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AFRIKA/045: Kongolesische Kirchen leisten "gewaltige Arbeit" - Interview (ÖRK)


Ökumenischer Rat der Kirchen - Feature vom 5. August 2009

Kongolesische Kirchen leisten "gewaltige Arbeit"

Interview mit Anna Muinonen von Fredrick Nzwili


Die Kongolesischen Kirchen leisten eine "gewaltige Arbeit" bei der Unterstützung von Vertriebenen und der Aufrechterhaltung von Bildungs- und Gesundheitsversorgung meint Anna Muinonen. Sie ist Programmkoordinatorin von FinnChurchAid für die Demokratische Republik Kongo.

Das Hilfswerk ist Mitglied von ACT International (Kirchen helfen gemeinsam) und hilft den Opfern des langjährigen Konflikts in dem zentralafrikanischen Land.

In der an Bodenschätzen reichen Demokratischen Republik Kongo leben durch die anhaltenden Kämpfe seit 1998 Zehntausende von Menschen als Vertriebene. Obwohl ein 2003 abgeschlossenes Friedensabkommen einigen Gebieten einen relativen Frieden bescherte und Vertriebene in ihre Häuser zurückkehren ließ, bleibt die Lage in den östlichen Provinzen Süd- und Nord-Kivu angespannt.

Ein internationales ökumenisches Team besuchte vom 9. bis 11. Juli Bukavu und Goma, die beiden Provinzhauptstädte. Ingesamt bereisten fünf kleine Besucherteams einer Delegation das Land, die im Namen des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) als "Lebendige Briefe [1] " in die Demokratische Republik Kongo gekommen war, um den kongolesischen Kirchen zuzuhören, von ihnen zu lernen und Solidarität mit ihnen zu bekunden.

Bukavu liegt an der Südspitze des Kivu-Sees, Goma am Nordufer. Beide Städte sind Stützpunkte für die Katastrophenhilfe humanitärer Organisationen im Ostkongo.

In den Städten sieht alles normal aus. Auf den Märkten gibt es überall Bananen, Tomaten und viele andere Früchte. Frauen balancieren auf ihren Köpfen Körbe mit Fischen und sogar Fleisch und handeln miteinander einen Verkaufspreis aus. Auf den holprigen Straßen kommt es manchmal zu Verkehrsstaus.

Dieses friedliche Bild kontrastiert jedoch mit der Anwesenheit von UN-Blauhelmen. Sie deutet darauf hin, dass hier nicht alles in Ordnung ist.

Anna Muinonen traf mit der Delegation der Lebendigen Briefe im Vertriebenenlager Nzulo zusammen und beantwortete Fragen zur Nothilfe von Act International.


Frage: Wie hilft ACT (Kirchen helfen gemeinsam) den Menschen im östlichen Teil der Demokratischen Republik Kongo, die nun schon so lange unter diesem Konflikt leiden?

Antwort: Das ACT-Forum kümmert sich um die Opfer der Kriege in der Demokratischen Republik. Im letzten November haben wir einen Nothilfeaufruf gestartet, um den Menschen helfen zu können, die vor den jüngsten Kampfausbrüchen in Nord-Kivu geflohen waren. Zurzeit werden erste Projekte verwirklicht. Norwegian Church Aid (NCA) beispielsweise führt hier [im Lager Nzulo] ein Projekt zur Wasser- und sanitären Grundversorgung durch. Die hygienischen Verhältnisse in den Vertriebenenlagern sind katastrophal, wenn man bedenkt, wie viele Menschen hier leben, und dass es anfangs überhaupt keine Latrinen und auch kein Trinkwasser gab. NCA hat jetzt für Wasserversorgung gesorgt und beim Latrinenbau geholfen. Andere ACT-Mitglieder helfen in verschiedenen anderen Teilen von Nord-Kivu.

Wir konzentrieren uns auf landwirtschaftliche Tätigkeiten und verteilen Saatgut sowohl an Vertriebene als auch an ihre Gastgemeinschaften, denn die Nahrungsmittelhilfe reicht nur für einige Wochen oder maximal einige Monate. Danach haben die Menschen wieder nichts zu essen. Daher helfen wir ihnen dabei, eigene Nahrungsmittel anzubauen und ein Mindestmaß an Selbstversorgung zu erlangen.

