Schattenblick → INFOPOOL → REDAKTION → REPORT


ZEITZEUGEN LINKS/006: Quergedacht und schwergemacht - uns bleibt doch die Weigerung ...    Rede Otto Köhlers zum Andenken an Gerhard Zwerenz (Otto Köhler)


Rede Otto Köhlers zum Andenken an Gerhard Zwerenz auf einer Gedenkfeier der Linksfraktion für ihren ehemaligen Bundestagsabgeordneten am 13. November 2015 in Berlin


Liebe Damen und Herren von der Linken, sehr verehrte Genossinnen und Genossen,

wenn ich das als vor 55 Jahren aus der SPD Ausgetretener und vor 57 Jahren aus dem SDS Ausgeschlossener so sagen darf.

"Soldaten sind Mörder". Dass Tucholsky das sagen durfte, dass Gerhard Zwerenz dies aus eigener Erfahrung weitersagen und auch ein Buch mit diesem Titel schreiben konnte, und dass auch ich hier zu sprechen vermag, dafür kämpft und siegte die Bundeswehr in aller Welt. Von Jugoslawien bis nach Afghanistan und dort bis zum Massakerfluß bei Kundus. So lehrte es am Montag eine Annonce nicht nur in der "Süddeutschen Zeitung". Da steht es besiegelt durch das nur wenig veränderte Eiserne Kreuz der Naziwehrmacht Wort für Wort auf olivgrüngeflecktem Tarnuntergrund:

WIR KÄMPFEN AUCH DAFÜR,
DASS DU GEGEN
UNS SEIN KANNST

Danke sehr, das wäre doch nicht nötig gewesen. Wir möchten nicht schuld sein, dass in aller Welt von unseren Soldatinnen und Soldaten Menschen um ihr Leben gebracht werden, nur damit wir unseren Mund aufmachen können. Das tun wir auch ohne, dass Soldaten dafür auf andere schießen. Wenn Gerhard Zwerenz gegen diese un-ver-schämte Propaganda-Anzeige der Bundeswehr im Parlament das Nötige gesagt hätte, er hätte sich mindestens zehn Ordnungsrufe des Parlamentspräsidenten Lammert eingehandelt.

So wie ihn damals - als er über Alfred Dregger, den Chef der Stahlhelm-Fraktion seine Wahrheit aussprach - die Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer zur Raison bringen wollte: "Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eben im Protokoll nachgeprüft. Der Abgeordnete Zwerenz hatte gesagt: ,Selbstverständlich, Sie würden den Krieg' - damit war der nationalsozialistische Angriffskrieg gemeint - ,heute noch weiterführen'. Dafür rufe ich ihn zur Ordnung." Zur Ordnung? Zwerenz? Für seine Wahrheit? Es ist die Wahrheit.

Vor einem Vierteljahrhundert, nur sieben Monate nach dem ersehnten, aber für den Frieden in der Welt so verhängnisvollen Mauerfall, schrieb ich in der damaligen "Zeit" die Rezension einer Justizposse in Buxtehude. Ich schrieb allzu zaghaft von zwei Wahrheiten: Der Wahrheit des Generals und der Wahrheit des Deserteurs. Der Prozess begann mit der Frage des für seine Rechtsprechung vom Staat bezahlten Richters an den Schriftsteller Gerhard Zwerenz, ob es ihm beim Schreiben darum gehe, seine Thesen unters Volk zu bringen, oder darum, Geld zu verdienen. Wobei das erste dieser für das Rechtsprechen von der Staatsmacht besoldeten Person womöglich noch schlimmer erschien als das zweite. Und das ist die Wahrheit des Bundeswehrgenerals a.D. Horst Ohrloff, der 1941 als Oberleutnant für die Ausübung seines Handwerks im Osten von Adolf Hitler das Ritterkreuz erhielt: Der Deserteur Gerhard Zwerenz habe bei der Lesung seines Buches "Soldaten sind Mörder" gesagt, daß Hitler die Generale mit Geldgeschenken und Rittergütern gekauft habe. Sie hätten doch gar nichts mehr davon gehabt, erläuterte der General dem Gericht, des unglücklichen Kriegsendes wegen. Klar sei auch, daß Zwerenz "sehr geworben hat für Deserteure" und daß der General sich darum fragen mußte, welchem Zweck das dient. Er, der General, halte es nicht für richtig, junge Menschen zur Desertion zu verleiten. Das werde, so habe er sich kundig gemacht, mit fünf Jahren Gefängnis bestraft. Ja, und Zwerenz habe zu ihm persönlich gesagt: "Für mich sind Sie als ehemaliger Soldat der Wehrmacht ein Mörder."

Kurz, Zwerenz habe genau gewußt, wen er da beleidigte: "Es ist absolut sicher, daß er von vornherein wußte, daß ich ein hoher Offizier der Wehrmacht und General der Bundeswehr bin." Zwerenz war - da ist der General sicher - auf ihn angesetzt. Der General über den, wie er vorher sagte, "vom Osten gesteuerten Agenten", er war da vor Gericht etwas vorsichtiger: "Ich habe vermutet, daß er gesteuert wird von außen her." Doch das wußte der General genau, daß es selbstverständlich in jeder Armee Verbrechen gibt. Die Wehrmacht war genauso schuldig und nichtschuldig wie andere Armeen auch. "Aber für Sie", so sagte er vor Gericht zum Deserteur Zwerenz, "bin ich als Major im Generalstab natürlich Kriegsverbrecher." Und er klagte, bewegt und verbittert, daß 1945 die Alliierten ihm sein Vermögen und sogar sein Gehalt beschlagnahmt hätten. Zwar höre er schwer, sagt der General, aber er habe in der zweiten Reihe gesessen und Zwerenz habe - das ist ein Schlüsselsatz, wörtlich: "In der ganzen Veranstaltung hat er Dinge dargestellt, die anders sind."

Und in diesem Zusammenhang habe Zwerenz - darum klagt der Staatsanwalt für den General - mit dem Finger auf ihn gedeutet und gesagt: "Sie badeten im Blut bis zu den Knien. Sie haben als Wehrmachtsangehöriger schwere Schuld auf sich geladen. Sie sind ein Mörder." Auf Vorhalt des Richters, daß Zwerenz bestreite, zu ihm persönlich gesagt zu haben: "Sie sind ein Mörder", sagt der General zutiefst überzeugt: "Ich lege jeden Eid ab, daß er das gesagt hat." Das kennt er nicht anders. Auch auf - nicht gegen - Adolf Hitler hatte er seinen Eid abgelegt. Das war in Buxtehude vor fünfundzwanzig Jahren die Wahrheit des Generals.

Und das ist die Wahrheit des Deserteurs Zwerenz. Er kannte den Mann nicht, der da im Publikum anfing, die deutsche Kriegsschuld zu bagatellisieren. Für ihn, den Deserteur, war das eine Beleidigung aller Opfer des Krieges. Ein Wehrmachtsoffizier, ein alter Nazi vielleicht, aber nie wäre er darauf gekommen, daß es sich um einen General der Bundeswehr handle. Ja gewiß, sagt Zwerenz, er habe darauf bestanden, daß Generale sich mit Rittergütern und Geld - "Blutgeld habe ich gesagt" - von Hitler kaufen ließen. Zwerenz wußte, daß er selbst - er wiederholte es vor Gericht - als MG-Schütze ein Mörder war. "Ich habe geglaubt, wir könnten hier vor dem Publikum ein Beispiel geben, indem wir beide sagen, wir haben an Verbrechen teilgenommen." Aber der Mann da vor ihm sagte, daß er unschuldig sei und die Wehrmacht auch, daß sie nur gegen den Schandvertrag von Versailles gekämpft habe, daß er, daß das ganze Offizierskorps nur seine Pflicht tat.

