Schattenblick →INFOPOOL →RELIGION → BUDDHISMUS

PRESSE/988: Die Entstehung des Buddhismus (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 1, Januar - April 2015
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Die Entstehung des Buddhismus

von Axel Rodeck



Protestbewegungen gegen den Brahmanismus

Im ersten vorchristlichen Jahrtausend hatte sich in Nordwestindien aus dem Ständesystem der arischen Eroberer ein Kastenwesen entwickelt, in welchem die Priesterkaste (Brahmanen) mit der Kriegerkaste um die Vorherrschaft konkurrierte. Die Brahmanen beanspruchten, sehr zum Verdruss des Adels, den ersten Rang im Kastensystem. Ihre soziale Vorrangstellung festigte sich immer mehr, je mehr sich das Kastenwesen ausbreitete und zur Entstehung immer neuer Unterkasten führte. Zwar war noch der König für die Ordnung der Welt zuständig, diese Ordnung musste aber durch Opfer sichergestellt werden, für die wiederum Priester unentbehrlich waren.

Mit der erfolgreichen Durchsetzung ihres Kastensystems wurden die Brahmanen "zu konservativen Hütern und Bewahrern einer religiös sanktionierten gesellschaftlichen Hierarchie" (K.Meisig). Derart ausgeprägte hierarchische Strukturen mussten gegenläufige Ideen produzieren. Von diesen gab es sowohl auf religiösem als auch auf weltlichem Gebiet viele, und sicherlich nur ein Teil davon ist heute noch bekannt. Die "Upanishaden" (Geheimlehren) atmen bereits den Geist spiritueller Erneuerung und sind schon der religiösen Unabhängigkeitsbewegung zuzurechnen, die sich im 6. vorchristl. Jh. ergab und die auch den späteren Buddha Siddhartha Gautama beeinflusste. Sie war eine friedliche Revolution, die sich gegen die in unverständlicher Sakralsprache, von hochmütigen Priestern und zu überteuerten Preisen durchgeführten Opferrituale richtete, ein Aufbruch, der die Wahrheit auf neuen Wegen suchte. Viele Menschen verließen ihr bisheriges Leben und wurden "Samanas", besitzlos und zölibatär lebende Bettelmönche, die außerhalb des orthodoxen Raumes ihr Heil zu erreichen trachteten.

Die Unabhängigkeitsbewegung führte dann, aus brahmanischer Sicht, zu den Ketzerreligionen Buddhismus und Jhainismus sowie zur von diesen wiederum bekämpften Ajivikasekte des Makkali Goshala und anderen aufmüpfigen Gruppierungen. Die Polemiken gegen den Brahmanismus sind aber auch das Ergebnis einer realen gesellschaftlichen Konkurrenz, eines Machtkampfs zwischen Priesterstand und Adel als führenden Ständen der altindischen Gesellschaft.


Siddhartha Gautama und die Erleuchtung

Unter die große Schar der Bettelmönche hatte sich ein junger Mann aus gutem Hause begeben, Siddhartha Gautama, Sohn eines Provinzfürsten aus Kapilavattu nahe der heutigen indisch-nepalesischen Grenze. Er schloss sich zunächst einem Lehrer namens Alara Kalama an, der als Spezialist für Meditationstechnik galt, dem jungen Heilssucher aber sonst nicht viel an Erkenntnis zu vermitteln vermochte. Deshalb wandte er sich einem anderen Lehrer zu, Uddaka Ramaputta, welcher mit seinen upanishadischen Ideen sicherlich bleibenden Eindruck bei dem künftigen Buddha hinterließ. Doch auch diesen verließ er bald wieder, widmete sich härtester Askese und musste erkennen, dass auch nicht diese, sondern nur freudig-heitere Kontemplation der Weg zur Erleuchtung sein konnte. Damit lag er richtig: Die als "Vierstufige Versenkung" bezeichnete Meditation, welche wie alle Meditation nur präparative Wirkung hatte, bereitete einem Erkenntnisdurchbruch den Boden, der Gautamas Erleuchtung zur Folge hatte.

