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PRESSE/720: Stimmen zum "Karma" und "Buddhayana" (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 3, September - Dezember 2008
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Nachlese: Stimmen zum "Karma" und "Buddhayana"

Von Axel Rodeck


Die Aufsätze in Heft 2/2008 DMW über "Karma und Zufall" sowie "Buddhayana" haben zu einer erfreulich großen Resonanz geführt und wir stehen vor der Frage, wie wir die beachtenswerten Gedanken einiger unserer Leser einem größeren Kreis weitergeben können. Der Abdruck als "Leserbriefe" wäre sicherlich nicht angemessen und so wollen wir folgend mehrere Äußerungen in einem eigenen Beitrag zusammenfassen.

1. Die erste Ergänzung bezieht sich auf "Karma und Zufall". Dr. H.W. Schumann weist darauf hin, dass Menschen, die von ihrem Naturell her einen gefährlichen Beruf (z.B. Flieger, Taucher usw.) ergriffen haben, Schäden durch "Zufall" eher ausgesetzt sind als z.B. Buchhalter. Insofern habe das Karma doch Anteil an den Schäden, die einem Menschen durch äußere Zufälle entstehen. Dem ist zuzustimmen - und bezüglich des in Heft 2/2008 erörterten Beispiels mit dem auf einen Fußgänger fallenden Dachziegels kann man sagen: Wer aufgrund seines Karmas Briefträger geworden ist, ist wegen seiner beruflichen Wege entlang der Hausfronten weitaus "dachziegelgefährdeter" als ein beruflicher Stubenhocker.

Zur "Plausibilität" der Karmatheorie stellt Schumann fest: "Karma und Wiedergeburt sind Arbeitshypothesen, die gewisse Erscheinungen erklären und Fragen beantworten. Vielleicht gibt es einmal bessere Hypothesen - aber ich habe da nicht viel Hoffnung."

2. Ebenfalls sehr gründlich hat Dr. Hellmut Hecker unseren Beitrag durchgearbeitet und viele Anregungen (und auch Korrekturen) mitgeteilt. Zum Karma und unserem Beispiel mit dem Dachziegel nimmt H. Becker ausführlich Stellung und wir wollen folgend seine Ausführungen wiedergeben:

"Wann der Dachziegel fällt und wer aus bestimmten Gründen gerade dort vorbei geht, ist eine materielle Kausalität, aber ob der Betreffende dann getötet wird oder nur erschreckt, das ist die karmische Kausalität, das moralische Gesetz. Euphemistisch sprechen wir von einem Schutzengel oder einem Wunder, wenn einer mit dem Leben davon kommt - aber real ist es sein Wirken von einst, das ihm Langlebigkeit beschert und damit einen vorzeitigen Tod verhindert.

Ähnlich vielschichtig ist es mit dem sog. 'Kollektivkarma'. Wenn 10 Leute einer terroristischen Vereinigung angehören und wegen dieses Straftatbestandes verurteilt werden und im Gefängnis sitzen, dann hat kollektives Wirken zu einer kollektiven Strafe geführt. Wer wollte das leugnen? Aber entsprechend ist es auch bei Wirken in früherem Leben. Alle Menschen, die den 2. Weltkrieg erlebt haben, erleben dies aus früherem Wirken. Aber wie unterschiedlich wird dieses sog. 'Kollektivkarma' erlebt? Ich las Berichte von chinesischen Mystikern in einsamen Gebirgsgegenden Chinas, die überhaupt nichts vom 2. Weltkrieg gemerkt oder auch nur gehört haben! Und ein Vetter von mir fand diesen Krieg als die glücklichste Zeit seines Lebens: Er war nämlich als Kapitän eines deutschen Handelsschiffes mit diesem fünf Jahre in Teneriffa festgehalten für Funkverkehr mit deutschen U-Booten im neutralen Spanien. Er lebte dort wie in Dauer-Urlaub. Oder: Ich wurde zwar 1943 in Hamburg total ausgebombt (schlechtes Kollektivkarma), aber dadurch wurde ich nach Ahrensburg verschlagen, wo Paul Debes wohnt, durch den ich zur Lehre (Buddhas, die Red.) kam. 'Glück im Unglück' sagen wir. Aber besser wäre: Gemischtes Karma."

3. Nun bedanken wir uns zunächst bei unserem aus beruflichen Gründen leider von Hannover weggezogenen Mitglied Dr. Stefan Eilers für seine Grüße aus dem fernen Hessen und seine positive Kommentierung unserer Zeitschrift. Diese gehört seiner Meinung nach zu den wenigen Blättern, die kritisch mit dem Thema "Buddhismus" umgehen und zusätzlich gesellschaftliche Themen ansprechen. In Gesprächen mit Buddhisten findet Stefan immer tiefgreifende Unsicherheiten bei buddhistischen Grundthemen, die oft schamhaft verschwiegen werden. Eben hier, so dürfen wir betonen, möchte der "Mittlere Weg" sachlich und undogmatisch Hilfe geben.

