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AFRIKA/044: Kirchen helfen Vergewaltigungsopfern in der Demokratischen Republik Kongo (ÖRK)


Ökumenischer Rat der Kirchen - Feature vom 27. Juli 2009

Kirchen helfen Vergewaltigungsopfern in der Demokratischen Republik Kongo

Von Fredrick Nzwili


In der Demokratischen Republik Kongo (DRK) wächst die Hoffnung, dass die Waffen bald schweigen werden. Aber die Spur von Menschenrechtsverletzungen, die die Kämpfenden hinterlassen haben, zwingt die Kirchen zum Handeln.

Für die Zivilbevölkerung sei es nicht wichtig, auf welcher Seite der Frontlinie man sich befände, meint Dismas Kyanza, der Notfallbeauftragte der Kirche Christi im Kongo (ECC) für Nord-Kivu, denn alle bewaffneten Gruppen begingen Gräueltaten.

"Es gibt die lokalen bewaffneten Gruppen, internationale Streitkräfte, bewaffnete nationale Gruppen und ausländische Armeen. Die Regierungsarmee, die die Zivilbevölkerung schützen soll, hat sich ebenfalls schuldig gemacht", berichtete Kyanza einer internationalen Delegation, die den Osten der DRK vom 8. bis 15. Juli im Namen des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) besucht hat. Die Reise war Teil des Besuchsprogramms der Lebendigen Briefe [1] - kleiner ökumenischer Teams, die Kirchen in Konfliktregionen besuchen, um zuzuhören, sich zu informieren und Solidarität zu bekunden.

Die Hilfsbedürftigen seien Opfer von Folter, Vergewaltigung, Entführung und Vertreibung oder sogar Mord, berichteten leitende Kirchenvertreter/innen in der DRK. Die Kirchen würden diesen Menschen bei der Überwindung ihrer Traumata helfen und in einigen Fällen materielle, finanzielle und medizinische Hilfe leisten. Ferner böten sie zur Förderung langfristiger Erwerbsmöglichkeiten Fortbildungskurse im Nähen und Weben an.

Seit Vergewaltigungen als "Kriegswaffe" in Gebrauch kamen, hätten die Kirchen ihre Stimme erhoben und Sofortmaßnahmen ergriffen, erklärten die Kirchenverantwortlichen.

"1999 wurden wir zum ersten Mal damit konfrontiert, dass eine Frau vergewaltigt und sexuell verstümmelt worden war. Wir hatten so etwas noch nie vorher gesehen. Bald danach gab es weitere Fälle", berichtete Bischof Jean-Luc Kuye Ndondo, ECC-Präsident in Süd-Kivu.

Innerhalb von 10 Jahren habe es mehr als 500'000 solcher Fälle gegeben, sagte Dr. Denis Mukwege, der Gründer des Panzi-Krankenhauses in Bukavu, das sich auf die Behandlung von sexuell missbrauchten Frauen und Mädchen spezialisiert hat.

Diejenigen, die diese Verbrechen begingen, versuchten, ihren Opfern möglichst große physische und psychische Wunden zuzufügen, erklärte Mukwege, der die Verletzungen gesehen und Leidensberichte der Opfer gehört hat.

"Ich glaube, sie wollen die Gemeinschaften zerstören", meinte Mukwege. "Sie vergewaltigen die Frauen vor den Augen ihrer Familienmitglieder und der Dorfgemeinschaft."

"In Shabunda vergewaltigten bewaffnete Männer die Frau des Pastors in Gegenwart ihres Mannes und von Gemeindemitgliedern. Dann nahmen sie den Pastor ins Visier und vergingen sich an ihm. Das war das Ende dieser Gemeinde", fügte der Arzt hinzu.

Stigmatisierung der Opfer

Die Dunkelziffer bei den Vergewaltigungen ist nach Angaben von ECC-Verantwortlichen sehr hoch, weil die Opfer nach wie vor stigmatisiert werden. Die Täter wissen, dass die missbrauchten Frauen niemandem ihre verletzten Genitalien zeigen können.

Seit 2003 hat die ECC in ihrem Zentrum für medizinische und psychosoziale Hilfe (CAMPS) 23'000 traumatisierte Frauen betreut.

"Die Frauen, die in das Zentrum kommen, brauchen psychosoziale, medizinische und materielle Hilfe", erklärte Justin Kabanga, der nationale Koordinator von CAMPS. "Einige vergewaltigte Frauen kommen schwanger zu uns, andere kommen mit Babys, die sie infolge der Vergewaltigungen bekommen haben. Viele von ihnen wurden mit dem HI-Virus angesteckt."