In der ersten Vollmondnacht des Monats Vesakha im Jahr 528 v. Chr., in der Nähe des Ortes Uruvela (heute Bodh Gaya), erkannte er seine vielen Vorexistenzen, das Naturgesetz der ethischen Kausalität sowie die Ursache des Leidens der Wesen. Siddhartha Gautama hatte die Erleuchtung erreicht, war zu einem Buddha geworden.

Dass der Buddha sich nach Überwindung ursprünglich vorhandener Bedenken entschloss, seine Erkenntnisse an andere weiterzugeben, sollte gewichtige Folgen haben. Für ihn selber als Person war die Erleuchtung das Ende der Heilssuche, für seine Lehre aber war sie der Anfang der Entfaltung.


Buddhas neue Lehre

Gautama hatte als Heilssucher nicht orientierungslos im Dunkeln getappt, sondern sich sorgfältig mit dem religiösen Wissen seiner Zeit befasst und hierauf seine Meditation konzentriert. Sein Erleuchtungsvorgang war rational gelenkt und führte zu einem "glückhaften Zustand überlegener geistiger Klarheit, der alle analytischen Fähigkeiten aktivierte und sie wie ein Brennglas auf jeweils einen Gegenstand sammelte" (H. W. Schumann). Gautamas Erleuchtung bestand größtenteils in analytischem Verständnis vorgefundenen Gedankenmaterials, ging jedoch als "Wissensneuland erobernde Erkenntnis" (H. W. Schumann) darüber hinaus. Ausgangspunkt sind die damals dem überwiegenden Teil des indischen Denkens gemeinsamen Ideen, nämlich die Seelenwanderung, das Gesetz des Karma und das Ziel der Überwindung von beidem.

1) In der berühmten "Predigt von Benares" hatte der Buddha seinen ersten fünf Zuhörern zunächst verkündet, dass der richtige Heilsweg ein "mittlerer Weg" zwischen Sinnesfreuden und Kasteiung sei. Es sei töricht, mittels selbstquälerisch-asketischer Leidenszufügung zur Leidensaufhebung kommen zu wollen.

2) Sodann legte der Buddha seinen Zuhörern in den "Vier Edlen Wahrheiten" das Grundprinzip seiner Überlegungen dar, wobei er eine in der weit entwickelten indischen Medizin ausgebildete Systematik anwandte.

a) Die erste Edle Wahrheit stellt die Diagnose und besagt, dass alles Dasein Leiden ist. Selbst augenblickliches Glück ist, wie alles in der Welt, dem Vergehen unterworfen und damit letztlich leidhaft. Ob die Welt wirklich leidhaft ist, wurde freilich schon immer heftig diskutiert und lässt sich weder beweisen noch widerlegen. Die einen kritisieren den "indischen Pessimismus", die anderen sehen hier eine logisch nachvollziehbare Erkenntnis. Letztlich ist die Leidhaftigkeit des Daseins ein Axiom des Buddhismus, auf dem sich sein ganzes Gedankengebäude aufbaut.

b) Die zweite Edle Wahrheit bezeichnet die Gier (den "Durst") als Ursache des Leidens, nämlich den Wunsch nach Lust, nach Vermeidung von Unlust und nach "Werden", d.h. Klammerung an das Leben mit der Folge weiterer wiedergeburtlicher Daseinsformen.

c) Die dritte Edle Wahrheit ist eigentlich eine logische Schlussfolgerung: Vermeidet man die Gier, führt dieses zur Aufhebung des Leidens. An die Stelle der Gier soll der Gleichmut treten.

d) Die vierte Edle Wahrheit schließlich benennt die Medizin, die zum Erlöschen der Gier und damit zur Heilung des diagnostizierten Krankheitszustandes "Leiden" führt. Es ist der Achtfache Weg der ethischen Selbstdisziplinierung, dessen acht Glieder wie folgt in fünf Gruppen zusammengefasst werden können:

1. Rechte Ansicht, d.h. Einsicht in die Richtigkeit der vier Wahrheiten,

2.-4. Ethisch rechter Lebenswandel, der auf rechtem Entschluss, rechter Rede und rechtem Verhalten beruht,

5. Rechte Lebensführung, was sich hauptsächlich auf den Beruf bezieht,

6.-7. Ständige Selbstkontrolle hinsichtlich der Einhaltung der Glieder 1-5 durch rechte Anstrengung und rechte Achtsamkeit. Dabei ist die "rechte Achtsamkeit" schon als Meditationstechnik anzusehen, die die vorangehenden Glieder begleiten soll.