Ja, sagte Zwerenz, er habe es nicht ertragen, wie dieser Mann da über die 40.000 Deserteure, die von der Wehrmachtsjustiz umgebracht wurden, sagte: Das ist Rechtens. Er, der bis dahin ganz ruhig war, fürchtete, die Kontrolle über sich zu verlieren. Er habe darum schnell abgebrochen mit dem Satz: "Ich gestatte Ihnen nicht in meiner Gegenwart, das gesamte Offizierskorps der Wehrmacht reinzuwaschen: sie wateten [nicht 'badeten', darauf legt der Schriftsteller auch gegenüber einem General Wert] im Blut bis zu den Knien und bringen es nicht fertig, ein halbes Jahrhundert später ihre Schuld einzusehen." Und dann habe er, sagt Zwerenz, von der Wehrmacht als einer "Räuber- und Mörderbande" gesprochen, wie schon 1939 der Wehrmachts-Oberstleutnant Stieff von der allzu kleinen Militäropposition. "Dabei bleibe ich." Denn genau deshalb sei er, Zwerenz, aus der Wehrmacht desertiert, weil er selbst schon damals überzeugt gewesen sei, einer "Mörderbande" anzugehören. Er desertierte, obwohl er wußte, daß es sein sicherer Tod sein würde, wenn man ihn ergriffe. Natürlich mußte der Deserteur Zwerenz in jedem Wehrmachtsoffizier, der den justizförmigen Mord an über 40.000 Deserteuren als "rechtens" bezeichnet, seinen Mörder sehen. Der Bundeswehrgeneral hat sich, auch noch im Prozeß, zu seiner "Pflicht" in Hitlers Krieg bekannt. Zwerenz wußte also, was der damalige Major mit ihm gemacht hätte, wäre er seiner habhaft geworden, und er könnte gedacht und dann vielleicht doch zu dem General gesagt haben: "Sie sind mein Mörder." Das ist die Wahrheit des Deserteurs Gerhard Zwerenz.

Es ist die Wahrheit, eine andere gibt es nicht. Heute schon gar nicht. Gestern haben sie im Parlament darüber gesprochen, im Reichstag, der noch steht, obwohl Bundestagspräsident Lammert es tags zuvor den bewaffneten Soldaten nicht untersagte, davor mit brennenden Fackeln herumzumarschieren. Zapfenstreich nannte sich das. Der Defraudant von und zu Guttenberg saß - wo sonst? - auf der Ehrentribüne, bereit für neue Aufgaben in diesem Staat, vorgestern. Und der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold freute sich - "Demokraten brauchen Zeichen und Symbole" - gestern im Bundestag über diesen "Großen Zapfenstreich vor dem Parlament". Er verbellte jeden Deserteur: "Der Soldatenberuf hat in der deutschen Gesellschaft das höchste Ansehen."

Ach, was hätte ihm dazu der Abgeordnete Zwerenz gesagt, der in seiner Zeit in Bonn ein solch abstoßendes Militärbrimborium mit Fahnenkram, Trommeln und Flöten, Brandfackeln und "Gewehr-Üüüh"-Kommandos nicht ertragen mußte. Auch nicht die Stahlhelme auf den blassen Kindsköpfen der Rekruten und die roten Blutblasen auf den Häuptern der Offiziere - das alles direkt vor der Volksvertretung. Gestern hat die allzu große Mehrheit im Bundestag das 60jährige Bundeswehr-"Jubiläum" gefeiert. Letztes Jahr sprach eine beim Bundespräsidenten Gauck hochangesehene große Stiftung auch vom 100jährigen "Jubiläum" des Ersten und vom 75jährigen "Jubiläum" des Zweiten Weltkriegs. Christine Buchholz und Wolfgang Gehrcke aber haben gestern deutliche Worte zur Bundeswehr gefunden: dass wir sie nicht brauchen und nie gebraucht haben. So muß es bleiben.

Aber Gerhard Zwerenz, der einzige Deserteur, der dem Deutschen Bundestag die Ehre antat, sich in ihn wählen zu lassen, wenn er heute im Berliner Reichstag säße, er hätte die Dinge, die anders sind, so deutlich ausgesprochen, dass ihn Präsident Lammert mehrfach des Hauses verwiesen hätte. Gerhard fehlt uns hier draußen. Aber Sie da drinnen haben ihn auch nötig. Wann immer Sie über diese Parlamentsarmee, die Ihrer Kontrolle mehr und mehr entgleitet, zu entscheiden haben, denken Sie daran, was hätte Gerhard dazu gesagt. Und wenn es um mehr und immer mehr militärische Verantwortungsträgerei für diesen Globus geht, um alte und neue kriegerische Einsätze, nein Kriege in aller Welt geht, dann - das ist kein Nachwort, das ist das Vermächtnis des Deserteurs Gerhard Zwerenz an die Linke, an uns alle, sagt: Nein, Nein, Nein.

*

Quelle:
© by Otto Köhler
Mit freundlicher Genehmigung des Verfassers


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Oktober 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang