Schattenblick →INFOPOOL →RELIGION → BUDDHISMUS

PRESSE/819: Mit Achtsamkeit "Altern" verstehen lernen (Buddhistische Monatsblätter)


Buddhistische Monatsblätter Nr. 1/2010, Januar - April
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.

Mit Achtsamkeit "Altern" verstehen lernen

Von Wolfgang Krohn


Alle Lebewesen altern. Alle Dinge verändern sich oder zerfallen. Bei Menschen, Tieren und Pflanzen endet dieser Prozess mit dem Sterben. Das leuchtet jedem ein, ohne dass er groß darüber nachzudenken braucht.. Also warum über Altern noch weiter reden oder nachdenken? Und doch verstehen wir Altern, welches nach der Lehre des Buddha Ausdruck von Leiden ist, nicht in seiner ganzen Tiefe und Tragweite. Der Hauptgrund besteht in einer gewissen Unachtsamkeit, Oberflächlichkeit oder Zerstreutheit des Geistes. Man braucht sich nur umzuschauen, überall ist Altern sichtbar. Zunächst sind zwei Begriffe zu klären, die im Mittelpunkt dieser Betrachtung stehen.

Achtsamkeit: Sie ist das Gegenteil von Zerstreutheit. Der Geist befasst sich mit vielen Dingen gleichzeitig. Anders verhält es sich mit der Achtsamkeit. Der Geist ist auf einen Gegenstand gerichtet. Nicht wechselt er von einem zum anderen oder betrachtet mehrere Gegenstände gleichzeitig. Mit Achtsamkeit kann man unliebsame Einflüsse (asavas) abwehren. Sie führt unser Leben in die Gegenwart. Geistesklarheit ist die Folge. Die Meditationsanweisung des Buddha wird in den Texten M 10 "Die Vier Pfeiler der Einsicht" und M 118 "Die achtsame Ein- und Ausatmung" sehr gut erläutert. Im täglichen Leben erledigt man eins nach dem anderen. Dieser Grundsatz gewährleistet bestmögliche Lebensqualität. Das heutige Leben wird vom Wissensdrang und von der Erfüllung der sich mehrenden Lebenswünsche des Einzelnen bestimmt. Möglichst viel auf einmal erreichen und zwar in möglichst kurzer Zeit. Diese Ziele verfolgt der moderne Mensch. Die Folge ist die vermehrte Aktivität des Geistes, möglichst viele Dinge zu bewegen und anzuschauen. So lässt sich die Zerstreutheit erklären!

Altern: Man kann diesen Begriff auch mit Veränderung, Anderswerden übersetzen. Dem Alter steht das Bild jugendlicher Frische und Schönheit gegenüber. Die heutige Welt ist im Jugend- und Gesundheitsrausch tief versunken. Der Begriff Altern schließt eine Bewertung in meinen Augen nicht aus. Altern ist kein Zustand, der plötzlich da ist, vielmehr muss man ihn als einen unaufhörlichen Prozess betrachten, der erst mit sechzig, siebzig oder achtzig Jahren unübersehbar wird. Indizien dafür sind die vielen Altersbeschwerden wie der teilweise oder vollständige Verlust der Sinneswahrnehmungen Seh-, Hör-, Riech,-, Schmeck- und Tastvermögen. Als geistige Trübung kommt noch Verwirrtheit hinzu. Ebenso die körperliche Unbeweglichkeit. Das Altern der Menschheit wird heute weltweit als ein gesellschaftspolitisches Problem betrachtet, weil ein immer kleiner werdender Teil Berufstätiger einen immer größer werdenden Teil Nichterwerbstätiger unterhalten muss. Mensch und Tier altern schon sofort nach der Geburt. Man kann das Altern sogar als ein schleichendes Phänomen betrachten, weil man es nicht merkt. Alles funktioniert und nichts tut weh. Mit Alter verbinden wir vermehrte Unfähigkeit und Schmerz. Im Beruf kann der Mensch ab fünfzig nicht mehr so viel leisten wie in jungen Jahren. Deshalb schickt man ihn so früh wie möglich in Rente. Ältere Personen grenzt man mehr und mehr aus, weil man ihnen die Fähigkeit abspricht, Sinnvolles zum gesellschaftlichen Leben beizutragen. "Unsere Gesellschaft ist überaltert", so ist es aus den Reihen der Politiker zu hören. Als kritischer Hörer empfinde ich solch eine Behauptung als subjektive Wertung. Wenn es sich um einen Gebrauchsgegenstand handelt, so verändert sich dieser bei häufiger Beanspruchung durch Abnutzung, Verschleiß und Abrieb oder sein Alter wird durch Rost, Brüchigkeit und ähnliche Mängel erkennbar. Viele Gegenstände wie Autos, Waschmaschinen und andere technische Geräte bekommen das Prädikat "veraltet" oder "überholt", sobald ein neues Modell auf dem Markt erscheint. Das bedeutet einen schmerzlichen Wertverlust des Gegenstandes, den man oft gerade erst lieb gewonnen hat.

