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PRESSE/654: Buddhismus - eine Religion ohne Gott ... (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 1, Januar - April 2008
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Buddhismus - eine Religion ohne Gott und ihr Erlösungsweg

Von Axel Rodeck


I. Der Buddhismus als Religion

Inzwischen ist es selbstverständlich, dass der Buddhismus als (Welt-)Religion angesehen wird, und seine Vertreter sind gern gesehene Teilnehmer an interreligiösen Gesprächen. Das war allerdings nicht immer so. Noch 1893 auf dem "Ersten Parlament der Weltreligionen", welches in Chicago im Zusammenhang mit der dortigen Weltausstellung stattfand, wurde darüber debattiert, ob man den Buddhismus als eine "Religion ohne Gott" akzeptieren könne.

Geblieben ist eine gewisse Skepsis, und diese ist sogar berechtigt. Denn die Einstufung als "Religion" ist bereits durch ein bestimmtes Vorverständnis geprägt, sie beruht auf Christentum und christlichem Gottesbild und wird der fernöstlichen Kultur nicht in vollem Umfang gerecht. Das Judentum und seine Tochterreligionen Christentum und Islam glauben an einen persönlichen Gott, der die Welt aus dem Nichts erschuf und sie durch seine fürsorgliche Leitung einem letzten Endziel entgegen führt. Hindus, Buddhisten und Taoisten nehmen dagegen ein natürliches Weltgesetz an, das den kosmischen Prozeß lenkt. Anlaß also, sich einmal mit den Begriffen "Religion" und "Gott" zu befassen.

Schon im eigenen westlichen Kulturkreis ist die Bedeutung des aus dem Lateinischen stammenden Begriffes "Religion" unklar. Er wird einmal von dem Wort "religari" = (an Gott) "gebunden sein", aber auch gemäß dem römischen Staatsmann Cicero von dem Verbum "relegere" = "etwas gewissenhaft beobachten" hergeleitet. (s. hierzu Hartig in DMW 1/2006) Folgt man der weitergefaßten ciceronischen Ableitung, so lässt sich Religion allgemein definieren als: "Die im Erkennen, Denken, Fühlen, Wollen und Handeln betätigte Überzeugung von der Wirksamkeit persönlicher oder unpersönlicher transzendenter Mächte, wobei diese Überzeugung mit dem Glauben an eine sittliche Ordnung der Welt verbunden ist" (nach H. von Glasenapp). Dieser Glaube findet in der Vorstellung von einer sittlichen Verantwortung für das Handeln, von einer gerechten Vergeltung allen Tuns und von der Möglichkeit eines Fortschritts zur höchsten Vollkommenheit seinen Ausdruck. Nach dieser weitgefaßten Definition bestehen keine Bedenken, den Buddhismus als "Religion" zu bezeichnen.

Dennoch ist auf den Einwand der Gottlosigkeit einzugehen, denn gerade in der Gottesfrage bestehen grundsätzliche Unterschiede zwischen dem Buddhismus und den prophetischen Religionen. Freilich ist das Gottesverständnis auch im Westen sehr unterschiedlich. Wir stoßen auf die Vorstellung, dass Gott die Welt in Gang setzte und ihrem Lauf jetzt nur noch passiv zuschaut (Deismus), dass er als Schöpfer der Welt auch deren täglichen Ablauf regelt (Theismus) oder dass Oberhaupt kein Unterschied zwischen Gott und Welt besteht und Gott mit der Natur gleichgesetzt wird (Pantheismus). Kürzlich überraschte Papst Benedikt XVI. mit der Aussage, der christliche Gott offenbare sich gemäß griechisch-philosophischer Tradition in Vernunftkategorien, während der islamische Allah ein weltentrückter Willkürgott sei, absolut transzendent und an keine unserer Vernunftkategorien gebunden: "Unser Gott ist ein anderer als Allah."

