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PRESSE/609: Oryoki - Essenstradition in Zenklöstern (Buddhistische Monatsblätter)


Buddhistische Montsblätter Nr. 3/2007, Juli - September
Buddhistische Gesellschaft Hamburg e.V.

Oryoki - Essenstradition in Zenklöstern

Von Holger Stienen (Korin)


Die Tradition des Oryoki ist über eintausend Jahre alt und hat ihren Ursprung in chinesischen Chan-Klöstern. Bereits Meister Dogen berichtete Anfang des 13. Jahrhunderts nach seiner Chinareise darüber. Bis heute wird diese Tradition besonders in Japan gepflegt, wo sie ihre heutige Ausprägung erhielt. Sie gilt zudem als besondere Übung bei Sesshins und wird überall weltweit während der Übungsperioden in Zen-Dojos angewandt. Sie erfordert ein hohes Maß an Übung, Erfahrung und Achtsamkeit aller Beteiligten, weil sie multipler Formen von Abstimmung im Schweigen und einer synchronen Ästhetik bedarf; manchmal fällt sogar der Begriff "Choreografie". Die Mahlzeiten werden nach der ersten Zazenperiode und der Morgenzeremonie (um 6 oder 7 Uhr) und mittags (11.30 oder 12 Uhr) eingenommen,sowie abends um ca. 18 Uhr, dann jedoch informell. Vor Beginn des Essens schlägt der Koch (Tenzo) den Küchengong.

Oryoki-Essen findet am Meditationsplatz im Zendo/Dojo statt, direkt auf dem Begrenzungsbalken vor dem Zabuton (schwarze Baumwollunterlage) oder auf einem kleinen Holztischchen neben dem Zazen-Platz jedes Mönchs oder Übenden, das auf ein Zeichen des Doji oder des/der Meisters/in in einer gemeinsamen Bewegung aller Essenden vor den Zazenplatz gestellt wird. Während des ganzen Vorgangs des Auspackens des Oryoki-Sets und der Schalen wird das Essensutra (Gyohatsunenju/Gokan no ge) auf Sinojapanisch rezitiert, wobei nach jedem Abschnitt der Zeremonie, z. B. das Auspacken und die exakte Aufstellung der Schalen und Esswerkzeuge genau der entsprechende Sutra-Abschnitt beendet sein muss. An diesem Punkt muss auch jeder im Raum mit der entsprechenden Aktivität fertig sein und legt seine Hände wieder in Sassho (Hände ineinander).

Die Oryoki-Utensilien bestehen aus vielen Komponenten, die jeder Mönch verschnürt in einem grauen Tuch mit sich führt. Diese sind: Das äußere Tuch (Hattan), das zur Tischdecke wird und dazu an allen vier Seiten mit schnellen Handgriffen untergeschlagen werden. Auf dieses wird eine Unterlage gelegt, die, neunfach gefaltet, im Set mitgeführt wird. Darauf werden die vier Schalen gestellt, die zuvor ineinander ruhten. Alles soll ohne zu klappern verlaufen. Die große Schale repräsentiert die Buddhaschale, beim/bei der Meister/in ist sie besonders groß. Sie repräsentiert die Bettelschale des Buddha. In den Theravadatradtionen ist sie bis heute die einzige von Mönchen genutzte Schale. Im kälteren China kamen andere Schalen hinzu, z. B. für die warme Suppe. So ist die größte Schale, die links plaziert wird, auch alleine für Reis (im Westen auch Nudeln oder Kartoffeln) reserviert. In die zweite Schale kommt morgens Gemüsesuppe, mittags Gemüse, in die dritte Schale morgens ausgepresste Rettichscheiben, mittags Salat. In die vierte Schale kommt Genmai, Salz mit geröstetem Sesam, den jeder selber in seinen Reis portioniert. Vor den Schalen liegen die Stäbchen und der Löffel. Zwischen die beiden letzten Schalen kommt das Setsu, ein flacher Holzstab mit Kerben, in denen die Mullkappe festgebunden wird. Es dient nach dem Essen zur Reinigung der Schalen. Ein zweites graues Tuch wird als Serviette über die gekreuzten Beine gelegt. Ein weißes Mundtuch neben sich oder unter das Tischchen, das zuvor auf ein Zeichen hin jeder vor sich gestellt hatte und das während des Sesshins neben dem Zabuton steht. Bei erhöhten Sitzplätzen entfällt das Tischchen.

