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PRESSE/955: Reise zu den Wurzeln des Zen-Buddhismus in China, Teil 1 (Buddhismus aktuell)


Buddhismus aktuell, Ausgabe 4/2012
Zeitschrift der Deutschen Buddhistischen Union

China-Reportage, Teil I
Zen-Trip
Eine Reise zu den Wurzeln des Zen-Buddhismus in China

von Regina Oberndorfer und Regine Ebert



Zen-Praktizierende aus aller Welt ließen sich auf ein Reiseabenteuer zu den Ursprüngen des Zen-Buddhismus in China ein. Auf den Spuren alter Meister wie Bodhidharma reisten sie durch den Südosten des Reiches und entdeckten ein weitgehend unbekanntes China.


Äbtissin Dun Cheng ist eine selbstbewusste Frau. Das muss sie auch sein, sonst könnte sie ihre Pläne nicht durchsetzen. Die energische Nonne lässt gerade einen Tempel mit Meditationshalle und Unterkünften errichten - ein Haus für Frauen, die sich dem Zen-Studium widmen wollen. So wie das bestehende Nonnenkloster Jiufeng, dem sie vorsteht, soll auch das neue Haus in Eigenregie geführt werden.

Ein denkbar ungewöhnliches Vorhaben für chinesische Verhältnisse, denn üblicherweise kann ein Nonnenkloster nur als Untertempel eines benachbarten Mönchsklosters existieren. Und auch wenn die Nonnen an vielen Orten nach Eigenständigkeit streben, ist Jiufeng doch die große Ausnahme. Vielleicht deshalb, weil sich die Äbtissin auf ein großes Vorbild berufen kann: Am Standort des neuen Klosters, dem Berg Jiuling Shan, lehrte im 9. Jahrhundert Moshan Liaoran, eine der wenigen Zen-Meisterinnen Chinas, die sich zudem gegenüber allen männlichen Kollegen behauptet hat.

Nur wenige Touristen verschlägt es an diesen Ort in der Provinz Jiangxi. Im Reiseführer sucht man ihn vergeblich, genau wie viele andere Stationen dieser Tour. Die "China Zen Fall Tour" ist eine Reise zu den Ursprüngen des Zen-Buddhismus in China, eine Reise auf den Spuren der alten Meister. 24 Teilnehmer aus Europa, den USA und Australien haben sich dafür zusammengefunden, die meisten von ihnen Zen-Praktizierende. Auf ihrer 2000-Kilometer-Tour durch den Südosten des Reiches entdecken sie ein weitgehend unbekanntes China, nehmen an heiligen Zeremonien teil und meditieren im Stil des Chan-Buddhismus - dem chinesischen Vorläufer des japanischen Zen - im vollen Lotussitz.

Ein Abenteuer, das ohne Andy Ferguson nicht denkbar wäre. Der 60-jährige Sinologe ist Experte für die Geschichte und Kultur des chinesischen Buddhismus und Autor von "Zen's Chinese Heritage: The Masters and their Teachings". Viele Jahre hat er als Manager in Ostasien gearbeitet, Land und Leute kennengelernt und dabei wertvolle Kontakte geknüpft.

Seit zwölf Jahren bietet Ferguson den Zen-Trip über eine Reiseagentur an. Seine Kunden sind Buddhisten und am Buddhismus Interessierte aus aller Welt. Unterstützt wird er von Bill Porter, einem Fachmann für chinesische Religionen, der ebenfalls seit vielen Jahren in China zu Hause ist. Gemeinsam haben sie die Route entwickelt, die von der Südostküste Chinas tief ins Landesinnere und dann in den Osten bis Shanghai führen soll.


Reisebeginn in Guangzhou am Perlfluss

Die Reise beginnt genau dort, wo Bodhidharma der Überlieferung nach erstmals seinen Fuß auf chinesischen Boden setzte: in Guangzhou am Perlfluss, heute eine Millionenstadt und ein bedeutender Industrie- und Handelsstandort an der Küste. In einem belebten Geschäftsviertel erinnert ein Denkmal an den Mann, der den Buddhismus um das Jahr 527 von Indien nach China gebracht hat.

