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PRESSE/600: Realität nach der Lehre des Buddha (Der Mittlere Weg)


Der Mittlere Weg - Nr. 2, Mai - August 2007
Nachrichten des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Fritz Schäfer: Realität nach der Lehre des Buddha

Buchbesprechung von Axel Rodeck


Es ist schon ein redaktioneller Glücksfall, wenn zeitgenau zur Behandlung eines Themas im "Mittleren Weg" ein Buch erscheint, in dem auch dieses Thema aus der Sicht eines kundigen und (alters)weisen Autors tiefgehend erörtert wird: Fritz Schäfer hat in seinem umfangreichen (577 Seiten!) Werk "Realität nach der Lehre des Buddha" mit von ihm kommentierter Neuübersetzung von Pali-Texten die Bedingungen untersucht, die unser Bild von der Welt und von uns selber schaffen - das passt zu den Erörterungen in vorliegendem Heft über "Seelenlosigkeit" und "Ich-Illusion". Außerhalb der "nur subjektiven" Wahrnehmung gibt es demnach auch keine "objektive Welt an sich", keine Realität.

Es bedarf laut Schäfer der "rechten Ansicht" (samma-ditthi) gemäß Glied 1 des achtfältigen Pfades, um den Glauben an ein "Objektives Sein" aufzugeben und zur "Realität" zu kommen. Den Begriff "Realität" entnimmt Schäfer offensichtlich dem seinem Werk vorangestellten Vers Dhammapada 11, klärt aber den Leser hierüber nicht weiter auf. Ein des Pali unkundiger Leser oder Rezensent darf daher laienhaft unbedarft fragen, ob hier wohl der Begriff "sara" vorliegt und ob dieser nicht richtiger mit "Kern, Wesentliches" statt mit "Realität" zu übersetzen wäre, was dem Thema eine andere Richtung geben könnte. Jedenfalls, und da ist Schäfer zuzustimmen, glaubt der unbelehrte (un-gelehrte?) Mensch, die Realität "da draußen" sei so, wie die sinnliche Wahrnehmung sie von der "Welt an sich" abfilme.

Es ist erfreulich, dass sich Schäfer mit dem Einfluß der modernen Physik auf die Erkenntnis der Außenwelt befasst, jedoch ist seine Kritik an den "Verfechtern eines modernen Diesseitsbuddhismus" und fehlgeleiteten "Buddhismus-Sympathisanten" wohl zu emotional und radikal. Daß - übereinstimmend mit M 18 - die Quantentheorie die Existenz von Phänomenen von ihrer Beobachtung abhängig macht, ist doch positiv und nützlich für westliche Heilssucher. Ob hier - wie Schäfer kritisiert - unlösbare Widersprüche zur Relativitätstheorie bestehen, sollte doch ohne Bedeutung sein. Immerhin konzertiert Schäfer, dass Physiknobelpreisträger Schrödinger 2500 Jahre nach Buddha ebenfalls erkannt hat: "Die in Raum und Zeit ausgedehnte Welt existiert nur in unserer Vorstellung."

Schäfer geht nicht auf jenes Gebiet ein, das noch eher als die Physik geeignet ist, die Nichtexistenz eines "Selbst" auch auf naturwissenschaftliche Weise nachzuweisen und damit einem westlichen Heilssucher leichter klar zu machen: Die Neurobiologie. Wie die Beiträge in diesem Heft zeigen, entschleiert sie die Ich-Illusion und dokumentiert, wie sich das Gehirn ein Modell von der vermeintlichen Wirklichkeit verschafft.

Schäfer legt Wert auf das Bestehen von drei Daseinsstrukturen/Welten, nämlich Sinnenwelt, Welt der reinen Formen und formfreie Daseinsweise. Erst die Gesamtheit dieser drei Arten von Wirken mache die Gesamtheit der zu erlösenden Realität aus. Hier hat sich anscheinend in Deutschland bereits eine Interpretationslinie Debes - Hecker - Schäfer - Weil gebildet, die Ausdrücke wie 'kamabhava', 'rupabhava' und 'arupabhava' nicht einfach auf die fünf (buddhistischen) Daseinsformen beziehen, sondern aus ihnen die Existenz von Geist(-er)Welten ableiten will. (s. hierzu DMW 1/2007 S. 20) Vielleicht könnte auch hier heutige Wissenschaft eine Erklärung für die erst 1000 Jahre nach Buddha Gautama entstandene Dreiteilung (ti-loka) geben: Die Evolution hat das Gehirn nicht zur Erkenntnis, sondern zum Überleben geschaffen, und so tritt an die Stelle objektiver Erinnerung eine angepasste und zweckdienlich gefärbte Erinnerung. Spätere Mönche wichen wahrscheinlich unbewusst unter dem Druck der Hindu-Konkurrenz mit ihrem Geisterglauben von der Überlieferung Buddha Gautamas ab.

Ausgangspunkt Schäfers ist die "Wurzeldarlegung" M 1, die der Aufhebung der Fessel falscher Anschauung dient. Ihr Thema ist, so Schäfer, die Realität des Erlebens als gemeinsames Merkmal allen Lebens; in jedem Augenblick erfahren wir als unmittelbare Realität, dass wir erleben und je nach diesem Erleben wirken. Realität in Form einer "objektiv" existierenden "Materie" gibt es nicht. Am Ende der Lehrrede vertritt Schäfer die Ansicht, es sei keineswegs ein Übertragungsfehler, wenn es entgegen der üblichen Phrase heiße, die Mönche seien über die Rede des Erhabenen nicht erfreut gewesen.

Mit großer Sorgfalt hat Schäfer die ausgewählten Pali-Texte mit Erläuterungen und Übersetzungsanmerkungen versehen, was sie aber sperrig und schwer lesbar macht. Deshalb hat er sie der flüssigen Lesbarkeit halber (und für weniger an Begriffen Interessierte) auch noch ohne diese Einschübe wiedergegeben, sie sind also doppelt vorhanden. Eine gute Idee, die allerdings für das Volumen des Buches mitverantwortlich ist. Ein Durcharbeiten der umfangreichen Textsammlung wird wohl nur wenigen besonders engagierten Erkenntnissuchern gelingen - die Lehre des Erhabenen ist halt "schwer durchschaubar, schwer zu begreifen, bloßer Logik unzugänglich und nur Gebildeten verständlich".

Das Buch erfordert Vorkenntnisse und ein tieferes Eindringen in die Materie, es ist daher wohl für Neulinge keine geeignete Einstiegslektüre in den Buddhismus. Anlaß zu Diskussionen bietet es allemal. Daß der Buddha die Außenwelt bestreitet und eine "objektive Welt an sich" negiert, steht keineswegs fest, denn gäbe es keine Außenwelt, könnten unsere Sinne sie gar nicht wahrnehmen. Wir wissen nur nicht, ob unsere Wahrnehmung ein zutreffendes Bild von der Welt liefert! An dieser Stelle sei auch einmal dem Verlag Beyerlein & Steinschulte gedankt, der mäzenatisch derartige kaum auf einen großen Leserkreis hoffen könnende Literatur in Kleinauflage auf den (buddhistischen) Markt bringt. Sein Gewinn wird mit Sicherheit ideell sein.

Fritz Schäfer: REALITÄT nach der Lehre des BUDDHA
Verlag Beyerlein & Steinschulte
95236 Stammbach 2007. ISBN 3-931095-60-6


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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
39. Jahrgang, Mai - August 2007/2551, Nr. 2, Seite 35-36
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
Drostestr. 8, 30161 Hannover,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2007