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PRESSE/582: Von Ritualen und Reliquienverehrung (Der Mittlere Weg)


Der Mittlere Weg - Nr. 1, Januar - April 2007
Nachrichten des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Von Ritualen und Reliquienverehrung

Von Axel Rodeck


1. Buddhistische Riten im Theravada

Rationaler Buddhismus?

Im "Mittleren Weg" Heft 3/2006 hatten wir die Frage aufgeworfen, welche Bedeutung Rituale im Theravada-Buddhismus haben, insbesondere bei Bestattungsfeiern für verstorbene Buddhisten. Wir hatten ausgeführt, dass der frühe Buddhismus grundsätzlich zum Ritualismus negativ eingestellt war und der Buddha das Hängen an Regeln und Riten als eine Fessel an das samsarische Dasein bezeichnet hatte. Er hatte lediglich für das Verhalten der Mönche und Nonnen den Verhaltenscodex des Vinaya hinterlassen, zu diesem gehörten keine Anweisungen für Rituale. Dennoch entwickelten sich später umfangreiche Riten und Kulte, auch im Bereich des Hinayana. Der Indologe A. Payer, der selber in Thailand buddhistischer Mönch war, kritisiert, dass die rituelle Seite des Theravada-Buddhismus in der heutigen Literatur oft vernachlässigt werde, obwohl sie im Leben sowohl der Mönche als auch der Laien eine große Rolle spiele. Diese Vernachlässigung in modernen westlichen Darstellungen habe ihren Grund in einer westlichen Sicht des Buddhismus, die in ihm gern ein rationales System sehe.

In der Tat stoßen wir hier an Grenzbereiche, die sich empirischer Betrachtung entziehen. Denn es geht auch um die Klärung, ob es außerweltliche helfende Kräfte gibt, denen sich der Mensch anvertrauen kann. Der langjährige Theravadamönch und kluge Buddhismuskenner Anagarika Kassapa meint, "dass auch wir modernen Menschen von schützenden Wesen umgeben sind". Wir können uns, so Kassapa, kraft intensiv gedachter Gedanken bewusst in das universale Netzwerk schützender Kräfte einschalten. Der Verwendung von Schutzsprüchen - seien es die unten noch näher beschriebenen "Parittas" im Theravada oder die "Dharanis" im Mahayana - kann hiernach wahre Wunderwirkung zukommen.

Wie immer dem auch sei: Es lohnt sich eine nähere Betrachtung und zumindest in der westlichen Kultur darf die Anwendung von Ritualen hinterfragt werden. Wir wollen folgend Riten und Schutzverse im Theravada erörtern, dabei sollen die Begriffe "Ritus" und "Ritual" synonym genommen werden im Sinne von religiöser Zeremonie.


Eins folgt aus dem anderen

Gerade Buddhisten sind sich der Tatsache bewußt, dass alle Ursachen Wirkungen zur Folge haben, und so ergibt sich die Frage, welche Wirkung die (korrekte) Durchführung eines Rituals überhaupt haben soll. Denn alles menschliche Handeln ist final, auf ein Ergebnis gerichtet. Bei der Hauptgruppe von Riten, die positive karmische Folgen für die Zukunft bezwecken, spricht man von "instrumentellen" Riten.

Dazu ist zunächst festzustellen, dass nach wohl von allen buddhistischen Schulen geteilter Auffassung niemand durch Riten zur Erlösung kommen kann, also nicht das Nirvana als Heilsziel erreicht. Auch wird, abgesehen von naivem Volksbuddhismus, nicht bezweifelt, dass Gebete an Buddha von diesem nicht erhört werden können, da der Buddha ja dieses Heilsziel erreichte und in das Nirvana einging. Er ist, anders als der Gott im Christentum, kein Ansprechpartner mehr.

Anders verhält es sich jedoch bei den im Buddhismus üblichen Riten wie Sprechen der Zufluchtsformel, Verehrung von Reliquien und Durchführung von Wallfahrten. Hierin kann eine Geisteshaltung des (gläubigen) Vertrauens gesehen werden, die karmisch fruchtbar ist und daher im gegenwärtigen und im folgenden Leben positive Konsequenzen hat.