Fünf Betonscheiben sind in den Boden eingelassen, unscheinbar und wenig beachtet von den vorbeihastenden Menschen. Dabei soll sich genau an dieser Stelle ein Wunder ereignet haben: Bei seiner Ankunft schlug Bodhidharma mit dem Stab auf die Erde und verkündete, dass dort ein Schatz zu finden sei. Als die Menschen in der Hoffnung auf Gold zu graben begannen, sprudelte ihnen reines Quellwasser entgegen. Für eine Region mit brackigem, oft ungenießbarem Wasser war diese Entdeckung weit wertvoller als Gold. Noch bis 1953, als die Stadt mit Wasserleitungen versorgt wurde, schöpfte die Bevölkerung ihr Wasser aus der Fünf-Augen-Quelle.

Vor dem nahe gelegenen Hualin-Tempel erfüllt würziger Räucherduft die Luft. Faustdick und etwa 1,50 Meter hoch sind die Räucherstäbchen, die in den großen, sandgefüllten Kelchen stecken. Einheimische entzünden sie dort täglich - eine Opfergabe an Bodhidharmas erster Wirkungsstätte. Drinnen, in der Buddhahalle, ziehen 500 goldglänzende Heiligenstatuen - die Arhats - alle Blicke auf sich. Auch ein Europäer ist in ihrem Kreis vertreten. Zwar trägt sein Gesicht eindeutig chinesische Züge, doch der Name lässt keinen Zweifel: Die Figur stellt Marco Polo dar, den venezianischen Handelsreisenden, der Ost und West miteinander verbunden hat.

Der gesamte Tempelbezirk ist öffentlich zugänglich, und viele Chinesen nutzen das Angebot für einen kurzen Besuch, ein Gebet, ein Opfer. Längst ist der Buddhismus wieder im Alltag der Menschen angekommen. Nach jahrzehntelanger Unterdrückung während der Kulturrevolution und der Zerstörung zahlloser Heiligtümer zählt das Land heute wieder rund 100 Millionen praktizierende Buddhisten. Demnach leben heute etwa ein Viertel aller Buddhisten weltweit in China.

Von der Küste führt die Route weiter nach Norden zum Nanhua-Tempel, etwa zwei Busstunden von Guangzhou entfernt. Im 7. Jahrhundert hat Zen-Meister Huineng an diesem abgeschiedenen Ort gelebt und gelehrt, heute ist er das Zuhause von rund 40 Mönchen, die sich dem Zen-Studium widmen. Vor den Fenstern der Wohngebäude weht ihre Wäsche auf der Leine, drinnen ist das 21. Jahrhundert eingekehrt: Das Kloster ist ein modernes Lehr- und Forschungszentrum, Vortrags- und Kongressräume haben eine technische Ausstattung auf westlichem Niveau, und die Bibliothek ist gut bestückt. Kein Touristenziel, doch Besucher, die am Klosterleben teilnehmen wollen, sind jederzeit willkommen. Große Schüsseln mit Erbsen, Spinat, Kohl und Bohnen, Salat und Lotussprossen kommen auf den Tisch, als Beilage gibt es Reis. Die Besucher kennen den Speiseplan gut, er ist an jedem Ort der gleiche, morgens, mittags und abends.

In der Meditationshalle lernt die Zazen-erprobte Reisegruppe das Sitzen im Chan-Stil kennen, das ausnahmslos jeden an seine körperlichen Grenzen führt: 40 Minuten dauert eine Sitzrunde, und der Mönch, der in sie einführt, besteht auf dem vollen Lotussitz. Nur gut, dass er die Halle bald wieder verlässt und einer nach dem anderen verstohlen in eine bequemere Haltung wechseln kann.


Die prachtvolle Anlage des Baizhang-Klosters

Ganz anders präsentiert sich das tief im Gebirge gelegene Baizhang-Kloster. Die große, prachtvolle Anlage wirkt noch neu und unbelebt; erst vor wenigen Monaten wurde sie eingeweiht. Entstanden ist sie mit finanzieller Unterstützung reicher Auslandschinesen, so erzählen die Mönche. Kostbare Buddha-Statuen, aufwendige Schnitzereien und komfortable Unterkünfte deuten darauf hin, dass sich das Kloster auf zahlreiche Besucher einstellt.