8. Rechte Meditation als Krönung des ganzen, wozu die Glieder 1-7 allesamt nur Hilfsdisziplinen sind. Die Meditation soll zur Aufhebung des Unterschieds zwischen Subjekt und Objekt führen, so dass die Sinnesobjekte und mit diesen zwangsläufig auch die auf sie gerichteten Begierden verschwinden. Dadurch wird die Aufhebung des Leidens erreicht.

3) Wenige Tage später ergänzte Buddha seine Lehrrede um einen neuen, überraschenden Gedanken. Er führte aus, entgegen der von den Brahmanen vertretenen Auffassung gebe es kein den Tod überdauerndes Ich, die Wesen seien ohne Seele (anatta). Im Laufe der Zeit wurde diese Lehre der Essenzlosigkeit nicht nur auf Lebewesen, sondern auf die gesamte Natur angewendet. Weil es keine ewige Seele gibt, beruht der Kreislauf der Wiedergeburten nicht auf der Wanderung einer geistigen Substanz, sondern auf einer vom Buddha entdeckten Ursachenkette von zwölf Gliedern. Die nach Buddhas Vorschlägen zu erreichende Vernichtung der Gier hat dann zur Folge, dass der Kreislauf der Wiedergeburten beendet und das als "Nirvana" bezeichnete Heilsziel völligen Erlöschens erreicht wird.


Die Ausbreitung des Buddhismus

Schon die ersten Kontakte des jungen Buddha mit den Bürgern des nahe gelegenen Benares zeigten, welche Schwierigkeiten bei der Verkündung der Lehre zu erwarten waren. Benares hatte schon damals den Nimbus der Heiligkeit und war Schauplatz der von einer Berufsbrahmanenzunft dirigierten vedischen Opferkulte. Als Gegner von Feueropfer und rituellen Waschungen bekamen die Buddhisten den geballten Unmut derjenigen Benaresen zu spüren, die irgendwie von dem Opfer- und Einäscherungsrummel lebten. Der Buddha und seine kleine Anhängerschar zogen sich daher lieber in den außerhalb der Stadt gelegenen Wildpark von Isipatana zurück.

Der bald darauf gefasste Entschluss Buddhas, weiter nach Rajagaha zu ziehen, erwies sich als richtig und hatte für die Verbreitung des Buddhismus erhebliche Folgen. Denn es gelang Buddha, die Freundschaft des dort residierenden jungen Königs Bimbisara von Magadha zu erlangen und diesen von seiner Lehre zu überzeugen. Bimbisara wurde Laienbekenner, unterstellte die Buddhisten seinem Schutz und schenkte ihnen vor dem Nordtor Rajagahas eine Gartenanlage, in der sie sich künftig während der Regenzeit in regenfesten Gebäuden aufhalten konnten. Der Übertritt Bimbisaras machte den Buddhismus gesellschaftsfähig, führte zu einem großen Zulauf von Menschen aus allen Kasten und öffnete die Tore für eine weitere Ausbreitung in Nordindien.

Mit König Pasenadi von Kosala, einem übergewichtigen Genussmenschen, wurde ein weiterer junger König Laienbekenner, was erneut zur Stärkung und Verbreitung des Buddhismus in einem der großen indischen Königreiche führte.

Der Buddha und seine Jünger folgten hauptsächlich den Handelsstraßen, die in einer sich entwickelnden Zivilisation angelegt worden waren. Ihr Ziel waren die Städte, denn die neue Lehre trug urbanen Charakter und richtete sich an die Gebildeten, weil nur diese nach Buddhas Meinung in der Lage waren, die anspruchsvolle Lehre zu verstehen. Aber auch die breitere Bevölkerung fand die neue Lehre attraktiv, weil sie in allen Fragen einen vernünftigen Mittelkurs steuerte und nicht wie der Brahmanismus ein Erlösungsmonopol behauptete. Die Kaufleute waren froh, von den kostspieligen vedischen Opferritualen befreit zu werden, die angeblich den Geschäftserfolg sicherten.