Laut Kabanga hilft CAMPS den Frauen als erstes zu verstehen, was ihnen zugestoßen ist, spricht dann mit ihnen über die Folgen, die die Vergewaltigung für sie hat, und hilft ihnen bei der Wiederherstellung von Beziehungen. Das Zentrum bezieht auch Ehemänner, Familien und Dorfgemeinschaften ein, klärt sie darüber auf, dass die Opfer ihre Situation nicht selbst verschuldet haben, und setzt sich dafür ein, dass die Frauen wieder akzeptiert und in die Gemeinschaft aufgenommen werden.

"Auch die Kinder, die infolge der Vergewaltigungen zur Welt kommen, werden ausgegrenzt. Wir machen den Gemeinschaften aber klar, dass sie unschuldig sind und keine Gefahr für die Zukunft darstellen", betonte Kabanga. "Unser Hauptziel ist es, die durch den Krieg angerichteten Schäden wieder gutzumachen."

Obwohl CAMPS alles getan habe, damit die Frauen, die offen über ihre Vergewaltigung sprechen, von den Behörden ein gewisses Maß an Gerechtigkeit zuerkannt bekämen, seien diese Anstrengungen allzu oft erfolglos geblieben.

"Wir haben die Soldaten darüber aufgeklärt, was Vergewaltigungen für Frauen bedeuten", erklärte Kyanza. "Wir fordern die Frauen auf, offen darüber zu sprechen. Manchmal wagen es die Menschen, die Verbrechen anzuzeigen, und dann werden die verantwortlichen Soldaten festgenommen und vor das Militärgericht gestellt. Leider verschweigen die Frauen aber meistens, was sie erlitten haben."

"Die Reise war eine jener aufrüttelnden Erfahrungen, die das Leben verändern, und diejenigen, die daran teilgenommen bzw. davon gehört haben, fühlen sich verpflichtet, Dinge zu verändern", meinte Elenora Giddings Ivory. Die ÖRK-Direktorin für Öffentliches Zeugnis und globale Fürsprachearbeit war Mitglied der Delegation der Lebendigen Briefe, die den Osten der DRK besuchte.

"Es ist kaum vorstellbar, was eines von Gottes Kindern einem anderen antun kann. Das Wort Vergewaltigung reicht kaum aus, um die brutale Misshandlung, die Frauen im Ost-Kongo erleben, zu beschreiben," erklärte Giddings.

Monica Njoroge, die in der Delegation die Gemeinschaft der Räte und Kirchen in der Region der Großen Seen und am Horn von Afrika (FECCLAHA) vertrat, betonte, die Menschen in dem Land wollten ganz offensichtlich Frieden.

"Wir haben das Leid von Tausenden von Menschen in den kongolesischen Flüchtlingslagern gesehen, wir haben gehört, was Frauen und Kindern in dem Konflikt erleiden, und wir haben erfahren, mit welchen Problemen diejenigen kämpfen, die Hilfe leisten wollen. Es ist offensichtlich, dass die ökumenische Familie etwas tun muss", erklärte sie.

Wenn man von Bukavu oder Goma, den Provinzhauptstädten von Süd- bzw. Nord-Kivu, aus auf die gebirgigen Horizonte blickt, so lässt nichts auf die verborgenen Spuren des Leids schließen, die diese Berglandschaft durchziehen.

Aber einige, wie Françoise Bisobere aus der nordöstlichen Provinz Ituri, sind trotz allen Leids voller Hoffnung.

"Ich habe im Ituri-Krieg zwei Kinder und ein Bein verloren. Als ich im Krankenhaus lag, hat mein Mann mich verlassen. Die Kirche hat mir geholfen", erzählt sie. "Ich möchte jetzt selbst Menschen helfen, die verletzt worden sind. Ich versuche, ihnen Mut zu machen."


Fredrick Nzwili ist freiberuflicher Journalist und schreibt als Korrespondent aus Nairobi, Kenia, für den Ökumenischen Nachrichtendienst (ENI).

Weitere Informationen und Fotos vom Besuch der Lebendigen Briefe in der DRK:
http://gewaltueberwinden.org/de/konvokation/lebendige-briefe/democratic-republic-of-congo.html

ÖRK-Mitgliedskirchen in der DRK:
http://www.oikoumene.org/de/mitgliedskirchen/regionen/afrika/demokratische-republik-kongo.html


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ZUSATZ-MATERIAL

Arzt für Vergewaltigungsopfer in DRK fordert: Kirchen müssen das Gewissen der Welt sein

Dr. Denis Mukweges tägliche Arbeit besteht darin, Menschen zu behandeln, die im Osten der Demokratischen Republik Kongo, wo bewaffnete Gruppen Vergewaltigung als Kriegswaffe einsetzen, Opfer sexueller Gewalt geworden sind.

Im Panzi-Krankenhaus in der Stadt Bukavu hat er bereits mehr als 21'000 Frauen behandelt. Manchmal führt er pro Tag mehr als 10 Operationen durch. Viele Frauen, die Opfer von Gruppenvergewaltigungen geworden sind, haben sich bis hierher geschleppt. Einige waren in einem schrecklichen Zustand - nackt, blutend, voller Urin. Sie verdanken es Dr. Mukwege, dass sie eine neue Lebenschance bekommen haben.

Dr. Denis Mukwege ist Frauenarzt und Gründer des Panzi-Krankenhauses. Der Sohn eines Pastors der Pfingstkirche studierte Medizin, um die Kranken zu heilen, denen sein Vater im Gebet beistand. Die ersten Patienten, die er traf, waren die Kranken in der Gemeinde seines Vaters.

Am 19. Juli besuchte eine Delegation des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), die dem Osten der DRK einen Besuch abstattete, Dr. Mukwege in seinem Krankenhaus, wo er nicht nur Frauen behandelt, sondern in Zusammenarbeit mit internationalen Experten auch Krankenschwestern und -pfleger, Hebammen, Ärzte und Ärztinnen ausbildet.

"Ich finde es unerträglich, wenn ich sehe, dass Kinder, die genauso alt sind wie meine eigenen, vergewaltigt worden sind, mit bleibenden Verletzungen am Rektum und den Geschlechtsorganen", sagt Mukwege, der selbst fünffacher Vater ist.

Er berichtete der Delegation, dass HIV-Infektionen und andere Krankheiten im Anstieg begriffen seien und das Leben der Armen, die sich keine ärztliche Behandlung leisten könnten, weiter erschwerten.

"Es tut weh, wenn man das sieht, wenn absehbar ist, dass es kein Ende nehmen wird. Seit mehr als 10 Jahren geht das schon so, und wenn man hört, wie diejenigen, die etwas ändern könnten, denen man die Lage geschildert hat, über ganz andere Dinge reden, dann tut das einfach weh", fügt er hinzu.

Mukwege setzt sich dafür ein, dass die Kirche nachdrücklich Position für die Opfer der Gewalt ergreift.

"Seit fast zehn Jahren kommen jetzt internationale Besucher her. Sie sehen das Elend, sie weinen. Sie versprechen, etwas zu tun, gehen wieder nach Hause und vergessen uns. Das ist die Welt", sagt Mukwege. "Aber auch wenn die Welt schweigt, hat die Kirche nicht das Recht, es genauso zu machen. Von der Kirche darf man erwarten, dass sie anders ist als die Welt. Wenn sie laut genug die Stimme erhebt, dann wird die Welt sie am Ende doch hören."

2008 erhielt Dr. Mukwege drei Auszeichnungen: den schwedischen Olof-Palme-Preis, die Auszeichnung "Afrikaner des Jahres" und den UN-Menschenrechtspreis.


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Die Meinungen, die in ÖRK-Features zum Ausdruck kommen, spiegeln nicht notwendigerweise die Position des ÖRK wider.

Der Ökumenische Rat der Kirchen fördert die Einheit der Christen im Glauben, Zeugnis und Dienst für eine gerechte und friedliche Welt. 1948 als ökumenische Gemeinschaft von Kirchen gegründet, gehören dem ÖRK heute mehr als 349 protestantische, orthodoxe, anglikanische und andere Kirchen an, die zusammen über 560 Millionen Christen in mehr als 110 Ländern repräsentieren. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche. Der Generalsekretär des ÖRK ist Pfr. Dr. Samuel Kobia, von der Methodistischen Kirche in Kenia. Hauptsitz: Genf, Schweiz.

[1] http://gewaltueberwinden.org/de/konvokation/lebendige-briefe.html


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Quelle:
Pressemitteilung vom 27. Juli 2009
Herausgeber: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)
150 rte de Ferney, Postfach 2100, 1211 Genf 2, Schweiz
E-Mail: ka@wcc-coe.org
Internet: www.wcc-coe.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2009