Zweifelhaft zumindest für kritische Westler ist das (rituelle) Lesen heiliger Schriften, etwa des Pali-Kanons. Denn der zu Grunde liegende Gedanke, dass die Formulierung ewiger Wahrheiten in heiligen Worten zaubermächtig und daher das Rezitieren heiliger Texte heilsam ist, entstammt der alt-indischen Kultur und dürfte bei uns kaum auf Anerkennung stoßen.


Arten von Riten

Die meisten Riten sind instrumentelle Riten und dienen dazu, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Da, wie wir vorstehend sagten, die Erlösung außerhalb des Bereichs der Riten liegt, können solche Riten nur irdischen Zielen dienen wie Gesundheit und Schönheit, Reichtum und gute Ernte, Regen und Schutz vor Gespenstern. Freilich hat der Buddhismus für solch weltliche Zwecke unbefangen andere Kulte integriert. So wird beispielsweise in Sri Lanka Gelegenheit zur Inanspruchnahme hinduistischer Götter in buddhistischen Tempeln gegeben (Devalas-Schreine). Diese außerbuddhistischen Kulte stehen in keinerlei Widerspruch oder gar Konkurrenz zum Buddhismus.

Der Buddhismus hat sich auch nicht gescheut, weltliche Riten zu übernehmen, wie an einem weiteren Beispiel aus Sri Lanka gezeigt werden soll: Die dortige Verehrung von Buddha-Statuen richtet sich zum großen Teil nach südindischen hinduistischen Tempelritualen, die ihrerseits das Hofzeremoniell zum Vorbild haben. Besonders im Zahntempel in Kandy wird die Buddha-Reliquie wie die Person des Königs behandelt. Da die letzte in Kandy bis 1815 regierende Dynastie aus Südindien stammte, spiegelt offensichtlich das heutige religiöse Ritual in Kandy deren Hofritual wider.

Erwähnt werden sollen noch "Erinnernde Riten", die zu Erinnerung an ein Ereignis aus dem Leben des Buddha bestimmt sind, und "Ausdrucksriten", die dem Ausdruck von Gefühlen gegenüber religiösen Objekten dienen, etwa die Verehrung der "Drei Juwelen".


Man muß schon glauben

Freilich sind offenbar, wie bei den kritischen Laien, auch nicht alle Theravadamönche von der praktischen Wirksamkeit der dargebotenen Rituale überzeugt. Sie begeben sich dennoch auf das Niveau der Gläubigen, um deren Erwartungshaltung nicht zu enttäuschen und sie zu erfreuen, wie der folgende Bericht des Indologen Alois Payer zeigt:

"Als ich in Thailand Mönch war, wurden wir eines Tages von einer sehr frommen Dame eingeladen, um auf einem von ihr neu gekauften Baugrundstück zu rezitieren. Mit eingeladen war auch ein sehr gelehrter, damals, ich glaube, 87jähriger burmesischer Mönch, der schon über 60 Jahre dem Orden angehörte. Nach der Rezitationszeremonie unterhielt er sich mit mir. Er sagte: 'Viele Leute glauben, dadurch, dass wir heute Buddhas Worte rezitiert haben, haben wir die niederen Gottheiten erfreut, sodass sie nun das Grundstück beschützen. Es gibt aber gar keine solchen Gottheiten. Andere glauben, dass die rezitierten Worte, weil sie wahre Buddhaworte sind, wie Zaubersprüche wirken: Auch das ist falsch. Ja, warum haben wir dann heute früh rezitiert? Wir haben den Laienanhängern, die noch solchen Ansichten anhängen, eine große Freude gemacht, und das ist vom buddhistischen Standpunkt aus gesehen etwas sehr Gutes. Es hat keinen Sinn, Leuten, die felsenfest an Götter oder Geister glauben, unbedingt beibringen zu wollen dass es diese nicht gibt, sondern man hat Geduld zu haben mit ihrem geistlichen Fortschritt und sie allmählich in einer ihrem jeweiligen Fassungsvermögen angepassten Weise vorwärts zu bringen.'"


