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PRESSE/1005: Ursache und Wirkung - das Karma (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 1, Januar - April 2017
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Ursache und Wirkung - das Karma

von Axel Rodeck


1. Die Entwicklung der Karma-Lehre

a) Die Karmalehre betrifft den Zusammenhang von Handlungen und ihren Wirkungen und gehört zu den Pfeilern des Buddhismus. Sie ist auf die brahmanische Ideologie zurückzuführen und tritt erstmals in den älteren Upanishaden (9. Jh. v. Chr.) auf. Danach ist die rituelle Handlung des Feueropfers die wichtigste überhaupt denkbare Handlung (Sanskrit = karman), ja, sie ist geradezu der Prototyp einer jeglichen bedeutsamen Handlung. Und warum ist diese Opferhandlung wirksam, warum hat sie Folgen?

Das ursprüngliche Opfer war nach brahmanischer Auffassung das Opfer des Schöpfergottes, der sich selbst opferte und damit den Kosmos in Gang hielt. Alle folgenden Opfer haben dieselbe Funktion, nämlich den Kosmos zu erhalten, und sie versuchen, das ursprüngliche Opfer zu wiederholen, wobei der sterbliche Mensch bei der Opferzeremonie seine eigene Person durch andere Gegenstände als Opfergaben ersetzt. Jedenfalls gehört es zum System des Universums, "Dharma" genannt, dass Handlungen ihre Folgen haben, also durch eine Kausalität bewirkte Ergebnisse.

Es war ein entscheidender Schritt des Buddha, eine Neuinterpretation des Begriffs "Karma" vorzunehmen, und ihn über den rein rituellen Bereich hinaus auf den der Ethik auszuweiten. Der Buddha verkündete, dass Karma eine rein ethische Gegebenheit des Denkens, der Rede und der Tat sei. Die Bewertung des Karma als gut oder schlecht ergebe sich allein aus der Absicht, die dahinter stehe. Der Wert einer Tat hängt also von dem hinter ihr stehenden Motiv ab.

Der Buddha stand dem Feuer als Symbol sowohl für das brahmanische Opferfeuer als auch für die Leidenschaften stets negativ gegenüber. Selbst die vom Buddha verwendete Metapher für die Erlösung ist eine Antwort auf den brahmanischen Symbolismus: Heilsziel ist das "Nirvana", was Auslöschung bedeutet, nämlich des Feuers der Leidenschaften.

b) Die aus dem Hinduismus übernommene Karma-Lehre ist - so der Indologe K. Mylius - eine "unleugbare Schwäche des Buddhismus". Denn es gelingt ihm hier nicht, sich von vorgefundenen Dogmen frei zu machen. Die Behauptung einer moralischen Weltordnung ist zweifellos sehr edel, müßte aber hinterfragt werden: Wer setzt die Maßstäbe eines moralischen Wandels fest? Gibt es eine allgemeine, zeitlose, über sozialen Klassen und Gruppen thronende Gerechtigkeit? Kritisch auch J. Bunnag (in dem sehr empfehlenswerten, von H. Bechert und R. Gombrich herausgegebenen Buch "Der Buddhismus"): "Die Karmalehre stellt nur eine sehr allgemeine Theorie über die Ursachen der Wechselfälle des Lebens dar, die viel zu allgemein gehalten ist, um alle Fragen zu beantworten. Der einzelne weiß zu keinem Zeitpunkt, wie groß sein Guthaben an Verdienst ist oder wann sich die Ergebnisse seiner guten und schlechten Taten auswirken werden."

Freilich werden diese Feststellungen einen Buddhisten nicht verdrießen. Wie der Meister sagte, ist die Beachtung der Tugendregeln für den Menschen auch dann sinnvoll, wenn er von der Karmalehre nichts weiß oder nicht an den Dharma glaubt. Denn er führt dann wenigstens in der gegenwärtigen Welt ein erfülltes Leben frei von Hass und Übelwollen.


2. Einige Probleme der Karmalehre
a) Kollektives Karma und Schicksalszonen

Zwar erwirbt jeder grundsätzlich durch sein eigenes Tun sein höchstpersönliches Karma, da aber sein Leben als Einzelperson eingebettet ist in das Leben seiner Familie, seiner näheren Umgebung, seines Volkes und letztlich der gesamten Menschheit, lassen sich hier Verbindungen vermuten. Das erscheint auch nach heutigem naturwissenschaftlichen Verständnis plausibel. So stimmt sich etwa nach Rupert Sheldrakes Theorie von den morphischen Feldern der sich entwickelnde Organismus wie ein Empfänger auf das morphische Feld seiner Spezies ein und wird damit Teilhaber der kollektiven Erfahrung.

Es dürfte daher keineswegs einerlei sein, wie wir uns als Angehörige einer Gruppe den von dieser anderen gegenüber begangenen Grausamkeiten oder sonstigem Unrecht verhalten. Wir sind bestimmten "Schicksalszonen" zugeordnet und über diese mit dem Geschick der ganzen Welt verflochten, und wenn manche auch meinen, dass Reinkarnation meist im Umfeld der eigenen Kultur erfolgt, so ist sie dennoch auch in anderen Rassen und Nationen möglich. Nationalitätendünkel und Rassenhass sind also schon aus diesem Grunde töricht und im Licht der Karmalehre unsinnig.