In der Entwicklung des Zen spielte Meister Baizhang (720-814) eine wichtige Rolle. Nach dem Motto "Ein Tag ohne Arbeit ist ein Tag ohne Essen" förderte er die Landwirtschaft und half den Klöstern auf diese Weise, wirtschaftlich und spirituell unabhängig zu bleiben. Der zweite Grund, das Kloster zu besuchen, ist nicht weniger wichtig und liegt im nahen Bambuswald, etwa 15 Gehminuten entfernt: Es ist die Erdhöhle, in der der berühmte Fuchs aus dem 2. Koan des Mumonkan gelebt haben soll.

Tiefer ins Landesinnere führt die Tour, ins kleine Städtchen Boafeng, etwa 800 Kilometer westlich von Shanghai. Die Gruppe erreicht den Tempel von Mazu Daoyi an einem hohen buddhistischen Feiertag. Zahlreiche Pilger feiern Guanyin, die weibliche Bodhisattva des Mitgefühls, und wieder ist die Luft erfüllt vom Duft der meterhohen Räucherstäbchen. 20, manchmal 30 rosafarbene Stäbe stecken in den überdimensionalen Räucherschalen. Zahlreiche Chinesen aus der Umgebung sind zur Feier ins Kloster gekommen. Auch die Reisegruppe nimmt auf den prächtig bestickten Kissen in der Buddhalle Platz, die Frauen links, die Männer rechts. Klangschalen und der Singsang der Mönche begleiten die Zeremonie, eine komplizierte Abfolge von Rezitationen, Vorträgen und Gesängen. Aufstehen, niederknien, verneigen - den westlichen Besuchern, die kein Wort verstehen, bleibt nichts übrig, als die Einheimischen fest im Blick zu behalten - eine lebensnahe Übung in Achtsamkeit.


Höhepunkt: das traditionsreiche Daoxin-Kloster

Unterhalb des Potuo-Berges, auf halbem Weg zwischen Wuhan und Nanchang, liegt das traditionsreiche Daoxin-Kloster, zweifellos ein Höhepunkt der Reise. Zu seiner Blütezeit lebten hier mehr als 1 000 Mönche. Viele Gebäude wurden während der Kulturrevolution zerstört, doch dank großzügiger Spenden konnten sie im ursprünglichen Chan-Stil wieder aufgebaut werden.

Seit 2003 leitet Abt Jing Hui das Kloster. Er ist der Vorsitzende der Buddhistischen Union Chinas und hat gute Kontakte zum Westen. Die Besucher werden freundlich empfangen. Sie sind nicht die einzigen Gäste. Im Kloster treffen sie Zen-Praktizierende aus den Niederlanden und Deutschland.

Klostergründer Daoxin (580-651) gilt in China als Begründer der ersten unabhängigen Zen-Gemeinschaft, die sich an Bodhidharmas Lehren orientierte. Die Legende erzählt, dass der damalige Herrscher ihm mehrmals befahl, er solle sein Kloster verlassen und in der Hauptstadt leben und lehren. Doch Daoxin weigerte sich. Beim vierten Mal drohte der Gesandte, ihn zu enthaupten. Als Antwort streckte ihm der Mönch seinen entblößten Nacken entgegen. Was blieb dem Herrscher anderes übrig, als einzulenken und ihn für seine edle Gesinnung zu ehren?

Geschichten wie diese ziehen sich wie ein roter Faden durch das Programm der Reise. Legenden, die sich um das Leben und Wirken der großen Chan-Meister ranken und heute zum festen Kanon der Zen-Literatur und des Koan-Studiums gehören. Dass die Besucher nun selbst an den historischen Schauplätzen stehen, macht für viele einen besonderen Reiz dieser Reise aus.


Die "Gelben Berge": Das schönste Gebirge Chinas

Nach zwölf Tempeln und Klöstern bietet das Huang-Shan-Gebirge gegen Ende der Tour einen willkommenen touristischen Kontrast. Die "Gelben Berge" gelten als schönstes Gebirge Chinas und gehören seit 1990 zum Weltnatur- und Kulturerbe der UNESCO. Steil aufragende Felsen, bizarre Gesteinsformationen und Kiefern, die in schwindelerregenden Höhen aus Felsritzen wachsen, bieten grandiose Anblicke zum Staunen und Stillwerden. Das Gebiet ist gut erschlossen, wenn auch etwas Mut dazu gehört, die kleinen Holzbrücken und Stege zu überqueren, unter denen sich die tief hinabreichenden Schluchten auftun.