Geist und Körper (nama-rupa) sind so eng miteinander verbunden, dass man sie nicht voneinander trennen kann. Beide wirken als ein sehr komplizierter, für uns als Nichtbefreite schwer erkennbarer Prozess, weswegen wir darüber auch nur wenig sagen können. Aus einem toten Körper ist der Geist entschwunden. Er hat keinen Zugriff mehr auf die Sinnesorgane. Ohne sie kann sich der Geist in der Sinnenwelt nicht offenbaren. Der körperliche Tod besiegelt somit das Leben des Körpers (nama-rupa). Es könnte beim Leser die Frage entstehen: Der Körper altert! Wie ist es aber mit dem Geist? Altert der auch? Im Khandha-Samyutta Nr. 1, "Nakulapita", wird folgendes berichtet: Der kranke Nakulapita sucht den Erwachten auf und sagt folgendes:

Gealtert bin ich, bejahrt, hoch betagt, zu hohem Alter gelangt. Siech ist der Körper! Alt! Beständig krank. Nicht immer kann ich den Erhabenen sehen und die Geistesschulung übenden Mönche. Belehren möge mich der Erhabene, damit es mir lange zum Segen gereiche. Der Buddha antwortet: Siech, gebrechlich, alt wahrlich ist der Körper. Mag auch der Körper so sein, nicht soll der Geist so sein!

Wenig später fragt Sariputta den Nakulapita:

Inwiefern ist siech der Körper und siech der Geist? Und inwiefern ist wohl der Körper siech, nicht aber der Geist?

Antwort:

Wer die Körperlichkeit, das Gefühl, die Wahrnehmung, die Gestaltungen, das Bewusstsein als sein Selbst (Ich) bezeichnet und behauptet Ich bin der Körper, Ich bin das Gefühl, Ich bin die Wahrnehmung, Ich bin das Gestalten, Ich bin das Bewusstsein, dessen Geist könnte man als siech bezeichnen! So Hausvater ist der Körper siech. So ist der Geist siech. Wer die Körperlichkeit, das Gefühl, die Wahrnehmung, die Gestaltung und das Bewusstsein nicht als Selbst (Ich) bezeichnet und der nicht behauptet, Ich bin der Körper, Ich bin das Gefühl, Ich bin die Wahrnehmung, Ich bin das Gestalten, Ich bin das Bewusstsein, dessen Körper ist siech, nicht aber sein Geist.

Wer von seinem Körper behauptet: Mein ist der Körper, mir gehört er und dies ebenfalls von den anderen vier Gruppen des Ergreifens (Gefühl, Wahrnehmung, Gestaltung, Bewusstsein) behauptet, dessen Geist altert ebenfalls.

