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PRESSE/972: Stephen Batchelor - Dem Buddha ging es um einen neue Art von Kultur (Buddhismus aktuell)


Buddhismus aktuell, Ausgabe 2/2013
Zeitschrift der Deutschen Buddhistischen Union

Dem Buddha ging es um einen neue Art von Kultur

Interview von Ursula Richard



Das folgende Gespräch mit Stephen Batchelor fand im Anschluss an seinen Vortrag und seine beiden Workshops in Hamburg beim DBU-Kongress 2012 statt.


Ursula Richard: Ich möchte noch einmal Ihre Redeweise von Buddhismus 1.0 und 2.0 aufgreifen und Sie bitten, dieses Konzept noch etwas näher zu beschreiben.

Stephen Batchelor: Betonen möchte ich, dass es eine eher spielerische Idee ist. Sie ermöglicht mir, einen Unterschied zwischen Software und Betriebssystem zu machen. Der Punkt, um den es mir geht, ist folgender: Dem Buddhismus, ist es gelungen, von Indien nach China, Tibet und Japan zu gelangen, in ganz unterschiedliche Kulturen, und jedes Mal passte er sich sehr erfolgreich an, ohne die ihm zugrundeliegende Metaphysik des indischen Denkens zu hinterfragen. Mein Gefühl gegenüber einem Buddhismus, der jetzt in die Moderne vordringt - und ich meine damit nicht nur den Westen, sondern die gesamte moderne globalisierte Welt -, ist, dass die Lücke zwischen dem traditionellen Buddhismus in Asien und der Moderne größer ist als die Lücke, die vielleicht zwischen Indien und China bzw. Indien und Tibet existierte. Ich bin mir ganz und gar nicht sicher, ob der Buddhismus überhaupt eine Zukunft haben wird, solange einfach nur kleinere Änderungen an den asiatischen Traditionen vorgenommen werden. Deshalb schlage ich vor, darüber nachzudenken, ob wir den Patienten vielleicht einer etwas größeren Operation unterziehen sollten. Mir ist dabei sehr wohl bewusst, dass der Patient das möglicherweise nicht überleben wird. Aber jede Woche erhalte ich eine Handvoll E-Mails, in denen steht: "Ich fühle mich vom Buddhismus sehr angezogen, habe Ihr Buch gelesen und bin dann zu einem, sagen wir mal, tibetischen Zentrum gegangen. Dort begegneten mir all die Probleme wieder, die ich auch mit dem Christentum hatte. An einem bestimmten Punkt wurde erwartet, dass ich an Dinge glaube, an die ich nicht glauben kann, von mir wurde erwartet, bei allen möglichen Ritualen und Rezitationen mitzumachen, und diese Erfahrung hat mich abgeschreckt. Gleichzeitig stehen mir die Grundideen, die Werte und die Ästhetik des Buddhismus sehr nahe, ich finde jedoch keine Gemeinschaft, kein Umfeld, in das ich mich wirklich einbringen kann, um diesen Impulsen und Sehnsuchten nachzugehen und meiner Leidenschaft für eine bestimmte Spiritualität zu folgen." Ich habe dies mittlerweile sehr oft gehört, und es entspricht natürlich auch meiner eigenen Erfahrung. Viele Jahre habe ich als Mönch gelebt und bin dabei in eine Krise geraten. Ich konnte den ganzen Kram einfach nicht mehr schlucken. Das brachte mich dazu, mich selbst zu befragen, ich hatte viele Fragen und kehrte dann zu den frühesten buddhistischen Lehren im Pali-Kanon zurück, um wirklich ein genaueres Bild vom Leben des Buddha zu erhalten - wer war diese Person, und in was für einer Welt lebte er?