Während aber die westlichen Religionen und Philosophien sich um einen positiven Gottesbegriff bemühen, ist der Buddhismus mehr an der Heilsfrage des Menschen interessiert. Buddhas Lehre zielt auf einen praktischen Weg zur Befreiung vom Leiden und tendiert sowohl in Theorie als auch Praxis dahin, nicht-theistisch zu sein. Zwar wird die Existenz von Göttern oder gar eines persönlichen Gottes und Schöpfers von den Buddhisten nicht ausdrücklich bestritten, das Grübeln hierüber erscheint jedoch als Zeitverschwendung, und "wenn Gleichgültigkeit gegenüber einem persönlichen Weltschöpfer Atheismus bedeutet, dann ist der Buddhismus in der Tat atheistisch" (E. Conze). Dabei darf das Wort "Atheismus" aber keineswegs verstanden werden im Sinn der materialistischen Lehre, die nichts Höheres kennt als die trügerische Sinnenwelt. Die materialistische Philosophie der völligen Vernichtung nach dem Tod (ucchedavada) wird vom Buddha mit Nachdruck als falsche Lehre zurückgewiesen.

Während auch v. Glasenapp den Buddhismus als "atheistische Religion" bezeichnet und betont, dies sei keine contradictio in adiecto, widersprechen einige Indologen einer Klassifizierung als "Religion". Man vermisse, so U. Schneider, einen echten Glauben ebenso wie die Bindung an Gott oder irgendeine höhere Macht und es fehle ein Kult. Tatsächlich sei die Lehre Buddhas, vom indischen Standpunkt aus betrachtet, eine philosophische Lehre.

Dagegen kann nach K. Meisig durchaus von Religion gesprochen werden: Der Buddhismus ist, so Meisig, eine Erlösungsreligion, denn sein existenzieller Ansatzpunkt ist das Streben nach außerweltlichem Heil; eine Universalreligion, da sein Erlösungsmodell für alle Menschen gilt; eine Weltreligion von seiner Ausbreitung her und schließlich die Stifterreligion des historischen Buddha Gautama. Der Atheismus des Buddhismus ist eher als Anti-Theismus zu verstehen, da Götter - gleich, ob es sie gibt - nichts zur Erlösung des Menschen beitragen können. Sie werden in der frühbuddhistischen Lehre einfach ignoriert. Buddhas Antwort auf den vorgefundenen indischen Polytheismus war nicht Monotheismus, sondern Rationalismus.

Eine überraschende Lösung bietet der immer auf Ausgleich bedachte Theologe Hans Küng. Ausgehend von den unterschiedlichen Gottesbildern - selbst unter den Monotheisten - stellt er fest, dass man von "Gott" immer spricht, "wo das Heilige als Person, wo Mächte als mit Gestalt und Wille begabte Wesen angenommen werden." Manchmal habe, so Küng, der Gott als Ausdruck seiner Macht sogar viele Namen, manchmal (in hochentwickelten mystischen Religionen) aber auch gar keinen Namen - der namenlose Gott. Statt zu fragen, ob "Gott" mehr personal oder apersonal gedacht werden muß, sei es besser, Gott unpersönlich zu deuten und ihm keinen Namen zu geben. Dies finde exemplarisch im Buddhismus statt - der namenlose Gott in der buddhistischen Religion. Deren unpersönliche und negativ ausgedrückte Sicht des Absoluten sei möglicherweise besser geeignet, die säkularisierte technologische Welt des Westens für hintergründige Erfahrungen aufzuschließen, als die Auffassung eines persönlichen Gottes.

In diesem Sinne sehen Fundamentaltheologen Gott nicht mehr als strafenden Schöpfergott, sondern als eine Chiffre für das allein mit dem Verstand nicht zu Erkennende. Gott ist demzufolge das "personifizierte Absolute" und insoweit nicht nur im Hinduismus, sondern auch im späteren Buddhismus enthalten. Denn der Mahayana-Buddhismus hat zu einer Vergöttlichung der Person Buddhas geführt und den vom Theravada abgelehnten Monotheismus durch die Hintertür wieder hereingelassen. Alle. Religionen gehen demnach von einer unbestimmbaren letzten Wirklichkeit aus und die Besonderheit fernöstlicher Religionen liegt darin, dass sie meditative Techniken zur Erreichung höherer Bewußtseinszustände entwickelt haben.