Die Darlegung der Lehre in der lokalen Umgangssprache war ein weiterer Pluspunkt. So verbreitete sich der Buddhismus zügig in der Gangesebene über ein Gebiet von 600 km x 300 km Ausdehnung.


Heilslehre und kommunalistische Religion

a) Der Buddha hatte stets betont, er wolle nichts anderes, als mit seiner Lehre den Menschen einen Weg aus der leidhaften Existenz weisen. Es lag ihm fern, eine Metaphysik zu lehren oder gar eine politische Doktrin aufzustellen: Wie die Ozeane vom Geschmack des Salzes, so sei seine Lehre vom Geschmack der Leidenserlösung bestimmt.

Gleichwohl wird einem klugen Kopf wie dem Shakyamuni (= Ehrentitel Buddhas) klar gewesen sein, dass dies nur deklaratorische Aussagen sein konnten, die sich in der Praxis nicht durchhalten ließen. Er hatte sich nun einmal entschlossen, seine anspruchsvolle Lehre zu verkünden und einen Sangha (Gemeinde) zu gründen, und gerade einem Buddhisten ist ja das eherne Gesetz bekannt, dass Taten ihre Folgen haben. Der Buddha hatte daher im Laufe seines Lebens mit Problemen zu tun, die sich aus den Resultaten seiner eigenen Neuerungen ergaben, ja, er "konnte die meisten Konsequenzen seiner Predigten nicht vorhersehen oder beabsichtigen" (R.Gombrich).

b) Eine Religion ist auf der einen Seite Heilslehre (Soteriologie), die sich mit den höchsten Zielen des Individuums und insbesondere seinem Schicksal nach dem Tod befasst. Auf der anderen Seite kann die Religion auch sehr stark in das gesellschaftliche Leben eingreifen, ihm Regeln und Rituale geben, und zum Teil bis in die Einzelheiten Richtlinien für die Ordnung der Gesellschaft aufstellen. Man spricht dann von einer "kommunalistischen Religion". Solche Religionen sind insbesondere die semitischen Religionen und der Hinduismus. Der Buddha predigte dagegen stets eine reine Heilslehre und hatte keinerlei Interesse an religiösen oder weltlichen Ritualen, die es ja gerade abzustreifen galt.

Er war an kommunalistischer Religion nicht interessiert und warf dieser vor, das Schicksal des einzelnen in diesem Leben durch Rückgriff auf Magie oder die Intervention der Götter bessern zu wollen.

Andererseits lebten (und leben) natürlich auch die Buddhisten in einer Gesellschaft, die ihr Zusammenleben geregelt und für die wichtigen Daten im menschlichen Leben Rituale entwickelt hatte. Wie jede andere Religion musste sich auch der Buddhismus mit der Gesellschaft arrangieren und zu Fragen des weltlichen Lebens Stellung beziehen, letztlich sogar eine Sozialtheorie entwickeln. Dabei stand axiomatisch fest, dass soziale Ungleichheit das Ergebnis früherer Taten ist, jeder hat sich seinen sozialen Stand karmisch verdient. Zwar hielt der Buddha eine Klassengesellschaft für naturgegeben, dennoch bestritt er entschieden, dass die Zugehörigkeit zu einer Klasse oder Kaste etwas über den Wert des Menschen sagte.

Wenn der Buddha das Leben auf der Welt lebenswerter machte, so war dies jedoch keineswegs seine Absicht, sondern eher eine ungewollte, aber billigend in Kauf genommene Folge seiner Lehre. Der Buddha predigte nie gegen soziale Ungleichheit, er war kein Sozialreformer. Seine Religion, die bestens mit den Machthabern der damaligen Zeit auskam, war nicht die Religion der Unterdrückten. Dennoch hatte sie eine enorme Sprengkraft. Sie untergrub den Brahmanismus in vieler Beziehung, denn der Buddha leugnete die Autorität der Priesterschaft, ihr Monopol auf heiliges Wissen, ihren Anspruch, das Göttliche zu vermitteln sowie weitere Fundamente brahmanischer Herrschaft.