Buddhismus 2.0 fordert die buddhistische Orthodoxie heraus

Mein Versuch, einen säkularen Buddhismus zu entwickeln und zu artikulieren, Buddhismus 2.0, ist sehr eng verbunden mit meinem Interesse an den frühesten Phasen des buddhistischen Kanons. Das ist natürlich merkwürdig, denn auf der einen Seite schaue ich in die Zukunft, aber um Hinweise zu finden, gehe ich weit, weit in die Vergangenheit zurück. Je mehr man sich zurück in die Zeit des Buddha begibt, das ist jedenfalls mein Eindruck, umso radikaler ist der Buddhismus. Aber als er sich dann in Indien und andernorts entfaltete, ist er viele Kompromisse mit den einheimischen Religionen eingegangen, ob das nun der Hinduismus, der Konfuzianismus oder der Schamanismus in Tibet war. Dadurch verlor er seine Originalität und Unverwechselbarkeit, die sich so lebhaft in vielen Passagen des frühen Kanons zeigen. Buddhismus 2.0 ist in gewisser Weise eine Herausforderung an die buddhistische Orthodoxie. Er sagt: "Schaut, in dieser Tradition gibt es Material mit einer ganzen Reihe von sehr unterschiedlichen Annahmen, auf denen diese Praxis beruht." Die größte Autorität für meine Behauptung finde ich in den frühen kanonischen Texten, nicht in allen, aber eine beträchtliche Anzahl ist ziemlich konsistent und scheint darauf hinzuweisen, dass der Buddha eine Lebensstrategie entwickelt hat, bei der es nicht nur um persönliche Befreiung geht, sondern auch darum, die Grundlagen für eine neue Art von Kultur zu legen, eine andere Art von Zivilisation vielleicht. Es ging dem Buddha sicherlich nicht um eine dogmatische Religion.


Pluralität in Fragen der Religion ist etwas Positives

UR: In den westlichen Ländern gibt es mehr und mehr Menschen, die sich nach spirituellen Praktiken, nach transpersonalen und transzendenten Erfahrungen sehnen, ohne noch in einer religiösen Tradition verankert zu sein. Menschen, die ihre eigene Spiritualität als ein Patchwork entwerfen, die buddhistisch meditieren, beten, Yoga praktizieren, Taizé-Lieder singen, Amma aufsuchen und sich umarmen lassen usw. Sehen Sie das als eine positive Entwicklung oder birgt sie auch Gefahren? Denken Sie, dass ein säkularer Buddhismus gut zu diesen Bedürfnissen passt?

SB: Er wird gut zu einigen dieser Bedürfnisse passen. Dass eine Religion die Gesellschaft dominiert, ist, zumindest hier im Westen, im Grunde genommen nicht mehr aktuell. Wir müssen uns daher mit einer religiösen Pluralität anfreunden. Das hat sowohl Vor- als auch Nachteile. Ich denke, es kann manchmal zu einer gewissen Oberflächlichkeit führen, einem selbstbezogenen Ansatz - im Sinne von: Ich tue nur das, was mir gefällt, und wenn es mir nicht mehr zusagt, dann gehe ich einfach woanders hin. Ich persönlich gehe allerdings davon aus, dass Menschen, die sich für spirituelle Praktiken interessieren, tiefe und persönliche Gründe dafür haben. In der Tat glaube ich, dass Pluralität in Fragen der Religion etwas Positives ist, weil sich dadurch ein Kontext öffnet, in dem unterschiedliche spirituelle Bedürfnisse zu verschiedenen Zeiten unseres Lebens erfüllt werden können, ohne dass wir das Gefühl haben, von den Zwängen einer bestimmten Kirche oder eines Tempels eingeschränkt zu werden. Das, denke ich, kann eine sehr befreiende und positive Entwicklung sein. Als Intellektueller, als Denker, beschäftigt mich aber auch, dass die spirituellen Bewegungen, die sich in der Zukunft entwickeln werden, eine gewisse Kohärenz haben sollten. Es ist schön und gut, einem Hindu-Priester zu begegnen und alles über Brahman zu erfahren und dann zu einem Theravada-Mönch zu gehen und zu hören, dass es Brahman nicht gibt: Irgendwann muss jede/jeder selbst Stellung dazu beziehen, dass da ganz unterschiedliche Dinge gesagt werden. Letztendlich halte ich gewisse universalistische Ideen, dass alles zu Gott führt zum Beispiel, für zu undeutlich bzw. wenig kohärent. Ich finde, wir brauchen etwas Besseres als das, sollten aber gleichzeitig zwei Extreme vermeiden: Einerseits jeglichen engen Dogmatismus, egal, ob er von Christen, Muslimen oder Buddhisten kommt, in dem es immer nur darum geht, Menschen einzuschränken, und andererseits eine grenzenlose Offenheit, die völlig unstrukturiert und ohne Grundlage ist. Meines Erachtens macht es das nämlich schwierig, ein kohärentes und sinnvolles individuelles Leben zu führen, und, was noch wichtiger ist: als Gesellschaft, als Gemeinschaft und Kultur brauchen wir etwas mehr als eine "Pick-and-mix-Spiritualität". Der säkulare Buddhismus ist ein Versuch, dies zu überdenken und möglicherweise einen Beitrag zu leisten.