Will man nicht das Vorhandensein eines namenlosen Gottes konstruieren, ist der Buddhismus also eine Religion ohne Gott, eine atheistische Religion. Der Glaube an einen Gott ist in buddhistischer Sicht eine Variante des Unsterblichkeitsglaubens und somit ein Hindernis für die endgültige Befreiung. Er ist ein Ausdruck des Begehrens nach fortdauernder Existenz, des Willens zu leben. Die frühen buddhistischen Denker haben den Versuch, das Universum, seinen Ursprung und die Lage des Menschen in der Welt mit der Gottesidee zu erklären, als in keiner Weise überzeugend angesehen.


II. Ein "gottloser" Erlösungsweg

1) Die buddhistische Erlösung

Zentrales Problem aller Universalreligionen ist die "Erlösung", also das Angebot eines Heils welches an die Stelle des existenziellen Unheils treten soll. Der Buddhismus setzt als Heilsziel die Befreiung aus dem Kreislauf des mit ständigem Leiden verbundenen Daseins, das "Nirvana" (Pali: nibbana). "Nirvana" bedeutet "Verlöschen", "Verwehen" (von nir-va = ausblasen, aufhören zu atmen) und bezeichnet sowohl den Vorgang des Erlöschens als auch den Zustand des Erloschenseins. Mit Worten ist das Nirvana nicht (positiv) zu beschreiben. Denn es ist eine typisch mystische Heilsgröße, von der die Mystiker aller Kulturen nur in Negationen sprechen, weil ihnen die Inadäquatheit von Begriffen gegenüber dem Absoluten bewusst ist.

In diesem subtraktiven Sprachgebrauch ist Nirvana das Ungeborene und Ungeschaffene. Es ist das Versiegen der Triebkräfte Gier, Haß und Verblendung, das Ende weiteren Geborenwerdens und Sterbens. Doch man wird, wie der Religionswissenschaftler G. Mensching hervorhebt, "ohne eigene Erfahrung diesem Erlösungsereignis nachfühlend nur gerecht werden können, wenn man, was da im Erlösten geschieht, als das irrationale Aufbrechen verdeckter numinoser Wirklichkeit aus der Tiefenschicht menschlicher Existenz zu verstehen versucht."

Das Heilsziel "Nirvana" ist, jedenfalls nach Buddha Gautamas ursprünglicher Lehre, mühsam zu erarbeiten und die meisten Buddhisten werden sich in der Praxis damit begnügen, zunächst einmal eine bessere Wiedergeburt zu erlangen. Für den engagierten Heilssucher dagegen gibt es auf dem Wege zur Heiligkeit vier Stufen: den "Stromeintritt" mit höchstens noch sieben Wiedergeburten, den "Einmalwiederkehrer" mit noch einer Wiedergeburt, den "Nichtwiederkehrer" mit Wiedergeburt in der Himmelswelt und schließlich den "Heiligen", der - schon in dieser Welt - ins Nirvana eintritt. Denn Erlösung besteht in einem Zustand von Glück und Ruhe schon während dieses Lebens, und, wenn dieses zu Ende geht, darin, nicht wiedergeboren zu werden.

Gemäß der später im Mahayana vertretenen Auffassung trägt der Heilssucher die Erlösung bereits in sich - er muß sie aber durch allumfassende (nicht rationale) Weisheit (prajna) in der "Leerheit" erkennen.

Der Buddha Gautama stellte sich mit seiner Lehre vom Nirvana gegen die zeitgenössische Philosophie der Upanishaden. Deren All-Einheitslehre nannte als Heilsziel die mit ewiger Wonne (ananda) verbundene Vereinigung der Einzelseele (atman) mit der Weltseele (brahman). Im Gegensatz zum "Nirvana" ist "Ananda" ein eindeutig positiv besetzter Begriff.


