Schattenblick →INFOPOOL →RELIGION → BUDDHISMUS

PRESSE/949: Gefühle (Buddhistische Monatsblätter)


Buddhistische Monatsblätter Nr. 2/2012, Mai - August
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.

Gefühle

von Dr. Alfred Weil



'Mit Hinblick auf die fühlenden Wesen lehre ich', sagte der Buddha. Und er wusste nur zu gut, warum. Die Gefühle sind es, die unser Lebensklima bestimmen. Sie sind es, die uns erheben und niederdrücken, die wir entweder sehnsüchtig herbeiwünschen und suchen oder unter allen Umständen vermeiden wollen. Aber sehr weit kommen wir mit unseren Bemühungen meist nicht. Wir scheinen ihren sanften Anflügen oder wilden Attacken weitgehend wehrlos ausgeliefert zu sein.

Aber was sind Gefühle überhaupt und woher kommen sie? Wie gehen wir mit ihnen um und was können wir von ihnen erwarten? Darum soll es in den nächsten Minuten gehen. Doch hören wir zunächst einmal den Buddha selbst:

"Gleichwie im Raume verschiedene Winde wehen: von Osten, von Westen, von Norden, von Süden; staubige Winde, staublose, kühle, heiße, sanfte und heftige Winde. Ebenso nun auch steigen in diesem Körper verschiedene Gefühle auf: Wohlgefühle steigen auf, Wehgefühle und Weder-weh-noch-wohl-Gefühle steigen auf."
(Samyutta Nikaya, Gruppierte Sammlung IV, 36, 12.-13. - gekürzt)

Richtiges und Wichtiges sind uns oft so nah, dass wir es leicht übersehen. Vermutlich auch bei unserem Thema, denn der Buddha macht uns zunächst auf eine fast banal klingende Tatsache aufmerksam: Gefühle sind so natürlich und allgegenwärtig wie die Luft im Zimmer und draußen im Freien. Und wie die Lüfte aus sehr unterschiedlichen Richtungen wehen, so ist auch die Herkunft der Gefühle recht verschieden. Zahlreiche Anlässe und Gründe gibt es für sie. Auch ihre Flüchtigkeit, ihr blitzschnelles Aufkommen und Verschwinden gleichen den Bewegungen des Windes in der Natur. Wir kennen leichte Brisen und heftige Sturmböen, so wie wir mit zarten Empfindungen und machtvollen Gefühlswallungen in uns vertraut sind. Die Meteorologen sprechen von kühlenden Polar- und von brütenden Saharawinden, wir wissen um unsere manchmal besänftigenden und manchmal aufheizenden Emotionen. Wenn der Buddha schließlich staubige und staublose Winde erwähnt, meint er die unguten oder reinen Empfindungen, mit denen wir abwechselnd konfrontiert sein mögen.

Die große Bedeutung der Gefühle ist damit schon umrissen: Sie machen unsere innere Befindlichkeit aus. Sie bestimmen die Qualität unseres Erlebens - in der Begegnung mit anderen Menschen, mit den tausend Dingen der Welt, mit den zahllosen Ereignissen und Situationen des Lebens. Wie die bewegten Winde das äußere, so prägen die vielfältigen Gefühle unser wechselhaftes inneres Klima. Je nach Standpunkt lassen sich dabei zwei, drei, fünf, ja bis zu 108 Varianten unterscheiden. (Majjhima Nikaya, Mittlere Sammlung, 59).

Meistens geht es jedoch um drei emotionale Wetterlagen, denn, so der Buddha, "Es gibt drei Arten von Gefühlen: angenehmes Gefühl, schmerzhaftes Gefühl und weder-schmerzhaftes-noch-angenehmes Gefühl."(Majjhima Nikaya, Mittlere Sammlung 44).

Tatsächlich empfinden wir jede Lebenssituation entweder als wohltuend oder als belastend oder als unbestimmbar dazwischen. Einmal begrüßen wir etwas freudig, dann weisen wir anderes betroffen zurück und manchem stehen wir gleichgültig gegenüber. Der "strahlende Himmel" und die "freundschaftliche Begegnung" oder die "nervenden Autos" und der "nagende Kopfschmerz" mögen beispielhaft dafür stehen, dass und wie uns Empfindungen immerfort begleiten. Der dreifache Geschmack der Gefühle berührt uns am unmittelbarsten und tiefsten. Ob uns etwas zwickt oder streichelt; ob wir "aua" rufen oder "wundervoll", bestimmt unser Befinden und hält uns ständig auf Trab.

