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PRESSE/675: Interview mit der Nonne Ani Choying Drolma (Buddhistische Monatsblätter)


Buddhistische Monatsblätter Nr. 1/2008, Januar-März
Buddhistische Gesellschaft Hamburg e.V.

"Die Belehrungen unserer Mutter kamen aus der ganzen Wärme ihres Herzens".

Interview mit der Nonne Ani Choying Drolma (Tibet/Nepal), geführt von Holger Stienen (Korin)


Ani Choying Drolma ist eine Nonne aus Nepal und hat tibetische Wurzeln. Sie ist wegen ihrer Stimme weltweit bekannt und nutzt diese, um Spenden für das Klosterinternat Aya Tara für junge Nonnen, das sie gegründet hat und dem sie vorsteht, einzuwerben. Sie war zur Nonnenausbildung im Nagi Gompa, ihr Lehrer war der bekannte Tulku Urgyen Rinpoche. Sie war schon einige Male in Hamburg und sang während der Vesakh-Feier 2006 in Planten un Blomen. Während des Dalai Lama Besuchs 2007 kamen zu ihrem Konzert im großen Hörsaal der Universität, von der Fachschaft des AAI mit Unterstützung der BGH veranstaltet, 700 beeindruckte Besucher. In Interviews (vgl. www.choying.de) auch auf ihrer Website www.choying.com, ist sehr viel von ihren Rezitationen (Mantras) und Liedern die Rede und weniger von ihrem spirituellen Leben. Daher wurde im folgenden Interview (aus dem Englischen übersetzt) der Schwerpunkt mehr auf die spirituelle Seite ihres Lebens gelegt.


BUDDHISTISCHE MONATSBLÄTTER (BM): Bitte erzähle uns etwas über deine Kindheit und Jugend. Wurdest du buddhistisch erzogen?

ANI CHOYING DROLMA: Meine Eltern waren als Tibeter kulturell sehr buddhistisch. Über den Dharma habe ich aber ausführlich erst im Kloster gehört.

BM: Dennoch bin ich auch an deinem frühen Leben interessiert; du wuchst also buddhistisch auf?

ANI CHOYING DROLMA: Nun, zu Hause war es in erster Linie meine Mutter, die uns erzog. Manchmal, als kleines Kind, war ich erschrocken, wenn sie uns durchaus heftig zwickte, wenn wir Insekten jagten. Manchmal kamen uns sogar die Tränen und sie meinte dann: "Jetzt fühlt ihr, wie weh schon ein kleines Zwicken tut und ihr wollt ein ganzes Lebewesen zerstören". Damals brachte sie mir das Mantra des Mitgefühls bei und dass ich niemals ein Insekt töten sollte. Auf diese Weise erzog sie uns. Sie sagte, wir sollten niemals lügen, niemals stehlen, niemals töten. So wurde ich in buddhistischer Ethik durch meine Mutter erzogen. Und sie übte mit uns das Om-Mantra.

BM: Denkst du, dass Kinder in Tibet oder tibetische Kinder in Nepal heutzutage in dieser Hinsicht besser erzogen werden als Kinder hier bei uns im Westen, die sich schon in der Sandkiste durchsetzen müssen?

ANI CHOYING DROLMA: Nein, nein, nicht so. Aber, wie ich schon sagte, es sind die Mütter in den unterschiedlichen Kulturen, die das Beste wollen und Kinder so erziehen, wie sie es selber erfuhren. In der tibetischen Familie ist es einfach kulturell so, dass die buddhistischen Grundsätze die Basis für die Erziehung sind. Und die Eltern gehen mit den Kindern, auch den ganz jungen, bereits in die Tempel und Klöster, den heiligen Orten, um zu beten. So ergibt sich einfach aus der Tradition heraus eine ganz frühe Affinität zur Lehre Buddhas.