2) Die indischen Wurzeln

Der buddhistische Erlösungsweg geht von altindischen, in den "Upanishaden" enthaltenen Gedanken aus, denn jede geistige Entwicklung erfolgt aus den vorgegebenen geistigen und kulturellen Umständen. Der Buddha verstand sich dabei nicht als Urheber einer neuen Theorie, sondern sah sich als Offenbarer vorgefundener Gesetzlichkeiten, die - wie die Lehren von Wiedergeburt und Karma - einen objektiven Sachverhalt beschrieben und aus denen er mit den "Vier Edlen Wahrheiten" und dem "Achtfältigen Weg" eine erlösungsrelevante Schlussfolgerung gezogen zu haben glaubte.

a) Die Wiedergeburt

Zum vorgefundenen Gedankenmaterial gehört zunächst die Lehre von der Wiedergeburt. Sie besagt, dass es bereits vor dem jetzigen, uns bewussten, Leben schon unzählige andere Leben gab und es auch nach diesem Leben weitere Existenzen geben wird (Prä- und Postexistenzen). Anders als das lineare Weltbild der Monotheisten, welches von einer mit Gottes Schöpfung entstandenen Welt und einem nur zwischen Geburt und Tod stattfindenden Leben ausgeht, kennt das zyklische Weltbild der Inder weder einen ersten Anfang noch ein definitives Ende der Welt und der im Kreislauf des Daseins (samsara) immer (wieder-)geborenen Lebewesen.

b) Das Karma

Die Steuerung der Wiedergeburten erfolgt durch das Tun, durch unsere Taten. Was der Einzelne in einem früheren Leben erlebt und, erlitten hat, was er getan und anderen angetan hat, wirkt sich im derzeitigen Leben aus. Und was er jetzt tut oder unterläßt, wird wiederum die Qualität des nächsten Daseins bestimmen. Dies Gesetz von Ursache und Wirkung nennt man das Karmagesetz (Sanskrit "karma", Pali "kamma" = Tat, Handlung). Die im Laufe eines Lebens durch eigene Taten geschaffenen psychischen Qualitäten sind also bestimmend für die Existenzform, in die man im nächsten Leben wiedergeboren wird.

c) Das Begehren

Antrieb für die Wiedergeburten ist das Begehren, der Wille zu leben und die Gier nach Dasein.

d) Der Atman

Die Upanishaden gehen von der Existenz einer Seele (atman) aus, welche den Tod überdauert und sich immer wieder inkarniert, also "ewig" ist. Es handelt sich dabei um eine feinstoffliche Substanz, eine "Monade" (griech. = "Einheit"), also nicht nur um etwas rein Geistiges. Diese Substanz enthält die Fähigkeit zur Speicherung von Wahrnehmungen und Empfindungen, sie speichert auch die Sinneseindrücke, die aus eigenen Handlungen resultieren, also das "Karma".

Der Buddha erkannte die Wiedergeburtslehre, das Karma-Gesetz und die Gier als Triebkraft der Wiedergeburten als richtig an, lehnte jedoch die Seelenlehre der Brahmanen ab.


3) Die Lehre vom Nicht-Ich

Der Buddha vertrat in scharfem Gegensatz zu den Brahmanen die sonst nur von den Materialisten gehegte Auffassung, eine ewige Seele, ein "Ich", sei in den Wesen nicht zu finden. Zu dieser Erkenntnis kam er durch eine Analyse der fünf "Skandhas" (Pali: khandhas), jener Zusammenklumpung von Daseinsfaktoren (dharmas), die die empirische Persönlichkeit bilden. Es handelt sich um den Körper als physischen Daseinsfaktor sowie die nichtphysischen Daseinsfaktoren Empfindung, Wahrnehmung, Geistesregungen und Bewußtsein. Alle diese fünf Daseinsfaktoren sind vergänglich und unterliegen dem Zerfall. Folglich gibt es im Menschen kein den Tod überdauerndes Etwas, die Person ist ohne Seele (Pali "anatta").

