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PRESSE/738: Buddha unterm "Lichterbaum" (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 1, Januar - April 2009
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Buddha unterm "Lichterbaum"
Eine Betrachtung zu einem jahreszeitlich aktuellen Anlaß

Von Friedrich Fenzl


Vorwort

In diesen Tagen nähern wir uns wieder einem Fest, das in der abendländisch-christlichen Welt das höchste im Jahreskreislauf ist (ein wenig anders ist die Situation im östlichen orthodoxen Christentum: Dort ist das Osterfest der Höhepunkt des kirchlichen Jahreszyklus). Viele westliche Buddhisten betrachten das Weihnachtsfest mit einigermaßen gemischten Gefühlen: Einerseits sind sie in den hektischen, oft infarktiösen Trubel der vorweihnachtlichen Festvorbereitungen eingespannt, besonders wenn sie im Berufs- und Geschäftsleben stehen, denn das Weihnachtsfest artet in unserer säkularisierten und materialistischen Konsumgesellschaft immer zu einem "Konsumrausch" aus, der gar nicht dem Geist des Buddhismus entspricht.

Andererseits wissen sie nicht, wie sie dieser religiösen, wenn auch christlich geprägten Periode des Jahres eine festliche Note geben sollen. Dies trifft besonders auf Familien mit Kindern zu. Die Kinder werden von dem "Festtrubel" angesteckt, sie begegnen ihm in Schule und Kindergarten, im Kreise ihrer andersreligiöser Altersgenossen. Man erwartet sich Geschenke, man möchte feiern, man möchte einen "Lichterbaum" haben. Wie kaum ein anderer Gegenstand symbolisiert der lichtergeschmückte Tannen- oder Fichtenbaum diesen Abschnitt des Jahreskreislaufs. Während Adventskranz oder Weihnachtskrippe in mehr christlich betonte Familien Eingang finden, hat der Lichterbaum weiteste Verbreitung gefunden und sich seinen Platz selbst in nichtchristlichen und materialistischen Ländern erobert.

Wir Menschen sind weitgehend durch den Kulturkreis geprägt und erzogen worden, in dem wir aufgewachsen sind und in dem unsere geistige Prägung als Kinder, Jugendliche und Erwachsene erfolgte. Wir bleiben dieser kulturellen Punzierung auch dann treu, wenn wir aus freien Stücken eine Religion angenommen haben, die nicht in diesem Kulturkreis entstanden und dort beheimatet ist und daher kein flur diesen Kulturkreis charakteristisches Brauchtum entwickelt hat. Nicht umsonst spricht die Psychologie von einem "Kulturschock" (culture shock) den jemand erleidet, der in einen ihm fremden Kulturkreis versetzt wird, selbst wenn er aus rationalen Gründen eine in jenem Kulturkreis beheimatete Religion angenommen oder durch Familientradition übernommen hat.

Ich möchte Ihnen das durch ein Erlebnis aus meinem eigenen Leben illustrieren:

Als ich im Jahr 1968 zu buddhistischen Studien in Japan weilte, war das mein erstes Weihnachtsfest fern der Heimat, fern der Familie und fern der kulturellen Umwelt, in der ich aufgewachsen bin. Ein großes Gefühl der Einsamkeit und Verlassenheit befiel mich. In dem Studentenwohnheim, in dem ich lebte, hatten wir als Englisch-Instruktorin eine junge Nisei (Japano-Amerikanerin der zweiten Generation). Obwohl aus einer alten buddhistischen Familie stammend, ehemalige Dharmaschullehrerin ihres Tempels und praktizierende Buddhistin, war sie, die in einer kleinen Stadt in Kalifornien aufgewachsen war, vom westlichen Kulturerbe geprägt. Sie erzählte mir, dass sie sich nach einem Lichterbaum sehne, weil er für sie Heimat und Familie symbolisiere.

