Schattenblick →INFOPOOL →RELIGION → BUDDHISMUS

PRESSE/930: Achtsamkeitskongress in Hamburg (Buddhistische Monatsblätter)


Buddhistische Monatsblätter Nr. 3/2011, September - Dezember
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.

Achtsamkeitskongress in Hamburg

von Holger Korin Stienen


Vom 18. - 22. August 2011 fand in der Universität Hamburg ein Achtsamkeitskongress statt. Es ging um das Thema "Achtsamkeit" in ihren buddhistischen Wurzeln und ihre Anwendung insbesondere auch in der modernen westlichen Pädagogik, Psychologie und Medizin. 40 Referenten aus 8 Ländern Europas, Asiens und den USA hielten zumeist ausgesprochen anspruchs- und gehaltvolle Vorträge und leiteten zahlreiche Workshops. Die Veranstalter waren das Tibetische Zentrum Hamburg und das Zentrum für Buddhismuskunde der Universität Hamburg. Insgesamt 1600 Personen haben an der Veranstaltung teilgenommen, die zum Abschluss im Audimax mit einer Diskussion zwischen dem Dalai Lama und vier buddhistischen und nicht buddhistischen Wissenschaftlern ihren synoptischen und Perspektiven weisenden Höhepunkt fand.

Die Grundlagen der Achtsamkeit im frühen Buddhismus wurden insbesondere von Bhikkhu Analayo aufgezeigt ("wenn der Mönch geht, dann weiß er, dass er geht, wenn der Mönch liegt, dann weiß er, dass er liegt...") als die ständige Präsenzübung im Hier und Jetzt. Analayo wird am 9. Oktober in einer gemeinsamen Veranstaltung der BGH und des Zentrums für Buddhismuskunde einen Vortrag mit anschließendem Gespräch anbieten, dessen Besuch jedem zu empfehlen ist.

Christof Spitz, der Übersetzer des Dalai Lama und Geschäftsführer des Tibetischen Zentrums, stellte Texte des frühen indischen Mahayanabuddhismus' (Santideva, Vasubandhu, Asanga) zu dem Thema vor, insbesondere im Kontext der systematischen Philosophie des Abidhamma. Im Besonderen ging es um das durch Meditation und Erkenntnis erreichbare Setzen neuer, heilsamer Geistesfaktoren.

Beeindruckend war der Block Achtsamkeit und Pädagogik. Die Ehrwürdige Dhammananda, emeritierte Professorin, Äbtissin eines Frauenklosters in Thailand, eine der ersten 28 voll ordinierten Nonnen des Landes, Autorin und Übersetzerin von über 70 Büchern, beeindruckte mit einer die Praxis betonenden Präsentation. Neben der täglichen gemeinsamen Sitz- und Gehmeditation betrifft dies auch die gemeinsame Essenszeremonie, den gemeinsamen Bettelgang, die Arbeit im Kloster und Garten, wo eigenes Obst und Gemüse erzeugt wird. Dieses bricht in hohem Maße mit der Theravada-Tradition der Mönche, die keine Arbeiten ausführen und auch die Gemeinsamkeit nicht in diesem Maße betonen. Auch kam der Spaß nicht zu kurz: "Weißt du, wohin genau du deine Schuhe ins Schuhbord gestellt hast?"

Achtsamkeit stärkt auch die Aufmerksamkeit im Alltag. Unter den folgenden Forschungsbeiträgen fiel besonders einer auf, der auch die Praxis in den Mittelpunkt stellte. Vera Kaltwasser ist Lehrerin an einer Frankfurter Schule. Sie übt mit allen Schülern ihrer Mittelstufenklassen regelmäßig kleine Blöcke Meditation im Unterricht. Sie hat aufgezeigt, wie lange man die Schulleitung, die Eltern und die Kinder selbst überzeugen muss, und welche monatelangen Vorübungen nötig sind, um Erfolg zu haben. Hierüber hat sie zwei Bücher geschrieben. Verschiedene Arbeitsgruppen an Deutschen Universitäten beschäftigen sich mit Auswertungen dieser und vergleichbarer Übungen auf das Gewaltverhalten, soziale Kompetenz, Stressreduktion und ethisches Verhalten der Schüler. Interessant war, dass von allen Referenten gesagt wurde, man könne von Jugendlichen unter 16 Jahren keinen Zugang zu längerer, regelmäßiger Meditation erwarten. Da in der gesamten Diskussion die Bedeutung weg von einer nur kognitiven Erziehung hin zu einer ganzheitlichen Pädagogik auch außerhalb spiritueller Bezugspunkte gefordert wurde, fällt mir ein, dass es, gerade auch in Deutschland, den Ansatz einer Humanistischen Erziehung gab, die sich besonders an altgriechischen Idealen orientierte. Diese wurde fast gänzlich dem Primat der "harten" Fächer und kapitalistischen Betrachtungsweisen geopfert (die u.a. zu weltweiten Wirtschaftskrisen alleine aufgrund von Spekulationen führten und einem technischen Fortschrittswahn frönen). Wo ist das "Wahre, Schöne und Gute" in unserer Gesellschaft geblieben? Der alte humanistische Ansatz, gepaart mit asiatischer Weisheit und Kenntnissen über Natur und Umwelt, würde uns vielleicht ein Stück weiter bringen und könnte auch gesellschaftsfähig werden. Sehr interessant war auch der Vortrag von Prof. H. Dauber, der sich auf den Pädagogen J. Korczak bezog, nach dem jedes Kind ein Recht hat, nicht bevormundet, sondern begleitet zu werden, sich Fehler erlauben zu können (experimentieren zu dürfen) und ein Recht auf den eigenen Körper bis hin zum eigenen Tod haben müsse.

Der Dalai Lama zeigte sich als extremer Verfechter von Achtsamkeitstraining an Schulen. Er sieht hier auch einen gesellschaftlichen Beitrag zur Stärkung von Demokratie und Gemeinschaftssinn. Jede Religion und philosophische Ethik beinhalte hierfür ausreichende Elemente. Die "interne Polizei" durch Betrachtung des eigenen Geistes und Herzens zu stärken, habe Priorität. Die Achtsamkeitsübung als Grundlage für ethisches Verhalten sei ständig und nicht nur sporadisch zu üben und gesellschaftlich zu verankern. Dann würde es allen Gesellschaften besser gehen und es könnten Gemeinsamkeiten entstehen. Er hob hier die Gründung der EU als Prozess des Kollektiven Nachdenkens hervor, die ehemalige Feinde verbündet habe, aber auch den, trotz aller Hindernisse, demokratischen und friedvollen Geist in Indien und die Solidarität in der buddhistisch (und konfuzianisch) stark beeinflussten Gesellschaft Japans nach der jüngsten Katastrophe.


*


Quelle:
Buddhistische Monatsblätter Nr. 3/2011, September - Dezember, Seite 41-42
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.
Herausgeberin: Buddhistische Gesellschaft Hamburg e.V.
Beisserstr. 23, 22337 Hamburg
Tel.: 040 / 6313696, Fax: 040 / 51902323
E-Mail: bm@bghh.de, bghwiebke@gmx.de
Internet: www.bghh.de

Die Buddhistischen Monatsblätter erscheinen
vierteljährlich.
Einzelpreis: 5,-- Euro
Abonnementspreis: 20,-- Euro jährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2011