Ich meine, es ist für uns Menschen sehr wichtig zu wissen, welcher Teil unserer Individualität altert. Nämlich der Körper, nicht aber der Geist. Jedoch der mit Gier, Hass und Verblendung behaftete Geist altert bereits in jungen Jahren, wenn er ausschließlich selbstische Ziele verfolgt und von den Trieben (Ess-, Sex-, Schlaf- und Geschäftigkeitstrieb) versklavt wird. Ein mit den drei Giften angefüllter Geist verschlackt und verschmutzt, genauso wie der Körper, wenn man Falsches in ihn hineintut. Wer sich in seinem Leben nicht um das Verständnis der drei Daseinsmerkmale (Vergänglichkeit: nichts ist beständig, Unbefriedigtheit des Daseins: was immer wir erleben, erfüllt uns nicht dauerhaft und Unpersönlichkeit: nicht bin ich), und der vier Wahrheiten (das Leiden, die Leidensentstehung, die Leidensaufhebung und der Weg, der zur Leidensaufhebung führt) bemüht, altert im Geist bereits als Jugendlicher. Mit der Erkenntnis und Durchschauung der drei Daseinsmerkmale wird dagegen der altersfreie Geisteszustand erreicht. Dabei fallen Angst und Sorge vor dem Alter von dem Menschen ab, denn die allgemeine Auffassung vom Altern hier in der westlichen Welt wird fast immer mit Schmerz, körperlicher Unbeweglichkeit und Einschränkung der Sinnesorgane verbunden. Nun ist noch dazu zu sagen, dass sich der Mensch um dieses Wissen in besonderer Weise bemühen muss, und zwar rechtzeitig, damit er nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben im Alter mit spiritueller Wegzehrung ausgestattet ist. Bei der älteren Generation gibt es ein großes Gestaltungs-, Wissensun-Erfahrungspotential, welches durchaus noch gebraucht werden kann. Wenn es mit Weisheit angefüllt würde, könnte das der Menschheit zu großem Segen gereichen. Wenn es verloren ginge, wäre es schade für die Gegenwart und die Zukunft. Vielleicht noch eine kleine Anmerkung zur allgemeinen Auffassung in der Gesellschaft. Diese setzt hinter jeden abgeschlossenen Lebensabschnitt einen Punkt, so z.B. nach dem Schulabschluss, bei der Heirat und bei Beendigung des Berufslebens. Das Leben ist aber ein Prozess mit feinen Übergängen. Das Eine bedingt das Andere. Weil das Leben kontinuierlich ohne Unterbrechung weitergeht, gibt es keinen Schlussstrich, genauso wenig, wie mit dem Tod alles vorbei ist.

Dabei kann für uns die Achtsamkeitsmeditation sehr hilfreich sein. Eine gute Anleitung bildet die Satipatthana-Methode, siehe M 10 "Die vier Pfeiler der Einsicht" und M 118 "Die Achtsame Ein- und Ausatmung". Regelmäßige Meditationsübungen in einer Gruppe mit einem kompetenten Lehrer führen zum Erfolg. Mit der Achtsamkeit reinigen wir unseren Geist, und die Konzentration auf einen Gegenstand führt uns hin zur Durchschauung aller Erscheinungsformen. So mit Weisheit ausgerüstet, braucht sich der Mensch vor dem Alter nicht zu fürchten. Er lebt aus sich heraus. Meinungen und Spekulationen sind für ihn wertlos geworden, weil er sie durchschaut hat. Ein anhaftungsfreier Geist altert nicht, wird auch nicht siech, weil er frei von allen Verschlackungen ist. Buddha und seine Nachfolger, die heilig geworden sind, haben es bewiesen. Für den Befreiten (arahat) sind Geburt, Krankheit, Altern und Sterben überwunden.


Die Kräfte, die zur Seele gehören, altern nicht.
Die Kräfte, die zum Leibe gehören, verschleißen und nehmen ab.

Meister Ekkehart
(Kalender 2009 des Buddhistischen Seminars)


*


Quelle:
Buddhistische Monatsblätter Nr. 1/2010, Januar - April
Seite 9-12
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.
Herausgeberin: Buddhistische Gesellschaft Hamburg e.V.
Beisserstr. 23, 22337 Hamburg
Tel.: 040 / 6313696, Fax: 040 / 51902323
E-Mail: bm@bghh.de, buddha-hamburg@gmx.de
Internet: www.bghh.de

Die Buddhistischen Monatsblätter erscheinen
vierteljährlich.
Einzelpreis: 5,-- Euro
Abonnementspreis: 20,-- Euro jährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2010