Hinsichtlich der Wiedergeburtslehre unterscheidet sich der Buddhismus also vom Hinduismus darin, daß er gemäß dem Prinzip der Vergänglichkeit alles Irdischen die Existenz von ewigen, zur Wiedergeburt gelangenden Geistmonaden bestreitet. Die Wiedergeburtenkette wird gemäß Buddhas Lehre bewirkt durch einen Konditionismus (Lat. conditio = Bedingung) der Daseinsformen, wonach jede Wiedergeburt eine weitere bedingt. Nach diesem System geht also keine irgendwie geartete Seelenmonade in die neue Existenz über, sondern diese wird konditional geprägt durch die Eindrücke, die der Sterbende hinterlässt. Das Bewusstsein der vorigen Existenz prägt das neue Bewusstsein, ohne jedoch mit ihm identisch zu sein.


4) Die Predigt von Benares

Siddhartha Gautama war inzwischen 35 Jahre alt geworden, als ihm im Jahre 528 v.Chr. unter einem Bodhi-Baum sitzend der große Durchbruch gelang, als er erleuchtet und damit zu einem "Buddha" (Erwachten) wurde. Er beschloß, den von ihm gefundenen Erlösungsweg den Menschen mitzuteilen. Da seine früheren Lehrer inzwischen gestorben waren, suchte der junge Buddha seine ehemaligen Askesegefährten im Gazellenpark Isipatana bei Benares auf, wo diese gerade weilten.

a) Der "Mittlere Weg"

Zunächst galt es, das Vertrauen der ehemaligen Gefährten wieder zu gewinnen. Denn Siddhartha Gautama hatte die sechs Jahre lange harte Askese, die ihm zur erlösenden Einsicht verhelfen sollte und wegen deren Selbsttorturen er bewundert wurde, zu ihrem Verdruß wieder aufgegeben. Er hatte nämlich erkannt, dass nicht Selbstquälerei, sondern meditative Versunkenheit bei ausgeglichener Lebensweise der richtige Weg zur Erleuchtung ist: Ein durch Mangelerscheinungen gequälter Körper ist nur schlecht zum Träger geistiger Suche tauglich. Als er deswegen wieder ausreichend Nahrung zu sich nahm, hatten ihn seine Gefährten enttäuscht und empört verlassen. Deshalb erklärte er ihnen bei seiner Rückkehr zunächst, um ihren Ärger über seinen Abbruch der Askese zu zerstreuen, den "Mittleren Weg" zwischen Selbstpeinigung und Sinnesfreuden:

"Diese beiden Extreme, ihr Mönche, sollte ein in die Hauslosigkeit Hinausgezogener nicht verfolgen. Welche beiden? Einerseits Hingabe an Sinnesfreuden; sie ist die Weise des gemeinen Volkes, dörfisch, banausisch, unedel und zwecklos. Andererseits Hingabe an Selbstquälerei; sie ist schmerzhaft, unedel und (gleichfalls) zwecklos. Diese beiden Extreme, ihr Mönche, hat der Erhabene vermieden, denn er hat erkannt, dass es der Mittlere Weg ist, der sehend macht, Wissen erzeugt, zu Beruhigung (der Leidenschaften), höherer Erkenntnis, Erleuchtung und Verlöschen führt."
(Übersetzung hier und folgend von H. W. Schumann)

Für auf dem Heilsweg befindliche Mönche ist anscheinend nicht die Sinnenfreude, sondern die Verlockung der Askese die größere Gefahr. Daher handelt der Buddha in seinen Lehrreden (vgl. Angereihte Sammlung III 163 "Drei Pfade") die Gefahr sinnenfrohen Lebens mit nur wenigen Sätzen ab, während er lang und ausführlich auf den "qualvollen Pfad" der Asketen eingeht. Dort ist der Asket unbekleidet oder trägt Gewänder vom Abfallhaufen, hat ein ungezügeltes Benehmen und lässt nicht mit sich sprechen, isst weder Fisch noch Fleisch und befolgt seltsame Regeln wie Hock-Askese oder Dornenschlaf. Kurz - er verhält sich asozial, während der "Mittlere Weg" zu Geistessammlung und Weisheit führt.