Frage: Wie können Vertriebene Landwirtschaft betreiben, wenn sie in Lagern leben?

Antwort: Die Mehrzahl der Vertriebenen im Kongo sind in Aufnahmefamilien untergebracht, nicht in den Vertriebenenlagern - dahin gehen sie in der Regel erst dann, wenn ihnen kein anderer Ausweg bleibt. In den meisten Fällen fliehen die Menschen dahin, wo sie Familienangehörige haben, auch entfernte, oder wo Mitglieder ihrer Kirche wohnen. Die Gastfreundschaft dieser Familien ist überwältigend. Manche beherbergen bis zu fünf Familien in ihren winzigen Häusern.

In dieser Situation helfen die ACT-Mitglieder den Leuten, mit den Kommunalbehörden oder den Ortskirchen zu verhandeln, um ein Stück Land zu erhalten, auf dem sie und ihre Gastfamilien Nahrungsmittel anbauen können. Das Meiste davon ist für den Eigenbedarf, aber manchmal bleibt etwas für den Verkauf übrig, so dass von dem Erlös andere lebensnotwendige Güter gekauft werden können.

Frage: Vor welchen Herausforderungen stehen Sie in Ihrer Arbeit?

Antwort: Hier in diesem Gebiet ist der Konflikt leider noch nicht beendet. Dieselben Leute, die geflohen sind und nach einigen Monaten in ihre Heimat zurückkehren, müssen erneut fliehen, und dies in der Regel mehrmals pro Jahr. Das heißt, dass es sehr schwierig ist, den Leuten zu helfen, die Stabilität zu finden um sich wieder etwas aufzubauen. Wenn sie zurückkehren, sind ihre Häuser normalerweise geplündert, ihre Felder zerstört und ihre landwirtschaftlichen Geräte gestohlen oder kaputt. Die ACT-Mitglieder helfen den Heimkehrern, ihre Existenz wiederaufzubauen, wobei der anhaltende Konflikt die größte Herausforderung ist.

Mancherorts arbeiten die ACT-Mitglieder auch unter extrem gefährlichen Bedingungen. Das Gebiet um Süd-Lubero in Nord-Kivu etwa ist momentan sehr gefährlich. Jeden Tag kommen Soldaten zum Plündern in die Dörfer und fast täglich werden Autos auf den Landstraßen angegriffen.

Eine weitere Herausforderung besteht daher darin, dass wir bestimmte Orte, an denen die Menschen dringend Hilfe brauchen, nicht erreichen können. Die Sicherheitslage schränkt den Einsatz humanitärer Kräfte ein.

Frage: Meinen Sie, dass noch immer Leute von dem Konflikt eingeschlossen sind und keine humanitäre Hilfe erhalten?

Antwort: Ganz bestimmt - entweder, weil sie in Gebiete geflüchtet sind, die weit von den Einsatzgebieten der meisten humanitären Organisationen entfernt sind, oder aus logistischen Gründen: das Straßennetz in der Demokratischen Republik Kongo ist quasi inexistent. Einige der vorhandenen Landstraßen sind zu gefährlich, weil mit Überfällen von bewaffneten Gruppen und Banditen zu rechnen ist. Von daher gibt es Gebiete, in denen Menschen eingeschlossen und praktisch ohne Hilfe sind.

Frage: Warum hält der Konflikt Ihrer Meinung nach so lange an?

Antwort: Ich glaube, der Konflikt im Kongo ist einer der komplexesten Konflikte überhaupt. Er ist als eine vergessene Notlage bezeichnet worden, was zum Teil vielleicht darauf zurückzuführen ist, das er so schwer zu verstehen ist. Es ist schwierig, die Ursachen zu benennen und sie anzugehen. Wenn sich ein Konflikt nicht innerhalb der Bevölkerung abspielt, wird Friedens- und Versöhnungsarbeit schwierig. Auf zivilgesellschaftlicher Ebene kann man nur wenig tun, wenn die, die kämpfen, keine Zivilisten sind.