Die Opfergaben

Die Priesterkaste der Brahmanen hatte die den Gläubigen Lebenserfolg versprechenden Opferrituale zu einer hochkomplizierten Technik entwickelt. Der Buddha lehnte dagegen blutige Opfer aus dem Gesichtspunkt der Gewaltlosigkeit und insbesondere des Tötungsverbots ab und ethisierte den Opfergedanken. Besser als das vedische Opfer seien Almosenspenden, Klosterbau für die während der Regenzeit schutzlosen Wandermönche, Zufluchtnahme zum Buddha, Beachtung der Sittlichkeitsregeln (silas) und schließlich der Entschluß, selber Mönch zu werden. Der Buddhismus ersetzte also das vedische Opferritual durch die Forderung nach einem ethischen Lebenswandel für Laien und, als Höhepunkt, mönchische Weltflucht.

Der buddhistische Alltag kommt freilich nicht ohne ritualistische Vollzüge aus, dazu gehören Opfergaben. Opfergaben als Verehrungsgaben sind Symbolismen, wie sie überall in den Religionen und auch im Buddhismus zu finden sind. Die üblichen Verehrungsgaben sind


- Kerzen (auch Lämpchen), die die Zerstörung der Finsternis des
   Nichtwissens durch das Licht der buddhistischen Lehre symbolisieren,

- Blumen als Symbole für die Vergänglichkeit des Körpers

- Weihrauch steht für den Wohlgeruch des guten sittlichen Verhaltens

- Wasser symbolisiert den kühlen Geist und das Friedvolle.


Widersprüchliche Zuflucht

Das wichtigste Ritual für buddhistische Laien in aller Welt, man könnte geradezu von der "Mutter aller Rituale" sprechen, ist die (dreifache) Zufluchtnahme zu den "Drei Juwelen", vergleichbar dem christlichen Glaubensbekenntnis:

Ich nehme meine Zuflucht zum Buddha!
Buddham saranam gacchami

Ich nehme meine Zuflucht zur Lehre!
dhammam saranam gacchami

Ich nehme meine Zuflucht zur Gemeinde!
sangham saranam gacchami


Allerdings geht gerade diese Formel nicht auf Buddha Gautama zurück, sondern ist jüngeren Ursprungs. Der Buddha hatte gar nicht im Sinn gehabt, der Gemeinde (sangha) eine so hervorragende Rolle zu geben und ihr irgendeine die Erlösung mittragende Funktion zu gewähren. Als er seinen Tod kommen fühlte, erklärte er seinem Lieblingsjünger Ananda, wie er sich die Zukunft der Mönchsgemeinde vorstellte:

"Wie ein abgenutzter Karren nur noch mit Hilfe von Riemen funktionsfähig gehalten wird, so ist auch mein Körper nur noch mit Bandagen funktionsfähig. Darum, Ananda, seid von nun an euch selbst eine Insel, euch selbst eine Zuflucht (sarana), sucht keine andere Zuflucht; nehmt die Lehre als Insel, die Lehre als Zuflucht, nehmt keine andere Zuflucht!"

Mit diesem eindeutigen "Vermächtnis" erhob der Buddha die Lehre (dhamma) zur künftig (nach seinem Tod) einzigen Autorität. Das Wort "Insel" bringt die Isoliertheit des Einzelnen, der nichts als die Lehre hat, noch deutlicher zum Ausdruck als das Wort "Zuflucht". Die Zufluchtnahme zu den "Drei Juwelen" steht also in Gegensatz zu Buddha Gautamas erklärtem Willen. Doch die Eigendynamik der buddhistischen Entwicklung ermöglichte erst den Aufbau einer äußeren Ordnung. Erst alle drei Juwele, so der Indologe U. Schneider, "machen zusammen das aus, was wir heute 'Buddhismus' nennen. Ohne die Gemeinde und ihren Einfluß hätte sich zwar vielleicht eine buddhistische Philosophie entwickeln können, niemals aber die religiöse Massenbewegung, die das Gesicht Asiens so entscheidend mitgeprägt hat."