Fünf Autostunden vom Huang-Shan-Gebirge entfernt liegt die 23 Millionen Einwohner zählende Stadt Shanghai, der Schlusspunkt der Reise. Nach 15 Tagen auf abgelegenen Pfaden bestimmen nun Hochhäuser das Bild: das World Financial Center, mit 492 Metern das dritthöchste Gebäude der Welt, und der legendäre Fernsehturm, der Oriental Pearl Tower (468 Meter, auf Deutsch "Perle des Ostens"). Und auch hier steht - weil's so schön war - ein Tempel auf dem Programm: der Jade-Buddha-Tempel, der eigens für zwei kostbare Buddhas aus weißer Jade errichtet wurde. Es ist der letzte dieser außergewöhnlichen Tour, bevor sich die Gruppe zu ihrem Abschiedstreffen zusammenfindet.


Regina Oberndorfer ist Leiterin des Dogen Zendo in Frankfurt und Verlegerin buddhistischer Literatur im Enso-Verlag (www.dogenzendo. de, www.enso-verlag.de).

Regine Ebert ist Journalistin und Zen-Praktizierende

Hinweis der Redaktion:
Die China-Reportage, Teil 2, von Hans-Günter Wagner lesen Sie in Buddhismus aktuell 1/2013 (Januar-Ausgabe)

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KASTEN
 
Bodhidharma in China

Bodhidharma brachte den Dhyana-Buddhismus von Indien nach China. Entsprechend den chinesischen Aufzeichnungen kam Bodhidharma im Jahr 527 in China an.(1) Dort begründete er den Chan-Buddhismus (chin. Channa oder Chan für Dhyana in Sanskrit), den chinesischen Vorläufer des japanischen Zen-Buddhismus.

Bodhidharma hat mit vielen chinesischen Traditionen gebrochen: Er lehrte und praktizierte nicht in Klöstern, sondern in einer Höhle im Wald. Konsequent vermied er den Kontakt zum Kaiser Wu und entzog sich damit dessen Kontrolle. Zu seiner Zeit war es in China üblich, dass die Regierung die Klöster errichtete und unterhielt, die Äbte wurden von den regionalen Gouverneuren eingesetzt. Bodhidharmas Weigerung, sich von der Obrigkeit vereinnahmen zu lassen, kam einer Unabhängigkeitserklärung der damaligen Zen-Schule gleich.

Anmerkung:
(1) Dies ist authentisch überliefert im Kapitel Gyoji des "Shobogenzo", dem großen Werk des japanischen Zen-Meisters Dogen zu Beginn des 13. Jahrhunderts. An der historischen Gestalt von Bodhidharma hat Dogen niemals Zweifel geäußert. Im Lexikon des Zen ist Bodhidharmas Ankunft in China mit 520 angegeben. Seine Lebenszeit dürfte nicht ganz sicher sein, etwa von 470 (in Indien) bis 543 (in China).Quelle: Shobogenzo, Band 2, S. 211

Weitere Infos zu Bodhidharma:
Shobogenzo, Kristkeitz Verlag, Ausgabe von 2003, Band 2,
S. 186 bzw. S. 211 Anm. 7
Lexikon des Zen, O. W. Barth Verlag
Jokin Keizan, Denkoroku, Die Weitergabe des Lichtes, Angkor Verlag

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Im Huang Shan Gebirge - "Brücke der Unsterblichen"
- Kloster von Mazu Daoyi: Zeremonie zu Ehren Guanyins
- Prozession als Teil der Zeremonie im gleichen Kloster
- Bodhidharma-Statue im Hualin Tempel
- Tempelwächter im Hualin Tempel
- Nanhua Klosteranlage
- Ehrwürdiger Abt Jing Hui im Daoxin Kloster
- Räuchergefäße am heiligen Berg Jiuhua Shan
- Trommelturm im Daoxin Kloster
- Alter Teil des Baizhang Klosters
- Eingang zur neuen Baizhang Klosteranlage
- Buddha Halle im Daoxin Kloster
- Huang Shan Gebirge
- Tausend Buddha Halle auf dem heiligen Berg Jiuhua Shan

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Quelle:
Buddhismus aktuell, Ausgabe 4/2012, S. 12-18
Herausgeberin: Deutsche Buddhistische Union (DBU)
Buddhistische Religionsgemeinschaft e.V.
www.dharma.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2012