Neuinterpretation der Karmalehre

Die Erkenntnisse des Buddha packten die brahmanische Ideologie an ihren Lebensnerven und führten für den Brahmanismus eine bedrohliche Situation herbei. Hierzu gehörte insbesondere die Neuinterpretation der Karmalehre.

a) Nach brahmanischer Lehre hatte eine Handlung als solche Folgen, insbesondere führte die dem Ritus entsprechende Opferhandlung zum positiven Ergebnis. Für die perfekte Inszenierung der Zeremonie hatten aber die Priester das Monopol, so dass von ihnen der Erfolg abhing. Dies ließen sie sich unter Ausnutzung der Situation gut bezahlen.

Der Buddha stellte nun die Lehre vom Karma völlig auf den Kopf. Er führte aus, dass es nicht auf die Handlung als solche, sondern auf die dahinter stehende Absicht ankomme. Die moralische Eigenschaft einer Handlung wird also durch das ihr zugrunde liegende Motiv bestimmt. Damit wurde die Lehre vom Karma ethisiert und der Wert des kunstgerechten Rituals geleugnet. Diese soteriologische Aussage Buddhas hatte, was man sich wirklich einmal klar vor Augen halten muss, erhebliche greifbare Konsequenzen: Der großteils vom Opfergeschäft lebende Brahmanenstand wurde empfindlich in seiner wirtschaftlichen Basis getroffen. Dies wiederum musste ihn politisch schwächen und seinen Rivalen, den Adelsstand, stärken. Brahmanen, die als Familienväter gewissenhaft Frau und Kinder aus den Erlösen ihres Berufes ernährten, mussten sich von bettelnden Samanas, die bei Auszug in die Hauslosigkeit oft ihre Angehörigen notleidend zurückgelassen hatten, das Berufsbild verunglimpfen lassen.

Dem Buddha sind all diese Folgen seiner Lehre zweifellos klar gewesen, und wenn er sie auch nicht bezweckt haben wird, so hat er sie doch zumindest billigend in Kauf genommen.

b) Doch damit nicht genug. Mit seinem Schachzug stürzte der Buddha die gesamte brahmanische kastengebundene Moral um. Denn wenn es allein auf die gute oder schlechte Absicht eines handelnden Menschen ankommt, so ist diese ethisch immer dieselbe, gleich ob ein Brahmane, Krieger, Bauer oder Bettler die Tat ausführt. Moralisches Handeln mit dem Ergebnis der Erreichung des höchsten Heilsziels ist also jedem möglich, ohne dass er Rituale studieren oder erst noch in der Brahmanenkaste wiedergeboren werden muss. Das Ritual hat keinen Heilswert mehr, weil sein Wesen in der Aktion und nicht in der Absicht liegt. Auch sind die Kasten für den heilssuchenden Menschen entbehrlich, denn der einzelne ist autonom und "letzte Autorität ist das, was wir Gewissen nennen" (R. Gombrich).


Gegensätze zum Brahmanismus

Die neue Lehre wurde vom Buddha allen daran interessierten Menschen ohne Geheimniskrämerei und in der Volkssprache angeboten, im Gegensatz zu dem privilegierten Wissen der Brahmanen. Sie trägt oppositionelle Züge und begründete eine Reformbewegung gegen die religiösen und auch politischen Strukturen der altindischen Gesellschaft. Buddhas spezifische Kritik an sozialen Rollen ist fast ausschließlich an die Brahmanen gerichtet. Folgend einige wichtige weitere Momente, die den Urbuddhismus als oppositionelle Reformbewegung erscheinen lassen:

a) Auf äußerst geschickte Weise wird von den Buddhisten das Opferwesen umfunktioniert. Zunächst empfehlen sie, die Opfertiere durch Substitute wie Milchprodukte oder Honig zu ersetzen.