BM: Wie waren deine Gefühle damals, wenn ihr in die Tempel gingt? Ich frage das auch deshalb, weil ich als Kind katholisch aufwuchs und oft zur Kirche ging und die Zeremonien mochte, den Weihrauch, noch bevor ich irgendwelche Texte verstand.

ANI CHOYING DROLMA: Ja, als Kind verstand ich viele Dinge zunächst auch nicht ganz. Aber es war immer wieder meine Mutter, die uns Beispiele gab, z. B. was Leiden bedeutet, wenn man anderen wehtut. Dann zog sie an unseren Lippen. Sie gab uns Weisungen, um ein besserer Mensch zu werden, ein besseres Karma zu bekommen. Besseres Karma bedeutet besseres Leben. So erzog sie uns. Und daher versuchten wir bereits als Kinder, ein besseres Leben zu führen. Die Belehrungen unserer Mutter kamen aus der ganzen Wärme ihres Herzens.

BM: Und dann entschiedst du dich ganz allein fürs Kloster?

ANI CHOYING DROLMA: Oh ja, ganz allein. Aber dieser Wunsch entstand nicht nur aus spirituellen Gründen, Meditationsabsichten usw., sondern ganz einfach auch deshalb, weil ich nicht heiraten wollte und in unserer Kultur kann man dann als Frau nur Nonne werden. Wenn man zu Hause bleibt, werden eines Tages die Eltern für einen entscheiden und eine Heirat herbeiführen. Aber eine Heirat sah ich nicht als meine Lebensperspektive an.

BM: Wie war deine Ausbildung im Kloster? Was hattest du zu tun, was zu lernen, die Zeremonien?

ANI CHOYING DROLMA: Als ich mit 14 Jahren ins Kloster kam, erhielten wir, wenn auch eingeschränkt, eine akademische Ausbildung. Aber wir lernten alles über die Rituale, Zeremonien sowie das Rezitieren von Sutras und Puja-Texten. Und unser Lehrer brachte uns auch die Meditation bei, unsere Gedanken zu überschauen; wir hatten tägliche Meditationsübungen. Über die buddhistischen Grundlagentexte erhielten wir jedoch zunächst wenig Unterricht.

BM: Aber du konntest damals schon lesen und schreiben?

ANI CHOYING DROLMA: Bevor ich ins Kloster kam, hatte ich eine reguläre Schule besucht.

BM: Als Zen-Buddhist bin ich sehr an der Meditation interessiert. Bitte erzähle etwas über deine Meditationspraxis. Sind deine Meditationsperioden eher lang oder kurz?

ANI CHOYING DROLMA: Je länger du meditierst, desto besser, besonders wenn du es täglich machst. Als junge Nonne war ich etwas "hyper" (sie lacht) und nicht immer gut zentriert. Wir hatten jeden Abend mit unserem Lehrer Meditationsübungen. Während unserer rituellen Zeremonien praktizieren wir auch viele Mantra-Rezitationen, in gewisser Weise der Meditation verwandt, da sich die Gedanken im Mantra auflösen. Wir nutzen dabei dieselben Visualisierungen wie in unserer Meditation.

BM: Daher also der Ansatz, diesen meditativen Charakter der Mantras in deine Gesänge zu übertragen?

ANI CHOYING DROLMA: Oh ja, ganz genau. Wenn wir unsere rituellen Zeremonien abhalten, geschieht dieses immer auf eine wundervolle, melodische Art, in der wir im Chor die Mantras ausführen. Nicht einfach nur in einem Takt, da, da, da. Wir haben Melodien in dieser Art... (beginnt im Café leise zu singen), mit modulativen Stimmen. Wir müssen sehr viele dieser Gesänge lernen. Ich liebte viele der Melodien. Damals natürlich nicht, um Sängerin zu werden. Erst später, 1996, kam ein Sänger aus den USA zu uns und schlug vor, eine CD aufzunehmen.