Zum Thema "Buddhayana" hat Stefan die Frage gestellt, wie denn eine Entmythologisierung der Buddhalehre geschehen solle, "ohne das Kind gleich mit dem Bade auszuschütten", und ob eine Psychologisierung des Dhamma erstrebenswert sei. Stefan ist zu der Auffassung gekommen, dass es inzwischen in Deutschland zwei unterschiedliche Sichtweisen des (Theravada-)Buddhismus gibt, die er wie folgt aufzeigt:

a) "Wissenschaftlicher Buddhismus": Der Realitätsbegriff der Naturwissenschaft und der Dhamma werden miteinander verbunden. Die naturwissenschaftlichen Gesetze stehen ergänzend zu den 'psychologischen' Gesetzmäßigkeiten des Dhamma. Sie ergänzen sich und widersprechen sich nicht. Kamma ist kein Wirkmechanismus, der geheimnisvoll im Verborgenen seine Strippen zieht, sondern wird als Teilaspekt der Konditionalität verstanden. Die Realität wird als subjektives Abbild einer äußeren Welt betrachtet, die von der Psyche - je nach subjektiver Erfahrung - eingefärbt wird.

b) "Mystischer Buddhismus": Der Dhamma beschreibt eine Realitätssicht, bei der die Wahrnehmung als rein subjektiver Vorgang verstanden wird. Die wahrgenommene Realität ist 'ausschließlich' die Erfahrung des eigenen Wirkens (hier passt das deutsche Wort "Wirklichkeit" sehr gut). Hierbei wird sich auf die in Indien vor 2500 Jahren vorherrschende Sichtweise bezogen, dass es keine objektive Realität an sich gibt, die unabhängig von der Psyche des Beobachters existiert. Diese Sichtweise führt dann in der Praxis dazu, dass alles Erfahrene 'vipaka' ist, also die Frucht des eigenen Kamma. Kamma wird somit zu einem mystischen Wirken im Hintergrund, dem man nicht entrinnen kann. Das Konzept der Konditionalität wird oftmals reduziert auf reine Kausalität. Das wird dadurch deutlich, dass Kamma als einzige Ursache für die erlangten Erfahrungen gesehen wird. Dass bei der Konditionalität immer mehrere Faktoren zusammenspielen müssen und dass Kamma nur eine der vielen Bedingungen ist, wird oftmals vernachlässigt. Die aus dieser Sichtweise offenkundigen Konflikte mit dem Abhidamma werden nicht thematisiert.

"Viele", so fährt Stefan fort, "werden mir jetzt vorhalten, dass die Unterscheidung der Realitätssicht nur Haarspalterei ist und für den Heilsuchenden nicht von Belang wäre. Ich sehe das anders, da ich hier in den Gesprächen mit Buddhisten klar festgestellt habe, dass diese unbeantwortete Fragestellung eine wesentliche Ursache für Missverständnisse und sogar Aberglaube ist. Ich habe selbst erlebt, wie von sehr gelehrten Buddhisten (die dem westlichen Kulturkreis entsprungen sind) die angeblichen Wunderhandlungen von Buddha (gleichzeitig an mehreren Orten ...) damit erklärt wurden, dass eine vollkommene Einsicht in das Dhamma zur Überwindung der physikalischen Gesetze führen könne. Es wäre somit möglich, über Wasser zu gehen, wenn man die Einsicht erlangt hätte, dass Wasser ja gar nicht real existiere! Wenn wir soweit sind, dann ist es aus meiner Sicht wirklich Zeit, die buddhistische Lehre zu präzisieren. Und die Klärung der Realitätssicht des Buddhismus halte ich für das Fundament, auf dem das ganze Gebäude zu errichten ist."

Wir danken unseren engagierten Lesern und Schreibern für die zum Nachdenken anregenden obigen Beiträge.


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"Wenn jemand versucht, den Sinn seines Lebens zu finden, so ist dies bereits das Ergebnis seines guten Karmas aus früheren Leben.
Alle, die dieses Wissen nicht zu erlangen suchen, verschwenden nur ihr Leben."

Ramana Maharshi


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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
40. Jahrgang, September - Dezember 2008/2553, Nr. 3, Seite 26-27
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
Drostestr. 8, 30161 Hannover,
Tel. und Fax: 05 11/3 94 17 56
E-mail: info@buddha-hannover.de
Internet: www.buddha-hannover.de

"Der Mittlere Weg - majjhima-patipada" erscheint
nach Bedarf und ist für Mitglieder kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2008