Personenkult und Pilgerreisen

Der greise Buddha hatte seinen Mönchen auch kurz vor seinem Tod noch empfohlen, künftig die Orte seiner Geburt (Lumbini), seiner Erleuchttmg (Gaya), seiner ersten Predigt (Benares) und des Parinirvana (Kusinara) als Wallfahrtsstätten aufzusuchen. So berichtet überzeugend das Mahaparinibbana-Sutta (D 16,5,8). Diese kanonische Rechtfertigung von Pilgerreisen und Reliquienverehrung bildet den Anfang der späteren Persönlichkeitskulte.

Die Theravada-Lehre wich nie von dem Standpunkt ab, dass der Buddha verlöschen und nicht mehr in der Welt tätig ist, dasselbe gilt für Heilige (arhats). Zu ihnen zu beten, bewirkt allenfalls psychologische Beruhigung für die Betenden selbst. Die Basis für Persönlichkeitskulte ist daher im Theravada nur sehr schmal und es wurden deswegen zeremonielle Handlungsweisen den Denksystemen der Umgebung entnommen. Der Buddha, ursprünglich ein Mensch wie jeder andere, der jedoch den Weg zur Erlösung (wieder)entdeckt und verkündet hatte, wurde bald zum Wundertäter und schließlich vergöttlicht. Das darf nicht überraschen, denn, wie M. Eliade darlegt, "nach einigen Generationen kann das Kollektivgedächtnis die authentische Biographie einer hervorragenden Persönlichkeit nicht mehr behalten. Sie wird zu einem Archetypus."

Die Inder hatten schon immer gern heilige Plätze verehrt, und so fiel die Anregung, Wallfahrtsstätten aufzusuchen, auf fruchtbaren Boden. Die Zahl der vom alten Buddha Gautama empfohlenen Pilgerzentren erhöhte sich bald durch den entstehenden Glauben an frühere Buddhas, die auch alle ihre Lokalitäten hatten. Als sich der Buddhismus dann über Indien hinaus ausbreitete, entstanden neue Legenden: Jedes Theravada-Land behauptet, dass Buddha Gautama es zumindest einmal auf dem Luftwege besucht habe, und die Landungsorte entwickelten sich zu Pilgerzentren.

Wichtiger als die Pilgerreisen ist der Reliquienkult, verbunden mit Stupas als riesigen Reliquienbehältern. Denn für die Reliquien des Buddha wurden Grabhügel (Stupas, singhalesisch Dagobas) gebaut. Waren diese Stupas ursprünglich nur wegen der darin enthaltenen Reliquien Gegenstand der Verehrung, so wurden sie später zu Gedenkplätzen, vor allem zum Gedenken an den Tod Buddhas. Nach späterer Einteilung gibt es drei Arten von Reliquien: Leibliche Reliquien wie Knochen, Zähne oder Haare, die vom Buddha selber stammen; gebrauchte Gegenstände wie Buddhas Kleidung oder seine Almosenschalen; Erinnerungsstücke wie insbesondere Statuen.


Ist Verdienstübertragung möglich?

Der Theravada-Buddhismus lehnt die Übertragung von persönlich erworbenem Verdienst auf einen anderen (patidana) konsequenterweise ab, weil das Kamma-Ergebnis (die Folgen der begangenen Taten) nur dem jeweiligen Urheber zugute kommen kann. Allerdings wurde in mahayanischer Zeit die Verdienstübertragung im Populärbuddhismus theravadischer Länder Brauch, vor allem, um einem lieben Verstorbenen Verdienst (punna) nachzusenden. Dies beruhte zum einen auf hinduistischen Totenritualen, bei denen die Trauernden die Befreiung des Toten von Sünden versuchen, zum anderen auf Interpretationen des Mahayana, welches einem Bodhisattva die Fähigkeit zuschreibt, sein eigenes durch gute Taten erworbenes religiöses Verdienst an Bedürftige weiter zu reichen, um ihnen raschere Erlösung zu ermöglichen.

