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PRESSE/961: Der Umgang mit der Lebenskraft (Buddhistische Monatsblätter)


Buddhistische Monatsblätter Nr. 3/2012, September - Dezember
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.

Der Umgang mit der Lebenskraft (indriya)

von Wolfgang Krohn



Wer weiß, wann innezuhalten ist,
gerät nicht in Bedrängnis,
er wird allezeit Lebensfreude haben.

Laotse


Im Buddhistischen Wörterbuch von Nyanatiloka, Verlag Beyerlein & Steinschulte, finden wir auf Seite 86 eine Aufzählung der 22 Fähigkeiten, die den Menschen auf seinem Lebensweg begleiten. Zunächst die 6 Grundlagen (ayatana) Sehorgan, Hörorgan, Riechorgan, Schmeckorgan, Körperorgan und Geist (Bewusstsein), sodann Geschlecht (bhava) Weiblichkeit und Männlichkeit. Es folgt 9. Vitalität (jivita - körperlich wie geistig), mit der ich mich in meinem Beitrag befassen möchte. Ferner werden 5 Arten von Gefühlen (vedana), und zwar körperliches Wohlgefühl, körperliches Wehegefühl, Frohsinn, Trübsinn und Indifferenz genannt, weiter 5 geistige Fähigkeiten (bala), Vertrauen, Tatkraft, Achtsamkeit, Sammlung, Wissen und schließlich 3 überweltliche Fähigkeiten, nämlich die Gewissheit: "Das noch nicht Erkannte werde ich erkennen", Höchstes Wissen (Gnosis) und die Fähigkeiten dessen, der erkannt hat.

Mit Vitalität (jivita) sind Mensch und Tier ausgestattet, selbst die kleinste Blutzelle kann ohne sie nicht leben. Diesen Lebensstrom zu erkennen und zu wahren, ist Gegenstand meiner Darstellung. Er wird aus einer Quelle tief im Inneren unseres Seins gespeist. Vitalität verhält sich wie ein großer Fluss, dessen Verlauf sich über viele tausend Meilen ständig ändert. Er bleibt nie gleich. Seine Wassermenge, Reinheit und Temperatur ändern sich ständig. Man kann also nie behaupten, der Nil sei im Nildelta noch genauso wie in seinem Quellgebiet in Tansania. An diesem Beispiel können wir Buddhisten zwei der drei Daseinsmerkmale, "Veränderlichkeit und Substanzlosigkeit", leicht erkennen. So ist es auch mit den Lebensströmen beim Menschen. Wenn die Quelle versiegt ist, fehlt die Voraussetzung für ein glückliches menschliches Leben. Schon geringe Veränderungen machen sich in der Psyche bemerkbar und führen oft zu Depressionen, einem heute weit verbreiteten Leiden, das durch die Verschlechterung der Lebensenergie entsteht. Die Körpersäfte arbeiten nicht mehr richtig, weil sie nicht mehr ausreichend versorgt werden. Im weiteren Verlauf kann es zu ernsthaften Organ- und Gewebeschäden kommen. Es liegt also nahe, die Quelle Lebenskraft zu pflegen und zu erhalten. Um das zu erkennen, muss unsere körperlich/geistige Existenz verstanden werden.

Der Buddha lehrt uns, mit den uns zur Verfügung stehenden Geistes- und Körperkräften heilsam umzugehen. Der Achtsamkeit und rechten Anschauung kommt damit eine besondere Bedeutung zu. Wie organisiere ich mein Leben und wie kann ich es in mein Umfeld einordnen? So können durch eine destruktive Lebensführung wie a) Zorn, Wut, Groll, b) Exzesse z.B. nicht maßhalten beim Essen und Trinken, Sex, Glücksspiele, c) Stress durch Schulden, Ehekonflikte, Beruf, Reisen, d) körperliches Fehlverhalten wie exzessiven Sport leicht Defizite entstehen. Des Weiteren bewirkt das Anhaften an Haus, Familie, Beruf, Geld, Wissen und Titel, Energiebindung und -verbrauch. Dies alles führt zu einem schnellen Kräfteverfall. Die Folge sind Krankheit und früher Tod.