Es gibt mehrere bewaffnete Gruppen, sowohl kongolesische als auch ausländische. Zudem haben sich die reichen Bodenschätze des Kongo eher als ein Fluch für das Land herausgestellt, denn das Weiterbestehen der Milizen lässt sich auf verschiedene wirtschaftliche Interessen zurückführen.

Frage: Welche Wirkung hat die Nothilfe der Kirchen?

Antwort: Das ACT-Netzwerk tut, was möglich ist, mit den Mitteln, die es zur Verfügung hat. Darüber hinaus leisten die kongolesischen Kirchen, ob sie zum ACT-Forum gehören oder nicht, eine gewaltige Arbeit. In all den Jahren, die der Konflikt andauert, haben die Kirchen das Bildungs- und Gesundheitssystem im Osten der Demokratischen Republik Kongo aufrechterhalten.

Kirchen gibt es überall im Land. Ich habe die Gebiete erwähnt, in denen Menschen eingeschlossen sind und zu denen humanitäre Hilfswerke aus Sicherheits- und logistischen Gründen nicht vordringen können - aber die Kirchen sind dort. Wenn es in einem Dorf keine Schule gibt, dann sind es in der Regel die Kirchen, die für ein Minimum an Unterricht für die Kinder sorgen. Die Kirchen unterhalten auch zahlreiche Gesundheitszentren und Krankenhäuser.

Frage: Wie würden Sie den Konflikt in der Demokratischen Republik Kongo in einem Wort beschreiben?

Ich würde sagen, er ist der Innbegriff einer komplexen humanitären Notlage.


Fredrick Nzwili ist freiberuflicher Journalist und arbeitet in Nairobi, Kenia. Er ist Korrespondent des Ökumenischen Nachrichtendienstes (ENI).

Audiodateien:
Hören Sie Anna Muinonens Kommentare über:
- Die Gastfreundschaft der Aufnahmefamilien:
http://oikoumene.org/fileadmin/files/wcc-main/sounds/2009/drc/hospitality.mp3
- Die Herausforderungen für die Hilfswerke:
http://oikoumene.org/fileadmin/files/wcc-main/sounds/2009/drc/challenges.mp3
- Die Bedeutung der kirchlichen Nothilfe:
http://oikoumene.org/fileadmin/files/wcc-main/sounds/2009/drc/churches.mp3

Weitere Artikel und Fotos vom Besuch der Lebendigen Briefe in der Demokratischen Republik Kongo:
http://gewaltueberwinden.org/de/konvokation/lebendige-briefe/democratic-republic-of-congo.html

ÖRK-Mitgliedskirchen in der Demokratischen Republik Kongo:
http://www.oikoumene.org/?id=4558&L=2

Hilfseinsatz von ACT International (Kirchen helfen gemeinsam):
http://act-intl.org/countries.php?uid=9

Die Meinungen, die in ÖRK-Features zum Ausdruck kommen, spiegeln nicht notwendigerweise die Position des ÖRK wider.

Der Ökumenische Rat der Kirchen fördert die Einheit der Christen im Glauben, Zeugnis und Dienst für eine gerechte und friedliche Welt. 1948 als ökumenische Gemeinschaft von Kirchen gegründet, gehören dem ÖRK heute mehr als 349 protestantische, orthodoxe, anglikanische und andere Kirchen an, die zusammen über 560 Millionen Christen in mehr als 110 Ländern repräsentieren. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche. Der Generalsekretär des ÖRK ist Pfr. Dr. Samuel Kobia, von der Methodistischen Kirche in Kenia. Hauptsitz: Genf, Schweiz.

[1] http://gewaltueberwinden.org/de/konvokation/lebendige-briefe.html


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Quelle:
Feature vom 6. August 2009
Herausgeber: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)
150 rte de Ferney, Postfach 2100, 1211 Genf 2, Schweiz
E-Mail: ka@wcc-coe.org
Internet: www.wcc-coe.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2009