b) Die "Vier Edlen Wahrheiten"

Sodann vermittelte der nunmehrige Buddha den inzwischen wieder versöhnten Gefährten die erleuchtende Erkenntnis, die er in jener Vollmondnacht unter dem Bodhibaum meditierend erlangt hatte und die den Kern seiner Lehre bilden sollte: Die "Vier Edlen Wahrheiten" und der zur Leidensaufhebung führende achtfache Pfad, der als die vierte Wahrheit identisch mit dem vorstehend genannten "Mittleren Weg" ist. Die Bedeutung der von Buddha Gautama verkündeten vier Wahrheiten wird durch das Adjektiv "edel" unterstrichen. Sie sind für alle im Laufe der Zeit entstandenen buddhistischen Richtungen fundamental und bilden den Rahmen des gesamten buddhistischen Systems. Das berühmte "Sutta vom Andrehen des Dharma-Rades", mit dem der Buddha seine Lehrtätigkeiten in Benares begründete, schildert die "Edlen Wahrheiten" wie folgt:

(1) Dies, Mönche, ist die Edle Wahrheit vom Leiden (dukkha): Geburt ist leidhaft, Alter ist leidhaft, Krankheit ist leidhaft, Tod ist leidhaft; Trauer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung sind leidhaft; mit Unliebem vereint, von Liebem getrennt sein ist leidhaft; Begehrtes nicht erlangen ist leidhaft; kurz: Die "Fünf Aneignungsgruppen" (welche die empirische Persönlichkeit ausmachen) sind leidhaft.

(2) Dies, Mönche, ist die Edle Wahrheit von der Leidensentstehung: Es ist die Wiedergeburt bewirkende, wohlgefällige, mit Leidenschaft verbundene Gier (tanha), die hier und dort Gefallen findet, nämlich: Die Gier nach Lust, die Gier nach Werden, die Gier nach Vernichtung.

(3) Dies, Mönche, ist die Edle Wahrheit von der Aufhebung des Leidens: Die restlose Aufhebung, Vernichtung, Aufgabe, Verwerfung, das Freigeben (und) Ablegen eben dieser Gier.

(4) Dies, Mönche, ist die Edle Wahrheit von dem zur Leidensaufhebung führenden Wege, es ist dieser Achtfache Weg, nämlich Rechte Ansicht, Rechter Entschluß, Rechte Rede, Rechtes Verhalten, Rechter Lebensunterhalt, Rechte Anstrengung, Rechte Achtsamkeit, Rechte Meditation.

c) Der achtfältige ("achtfache") Pfad

Während die ersten drei Wahrheiten eher philosophischer Natur sind, "tritt man mit der vierten Wahrheit auf das weite Feld der Ethik hinaus" (H.W. Schumann). Die in ihr enthaltenen Verfahrensweisen sind keine Gebote, sondern Vorschläge für ein heilsames Leben und es bleibt der freien Entscheidung eines Jeden überlassen, ob er die empfohlenen Regeln beachtet. Keine höhere Macht, kein Gott beurteilt und bestraft die Nichteinhaltung dieser Regeln, sondern das Naturgesetz des Kamma (s.o. II 2b) sorgt mechanisch und unbestechlich dafür, daß jedem die Frucht der Einhaltung oder Mißachtung der Regeln zuteil wird.

Der "Achtweg" ist der praktische und damit für den Heilssucher wichtigste Teil der Buddhalehre und es ist nicht verwunderlich, dass ihn der Buddha in den viereinhalb Jahrzehnten seiner Missionsaktivitäten in zahlreichen Erläuterungen wie folgt präzisierte:

(1) Rechte Ansicht (samma-ditthi) besteht in der Kenntnis des Leidens, seiner Ursache, seiner Aufhebung und des Weges zu seiner Aufhebung, mit anderen Worten: im Vertrautsein mit den Vier Wahrheiten.