"Verdienst" wird nun auch in theravadischen Ländern substantiell aufgefasst und dient den drei Zwecken: Ansammlung für die eigene bessere Wiedergeburt, Spenden für einen Verstorbenen und schließlich Übertragung an Götter, um deren Hilfe zu erlangen. Diese Zwecke entsprechen den drei hauptsächlichen Dienstleistungen, mit denen die Laien in Sri Lanka heute wie auch schon in frühester Zeit versorgt werden, nämlich Predigt, Anwesenheit bei Bestattungen und Rezitation des "Paritta" (wörtlich "Schutz").


Das Paritta

"Paritta" (singhalesisch pirit) ist der feierliche Vortrag von Texten aus den kanonischen Schriften und wohl die wichtigste Form der Rezitation in den Theravadaländern. Paritta kann zwar durch jede kompetente Person erfolgen, doch fordert man gewöhnlich Mönche dazu auf, die - was das Verdienst noch steigert - reichlich bewirtet werden. Während der Rezitation geht eine Schnur durch die Hände der rezitierenden Mönche, diese kann später zerschnitten und als Amulett um Handgelenk oder Hals von Laien gebunden werden. Anlaß für Paritta kann alles mögliche sein, weltlich oder religiös, wenn es nur Verdienst bringt, und die meisten sehen in ihm "ein makelloses orthodox-buddhistisches Ritual, das in dieser Welt Vorteile verschafft. Was den Gebildeten als spirituelle Handlung erscheint, kann von schlichteren Gemütern als eine Form der weißen Magie ausgelegt werden." (R. Gombrich)

Für die Gläubigen haben, wie oben bereits angedeutet, die (auf Pali verfassten) Parittas größte Bedeutung. Allen Parittas liegt nach ihrer Überzeugung eine kosmische Schau zugrunde, in der heilsame und unheilsame Kräfte ihr Spiel treiben. Der gesamte Kosmos ist ein Netzwerk universaler Bedingtheit, in dem alles mit allem verbunden ist, und der Mensch kann sowohl gute, beschützende als auch böse, zerstörerische Kräfte anziehen. Denn er ist Teil einer universalen Gemeinschaft, deren Wesen ihm helfen können - selbst wenn er die Parittas daherspricht, ohne ihren Wortlaut zu verstehen. Wie Kassapa von seinem Lehrer Patthan Sayadaw berichtet, ist ein starker Geist sogar in der Lage, ein Feuer zu zähmen: Bei einer Feuersbrunst stellte sich Patthan Sayadaw vor das Haus von Verwandten und verhinderte mit unablässigem Aufsagen geeigneter Parittas ein Übergreifen.

Ein gewisses magisch-zwanghaftes Denken zeigt sich darin, dass für das Ritual strenge Formvorschriften bestehen: So muß in Sri Lanka bei kurzzeitigem Pirit eine ungerade Zahl von Mönchen (mindestens drei) anwesend sein, beim längeren "Mahapirit" dagegen eine gerade Zahl. Wichtig ist auch, dass das Pirit niemals unterbrochen wird, weswegen bei länger dauernden Veranstaltungen Vorkehrungen für die Zeit des Schichtwechsels getroffen werden.


Die üblichen Riten im Theravada-Alltag

Abschließend noch ein Blick auf Alltagsrituale, wie sie zumindest in den theravadischen Ländem Sri Lanka, Birma und Thailand ausgeübt werden.

In jährlichem rituellem Zyklus erfolgt das buddhistische Neujahrsfest (13.-15. April). Ebenfalls jährlich findet das auch von deutschen Buddhisten zunehmend gewürdigte Vesakh-Fest statt, bei dem der Geburt, der Erleuchtung und des Hinscheidens des Buddha Gautama gedacht wird. (Termin: 1. Vollmond im Mai.) Regionale Jahresfeste sind beispielsweise das Fest zu Ehren der Zahn-Reliquie in Kandy/Sri Lanka (Perahera), Eintritt und Austritt der Mönche aus der Regenzeit usw.

