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PRESSE/788: Die Frau im Shin Buddhismus (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 3, September - Dezember 2009
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Die Frau im Shin Buddhismus

Von Friedrich Fenzl


Die Stellung der Frau im japanischen Buddhismus

Es ist hier an der Zeit, einer gelegentlich in westlichen Publikationen zitierten "Unterdrückung der Frau in Japan" durch den Buddhismus zu widersprechen.

Gerade in den buddhistischen Nara- (710-784) und Heian- (794-1185) Perioden genoß die Frau im religiösen und gesellschaftlich-kulturellen Leben großen Einfluß und Ansehen. Es gab buddhistische Kaiserinnen und Murasaki Shikibu, eine Hofdame, verfaßte mit "Genji Monogatari" den ersten Prosaroman der japanischen Literatur.

Die Situation änderte sich erst, als in der Kamakura-Ära (12. Jhd.) der Militäradel der Bushi oder Samurai an die Macht kam. Die Verdrängung der Frau in die Inferiorität erreichte in der Tokugawa-Periode (1603-1868) ihren Höhepunkt. Die Tokugawa-Shogune stützten sich zur Sicherung ihres Herrschaftssystems auf die gesellschaftsphilosophische Lehre des sog. "Neokonfuzianismus", die im 12. Jhd. in China von einem konfuzianischen Gelehrten namens Chu Shi geschaffen worden war und auf einem streng hierarchischen System von Superiorität und Unterordnung beruhte, das auch die völlige Unterordnung der Frau unter den Mann vorsah.


Shinran und Eshinni

Der Begründer des Shin-Buddhismus, Shinran Shonin (1173-1262), hatte radikal mit dem Mönchstum gebrochen und den Tendai-Tempel auf dem Hiei-san in Kyoto verlassen, als er in dem ehrwürdigen Rokkakudo-Tempel in Kyoto jene denkwürdige Erscheinung hatte, die zu einem Meilenstein in der Geschichte des Buddhismus wurde.

Nach einer 45-tägigen Versenkung erschien ihm der Bodhisattva Avalokiteshvara (der in China und Japan eine Feminisierung als Kuan Yin oder Kannon erfahren hat) und verkündete Shinran, dass dieser sich in der Gestalt einer beeindruckenden Frau verkörpern und Glanz und Schönheit in sein Leben bringen und ihn im Augenblick des Todes nach Sukhavati, dem Reinen Land, führen werde.

Einige Zeit später heiratete Shin (im Jahr 1208) im Exil in Echigo, wohin ihn das Bakufu (Shogunatsregierung) verbannt hatte, Eshinni, die Tochter eines kleinen Landadeligen, die ihm eine kongeniale Gattin wurde und ihm sieben Kinder schenkte. Es dürfte wohl zum ersten Mal in der Geschichte des Buddhismus gewesen sein, dass eine weibliche Heilsgestalt zum Leitbild eines buddhistischen Weisen und Heiligen wurde. Es bedeutete die Überwindung des mönchischen Antagonismus, in der Frau eine Gefahr für das Asketentum zu sehen.

Shinrans und Eshinnis Ehe gestaltete sich überaus glücklich und beide sprachen mit großer Hochachtung voneinander. Der christliche (protestantische) Autor Tatsuo Oguro zitiert in seinem Werk den japanischen Autor N. Inazu: "Weder in westlichen Religionen noch in orientalischen kann man - außer bei Shinran - ein Beispiel finden, daß die Ehe so tiefe religiöse Bedeutung hat."

Die Einführung der Priesterehe im Shin-Buddhismus war ein umwälzendes Ereignis im Shin-Buddhismus. Bis zum Ende der Feudalzeit, der sogenannten Meiji-Restauration im Jahre 1868, war Jodo Shinshu die einzige buddhistische Religionsgemeinschaft Japans, die die Priesterehe gestattete: Heute ist freilich im gesamten japanischen Buddhismus, mit Ausnahme einer kleinen unbedeutenden Sekte, die Priesterehe üblich.

Den zweiten entscheidenden Schritt tat Shinshu in der Zulassung der Frau zum Priesteramt. Nach einem mir vorliegenden, nicht signierten Text wurden bereits 1702 Mädchen zur Priesterausbildung zugelassen und ab den frühen Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts können Frauen als "kyoshi" (Lehrer) hauptverantwortlich einen Tempel führen.

Nachdem Shinrans Sohn zum Sprecher einer Gruppe von Häretikern, der "gyo gyaku hobo" geworden und dafür "exkommuniziert" worden war, übernahm Shinrans jüngste Tochter Kakushinni die Pflege des väterlichen religiösen Erbes. Auch das ist ungewöhnlich in der buddhistischen Tradition.