Meine japanischen Kommilitonen hatten dafür wenig Verständnis. Sie meinten, dass nur geschäftstüchtige Kaufhäuser, und ähnliche Einrichtungen Lichterbäume im Dezember aufstellten, um den Umsatz anzukurbeln. Frau M. und ich waren aber der Meinung, dass der Baum auch ein buddhistisches Symbol sein könnte (Bodhibaum?!) und dass er auch ein Ausdruck der Verbundenheit mit unseren Familien sei. In Kalifornien, so erzählte sie mir, stellten selbst die meisten buddhistischen Geistlichen Lichterbäume in ihren Wohnungen auf, besonders wenn sie Kinder hätten. Nur ein einziger weigere sich, dies seinen Kindern zuliebe zu tun und "the Kids are very poor", weil sie sich im Kreise ihrer Schul- und Spielgefährten ausgeschlossen und benachteiligt fühlten. Frau M. beschloß, einen Tannenbaum in ihrer Wohnung aufzustellen, und sie lud mich zu einer kleinen Feier ein.

Ich muß gestehen, dass diese buddhistische "Weihnachtsfeier" in einem buddhistischen Land eine der eindrucksvollsten meines Lebens war.


Die "Heilige Nacht" war im Dezember

Als das herausragendste Ereignis der buddhistischen Heilsgeschichte erscheint uns die "Nacht der Erleuchtung" Shakyamunis, in der der Tathagata den Weg, der zur Überwindung des Leidensprozesses (samsara) führt, klar erkannte und allen Verführungskünsten und Kniffen Maras widerstand. Wir wissen nicht genau, wann diese Nacht war, und es dürfte selbst für akademisch geschulte Indologen und Buddhologen schwierig sein, ein Datum festzulegen. Aber während man in der Welt des südlichen Buddhismus dieses Ereignis im Monat Mai (Vesak) feiert, wird der "Nacht der Erleuchtung" im nördlichen Buddhismus Japans, Chinas und Koreas am 8. Dezember gedacht. Das ist religionspsychologisch nur zu verständlich. In der Winterkälte und Dunkelheit nördlicher Breitengrade, in der alle Wachstumsprozesse zum Stillstand gekommen sind, erscheint das alles durchstrahlende Licht der Erleuchtung, das letztlich auch den Sieg über die Finsternis des Geistes und die Materie symbolisiert, im Dezember zu feiern angebrachter als in südlichen Gefilden, wo üppiges Wachstum das ganze Jahr über das Auge erfreut.

In vielen Tempeln Japans versammeln sich am Abend des 8. Dezember die Gemeindemitglieder zur "Bodhitagsfeier" und es ist ungemein eindrucksvoll, wenn dutzende oder gar hunderte Menschen, jeder eine brennende Kerze tragend, in die kalte Winternacht hinausschreiten. Man gedenkt auch der Armen und Mittellosen und bereitet ihnen eine kleine Bodhitagsfreude mit Gaben und Geschenken. Ich hatte Gelegenheit, einer solchen Bodhitagsfeier am 8. Dezember 1968 im Yamatoji-Tempel in Kyoto beizuwohnen. Sie wird mir immer unvergessen bleiben.


Der elfte Monat - der Monat des "Buddhas des unermesslichen Lichts"

"Eine geliebte Persönlichkeit verbreitet goldenen Glanz über das Winterdunkel des elften Monats", so beginnen Juliet Bredon und Igor Mitrophanow in ihren Standardwerk über chinesische Kultur "DAS MONDJAHR" und sie fahren fort: "das ist der Buddha Amitabha, der volkstümlichste Buddha in China. Er thront in den Tempeln zwischen zwei dienenden Bodhisattvas. Diese, kaum weniger glorreich als er, sind Ta Shih Chih, der "Mächtigste", und Avalokiteshvara, die chinesische Kuan Yin (japanisch: Kannon) und diese beiden sind Führer und Schützer der Menschheit, die über den gefährlichen Ozean des Lebens und des Todes reist. Amida, "der Geliebte", war einst ein reicher und mächtiger König, der seine Mitmenschen so liebte, dass er seinem Thron entsagte und ein Asket wurde, wodurch er vor den Augen Gautamas die Buddhanatur erlangte. Bei dieser Gelegenheit tat er eine ganze Reihe von Gelübden, "wodurch er es auf sich nahm, ein himmlisches Reich von vollendeter Seligkeit zu errichten, in dem alle lebenden Geschöpfe ein unendlich langes Dasein in einem Zustand höchster Glückseligkeit, höchster Sündenlosigkeit und höchster Weisheit genießen können."

