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AFRIKA/034: Sudan - Bis Frieden wird, kann es noch lange dauern (ÖRK)


Ökumenischer Rat der Kirchen - Feature vom 5. August 2008

Sudan: Bis Frieden wird, kann es noch lange dauern

Interview mit Marina Peter von Juan Michel


Über 20 Jahre Einsatz für den Sudan im Auftrag der Kirchen haben Marina Peter, die Europakoordinatorin des Ökumenischen Forums Sudan (SEF), eine Auszeichnung der deutschen Regierung sowie tiefe Einsichten in die komplexe Situation eines Landes gebracht, dessen Fläche fast der Größe Westeuropas entspricht und das seit 50 Jahren von Bürgerkriegen verheert wird. Nur eine Auseinandersetzung mit dem Sudan "in all seiner Komplexität und als Ganzes" wird nach Peters Überzeugung Frieden bringen.


FRAGE: Der Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) hat den sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir unter anderem des Völkermords in Darfur bezichtigt. Welche Folgen sind zu erwarten?

MARINA PETER: Die Folgen dieses umstrittenen Vorgehens sind noch nicht abzusehen, aber im Sudan verändert es auf jeden Fall etwas. Alle befürchten das Schlimmste, aber ich denke es ist noch zu früh, um das zu beurteilen. Der Friedensprozess in Darfur krankt ja schon seit langem.

Die vielen Akteure, die sich für Frieden im Sudan engagieren, einschließlich der internationalen humanitären Organisationen, der Kirchen und ihrer Partner im Ökumenischen Forum Sudan, sollten mögliche Szenarios gründlich prüfen und vorerst möglichst wenig öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Aus meiner Sicht sollte der Schwerpunkt der Aufmerksamkeit auf der Unabhängigkeit der Justiz liegen. Die Richter/innen am IStGH müssen die vom Ankläger vorgelegten Beweise prüfen und entsprechend der gewonnenen Erkenntnisse befinden.

FRAGE: Sie haben vom Ökumenischen Forum Sudan gesprochen. Diese Dachorganisation für politische Fürsprache in Trägerschaft des Ökumenischen Rates, der Kirchen der die sudanesischen Kirchen und ihre internationalen Partner angehören, verfolgt einen Ansatz, der den "ganzen Sudan" im Blick hat. Was genau bedeutet das?

MARINA PETER: Der Sudan ist ein sehr großes Land mit sehr vielen ethnischen Gruppen, Kulturen, mit unterschiedlichen Friedensabkommen und Konfliktsituationen. Dementsprechend ist es nicht leicht, das Land als Ganzes im Blick zu behalten. Manche betrachten schwerpunktmäßig den Süden, andere den Zentralsudan, und angesichts der Krise in Darfur reden alle von Darfur, fast als ob es ein eigenes Land wäre. Soll wirklich eine bessere Zukunft für die Bevölkerung entstehen, muss zunächst ein Verständnis für die Komplexität und die vielfältigen Wechselbeziehungen geschaffen werden, die das Land prägen.

FRAGE: Erhält also Darfur zuviel Aufmerksamkeit und der Rest des Landes zu wenig?

MARINA PETER: Das denke ich nicht. In Darfur spielt sich eine schreckliche humanitäre Tragödie ab und dem dortigen Krieg gebührt große Aufmerksamkeit. Schaut man aber ausschließlich nach Darfur, ohne wahrzunehmen, welche Zusammenhänge mit dem Umfassenden Friedensabkommen vom Januar 2005 bestehen, das den zwei Jahrzehnte andauernden Krieg zwischen dem Norden und dem Süden beendet hat, übersieht man das Wesentliche.

FRAGE: Und worin besteht das Wesentliche?

MARINA PETER: Die Wurzel der Probleme im Sudan liegt in Marginalisierung, Unterentwicklung und Rassismus. Außerhalb der Hauptstadt Khartum fehlt es einem großen Teil der Bevölkerung an grundlegenden Dingen und er kann seine politischen Rechte nicht wahrnehmen. Fühlen sich Menschen an den Rand gedrängt und machen sie die Erfahrung, dass ihnen mehr Aufmerksamkeit zuteil wird, wenn sie zur Waffe greifen, dann geschieht genau das. Und so ist es ja auch gekommen.

Das Problem besteht darin, dass sich dann die Aufmerksamkeit verlagert und zum Beispiel die Überwachung des Friedensabkommens und seiner Umsetzung, zu der sich die an den Friedensverhandlungen zwischen Nord und Süd Beteiligten verpflichtet hatten, nicht mehr funktioniert. Ohne eine Lösung für die Darfur-Krise wird es im Sudan keinen Frieden geben und das Friedensabkommen wird nicht funktionieren.