Der Service trägt beidseitig synchron das Essen auf. Die Service-Mönche verbeugen sich vor Betreten des Raumes mit erhobenen Töpfen gegeneinander. Als erstes wird der/die Meister/in bedient. Das Sutra wird weiter rezitiert, auch von den Bedienenden, bis zum Ende des Serviervorgangs. Nach dem Servieren steht die Bedienung auf und alle drei verbeugen sich. Da die zuletzt bediente Person noch das gefüllte Schälchen in der Hand hält, muss sie dieses bei der Verbeugung neben den Körper ziehen. Es darf nicht zwischen den Verbeugenden gehalten werden. Bei der Befüllung kann der/die Bediente die Menge durch Zeichen selber festlegen. Wenn genug in der Schale ist, hebt diese Person ruckartig die flache Hand oder das Ende des Setsu. Sprechen bleibt untersagt, bis zum Ende des Sesshins. Vor Beginn des Essens wird der Löffel in die Buddhaschale gelegt, mit Griff vom Körper weg, und auf Geste der/des Meisters/In über den Kopf erhoben, die/der als erste/r mit dem Essen beginnt. Erst danach folgt die Gruppe.

Es darf kein Essensbestandteil von der einen in die andere Schale gemischt werden. Der Reis wird mit dem Löffel gegessen (indische Tradition), die Suppe usw. hingegen mit den Stäbchen. Die Brühe wird am Ende ausgetrunken. Wenn der/die Meister/in mit dem Essen aufhört, müssen alle anderen auch aufhören. Deshalb muss die Aufmerksamkeit immer mit einem Auge bei ihm/ihr bzw. den leitenden Mönchen liegen. Das Servicepersonal isst ebenfalls an seinem Platz im Dojo/Zendo oder in einem Vorraum, wo die Schalen und Töpfe stehen. Vor Beginn des Essens bringt einer der Servicemönche dem Buddha vor dem Altar in langsamen Schritten und mit Verbeugungen ein kleines Tablett mit Schälchen desselben Essens dar, das alle anderen auch bekommen. Vor der zweiten Essensrunde wird dieses Tablett wieder fortgetragen (ggf. untermauert durch Klänge, z. B. Trommelschläge auf Taikos). Vor der zweiten Essensrunde verkündet der Service, ob es noch "Nachschlag" gibt und ggf. für welche der Schalen. Wenn es nur noch wenig gibt, bekommen alle, die möchten, etwas, aber eben nur ganz wenig. Beim Bedienen kniet sich die Serviceperson vor die Bedienten, immer zwischen zwei Plätzen, mit einem Knie auf dem Boden, um flexibel von diesem Platz aus beide Personen bedienen zu können. Diese reichen ihre Schalen zum Einfüllen. Wenn man etwas haben möchte, muss man vorher die Hände in Gassho (aufrechtes Gegeneinanderlegen der Hände) legen, sonst geht der Bedienende vorbei und man erhält kein Essen. Nach jedem Bedienvorgang verbeugt man sich zudem vor dem Bedienenden, welches diese/r parallel entgegnet. Nach Ende des Bedienens vor gemeinsamen Beginn des Essens kommen zwei Servicekräfte je auf einer Seite und wischen mit einem feuchten Tuch die evtl. verkleckerten Essensbestandteile vom Boden. Ggf. geschieht dieses auch schon vor Beginn der Zeremonie mit dem Abschlussbalken vor dem Zabuton (s. o). Beim Bedienen der zweiten Essensrunde verbeugen sich die Serviermönche in den Ecken des Raumes mit erhobenen Töpfen bzw. Schalen. Dieses Ritual ist den hungrigen Geistern (in uns) gewidmet. Nach dem Essen können Reste auch im Garten oder nahen Wald diesen hungrigen Geister dargebracht werden.