Heute gehören ca. 20% des shin-buddhistischen Sangha in Japan dem weiblichen Geschlecht an und auch in den USA, Brasilien und Europa gibt es bereits weibliche Shin-Priester.


Shin-Buddhismus und Frauenbildung

Der Shin-Buddhismus hat beachtenswerte Leistungen auf dem Gebiet der weiblichen Bildung erbracht. Bereits vor der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurden die ersten buddhistischen Mädchenschulen und Frauenuniversitäten gegründet. Sicherlich waren christliche Bestrebungen, ein weibliches Bildungswesen in Japan zu forcieren, ein Ansporn für viele shin-buddhistische Projekte in der Mädchen- und Frauenbildung.

Aus einer 1978 veröffentlichten Statistik des buddhistischen Bildungswesens geht hervor, dass fünf von sechs buddhistischen Frauenuniversitäten Japans und zehn von sechszehn Frauencolleges der shin-buddhistischen Lehrrichtung angehören.

Eine der bedeutendsten buddhistischen Frauenuniversitäten ist die Kybto Joshi Daigaku (Kyoto Women University) im Stadtteil Higashiyama von Kyoto. Der Autor dieses Beitrags hatte während seines ersten Japanaufenthaltes 1968-1970 Gelegenheit, den Betrieb dieser Universität kennenzulernen und den Studentinnen Unterricht in deutscher Konversation zu erteilen. Zu jener Zeit besuchten 6.000 Studentinnen aus allen Regionen Japans die Fakultäten und Institute dieser Bildungseinrichtung des japanischen Reinen-Land-Buddhismus.

Es soll hier auch erwähnt werden, dass in den Hunderten von Tempelkindergärten (200 allein im Metropolitanbezirk von Groß-Tokyo) Frauen, oft die Ehefrau, Tochter oder Schwester des Tempelpriesters, als Lehrerinnen in der vorschulischen Erziehung tätig sind.


Eine frühe buddhistische Feministin?

Wenig ist unter westlichen Buddhisten über große Frauenpersönlichkeiten im japanischen Buddhismus bekannt. Unter den großen Frauengestalten, auf die das Wort "Wegbereiterinnen" für ein besseres Verständnis der Rolle der Frau im Buddhismus zutrifft, ragt Lady Takeko Kujo hervor.

Lady Takeko wurde 1887 als Tochter des 21. Monshu (Oberhaupt) des Honganji, Koson Otani geboren. Aufgewachsen in der behüteten Atmosphäre eines priesterlichen Elternhauses entwickelte das junge Mädchen bemerkenswerte Aktivitäten, die ungewöhnlich waren für die japanische Frau ihrer Generation. In einer Ära, in der die Frau stets im Hintergrund zu stehen hatte, begann sie die buddhistischen Frauen auf landesweiter Basis zu organisieren. Das war kurz nach der Jahrhundertwende. Die Achtzehnjährige entwickelte eine bemerkenswerte Dynamik bei dieser Aufgabe. Ihre Biographien berichteten, dass "bei aller feinfühlenden Fraulichkeit, etwas eigenartig maskulines über ihren Handlungen lag, ihre schnellen Entscheidungen, ihre Fähigkeit zu arbeiten".

Als am 1. September 1923 das große Kanto-Erdbeben die östlichen Präfekturen Japans heimsuchte und Tokyo und Yokohama verwüstete, leitete sie die ersten Hilfsmaßnahmen für die Verletzten ein. Sie ließ Zelte an allen strategischen Punkten der Stadt aufstellen, wo den Bebenopfern die erste Notversorgung gegeben werden konnte.

Später gründete sie das Ashoka-Krankenhaus in Tokyo, benannt nach dem großen Kaiser Altindiens. Dieses buddhistische Krankenhaus bewährte sich in den furchtbaren Bombennächten des Zweiten Weltkriegs. Lady Takeko leitete das humanitäre Hilfswerk für die Armen in den Slumbezirken von Tokyo und gilt als Gründerin der buddhistischen Weltfrauenorganisation. Sie heiratete Baron Yoshimasa Kujo, der einer adeligen Familie aus Kyoto entstammte.

Baronesse Kujo war nur ein kurzes Leben beschieden. Sie starb einundvierzigjährig im Jahr 1928.

Sicherlich war Takeko Kujo keine Feministin im Sinne eines modernen Frauenleitbildes, sie wurde aber zum Vorbild für zehntausende buddhistische Frauen und Mädchen bis in unsere Zeit.


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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
41. Jahrgang, September - Dezember 2009/2553, Nr. 3, Seite 17-18
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2009