UR: Wie würden Sie die Beziehung zwischen säkularem Buddhismus und den unterschiedlichen Traditionen des Buddhismus beschreiben?

SB: Ich denke, von allen buddhistischen Traditionen ist Zen bereits am stärksten säkularisiert. Wenn man zum Beispiel Dogen liest, ist das ziemlich weltlich. Und wenn man sich mit den frühen Koan-Sammlungen befasst - Die Niederschrift von der Smaragdenen Felswand zum Beispiel -, so hat das nichts mit Metaphysik zu tun. Meine persönliche Identität als Buddhist enthält ein starkes Zen-Element, und ich vermute, dass meine Zen-Praxis mein aktuelles Denken stark geprägt hat. Zum Beispiel, indem Zen den Schwerpunkt eher auf Fragen statt auf Antworten legt - das ist bereits ein großer Sprung weg vom dogmatischen Glauben. Der Punkt ist, dass sich in vielen zentralen Texten des Zen nichts direkt Religiöses oder, besser gesagt, Metaphysisches findet. Zen, denke ich, war eine Rückkehr zur anti-metaphysischen Haltung des Buddha.

UR: Im Sinne einer Reformation?

SB: Ja, genauso sehe ich das. Ich denke, der säkulare Buddhismus ist eine Reformbewegung, und ich glaube auch, dass das zum Beispiel dem orthodoxen tibetischen Buddhismus nicht gefallen wird. Aber wer weiß, auch da ändert sich gerade einiges.


Der säkulare Buddhismus ist eine Reformbewegung

UR: Welche Rolle kann ein säkularer Buddhismus für die anderen Religionen - Christentum, Islam, Judaismus - spielen? Muss jede religiöse Tradition sich von 1.0 zu 2.0 wandeln? Gott selbst ist übrigens schon bei 9.0 angekommen, so zumindest der Titel eines bei uns recht erfolgreichen Buches.

SB: Mir steht es nicht zu, anderen Religionen zu sagen, was sie tun sollten oder nicht, auch wenn ich in meinem eigenen Denken von radikalen Christen inspiriert wurde. Ohne Menschen wie Paul Tillich, Don Cupitt, Gianni Vattimo oder Hans Küng würde ich nicht tun, was ich tue. Unter christlichen Denkern gibt es momentan eine Bewegung, die mir Mut macht und mich inspiriert. Ich sehe solche Entwicklungen leider nicht im Islam, der meines Erachtens eine Prise Säkularismus gut gebrauchen könnte. Ich führte im Quaker Centre in London ein öffentliches Gespräch mit Don Cupitt, einem Theologen, in dem er sich als säkularer Buddhist präsentierte und ich mich als säkularer Christ. In meinem Denken stehe ich Don Cupitt oder Lloyd Geering, einem radikalen protestantischen Theologen, näher als den meisten Buddhisten oder den meisten zeitgenössischen buddhistischen Denkern. Vattimo ist meine jüngste Entdeckung; er ist mehr Philosoph als Theologe, was er schreibt, ist brillant.

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Quelle:
Buddhismus aktuell, Ausgabe 2/2013, S. 26-28
Herausgeberin: Deutsche Buddhistische Union (DBU)
Buddhistische Religionsgemeinschaft e.V.
www.dharma.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2013