Am Ende des Essens werden Schalen und Utensilien am Platz gewaschen. Hierfür trägt der Service heißes Wasser oder Tee auf. Diese werden in die Buddhaschale gegossen, die man zuerst mit dem Setsu reinigt. Zuvor ist es wichtig, dass alles Essen aufgegessen und die Schalen mit Löffel und Stäbchen vorgereinigt sind. Dann wird die Flüssigkeit in die nächst kleinere Schale geschüttet, die dann gut saubergemacht wird. Die gereinigten Schalen werden mit dem dritten Tuch trockengewischt und dann ineinandergestellt. Stäbchen und Löffel werden parallel gewaschen und getrocknet. Daraufhin setzt wieder das Essensutra ein, und die Flüssigkeit, jetzt in der kleinsten Schale, wird über den Kopf gehoben und, auf ein Signal hin, ausgetrunken. Dann wird auch diese Schale getrocknet, die Utensilien werden in ein Etui (Stoffsäckchen) verstaut und die zusammengefaltete Unterlage über den Schälchen platziert. Darüber kommt die länglich zusammengefaltete Serviette in Raumrichtung und darüber das aufgefaltete Reinigungstuch, das später bauschig in weiß aus dem grauen Umschlagtuch herausragt, damit es zwischen den Mahlzeiten trocknen kann. Dieses wird als letztes um das Bündel gezogen und mit einem einfachen Halbknoten verschnürt, über den noch ein Schlaufenknoten, zum leichteren Wiederöffnen, gelegt wird. Dieses erfolgt wiederum synchron und ist mit dem letzen Wort des Sutras beendet. Auf ein Klopfzeichen des/der Meisters/in verbeugt man sich mit erhobenem Oryoki-Set, und die Tischchen werden neben das Zabuton gestellt. Dann verlassen alle in Reihe den Raum, zuerst der/die Meister/in oder dienstältester Mönch, dann die Servicepersonen und schließlich, am hinteren Ende des Raumes beginnend, alle anderen. Das Verlassen des Raumes erfolgt mit einer Verbeugung, mit dem Set über dem Kopf zum Altar hin, das sodann in den Vorraum an den separaten Oryoki-Tisch gebracht wird. Auf dieses kommt ein Pappschildchen mit dem (Ordinations-)Namen einer jeden Person.

Abwandlungen und Vereinfachungen dieses Prozederes sind möglich. Insgesamt ist die Oryoki-Zeremonie sehr "erdig", substantiell, lebensnah und in sich doch so feierlich und erhaben, ein Akt von Bodhicitta.

In der monastischen Zen-Tradition spielt das Essen eine große Rolle, und der Tenzo ist eine sehr wichtige Person im Kloster bzw. der Gemeinschaft. Im begleitenden Sutra wird nicht nur allen gedankt, die für dieses Essen gesorgt haben, sondern auch betont, dass das bewusste, aufmerksame Essen ein Element des Weges ist und uns die Verwirklichung unseres Buddhageistes entscheidend mit ermöglicht. Meister Dogen hatte sein erstes Erleuchtungserlebnis in China beim Zusammentreffen mit einem Klosterkoch. Es bereitet große Freude, dieses Geschichte nachzulesen.

Abschließend soll aus dem Sutra ein kurzer Abschnitt in Deutsch zitiert werden, der auch in hiesigen Zen-Gemeinschaften im Alltag vor jedem Essen rezitiert wird (Übersetzung Daihizan Fumonji, Eisenbuch) und sich auch zu Hause für den täglichen Gebrauch anbietet:

Die fünf Betrachtungen (Gokan No Ge)

Mögen wir an unser eigenes Handeln denken
und daran, woher diese Nahrung kommt
und wieviel Mühe damit verbunden ist.

Mögen wir überlegen, ob wir wahrhaft Gutes getan haben,
wenn wir diese Nahrung annehmen.

Mögen wir Gier, Wut und Verblendung umwandeln,
indem wir den eigenen Geist zähmen
und uns von Unheilsamen fernhalten.

Mögen wir diese Nahrung als gute Medizin
für unseren Körper zu uns nehmen.

Wir nehmen diese Nahrung an,
um den Weg der Weisheit und des Mitgefühls zu gehen.


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Quelle:
Buddhistische Montsblätter Nr. 3/2007, Juli - September, Seite 26-29
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2007