Alle Lebewesen möchten nämlich dasselbe: dass es ihnen gut geht. Deshalb nehmen sie die größten Mühen auf sich, um angenehme Gefühle zu bekommen und unangenehme zu vermeiden. Das Wohltuende möchten sie behalten oder wiederbekommen. Was ihnen weh tut, möchten sie loswerden oder vermeiden.

Um uns das zu zeigen, bedarf es freilich keines Buddha oder eines anderen spirituellen Lehrers. Ein bisschen Alltagsverstand und ein geschärfter Blick für die Tatsachen tun es auch. Viel interessanter ist daher die Frage, wodurch wir denn unsere Wohlgefühle erlangen beziehungsweise wo wir sie suchen. Und da zeigt sich bald, wie verschieden die weltlichen Antworten, die uns der "Gesunde Menschenverstand" unablässig suggeriert, von denen sind, die aus einer religiösen Dimension stammen.

Worauf wir üblicherweise aus sind und wo wir meist schon beglückende Erfahrung gemacht haben, sind die angenehmen Empfindungen, die durch sinnliche Erlebnisse zustande kommen. Die Freuden also, die dann aufblitzen, wenn unsere Augen etwas Schönes sehen und die Ohren etwas Angenehmes hören. Auch ein zarter Duft tut wohl, ein reizvoller Geschmack und eine sanfte Berührung der Haut. Nicht zuletzt können wir von einem faszinierenden Gedanken begeistert sein.

Doch leider hat die Sache einen Haken. Wir bekommen nicht immer das, was das Herz begehrt. Nicht selten erfüllen sich die innigsten Wünsche nur teilweise oder unsere Sehnsüchte bleiben gar lebenslang ungestillt. Und was passiert, wenn wir das erlangen, wonach wir verlangen? Über kurz oder lang gehen Besitz und Einfluss wieder verloren, Menschen wenden sich von uns ab, Situationen verändern sich zum Negativen. Dinge, an denen wir hängen, zerbrechen oder kommen uns abhanden. Alles in allem stehen damit unsere Glücks-Möglichkeiten auf einem wackeligen Boden, wir können uns nicht wirklich auf sie verlassen.

Darauf haben die großen Menschheitslehrer schon immer hingewiesen und mit Nachdruck von der Wandelbarkeit der Sinnendinge gesprochen. Und von der Abhängigkeit, die entsteht, soweit wir uns auf sie einlassen.Letztlich werden es vergebliche Anstrengungen bleiben. Wir werden auf diesem Weg Freude und Erfüllung nicht auf Dauer erreichen und allenfalls nur kleinere und vergängliche Häppchen vom Glück erhaschen.

Auch der Buddha spricht diese Tatsache ganz nüchtern aus: Diese drei Gefühle sind unbeständig, bedingt entstanden, dem Schwinden, der Auflösung unterworfen. (Samyutta Nikaya, Gruppierte Sammlung IV, 36,9 - gekürzt)

Doch er sagt das nicht, ohne uns eine überzeugende und lohnende Alternative anzubieten, die er selbst ausgiebig erprobt hat. Wer würde denn auch freiwillig auf etwas verzichten, ohne etwas Besseres dafür zu erhalten? Die Botschaft des Buddha ist ebenso einfach wie klar: "Was ihr da draußen in der Welt vergeblich sucht, ist in euch selbst zu finden", heißt sie. "Kümmert euch weniger um die angenehmen Gefühle, die euch die Sinnendinge vermitteln, und baut mehr auf jene Gefühle, die ihr in euren Inneren entdecken und kultivieren könnt."

Das ist die Empfehlung, eine Quelle von Glück und Zufriedenheit zu erschließen, die kein so kurzes Verfallsdatum haben wie die Freuden über unsere flüchtigen Sinneskontakte. Es geht um ein Wohl, das nicht abhängig ist von den stets wechselnden und unzuverlässigen Bedingungen unserer Umwelt, sondern von unserer eigenen inneren Verfassung.

Der Buddha spricht in diesem Zusammenhang von einem "reinen Herzen", dessen ständige Begleiter ebenso reine Gefühle sind. Mit anderen Worten: Wir können Wohlgefühle erleben, auch wenn die äußeren Sinne schweigen oder gar die Bedingungen um uns herum alles andere als angenehm sind. Wir sind dann im wahrsten Sinne des Wortes selbstständig geworden. Wir besitzen, was wir ersehnen, und sind viel unabhängiger von weltlichen Umständen als früher.