FRAGE: Heißt das also, Darfur ist der Schlüssel zum Frieden im Sudan?

MARINA PETER: Die Sachlage ist komplexer. Verlagert sich die Aufmerksamkeit der Welt auf Darfur, fühlen sich die Menschen in anderen Regionen des Landes, etwa im Osten oder im äußersten Norden, ebenfalls an den Rand gedrängt. Und im Süden beispielsweise, wo die meisten Kirchen angesiedelt sind - der Großteil der christlichen Bevölkerung lebt im Süden, der Großteil der muslimischen Bevölkerung im Norden - haben die Menschen den Eindruck, niemand interessiert sich für das Friedensabkommen.

Außerdem standen in Darfur im Konflikt mit dem Süden früher viele auf der Seite des Nordens oder übten jedenfalls keine Solidarität mit den leidenden Menschen im Süden. Deswegen mag es der Bevölkerung des Südens, einschließlich der sudanesischen Kirchen, schwerfallen, sich jetzt mit den Menschen in Darfur solidarisch zu zeigen. Und auch wenn das nicht unbedingt zutrifft, glauben doch viele, dass ein Grossteil der dem Süden versprochenen Hilfsleistungen nach Darfur geht.

Die Menschen im Süden sind außerdem der Meinung, dass die Welt, als sie zu leiden hatten - und sie haben viel gelitten in zwanzig Jahren Krieg gegen den Norden, der gut zwei Millionen Menschenleben forderte und für vier Millionen Menschen den Verlust der Heimat brachte - anderweitig beschäftigt war.

FRAGE: Wollen Sie damit sagen, dass die sudanesischen Kirchen sich nicht dafür interessieren, was in Darfur passiert?

MARINA PETER: Nein, es interessiert sie schon. Anfangs meinten die Kirchen, "wir müssen humanitäre Hilfe leisten; unabhängig davon, ob die Betroffenen in Darfur Muslime sind oder nicht, müssen wir etwas tun". Aber es fiel ihnen, vor allem damals, aber zum Teil auch bis heute, schwer, Fürsprache für Darfur zu leisten, denn sie haben das Gefühl, Darfur lenke von ihren eigenen Problemen ab.

Nach Schätzungen der Vereinten Nationen waren in den vergangenen fünf Jahren in Darfur etwa 300.000 Menschenleben zu beklagen, über zwei Millionen mussten aus ihrer Heimat fliehen...

Die Tragödie in Darfur ist außer Kontrolle geraten. Zu Anfang erhielten die Rebellen in Darfur und die so genannten Dschandschawid-Milizen Unterstützung von den jeweiligen großen politischen Parteien im Süden und Norden. Die Parteien sahen die kämpfenden Gruppen als Druckmittel für Verhandlungen und gingen davon aus, dass sich das Problem in Darfur später würde eindämmen lassen. Heute verfolgen die Dschandschawid ihre eigene Strategie, die Rebellen sind in über 20 verschiedene Gruppen aufgesplittert.

Es ist also inzwischen nicht mehr klar, wer für wen spricht. Meiner Meinung nach kann es noch lange dauern, bis Frieden wird. Und damit wirklich Frieden wird, muss sich im Sudan wirklich etwas verändern. Das heißt, wir müssen uns mit dem Land in all seiner Komplexität und als Ganzes auseinandersetzen, und auch die Region insgesamt muss dabei berücksichtigt werden, denn die Interessen der Nachbarländer spielen ebenfalls eine Rolle...

FRAGE: Was trägt sonst zur Komplexität der Situation bei?

MARINA PETER: Die so genannten Transitional Areas (Übergangszonen) - das Volk der Nuba, die Bevölkerung im Süden des Bundesstaats Blauer Nil: Viele dieser Menschen fühlen sich erneut als Opfer und haben das Empfinden, dass diese Situation weder in Khartum noch im Süden Anerkennung findet, da sie nicht zum Süden gehören. Ähnliches geschieht der Bevölkerung ganz im Osten des Landes. Auch dort gab es einen Krieg und ein Friedensabkommen und niemand denkt an den Osten. Diese Gebiete - Abyei, Kordofan, südlicher Blauer Nil - wären in einem neuen Krieg, der auch weiterhin im Bereich des Möglichen liegt, Frontgebiete.

FRAGE: Was braucht der Sudan am dringendsten?

MARINA PETER: Ich würde sagen, Gerechtigkeit für die Menschen, aber das ist schwer... Dazu bräuchte es Politiker, die ihre eigenen Interessen zugunsten der Bevölkerung hintanstellen. Und das gilt für Nord und Süd gleichermaßen.

FRAGE: Wie können die Kirchen zum Frieden beitragen?