In monatlichem Zyklus finden die "Uposatha"-Tage statt, die dem Mondzyklus folgen. Sie dienen insbesondere dem Verdiensttun, was zu reichlichen Gaben an die Mönche beim Almosengang führt. Die Laien finden sich im Kloster ein, um an Verehrungen und Darlegungen der Lehre teilzunehmen, und viele fasten und widmen sich der Meditation. Für Mönche ist die Teilnahme an den Feierlichkeiten Pflicht und nur Krankheit kann eine Abwesenheit entschuldigen.

Täglichen Riten widmen sich sehr fromme Buddhisten. Sie beginnen und beenden den Tag vor einem kleinen Schrein, der keineswegs unbedingt ein Buddhabildnis enthalten muß. Die rezitierten Texte sind in allen Ländern sehr verschieden.

Es fällt auf, dass die Wendepunkte im Leben eines Buddhisten - insbesondere Geburt, Pubertät und Hochzeit - entweder als weltliche Ereignisse behandelt oder von Spezialisten der religiösen Systeme, die örtlich neben dem Buddhismus bestehen, feierlich begangen werden. Als Lebenszyklusfest könnte man eventuell den Eintritt des Knaben als Novize in den Orden (Burma) oder den Eintritt in den Mönchsorden in Thailand, Kambodscha oder Laos bezeichnen. Eine Ausnahme von dieser Zurückhaltung machen die Bestattungszeremonien, die, weil der Tod im buddhistischen Denken eine so zentrale Rolle hat, meist von Mönchen abgehalten werden. (s. hierzu DMW 3/2006 S. 17ff)


Weiterentwicklung der Rituale

Wie wir vorstehend sagten, hatte der Buddha Gautama das Opfer ethisiert und das Klammern an Rituale als Fesseln bezeichnet. Den Glauben, dass Kultbräuche nützlich sind und die Erlösung fördern, hatte er von sich gewiesen. Doch diese strenge Haltung ließ sich, insbesondere im Volksbuddhismus, nicht durchhalten, und der Mahayana-Buddhismus nahm schon bald eine andere Haltung ein. Das geschah gewiß nicht nach Gautamas reiner Lehre, die stets den Dharma in den Mittelpunkt gestellt und Rituale abgelehnt hatte, aber - wie es der Indologe H.W. Schumann ausdrückt - "psychologisch im Hinblick auf die meisten Laienbekenner traf das Mahayana mit seiner Anerkennung des Buddha-Kultes ins Schwarze." Schumann fährt fort:

"Denn Religion ist nicht bloß eine Sache des Verstandes; sie entspringt der Sehnsucht des Menschen nach dem Transzendenten und seiner Hoffnung auf das Wunderbare. Vom Gefühl getragen, drängt sie zur sichtbaren Bekundung. Wer vom Glauben ergriffen ist, möchte sich vor den Reliquien eines Ehrwürdigen verneigen, Stupas (in Rechtsrichtung) umschreiten, Räucherwerk entzünden, Blüten darbringen und Preisungen sprechen. Religion in der mahayanischen Ausprägung erfaßt den Menschen mit Ehrfurcht vor dem "Erhabenen", Glaubensvertrauen (sraddha) in seine Erleuchtung und mit dem beglückenden Gefühl, vom universalen Mitleid des Buddha und der Hilfsbereitschaft der Bodhisattvas nicht im Stich gelassen zu werden. Ohne die Glaubensbegeisterung, die den Bekenner zum inneren Leuchten bringt, sinken die Formen des Kultes zur Etikette herab."

So finden wir in späteren Richtungen des Buddhismus eine Fülle bunter Riten und Symbole, die gar der ursprünglichen Lehre zu widersprechen scheinen. Aber dies soll nicht mehr unser Thema sein.


Rituale im westlichen (Theravada-)Buddhismus?