(2) Rechter Entschluß (samma-sankappa) ist die Entscheidung zur Entsagung (d. h. Abkehr vom übertrieben genießenden Leben), zum Wohlwollen allen Wesen gegenüber und zur Nicht-Schädigung.

(3) Unter Rechter Rede (samma-vaca) ist die Vermeidung von Lüge, übler Nachrede, Beleidigung und Geschwätz zu verstehen.

(4) Rechtes Verhalten (samma-kammanta) bedeutet, abzustehen vom Töten, vom Nehmen dessen, was nicht gegeben wurde (also vom Stehlen) und von sinnlichen Ausschweifungen.

(5) Auf die Art des Broterwerbs zielt die Regel Rechter Lebensunterhalt (samma-ajiva). Falsche Arten des Geldverdienens, nämlich durch Tätigkeiten, die andere Wesen schädigen oder quälen, hat der Anhänger des Buddha aufzugeben.

(6) Die Rechte Anstrengung (samma-vayama) ist nach innen gerichtet. Der Mönch - Gautama spricht hier ausdrücklich vom 'Bhikkhu' - kämpft darum, daß ihm neue unheilsame Regungen nicht entstehen und die vorhandenen absterben. Ebenso ist er bemüht, heilsame Regungen in sich zu erzeugen und die bestehenden zu erhalten.

(7) Vorrangig, jedoch nicht ausschließlich eine Mönchsdisziplin ist die Rechte Achtsamkeit (samma-sati). Nachdem der Bhikkhu weltliches Sinnen und Trachten verworfen hat, weilt er in geistiger Klarheit in Betrachtung seines Körpers, seiner Empfindungen, seines Denkorgans und der Denkobjekte. Zweck dieser Übung ist es, alle an der eigenen Person festzustellenden Abläufe und Funktionen unter die Kontrolle des Geistes zu bringen.

(8) Der Zeit von Gautamas Askese entstammt die Regel der Rechten Meditation (samma-samadhi). Es handelt sich um die vier Versenkungsstufen (jhana), die seinerzeit den Geist des jungen Asketen zur Erleuchtung fähig gemacht hatten. Zweck dieser Versenkungen ist es, den Meditierer von der Welt weg zu wenden, ihm das Erlebnis der Inneren Stille zu vermitteln und seinen Geist für höhere Einsichten zu präparieren.

Die Praxis machte es erforderlich, die Glieder des achtfältigen Pfades durch fünf weitere sittliche Verhaltensregeln (silas) zu ergänzen, nämlich um die auch in anderen Kulturen bekannten Anforderungen nicht zu töten, nicht zu stehlen, sexuelles Fehlverhalten zu unterlassen, nicht zu lügen und keine berauschenden Getränke zu sich zu nehmen (vgl. die biblischen "Zehn Gebote"). Dazu kamen zusätzlich fünf Regeln speziell für Mönche. Ohne "Sittlichkeit" kann der buddhistische Erlösungsweg nicht erfolgreich beschnitten werden.


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Es spricht einiges dafür, den Buddhismus und den Konfuzianismus gar nicht als Religion anzuerkennen, sondern als ethische Systeme oder Lebenssphilosophien.
(Evolutionsbiologe Richard Dawkins)


Das erste der grundlegenden Prinzipien des Buddhismus ist der Atheismus. Mögen über den Menschen noch so viele Stufen und Reiche intellektueller Wesen sein, wir erkennen sie an - aber die Anerkennung eines Schöpfergottes als eines Herrn aller Kreaturen lehnen wir aufs Schärfste ab.
(Junjiro Takakuso)


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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
39. Jahrgang, Januar - April 2008/2551, Nr. 1, Seite 6-11
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
Drostestr. 8, 30161 Hannover,
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E-mail: info@buddha-hannover.de
Internet: www.buddha-hannover.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2008