Aber bis dahin ist noch eine Wegstrecke zurückzulegen, die die Religionen als einen notwendigen Wandlungsprozess beschreiben. Sie meinen eine Art innerer Reinigung, bei der all die geistigen Trübungen und charakterlichen Unsauberkeiten beseitigt werden, die uns noch zueigen sein mögen. Wo nämlich Ärger und Missmut, Neid und Geiz dominieren, kann von einem reinen Herzen keine Rede sein. Geschweige denn von den reinen Gefühlen, die es hervorbringt. Ein selbstleuchtendes Gemüt, wie es der Buddha nennt, ist ohne Begehren und Aversion, ohne Rechthaberei und Überheblichkeit und andere seelische Verunreinigungen.

Sicher haben wir schon weit mehr Beobachtungen und Erfahrungen in dieser Richtung gemacht, als wir glauben. Aber vermutlich ohne sie angemessen zu würdigen und sie zielstrebig weiter zu verfolgen. Die buddhistische Tradition kennt viele Übungen, um vorhandene innere Schätze zu entdecken, sie zutage zu fördern und ihnen den rechten Glanz zu verleihen.

Haben wir nicht gelegentlich schon Freude empfunden, wenn uns eine tiefere Wahrheit aufgegangen ist? Das klare Verständnis der Lebenswirklichkeit ist tatsächlich eine Quelle von Wohl jenseits der Alltagsbanalitäten, ohne Makel und unerschöpflich. Wer seinem Dasein einen Sinn gegeben hat, sich Werten verpflichtet fühlt und eine tragfähige Orientierung über den Tag hinaus besitzt, wird ein ähnliches Empfinden haben. Auch ein Verhalten anderen gegenüber, bei dem man sich nichts vorzuwerfen hat, führt zu sehr befriedigenden Erfahrungen. Das Wissen, niemandem durch sein Reden und Handeln geschadet zu haben, ist entlastend und gibt dem Leben eine angenehme Färbung. Ganz zu schweigen davon, wenn wir anderen sogar wohlwollend und hilfsbereit begegnen. Freude durch Freude machen ist das passende Stichwort dazu. Wer etwas schenkt, bereitet doppelte Freude, um nur ein Beispiel zu nennen. Der Beschenkte ist glücklich über das, was er erhalten hat, und der Schenkende ist es durch sein Tun.

All das ist nicht buddhistisch im engeren Sinn, es spiegelt die Erfahrungen der Religionen generell, die nicht auf das Vordergründig-Weltliche bauen, sondern auf eine überweltliche Dimension des Lebens verweisen. Und die ist für unser eigentliches Wohl entscheidend.

Der Buddha will die Menschen darüber hinaus dafür sensibel machen, dass die meditative Praxis ein weiterer - und bei uns im Westen kaum noch bekannter - Zugang zu Glück und Zufriedenheit darstellt. Er behauptet sogar, dass die Gefühle, die sich in den tieferen Stadien geistiger Harmonie und innerer Stille einstellen, in keiner Weise mit den Sinnesfreuden verglichen werden können und diese ganz und gar in den Schatten stellen. Tatsächlich eröffnet die Meditation eine ganz andere Welt inneren Wohles, das immer feiner und stiller wird - und schließlich ganz frei macht.

Vielleicht können wir eine letzte Aussage des Buddha im Moment noch nicht verstehen. Und doch sollten wir wenigstens offen sein für das, was dieser große Menschheitslehrer in seiner tiefen Weisheit geschaut hat: Die Wohlgefühle, sagt er, die aus einem lauteren Herzen kommen, übertreffen die Wohlgefühle bei weitem, die von den Sinnendingen herrühren. Aber jenseits davon gibt es ein Wohl, das sogar über alles Wohlgefühl hinausreicht.

*

Quelle:
Buddhistische Monatsblätter Nr. 2/2012, Mai - August, Seite 12-16
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.
Herausgeberin: Buddhistische Gesellschaft Hamburg e.V.
Beisserstr. 23, 22337 Hamburg
Tel.: 040 / 6313696, Fax: 040 / 51902323
E-Mail: bm@bghh.de, bghwiebke@gmx.de
Internet: www.bghh.de
 
Die Buddhistischen Monatsblätter erscheinen vierteljährlich.
Einzelpreis: 5,-- Euro
Abonnementspreis: 20,-- Euro jährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2012