Zum Schluß wollen wir noch die praktische Frage aufwerfen, wie denn ein westlicher (speziell: deutscher) Buddhismus seine unvermeidlichen Rituale lokaler Tradition entsprechend und ohne asiatische (Ver-) Kleidung gestalten könnte. Wenn in den (asiatischen) buddhistischen Ländern der Bedarf an Riten der jeweiligen Kultur entnommen wurde, so muß das auch im Westen möglich sein. Es erscheint jedenfalls wenig sinnvoll, die vorstehend genannten fernöstlichen Kulte und Rituale, Pilgerreisen und Parittas einfach zu übernehmen und damit beispielsweise südindische Tempelrituale, die ihrerseits ehemaligem Hofzeremoniell nachgeahmt sind, als heilsfördernd zu praktizieren.

Ein Beispiel für die Entwicklung eigener Traditionen mag die von hiesigen Buddhisten erarbeitete Verfahrensweise bei Bestattungen geben. (s. obige Literaturangabe) Diese geht aus von der deutschen nichtkirchlichen Bestattungskultur, die sich während des langen Prozesses der Säkularisierung und gegen den Widerstand der katholischen Kirche entwickelt hat. Sie lehnt sich allerdings an die Konstanten kirchlicher Trauerfeiern an; so findet sich statt einer Predigt die Ansprache eines Redners und statt Orgelmusik erfolgt musikalische Untermalung mit Lieblingsmusik des Verstorbenen. Innerhalb dieses Rahmens werden dann die buddhistischen Akzente gesetzt.

Ein weiteres Beispiel geben die von Buddhisten aller Schulrichtungen zunehmend gemeinschaftlich veranstalteten Vesakh-Feiern. Hier wird schon mal statt Tee "Kaffee und Kuchen" geboten oder man schenkt gar zur Feier des Tages (alkoholfreien) Sekt. Und auch Uposatha-Tage mit gesundheitsdienlichem Fasten und Stunden der Besinnung sind empfehlenswerte Veranstaltungen.

Die Ausarbeitung sinnvoller Riten ohne unverständlichen Ballast aus fremden Kulturen muß sorgsam unter Beachtung hiesiger Normen erfolgen, im obigen Beispiel der Bestattungsweise ist die strikte Einhaltung der in der jeweiligen Kommune geltenden Gesetze und Friedhofsordnungen erforderlich. Auch sind Errungenschaften unserer säkularen Gesellschaft, etwa die in erbittertem Kulturkampf gegen die katholische Kirche durchgesetzte Zivilehe, zu wahren und zu verteidigen: Erst die standesamtliche Trauung, nicht ein religiöses Zeremoniell, begründet eine rechtsgültige Ehe - wie kürzlich die fundamentalistischen Angehörigen einer monotheistischen Religion, deren Name hier nicht genannt werden soll, zu ihrem Verdruß erfahren mussten.



2. Reliquien "On Tour"

Eine auch für nüchterne Theravadins sehr beeindruckende Demonstration von Reliquienverehrung konnte kürzlich sogar in Hannover erlebt werden. Denn in Kusinara (Indien), wo der Buddha Gautama ins Parinirvana einging, soll geklotzt werden: Eine 152 m hohe Bronzestatue des Buddha Maitreya wird gebaut und soll bis zum Jahre 2010 fertig sein. Sie wird - im wahrsten Sinne des Wortes - der "Höhepunkt" eines riesigen buddhistischen Pilgerzentrums und in ihrem Inneren sollen Reliquien aufbewahrt werden, die (angeblich) vom Buddha Sakyamuni selber, seinem Lieblingsjünger Ananda, dem Ehrwürdigen Sariputra und anderen buddhistischen Persönlichkeiten ("Buddhas Erben") stammen.

Bis dahin werden auf einer Welttournee diese Reliquien öffentlich ausgestellt, auch um Spenden zur Durchführung des "Maitreya-Projekts" zu erhalten. Die Ausstellung war Anfang August 2006 nun schon zum zweiten Mal in Hannover zu sehen, wo ihr in der Klosterpagode "Vien Giac" ein feierlicher Rahmen gegeben wurde. In kostbaren Gefäßen werden die aus ganz Asien zusammengetragenen Reliquien gezeigt und der Besucher staunt, was da alles gesammelt wurde: Zahn- und Knochenreliquien sowie Perlen, die, so sagt man, bei der Verbrennung heiliger Männer in der Asche gefunden werden.

Die Gläubigen lassen sich mit von Mönchen über ihren Kopf gehaltenen Reliquien segnen. Die weniger Frommen äußern ihre Zweifel, ob die Reliquien wirklich echt sind. Über eine Prüfung der Echtheit der Reliquien wird aber seitens der Veranstalter kein Wort verloren, wie es zumindest bei westlichem Publikum sinnvoll wäre. Man mag an sie glauben oder nicht - vom Geist gelenkt die Dinge sind und wie wir oben feststellten, hat die gläubige Verehrung als solche schon positive karmische Folgen. Glaubhaft erscheint freilich zumindest, dass in einem der Behälter wirklich Haare des derzeitigen 14. Dalai Lama ruhen.

Jedenfalls bietet die Schau ein farbenprächtiges Bild - und katholische Besucher äußerten spontan eine gewisse Vertrautheit mit diesem religiösen Glanz. Möge die Tour Erfolg haben und der Riesenbuddha wachsen und gedeihen.


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LITERATUR (Auszug):

Richard Gombrich: Der Theravada-Buddhismus
H. Bechert/R. Gombrich: Der Buddhismus
Alois Payer: Einführung in den Theravadabuddhismus der Gegenwart (Vorlesung Universität Tübingen)
Anagarika Kassapa: Parittas - Schutzverse und ihre Bedeutung
Hans, Wolfgang Schumann: Handbuch Buddhismus
Ulrich Schneider: Der Buddhismus


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Verehrung

Padípa Puja
Ghana-sarappa-díttena
Dípena tamadamsína
Tíloka dípam sambuddham
Pujayamí tamo nudam

Sughanda Puja
Gandha sambhara yuttena
Dhupenaham sughandhina
Pujaye pukaníyam tam
Puja bhajana muttamam

Puppha Puja
Vanna-gandha-gunopetam
Etam kusuma-santatím
Pujayamí muníndassa
Sírí-pada-saroruhe
Pujemí Buddham kusumena nena
Punnena-metena ca hotu mokkham
Puppham mílayatí í damme
Kayo tatha yatí vínasa bhavam


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Gabe von Lichtern
Mit strahlend glänzenden Lichtern,
die diese Dunkelheit beseitigen,
verehre ich den Erleuchteten,
der die Dunkelheit der Unwissenheit auflöst.

Gabe von Weihrauch
Mit duftendem Weihrauch
Zum Zwecke des Wohlgeruchs
verehre ich den Erhabenen, dem Verehrung gebührt,
der die Dunkelheit der Unwissenheit auflöst.

Gabe von Blumen
Diese Menge Blumen -
frischfarbig, wohlriechend und auserlesen,
bringe ich dar zu den heiligen lotusgleichen Füßen
des edlen Weisen.
Diese Blumen bring ich ihm, Lord Buddha, als Gabe dar,
möge diese Tugendhaftigkeit für meine Erlösung
hilfreich sein.
Unser Körper unterliegt dem Verfall,
ebenso wie diese Blumen verwelken müssen.


Ein Verehrungs-Text: Entnommen dem Büchlein
"The Mirror of The Dhanuna",
zusammengestellt von Bellanwila Dhammaratana Thero,
Sri Lanka


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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
39. Jahrgang, Januar - April 2007/2550, Nr. 1, Seite 8
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
Drostestr. 8, 30161 Hannover,
Tel. und Fax: 05 11/3 94 17 56
E-mail: info@buddha-hannover.de
Internet: www.buddha-hannover.de

"Der Mittlere Weg - majjhima-patipada" erscheint
nach Bedarf und ist für Mitglieder kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Februar 2007