Dem wird wohl schon aus Kostengründen gern gefolgt. Sodann wird das Opfer ethisch überhöht, indem gefragt wird, was denn dem Menschen noch mehr Verdienst bringen könne. Das sind aber, so erklären die Buddhisten, Almosenspenden, Klosterbau und letztlich die eigene Zufluchtnahme zum Buddha. Vom blutigen Ritual führt der Weg also direkt zum ethischen Lebenswandel.

b) Der Buddhismus hat völlig andere Ansatzpunkte als der Brahmanismus. Er ist zunächst eine Stifterreligion, deren Stifter die Praxis seiner Lehre selber erfahren hat. Buddha kritisierte die Brahmanen, weil sie lehrten, was sie nicht selbst erlebt hatten. Sie seien wie eine Reihe von Blinden, die sich gegenseitig an der Hand führen. Sodann ist der Buddhismus eine nicht-hierarchische Universalreligion, die nicht wie der Hinduismus (und unter den prophetischen Religionen das Judentum!) auf einer bestimmten Volkszugehörigkeit beruht, sondern allen Menschen ein egalitäres Erlösungsmodell bietet. (Spötter sagen freilich heute, der Buddhismus sei nur die Exportversion des Hinduismus.) Schließlich ist als Erlösungsreligion sein existenzieller Ansatzpunkt das Streben nach Heil, welches dem Einzelnen obliegt und bei dem auch die Götter nicht weiterhelfen können.

c) Der ursprüngliche Buddhismus reagierte auf den vedischen Poly-Theismus nicht mit Mono-Theismus, sondern mit einem strikten Rationalismus, mit einer rationalistischen Deutung der vorgefundenen Religionen und Mythologien. Die Autorität der Veden als Sammelpunkt letzter Wahrheit wird verworfen. Für den Buddhisten ist Religion eine Sache des Verstehens und der Ausübung des Dhamma mit dem Ziel der Vernichtung von Gier, Hass und Verblendung.


Das spätere Abweichen von der Urlehre

Der Urbuddhismus sowie der ihm folgende kanonische Hinayana-Buddhismus bilden die Messlatte, an der alle späteren Entwicklungen hinsichtlich ihres Neuerungsgehaltes zu messen sind. Diese Weiterentwicklungen weichten dann die frühbuddhistischen Grundsätze wieder auf, ja, stellten sie manchmal gar auf den Kopf, wobei oft der Druck der hinduistischen Umwelt die Ursache war.

Die mahayanische Bodhisattva-Lehre führt den von Buddha verpönten Gedanken asketischen Leidens wieder ein, freilich mit der Änderung, dass jetzt nicht mehr zur Eigenerlösung, sondern altruistisch zur Fremderlösung gelitten wird. Die Drei-Leiber-Lehre überhöht den Buddha ins Göttliche und nähert sich wieder den polytheistischen Vorstellungen des Hinduismus an, um das Verlangen der Gläubigen nach übernatürlichen Gestalten zu befriedigen. Im Tantrismus werden Geheimniskrämerei und Zauberei wieder lebendig, der antiritualistische Urbuddhismus hatte Zauberei als erlösungshinderlich angesehen und Magie und Rituale bekämpft und durch ethisches Denken überwunden.

Die Anbiederung an die Volksbedürfnisse führte dann freilich dazu, dass der Buddhismus in Indien seine Eigenständigkeit verlor und ausgerechnet in seinem Geburtsland unterging. Denn er war ununterscheidbar geworden von der Volksreligion des Hinduismus, gegen den er einst als Reformbewegung angetreten war, und erst in jüngster Zeit ist er in seinem Mutterland Indien als soziale Reformbewegung mit stark säkularistischen Zügen wiederbelebt worden.

Als eherne Grundsätze des Buddhismus blieben jedoch bestehen die Leugnung einer ewigen Seele, die Anerkennung von Karma und Wiedergeburt, die Erlösung aus einer leidvollen Welt durch Überwindung von Gier, Hass und Verblendung, und schließlich das Heilsziel des Nirvana.

Welch Glück, dass der Shakyamuni im Nirvana vollkommen erloschen war und daher nicht mehr wahrnehmen musste, wie die Hindus ihn, den erklärten Anti-Theisten, als eine Inkarnation Vishnus schonungslos ihrem Götterhimmel einverleibten.

*

Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
46. Jahrgang, Januar - April 2015, Nr. 1, Seite 6-12
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
Drostestr. 8, 30161 Hannover,
Tel. und Fax: 05 11/3 94 17 56
E-mail: info@buddha-hannover.de
Internet: www.buddha-hannover.de
 
"Der Mittlere Weg - majjhima-patipada" erscheint
nach Bedarf und ist für Mitglieder kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang