Schattenblick →INFOPOOL →RELIGION → BUDDHISMUS

PRESSE/567: Gibt es Geistwesen? (Der Mittlere Weg)


Der Mittlere Weg - Nr. 1, Januar - April 2007 - Nachrichten des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Ein Blick zurück
Gibt es Geistwesen?

Von Axel Rodeck


Ich bin überrascht, beim Herumblättern in dem vor 26 Jahren erschienenen "Mittleren Weg" vom Januar 1981 auf ein Thema zu stoßen, dass gerade kürzlich erst in unserer Zeitschrift wieder behandelt wurde und zu unterschiedlichen Meinungen führte. In Heft 1/1981 verfaßte der rührige, auf allen buddhistischen Betätigungsfeldern sehr aktive frühere Vorsitzende des "BBH", Karl Stort (gestorben 1986), einen Aufsatz, der eine lebhafte Auseinandersetzung mit Autoritäten des deutschen Buddhismus zum Gegenstand hatte. Ausgegangen war diese Diskussion von einem in Heft 5/1980 veröffentlichten Briefwechsel Storts mit Paul Debes betreffend das Thema "Geistwesen als unser unvergänglicher Teil?"

Dort erfahren wir, dass Stort entgegen der in einem Aufsatz von Debes (in "Wissen und Wandel" Nr. 3/4 1978) dargelegten Auffassung die Existenz von Geistwesen, von nichtkörperlichen Lebewesen, bestritt. Wer daran glaube, baue sich nur ein "Ersatz-Ich" auf, und auch der Buddha habe das so gesehen.

Die Replik von Debes ist heftig. Stort habe wohl eine Anzahl von Buddha-Reden nicht gelesen, so M 38 und M 93, wo gesagt werde, dass ein Geistwesen (Gandhabba) zur Zeugung durch die Eltern dazutreten müsse. Auch könne er in D 21 und D 19 nachlesen, dass das geistige Wesen beim Tode den Körper wieder verlasse. Am ununterbrochenen Erscheinen und Verschwinden der Wesen im Kreislauf des Samsara zeige sich, dass alles zwar anatta ("ohne Selbst") und anicca ("vergänglich"), aber doch im Jenseits wie im Diesseits lebendig sei.

Kleinlaut räumt Stort ein, er habe aus Zeitgründen nicht viel aus dem Tipitaka gelesen und sei mangels Kenntnis von Sanskrit, Pali und Chinesisch auf einige deutsche Übersetzungen angewiesen. Allerdings gibt er so schnell nicht auf: Er habe viele Bücher durchgearbeitet, u. a. Übersetzungen von Kurt Schmidt, über dessen von der Sache her kommende Textkritik er sehr erfreut sei. Und Schmidt habe gerade bei dem angeführten Text M 38 über den "Gandhabba" dargelegt, hier seien aus späterer Zeit stammende Zusätze eingefügt worden. Dann legt Stort unter Bezug auf das Buch Schmidts "Leer ist die Welt" nach: Demnach kannte der älteste Buddhismus zu Lebzeiten Buddhas nur die Zweiteilung "rupa" (das Sichtbare) und "arupa" (das Unsichtbare = abstrakte Begriffe), für die Behauptung, es gebe drei Welten, finde sich im Pali- Kanon keine Grundlage. Der Begriff "ti-loka" (drei Welten) trete erst lange nach Buddha im 14. Jahrhundert auf. Die Vorstellung von Geistern in dieser dritten Welt führe zum Aufbau eines neuen Schein-Ich.

Doch nun kriegt es Stort mit einem anderen Exponenten des deutschen Buddhismus zu tun und es spricht für die Offenheit Storts, dass er dessen Schelte in Heft 1/1981 abdruckt. Diesmal ist es Helmut Hecker, der sich als Debes-Schüler meldet und mit Kurt Schmidt ins Gericht geht. Dieser, so Hecker, zeige in seinen späteren Werken eine vom Buddha abweichende Haltung und streiche derart willkürlich alles, was er als "unauthentisch" ansehe, "dass drei bis vier Generationen solcher Buddhologen genügen werden, um die Lehre spurlos verschwinden zu lassen." Schmidt habe mit seiner zeitlichen Einordnung des "ti- loka" zwar recht, verschweige aber, dass sich durch die Lehrreden eine Lehre von drei Daseinsweisen (bhava) ziehe, die genau den drei "Welten" entspreche. Diese seien nur drei Ebenen des Bewusstseins.

Ich will nicht verhehlen, dass mir der mutige Auftritt Karl Storts gefällt - nicht nur, weil Stort mein Vor-Vor-Vorgänger im "BBH" ist, sondern weil ich seinen Bedenken zustimme. Im "Mittleren Weg" 2/2004 hatte ich im Rahmen eines Aufsatzes über den Verbrauch embryonaler Stammzellen aus ethischer Sicht auch den "Gandhabba" (M 38,26) erörtert. Aus dem letzten Geisteszustand eines sterbenden Menschen ergibt sich m.E. nahtlos das "Wiedergeburtsbewußtsein", welches im Embryo ankommt als die geistige Energie, die zusammen mit Samenzelle und Eizelle eine empirische Person (namarupa) in einem geeigneten Mutterleib schafft. Hier transmigriert kein Geistwesen, sondern wie mit einem "Funksignal" (Informationseinheiten?) wird die Entstehung des neuen Lebewesens angeregt. Im vorigen Heft 3/2006 wurde im Rahmen der Erörterung buddhistischer Bestattungsriten die Existenz von nachtodlichen Zwischenwesen, zumindest nach theravadischer (Teil-)Meinung, in Frage gestellt. Auch in vorliegendem Heft wird die Existenz von Geistwesen, mit denen Kontaktaufnahme möglich sein soll, kritisch behandelt.

Natürlich habe ich, wie schon Vor-Vor-Vorgänger Stort, ob meiner Ansichten beachtenswerte Kritik erfahren und ich muß wie Stort einräumen, der Sprachen Sanskrit, Pali und Chinesisch nicht kundig zu sein. Für den Indologen Edward Conze ein typischer Fall, wo man sich aus der Erörterung buddhistischer Probleme besser raushalten sollte. Doch ist das in dieser Allgemeinheit richtig? Sind bei der Interpretation alter Texte nicht neue Erkenntnisse in Biologie, Medizin oder anderen Bereichen zu berücksichtigen, so dass etwa die Abtreibungsproblematik nicht nur aus der Sicht des 1. Silas, sondern auch der Präimplantationsdiagnostik zu betrachten ist? Und richtet sich der Vorwurf, aus einem Gesamtkonzept nur die der eigenen Vorstellung entsprechenden Aussagen herauszupicken, nicht auch gegen den Vorwerfenden selber? Prüfenswert sind die Hinweise auf Geisterwesen in kanonischen Texten allemal:

Gerade die Längere Sammlung des Pali-Kanons (Dhiganikaya) enthält, wie im Vorwort zur Neumannschen Übersetzung festgestellt wird, "herrliche Legenden und erstaunliche Sagen". Zur 18. Lehrrede "Scharenfürst", wo der zu seinen Lebzeiten mit dem Buddha befreundete König Bimbisara als Geist erscheint, gibt z.B. auch der Übersetzer Neumann an (Anm. 591), dass wir hier eine ausgeschmückte legendarische Geschichte vorliegen haben. Auch wird beispielsweise zur Begründung der Existenz von Jenseitswelten auf die 23. Rede der Längeren Sammlung hingewiesen, wo dem intellektuell-kritischen Kriegerfürsten Payasi mit vielen Gleichnissen das Bestehen eines Jenseits erklärt wird. Schmidt würde hier möglicherweise wieder von fehlender Authentizität sprechen.

Letztlich befinden wir uns mit unseren Erörterungen auf dem Gebiet der relativen Wahrheit und wie der schon zitierte Indologe E. Conze (in seinem Buch "Der Buddhismus") feststellt, war der Buddhismus unter Völkern lebendig, "die mit derselben Ehrlichkeit an die Magie glaubten wie der moderne Städter an die Wissenschaft." Statt unserer heutigen Einteilung in die drei Lebensformen menschlich, tierisch und pflanzlich, so Conze, habe die buddhistische Überlieferung mit fünf Stätten des Lebens gerechnet, nämlich Götterreich, Menschenwelt, Geisterreich, Tierwelt und Hölle. Wir erkennen darin eine Variante der uralten archetypischen Raumsymbolik, die den Menschen in der Mitte sieht und oben/hoch für gut und unten/tief für schlecht hält. Mag eine zeitgemäße westliche Buddhismusinterpretation zur Klärung vermeintlicher Widersprüche führen.

Die Diskussion über Jenseitszustände wird anscheinend seit Jahrtausenden geführt, wenn sie auch aus der heilspragmatischen Sicht Buddhas nutzlos ist. Der "Mittlere Weg" bietet und bot schon immer ein liberales Forum für sachliche Auseinandersetzungen auch über diese Themen. Schließen wir die Erörterung ab mit einem wohl über die Zeiten gültigen Zitat unseres lieben Karl Stort: "So wenig die Existenz Gottes oder seine Nichtexistenz zu beweisen ist, so wenig sind Geister zu beweisen."


*


Da die Lehre des Buddha schwer zu verwirklichen ist, bildeten sich in Indien und später in ganz Asien je nach Kulturkreis verschiedene Lehrsysteme, spezielle Formen und Riten - oftmals mit religiösem Glaubenscharakter -, die ein Praktizieren und Verstehen der Lehre erleichtern sollten. Da sie aber auf uns fremde asiatische Kulturkreise abgestellt und an die Industriegesellschaft und die westliche Kultur nicht angepaßt sind, sind sie für Europäer ungeeignet und verstellen oft eher den Blick auf die eigentliche Lehre. (W. Kruckenberg)


*


Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
39. Jahrgang, Januar - April 2007/2550, Nr. 1, Seite 20
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
Drostestr. 8, 30161 Hannover,
Tel. und Fax: 05 11/3 94 17 56
E-mail: info@buddha-hannover.de
Internet: www.buddha-hannover.de

"Der Mittlere Weg - majjhima-patipada"
erscheint nach Bedarf und ist für Mitglieder kostenlos.