Der elfte Monat des chinesisch-ostasiatischen Mondkalenders ist der zwölfte Monat (Dezember) unseres abendländischen Kalenders. Er ist der Monat Amida-Buddhas, des "Buddhas des unendlichen Lichtes."


Das Baumsymbol

In vielen Kulturen der Welt nimmt der Baum innerhalb der religiösen Denk- und Vorstellungswelt einen dominierenden Platz ein: Von den "Schamanenbäumen" nordeuroasiatischer Völkerschaften und den "Totempfählen" nordwestamerikanischer Indianer über die Esche Yggdrasil der nordgermanischen Saga bis zum "Kreuzesbaum" Christi. Der Baum symbolisiert Aufstieg und Entfaltung, er ist ein Bindeglied zwischen der säkular-humanen und der sakralen Welt. Es ist daher sicher kein Zufall, dass auch in der ältesten Weltreligion, dem Buddhismus, ein Baum einen zentralen Standpunkt hat: Es ist der Bodhi-Baum, der "Baum der Erleuchtung", unter dem Shakyamuni, der Weise aus dem Sakya-Geschlecht, in der "Heiligen Nacht" des Buddhismus die Erleuchtung (bodhi) fand. Botanisch betrachtet handelt es sich bei dem Bodhi-Baum um ein Gewächs der subtropischen Pflanzenwelt Indiens - der indische Feigenbaum (lat.: ficus religiosa).

Der Bodhibaum ist also ein Kind südlicher subtropischer Vegetation. Er würde in unserem rauen, nördlichen Klima gar nicht gedeihen, es sei denn in Gewächshäusern. Er bietet sich also nicht als "Lichterbaum" in den Heimen europäischer und nordamerikanischer Buddhisten an.

Im Gegensatz zu oft verbreiteten Meinungen ist der Weihnachts- oder Lichterbaum kein genuin christliches Symbol. Kulturgeschichtlich betrachtet soll der Brauch, beleuchtete Tannenbäume aufzustellen, im Elsaß (Alsace), einer alten Kulturlandschaft an der deutsch-französischen Grenze, entstanden sein. Das war im 18. Jahrhundert. Um 1820 tauchten die ersten "Lichterbäume" am Wiener Kaiserhof und in den Häusern der Aristokratie auf, von wo dieser Brauch bald in die Bürgerhäuser übernommen wurde. In England war es Prinz Albert von Sachsen-Coburg, der deutsche Gemahl Königin Viktorias (1837-1901), der diesen Brauch aus seiner deutschen Heimat am britischen Königshof einführte. Noch vor wenigen Jahrzehnten wurde in einigen Ländern des südlichen römischen Katholizismus der Brauch, zu Weihnachten geschmückte Tannen- oder Fichtenbäume aufzustellen, als "heidnisch" verdammt, ein Beweis mehr, dass es sich bei diesem Brauch um kein genuin christliches Brauchtum handelt.


Nachwort

Ich sehe heute keinen ernsthaften Grund, warum nicht auch westliche Buddhisten im Monat Dezember Tannen- oder Fichtenbäumchen aufstellen, sie schmücken und beleuchten und als ein Symbol der Erleuchtung ihres Religionsstifters Shakyamuni Buddha betrachten sollen, der in einer Winternacht des Monats Dezember das "Licht der Erkenntnis" zu den Menschen, die guten Willens sind, diesem Licht zu folgen, gebracht hat. Der Monat Dezember ist überdies der Monat, der von dem "Buddha des Mitleids und des Erbarmens" regiert wird und uns daher moralisch verpflichtet, unseren weniger glücklichen, weniger wohlsituierten Mitmenschen Wohltaten zu erweisen.


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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
41. Jahrgang, Januar - April 2009/2553, Nr. 1, Seite 23-25
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
Drostestr. 8, 30161 Hannover,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2008