MARINA PETER: Ein Problem für die sudanesischen Kirchen und zivilgesellschaftlichen Organisationen liegt darin, dass nach dem Friedensabkommen viele derjenigen, die für sie Fürsprache betrieben haben, von der Regierung, den Vereinten Nationen oder internationalen Nichtregierungsorganisationen angeworben wurden, die bessere Gehälter zahlen. Plötzlich fehlten dann all diese Stimmen.

Die Kirchen sollten jedoch eine aktivere Rolle spielen, Unrecht anprangern und die Umsetzung des Friedensabkommens kritisch verfolgen. Sie sind dazu bestens positioniert, da sie überall präsent sind, aber sie müssen ihre Mitglieder für diese Aufgabe entsprechend ausbilden.

Die Kirchen sollten eine Wächterfunktion wahrnehmen, also die Regierung in die Verantwortung nehmen, wenn sie falsch handelt, denn die Menschen im Sudan, einschließlich vieler Muslime, hören auf die Kirchen. Und natürlich sind Nothilfe- und Entwicklungsarbeit ebenso wichtig.


Juan Michel, ÖRK-Medienbeauftragter, ist Mitglied der Evangelischen Kirche am La Plata in Buenos Aires, Argentinien.


"Dem Pass nach Deutsche, im Herzen Sudanesin"

Marina Peter verliebte sich vor 21 Jahren "per Zufall" in den Sudan. Als Lehrerin für Deutsch und Geschichte mit Spezialisierung im Bereich interkulturelle Bildung wusste sie damals nichts von diesem Land, außer, dass es dort "heiß ist und es viele Flüchtlinge gibt". Mit der Stelle, die sie beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) antrat, begann dann ein Lernprozess, aus dem sie als eine der renommiertesten ökumenischen Sudan-Experten/innen hervorging.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten verbrachte sie sehr viel Zeit in einem vom Krieg verheerten Land. Dabei hat Peter viel erlebt. "Manchmal war es sehr schwer: Es konnte jederzeit alles Mögliche passieren - Überfälle, Bombenangriffe... Man musste vorbereitet sein und jederzeit den Rucksack mit Wasser, Medikamenten, Grundnahrungsmitteln griffbereit haben. Mehr als einmal musste ich tatsächlich fliehen", erinnert sie sich.

Den stärksten Eindruck hinterließen jedoch bewegende Erfahrungen der Gastfreundschaft und Überlebenskraft: "Wenn dir Leute, die fast nichts haben, ihre einzige, magere Ziege schenken wollen, dann überwältigt dich das, besonders, wenn man aus einer reichen Gesellschaft wie meiner kommt, wo die Menschen ständig darum bemüht sind, noch mehr zu besitzen."

"Manchmal habe ich mich gefragt, was ich in diesen entlegenen Orten zu suchen hatte, anstatt zu Hause ein bequemes Leben weit weg von Bomben, Schusswaffen, Spinnen, Skorpionen und Schlangen zu führen... Aber dann denkt man an all die Menschen, die die Hoffnung nicht aufgeben, auch wenn sie schon zwei, drei Mal vertrieben wurden; an die Frauen, die immer wieder bei null anfangen und doch immer noch Hoffnung haben. Und dann kann man nicht anders als weitermachen, denn wenn sie Hoffnung haben, hat man kein Recht, aufzugeben."

Im vergangenen März wurde Marina Peter in Anerkennung ihrer Verdienste um das Ökumenische Forum Sudan (SEF) das Verdienstkreuz am Bande, eine der höchsten Auszeichnungen der Bundesrepublik Deutschland, verliehen. Seit 1997 ist sie Europakoordinatorin des SEF, das 1994 als Netzwerk sudanesischer Kirchen und internationaler ökumenischer Partner, einschließlich mehrerer deutscher kirchlicher Entwicklungswerke, entstand. In Trägerschaft des Ökumenischen Rates der Kirchen setzt sich das Forum, das sowohl in Europa als auch im Sudan aktiv ist, für Frieden und Menschenrechte ein.


Die Meinungen, die in ÖRK-Features zum Ausdruck kommen, spiegeln nicht notwendigerweise die Position des ÖRK wider.

Der Ökumenische Rat der Kirchen fördert die Einheit der Christen im Glauben, Zeugnis und Dienst für eine gerechte und friedliche Welt. 1948 als ökumenische Gemeinschaft von Kirchen gegründet, gehören dem ÖRK heute mehr als 349 protestantische, orthodoxe, anglikanische und andere Kirchen an, die zusammen über 560 Millionen Christen in mehr als 110 Ländern repräsentieren. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche. Der Generalsekretär des ÖRK ist Pfr. Dr. Samuel Kobia, von der Methodistischen Kirche in Kenia. Hauptsitz: Genf, Schweiz.


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Quelle:
Feature vom 5. August 2008
Herausgeber: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. August 2008