Dem steht Mehrung der Vitalität durch rechte Lebensführung gegenüber. Dabei unterscheide ich a) Maßhalten beim Essen und Trinken. b) Bewachung der Sinnestore, b) Genügsamkeit, c) geregelten Tages- und Nachtablauf, d) Loslassen von unnötigen Sachen und Gewohnheiten, e) Aufgeben falscher Ansichten und Förderung der Sammlung. Der Buddha und seine Nachfolger, soweit diese die letzte Heiligkeitsstufe (arahat) erreichten, hatten in vorbildlicher Weise weltliches Streben aufgegeben. Sie waren in die Hauslosigkeit gezogen und hatten sich zur Besitzlosigkeit bekannt. Weil sie ein einfaches und sorgenfreies Leben führten, konnte der Energiestrom frei fließen mit dem Ergebnis, dass sie höchste Erkenntnis (die drei überweltlichen Fähigkeiten 20. - 22. indriya) erreichten.

Die Tugenden (sila) verdienen besondere Aufmerksamkeit. Lebendiges umzubringen, zu stehlen, einen unsittlichen Lebenswandel zu führen, unrechte Rede zu führen und das Bewusstsein trübende Mittel zu nehmen, soll man meiden. Wer sich um Tugend bemüht und sie im Alltag anwendet, wird großen Zuwachs an Lebensenergie erfahren. Besonders möchte ich den rechten Lebenserwerb hervorheben. Folgende Berufe sind zu meiden: Schlachter, Fischer, Jäger, Soldat. Prostitution ist ebenfalls kein rechter Lebenserwerb. Dagegen sind alle Berufe förderlich, die dem menschlichen Wohlergehen dauerhaft dienen.

Besonders günstige Lebensumstände hat zu erwarten, wer sich mit Meditation und geistiger Erkenntnis befasst. Was wird darunter verstanden? In die Stille gehen, um den eigenen Geist und Körper zu beobachten. Sich auf das Heilsame wie Freigebigkeit und Genügsamkeit besinnen, das Karmagesetz erforschen, der himmlischen Wesen gedenken und über den Frieden wachen, wären einige Beispiele. Der Meditationswege gibt es viele. Einige sind gut, andere lassen zu wünschen übrig. Wer der Lehre des Erwachten folgt, wird im Palikanon die Satipatthana-Methode vorfinden, eine Meditationsart, die es schon lange gibt und die entsprechend den Texten M 10 Die vier Pfeiler der Einsicht, M 118 Bedachtsame Ein- und Ausatmung, D 22 wie M 10, nur umfangreicher, und A 60 Die Heilung des Girimananda Heilige hervorbrachte. Bei diesen Texten handelt es sich um Befreiungsanweisungen, die zum Nibbanam führen. Wer dieses Ziel nicht erreicht, dem bleiben noch Zwischenergebnisse. Dazu gehören der Erhalt und die Pflege der Vitalität. Haupthindernisse des geistigen Fortschrittes bilden die fünf Hemmungen (nivarana): 1. weltliche Begierde, 2. Zorn/Groll, 3. Mattheit und Müdigkeit, Stumpfheit, Starrsinn, 4. Aufgeregtheit/Gewissensunruhe und 5. Zweifel. Sie sind die eigentlichen Störenfriede, die viel Energie kosten. Sie können in der Sammlung vorübergehend außer Kraft gesetzt werden und, siehe da, es kehren Ruhe in Körper und Geist ein. Die Lebensenergie kann ungehindert fließen. Der Geist wird stark und entwickelt die Fähigkeit, den Fluss der Energien zu unterstützen. Die Heilerfolge werden nach vielen Übungen sichtbar. Etwas Ausdauer sollte der Übende schon mitbringen. An dieser Stelle möchte ich noch auf die Bedeutung der Achtsamen Ein- und Ausatmung M 118 (Anâpanasati Sutta), einen speziellen Teil der Satipatthana-Methode, hinweisen. Alle sechzehn Übungsanweisungen (4 x 4 = 16) werden vom Atem begleitet. Mit anâpanasati kann man den Energiestrom wahrnehmen und stärken. Atem und Lebenskraft werden in ihrem Zusammenfließen wahrnehmbar. Der Übende wird feststellen, dass er mit dieser Methode unmittelbar in den Energie-/Lebensstrom eingreifen kann. Schon nach kurzer Zeit bewussten Atmens werden Geist und Körper ganz ruhig und von einem großen Teil Ballast, der so unendlich viel Lebenskraft kostet, befreit. Wie Goethe im "Faust" sagt: "Von aller Last entladen, im goldenen Tau gesund mich baden." Ich als Übender kann nach fast vierzigjähriger Praxis diesen Prozess bestätigen und empfehle dringend, sich dieser Übungsform zu widmen.

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Quelle:
Buddhistische Monatsblätter Nr. 3/2012, September - Dezember, Seite 15-17
Vierteljahreszeitschrift der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2013