seiten lang. Und das Problem ist natürlich - das gebe ich zu -, daß es sehr schwer zu lesen ist. Was ich gemacht habe, ist, für die CD 45 Minuten Auszüge, also die besten Ausschnitte, zu nehmen und zu vertonen. Das mag zwar nur ein kleiner Teil des ganzen sein, aber es reicht, denn das Problem bei Marx ist natürlich, daß er zwar sehr präzise schreibt, aber auch recht komplexe Inhalte behandelt.

SB: Welches waren die Kriterien, nach denen Sie die Auszüge gewählt haben?

KP: Ich habe die Ausschnitte genommen, mit denen die Leute heute etwas anfangen können. Es ist uninteressant, historische Abschnitte zu bringen, über die heute kaum noch jemand etwas weiß. Statt dessen sollten es Dinge sein, in denen es um allgemeine Gesetzmäßigkeiten des Kapitals geht. Also wie funktioniert der internationale Kapitalismus? Wie funktioniert der Sklavenhandel, den es heute auch in anderer Form, Stichwort Mädchenhandel, gibt? Leiharbeit, Wanderarbeit, wie funktioniert das? Wie funktioniert Profitmaximierung und Ausbeutung periphärer Gebiete in Afrika und Asien und so weiter? Die ausgesuchten Ausschnitte habe ich dann zusammengefaßt, gemeinsam mit einem Musiker vertont, und das funktionierte sehr gut. Die Leute sollen natürlich animiert werden, anschließend "Das Kapital" selbst zu lesen.

SB: Wie würden Sie als Joyceaner die literarischen Verdienste Karl Marx' bewerten?

KP: Die kann man nicht hoch genug bewerten. Also man merkt, daß Marx ein absolut gebildeter Mann war. Er verweist ständig auf Shakespeare und Goethe. "Faust" zum Beispiel kannte er in- und auswendig. Es gibt im "Kapital" Hunderte von Verweisen auf die Literatur, sei es italienische Literatur, deutsche Literatur, englische Literatur. Marx war ein eminent gebildeter Mann und auch seine Sprache ist ausgesprochen literarisch. Ich würde sagen, daß "Das Kapital" auch ein wichtiges Werk der Weltliteratur ist. Es ist nicht nur ein wichtiges politisches Werk, über politische Ökonomie, sondern auch ein großes Werk der Weltliteratur. Ich würde Marx durchaus zur Weltliteratur zählen.

SB: Wie sieht es mit Ihren eigenen aktuellen künstlerischen Aktivitäten aus?

KP: Ich drehe jetzt gerade wieder einen neuen Film und habe sehr viel für Zeitungen geschrieben in den letzten Jahren.

SB: Was waren das für Sachen?

KP: Ich habe drei Jahre lang eine wöchentliche Kolumne in der österreichischen Tageszeitung "Der Standard" gehabt. Ich arbeite natürlich immer wieder am Theater. Anläßlich der Kulturhauptstadtfeierlichkeiten letztes Jahr in Linz habe ich das parodistische Theaterstück "Der Zwerg ruft" geschrieben und vor Ort inszeniert.

SB: Sie sind als Künstler in verschiedenen Bereichen, als Buchautor, als Theaterregisseur, als Filmregisseur wie auch jetzt mit dieser Vertonung vom "Kapital" unterwegs. Angesichts dieses Erfahrungsschatzes würde ich gerne von Ihnen wissen, inwieweit die Kunst heute eine politische Relevanz hat oder vollkommen vom Konsum, von der Konsumgesellschaft, aufgesogen wird.

KP: Das Problem ist heute natürlich - und das spüren wir alle in unserem täglichen Leben als Künstler oder als Konsumenten - daß im wesentlichen versucht wird, Kunst auf den Eventcharakter, auf das Großereignis zu reduzieren. Der Event ist das, was zählt. Deshalb bin ich gegenüber diesen Großfestivals, Salzburger Festspielen, Wiener Festwochen, all diesen Rieseninstitutionen, die irrsinnig viel Geld verschlingen, wie in Wien das Burgtheater und die Staatsoper, so skeptisch. Natürlich hat die Kunst oder der Künstler politische Aufgaben zu erfüllen. Das Problem ist natürlich, daß das in einer Zeit, in der alles dem Verwertungsgesetz des Kapitalismus unterworfen wird, sehr schwierig ist. Wenn ich mich an die Zeit erinnere, als ich studiert habe, da war jeder politisch engagiert. Heute ist das kein Student mehr. Die Studenten müssen studieren und studieren und nach genauen Vorschriften ihre Prüfungen machen. Es wird alles verschult, es wird alles reglementiert, und da haben wir das Problem, daß die Freiheit der Kunst, die es früher gab, in dieser Form heute nicht mehr vorhanden ist.

das Burgtheater zu Wien

das Burgtheater zu Wien

SB: Eingangs hatten wir über Ihre erfolgreiche Fernsehsendung mit Hermes Phettberg gesprochen. Wie sehen die Möglichkeiten einer künftigen Zusammenarbeit von Ihnen und Herrn Phettberg aus?

KP: Schauen Sie, jede Kunstform hat ihre Zeit. Von daher würde ich sagen, daß man auch aufpassen muß, denn man kann bestimmte Dinge, die zu einer bestimmten Zeit funktionierten, nicht 15 Jahre später wiederholen. Es gibt auch reale Gründe, die gegen eine Wiederauflage sprechen. Erstens macht Hermes Phettberg etwas ganz anderes beziehungsweise ist momentan schwer krank. Er könnte das gar nicht mehr machen, denn er hatte zwei Schlaganfälle. Aber ich habe 2007 fürs Kino ein schönes Filmportrait über ihn gedreht, das sozusagen eine Hommage an ihn ist. Der zweite Punkt ist, daß es im Fernsehen, im ORF, heute nicht mehr möglich wäre, so eine Sendung zu machen. Man würde kaum einen Regisseur finden, der seinen Kopf für so etwas hinhält.

SB: Das ist klar. Und die Rolle der Kunst, des Kunstbetriebes in Österreich, im Verhältnis zu anderen Ländern in Europa wie zum Beispiel Deutschland, wie würden Sie das einschätzen?

KP: Österreich gehört noch immer zu den Ländern Europas, die irrsinnig viel Geld in Kunst und Kultur investieren. Aber dazu muß man sagen, daß der Großteil sozusagen für Eventkultur oder Kultur, die etwas mit Tourismus zu tun hat, ausgegeben wird. Nichtsdestotrotz ist es immer noch so, daß es in Österreich Unterstützung für kulturelle Aktivitäten gibt, die in anderen Ländern gar nicht existieren. Das ist das Positive. Das Negative ist, daß es auch hier immer schwieriger wird, oppositionelle Kunst zu machen. Das ist sicher nicht mehr so einfach wie vor 10 oder 20 Jahren.

SB: Herr Palm, wir bedanken uns für das aufregende und unterhaltsame Gespräch.


23. Juni 2009