BM: Du bist häufig auf Reisen und dann dem regelmäßigen Alltag einer Nonne fern. Wie sieht dann dein Praktizieren aus?

ANI CHOYING DROLMA: Ach ja, ich habe dann viel Zeit, besonders am Morgen. Ich übe dann meine Gesänge und die gängigen Rezitationen und meditiere auch, das ist sogar möglich, wenn man im Zug reist. Ich nehme mir hierfür immer Zeit, jedoch nicht unbedingt immer zur selben Tageszeit (Anm. BM. Vor ihrem Konzert in Hamburg ging sie auf dem Boden liegend, inmitten der Standbesetzung, für etwa 30 Minuten in tiefe Versenkung). Buddhas Lehre ist, immer bei sich zu sein, ständig in Achtsamkeit. Du hast alle Zeit, diese Präsenz auf sehr essentielle Weise zu praktizieren. Wenn du immer achtsam bist, und dabei vielleicht ein Mantra melodiös rezitierst, bringt dich diese Übung direkt auf den Weg des Mitgefühls und hilft dir bei deiner eigenen Entwicklung.

BM: Es gibt also komponierte Melodien deiner Gesänge. Woher stammen aber die Texte?

ANI CHOYING DROLMA: Die Mantras haben ihre Melodie und wurden von den spirituellen Meistern vergangener Zeiten im Rahmen ihrer Meditationspraxis entwickelt. Die spirituellen Lieder wurden zumeist auch nicht von mir komponiert, sondern ich habe sie von meinen Lehrern gelernt. Einige sind auch neue Songs, in Pali geschrieben. Sie stammen von Komponisten in Nepal. Diese Lieder singe ich, um den Menschen in Nepal den Dharma näher zu bringen (Anm. BM. Eines dieser Lieder war monatelang in der Hitparade Nepals). Seit der Zeit des historischen Buddha spielte Musik eine besondere Rolle, um Menschen zum Zuhören zu bringen und ihr Herz aufzuschließen. Melodien können eine Methode sein, um Menschen zu helfen, ihren Geist wahrzunehmen. Melodien können helfen, den Geist zu öffnen und so zu entspannen, dass sich die Dinge des Lebens leichter erschließen lassen. Melodien sind dann eine Methode der Übung. Deshalb helfen Mantras und gesungene Rezitationen auf dem Übungsweg.

BM: Ich wollte dich gerne noch etwas über dein Projekt fragen, die nächsten Schritte, die Zukunft?

ANI CHOYING DROLMA: Natürlich würde auch ich gern Erleuchtung erlangen, um das vorwegzuschicken. Aber für unsere Länder, Tibet, Nepal, Indien, ist es besonders für die Mädchen und jungen Frauen wichtig, dass sie eine Bildung von hoher Qualität erhalten, wenigstens so gut wie die der Jungen. Ich sage das auch mit Blick auf die Nonnen und Mönche. Mönche erhalten viel einfacher Zugang zur höheren akademischen Ausbildung als Nonnen. Das trifft in hohem Maße auch für den tibetischen Buddhismus zu. Und diese Nonnen, so wie alle Frauen, sollten bald Zugang zu höherer Bildung erlangen. So können sie auch viel besser für den sozialen Wandel hin zu einer besseren Welt arbeiten. Dies ist meine Botschaft und "Mission", die ich voranbringen möchte, wo und wie auch immer es möglich ist. Teil davon sind auch meine Konzerte. Auf diese Weise kann ich den Erfordernissen des Projekts genügen und es voranbringen. Die jungen Nonnen und ihre Eltern müssen nichts bezahlen, wenn die Mädchen zu uns zur Ausbildung kommen. Sie arbeiten im Haus und gehen zum Unterricht. Die Eltern können oft nichts zahlen, weil sie bereits die Ausbildung ihrer Söhne finanzieren. Daher haben die Mädchen keine Chance auf eine weiterführende Ausbildung. Ich denke, dass ich mit dem Projekt in unserer Gesellschaft wirklich helfen kann. Ich versuche gleichzeitig zu vermitteln, dass es auch in unserer Gesellschaft ein großes Glück ist, den Töchtern höhere Bildung zukommen zu lassen. Ich möchte denjenigen etwas Hilfe geben, die sie wirklich benötigen. Buddhas Botschaft wird von allen gebraucht, besonders was die Frage des Leidens betrifft. Wir sollten aber nicht nur über die hohe Lehre sprechen. Die Menschen leben jetzt und brauchen Essen, Wissen, handwerkliche Ausbildung, Unterkunft, Medizin. Was ich dabei tue ist, das relative Leiden mindern zu helfen. Dem habe ich mein Leben gewidmet. Und ich habe das Gefühl, gesegnet zu sein, weil ich diese Begabung zu singen habe. Ich bitte Menschen nicht nur um Unterstützung, ich biete ihnen an, zuzuhören, sich selbst zu finden, das ist me in Weg.

Als nächstes möchte ich in Nepal ein Krankenhaus bauen, eine Klinik für Nierenkranke. Es gibt verschiedene Spezialkliniken, aber keine für Nierenerkrankungen. Es gibt zwar ein Dialyse-Zentrum, jedoch keine Transplantationsklinik. Die Leute müssen nach Indien fahren. Aber eine normale Familie kann sich das nicht leisten. Nierenkranke sterben langsam und qualvoll. Das sind starke Leiden, denen ich Abhilfe schaffen möchte. Auch meine Mutter starb auf diese Weise, ihr konnte ich wenigstens etwas helfen. Seither bin ich fest entschlossen und arbeite daran, für andere etwas in dieser Sache zu tun.

BM: Und was sind, dich selbst betreffend, deine Wünsche für die Zukunft?

ANI CHOYING DROLMA: Jeden Tag meines Lebens auf dem spirituellen Pfad bleiben. Immer auf der Suche nach einem besseren Verständnis anderer Menschen und der Hilfe für sie. Mit spirituell meinst du wahrscheinlich die Praxis von Retreats, Meditation usw. Eines Tages werde ich ein längeres Retreat antreten und mich dann ganz dieser Praxis widmen. Aber im Moment bleibe ich erst einmal produktiv und sammle Spenden und gebe Hilfe. Ich strukturiere mein Leben auch nicht auf die Weise, dass ich jetzt dieses tue und jenes später. Ich pflege spontan zu entscheiden, aber verliere niemals in meinem Leben die Hauptrichtung. Das war, auch im Rückblick, bisher immer so. Sicher werde ich auch Retreats absolvieren, wenn ich auch eine Person bin, die nicht daran glaubt, dass man Erleuchtung erlangen kann, wenn man sich in einen Wald zurückzieht. Du musst die Natur deines Geistes kennenlernen und ständig daran arbeiten, egal ob in der Stadt oder im Wald. Alles dreht sich um Verwirklichung (Realisation). Dafür braucht man nicht sein Leben lang im Dschungel einem Tiger gegenüber zu sitzen, wie es ein paar verrückte Yogis schon in der Vergangenheit getan haben... (lacht).

BM: Ich als Zen-Buddhist denke ähnlich. Jeden Tag intensiv leben, in der Stadt, auf dem Lande oder wo auch immer.

ANI CHOYING DROLMA: Ja, achtsam (lacht noch).

BM: Genau darum geht es doch....

ANI CHOYING DROLMA: ...und allen und allem gegenüber bewusst sein und nicht in planlose Aktivitäten verfallen....

BM: Danke, vielen herzlichen Dank für dieses Interview.


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Quelle:
Buddhistische Monatsblätter Nr. 1/2008, Januar-März , Seite 20-24
Herausgeberin: Buddhistische Gesellschaft Hamburg e.V.,
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Tel.: 040 / 6313696, Fax: 040 / 6313690
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2008