Falsch ist aber auch das andere Extrem der Verfälschung der eigenen Kultur und Geschichte. Der Psychologe R. Passfan führt hierzu aus: Wer - wie in Deutschland nach 1945 gar nicht selten - seine eigene Kultur und Volkszugehörigkeit verachtet, "der verachtet sich karmisch betrachtet selber, nämlich seinen eventuellen Beitrag dazu."

b) Übertragbarkeit von Karma

Nach hinduistischer Auffassung ist die Übertragbarkeit von Karma nicht möglich, und auch das "Kleine Fahrzeug" (Hinayana) lehnt dies ab, weil das Karmaergebnis immer nur seinem Urheber zugute kommen kann. Allerdings hat der Volksbuddhismus auch in den hinayanischen Ländern Abweichungen vorgenommen, insbesondere, um einem bereits Verstorbenen Verdienst "nachsenden" zu können. Im Prinzip geht das Hinayana jedoch streng vom Erfordernis der Eigenerlösung aus.

Das "Große Fahrzeug" (Mahayana) hat dann jedoch zu einer Änderung geführt. Als logische Folge des unendlichen Erbarmens eines Bodhisattvas ergibt sich, dass dieser auch nach Lösung seiner eigenen Probleme noch über lange Zeiträume fortfährt, Gutes zu tun. Das Verdienst aus diesen guten Taten trägt für ihn aber keinerlei Nutzen mehr, so dass er es auf andere übertragen und damit deren Erlösung fördern kann. Anders als die Buddhas, die den Erlösungsweg aufzeigen, aber keinen praktischen Heilsbeistand leisten, sind die Bodhisattvas in der Lage, dem Heilssucher unheilsames Karma aus dem Weg zu räumen.

In der Mitte zwischen Hinayana und Mahayana steht der Erlösungsweg durch Weisheit (prajna). Er geht davon aus, daß die Erkenntnis der Leerheit (sunyata) im Heilssucher die Triebkräfte der Wiedergeburt annulliert und ihn das Nirvana realisieren lässt. Ein hinayanischer Weg ist er insofern, als er auf Eigenerlösung baut, ein mahayanischer insoweit, als er der Weisheit die Fähigkeit zuschreibt, karmische Resthindernisse abzubauen.

c) Karma und Verschulden

Wie wir sehen, kommt es beim Karma nicht auf die Tat als solche, sondern auf die ihr zugrunde liegende Absicht an. Der Buddhismus vertritt eine Gesinnungsethik. Ist es also völlig gleich, was ich tue, wenn ich es nur in gutem Glauben und mit bester Absicht tue?

Zu Zeiten Buddhas suchte ein Mönch die Hütte einer Familie auf, mit der er verabredet war. Weil die Familie noch nicht da war, begab er sich in die Hütte und setzte sich im Halbdunkel auf etwas, was er für eine mit Tüchern belegte Bank hielt. Als die Familie kam, stellte sich jedoch zum Entsetzen aller heraus, dass sich der Mönch auf eine Wiege mit Säugling gesetzt und diesen erstickt hatte. Der um Rat befragte Buddha bestätigte zwar, dass keine vorsätzliche Tötung vorliege, rügte aber die grobe Fahrlässigkeit und betonte die sich daraus ergebenden leidvollen karmischen Folgen. Denn auch Achtlosigkeit entspringe einer unheilsamen Geisteshaltung. Wir finden diese Erkenntnis auch im modernen Leben wieder, etwa im Strafrecht, wo der Täter (Todesschütze an der Zonengrenze!) bestraft wird, weil er die Rechtswidrigkeit seines Tuns bei gehöriger Anstrengung hätte erkennen müssen.

Freilich stoßen wir hier auf das Problem, wer denn die Maßstäbe für Recht und Unrecht setzt, wenn man sich nicht auf einen Propheten oder jemanden, dem die Gesetze vom Gott selber überreicht wurden, berufen kann.

d) Sonstiges

Naturgemäß ergibt sich aus der Karmalehre eine Fülle von Fragen und Problemen.

Wie ist die Beziehung zwischen dem Karma und den Erbfaktoren der Eltern? Beruht die Bevölkerungsexplosion auf einer Verkürzung der Reinkarnationsintervalle? Unter welchen Bedingungen ergibt sich bei der Wiedergeburt ein Geschlechtswechsel? Führt das Erbarmen gegenüber einem Leidenden zu einem Verstoß gegen das Karmagesetz, weil der Leidende ja sein Karma zu vertreten hat? Ist ein Massenunglück für alle Betroffenen karmisch bedingt, oder liegen nichtkarmische Ursachen vor (das Karmagesetz als mechanisches Vergeltungsprinzip alttestamentlicher Prägung?)?

Der Buddha als Erlösungspragmatiker lehnte es ab, über theoretische Fragen zu spekulieren. Menschliche Neugier beißt sich jedoch immer wieder an die Transzendenz betreffenden Erörterungen fest. Das führt bis hin zu Religionskriegen. Der aufgeklärte Zeitgenosse wird bei seiner Meinung auf die Plausibilität einer Aussage abstellen.

Und da kann man davon ausgehen, dass die Annahme eines wie auch immer gearteten Bewusstseins als den karmischen Prozess gestaltende "Informationseinheit" eine Erklärung für karmisch geprägte Wiedergeburt bietet.

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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
49. Jahrgang, Januar - April 2017, Nr. 1, Seite 13-16
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. März 2017

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