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BERICHT/229: Koan hinter Klostermauern (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion 2/2007

Koan hinter Klostermauern
Wie viel Zen verträgt das Christentum?

Von Christian Ruch


In vielen kirchlichen Bildungseinrichtungen haben Übungen aus dem Zen-Buddhismus einen festen Platz. Seit Jahrzehnten gibt es Kontakte von Christen zu japanischen Zen-Meistern. Auf der anderen Seite finden sich Stimmen, die vor einer Religionsverschmelzung warnen und auf die tiefgreifenden Unterschiede zwischen Christentum und Buddhismus aufmerksam machen.


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In der Schweiz ist neuerdings wieder ein Thema aktuell geworden, das eigentlich schon länger diskutiert wird und auch für die katholische Kirche im übrigen deutschsprachigen Raum Relevanz besitzen dürfte: die Frage, in welchem Ausmaß sich katholische Bildungseinrichtungen alternativen spirituellen Strömungen und Traditionen öffnen sollen und dürfen. Ausgelöst wurde die Debatte durch den Sekten-Experten Hugo Stamm, der im Zürcher "Tages-Anzeiger" (Ausgabe vom 3.10.2006) die esoterische und buddhistische Schlagseite katholischer Seminaranbieter rügte: "In ihrem Kursprogramm sind Begriffe wie Spiritualität, Meditation, Yoga und Zen inflationär gestreut. Das Christliche fristet beinahe ein Schattendasein."

Stamm kritisierte vor allem das Lassalle-Haus in der Nähe von Zug, eine auch außerhalb der Schweiz bekannte und durchaus renommierte Bildungsinstitution. Für sie hatte diese Kritik übrigens unangenehme Folgen: Dem Vernehmen nach gab der Nuntius eine Untersuchung des Seminarprogramms in Auftrag, ein katholischer Weltanschauungsbeauftragter aus Deutschland riet kürzlich sogar von der Teilnahme an Kursen des Lassalle-Hauses ab, und der rechtskatholische Internetdienst kath.net bot Stamm ein breites Forum, ohne bisher den Verantwortlichen des Lassalle-Hauses die Möglichkeit zu einer Stellungnahme einzuräumen.

Die Aufregung überrascht insofern, als die Offenheit des Lassalle-Hauses und anderer Bildungseinrichtungen für den Zen-Buddhismus und weitere spirituelle Traditionen keine neue Erscheinung darstellt. Schon Mitte der achtziger Jahre hatte die Deutsche Bischofskonferenz ein Positionspapier zum Thema "Meditation" herausgegeben und auch das im Februar 2003 veröffentlichte Vatikan-Dokument zum Umgang mit dem Phänomen "New Age" (abrufbar unter www.kath.ch/info-sekten/pdf/new_age.pdf) stellte fest, dass "sogar in Bildungshäusern, Seminarien und Einrichtungen zur Ausbildung von Ordensleuten" alternative spirituelle Traditionen und "neue Formen der psychologischen Erklärung des Individuums sehr populär geworden" seien. Wie ist es dazu gekommen?

Zunächst einmal lässt sich feststellen, dass der Buddhismus nach wie vor boomt. Egal ob es sich um den Dalai Lama, den Vietnamesen Thich Nhat Hanh oder den dänischen Lifestyle-Tantriker Ole Nydahl handelt - längst sind auch viele Christinnen und Christen von der angeblich so sanften Religion Asiens ergriffen worden, und vielen getauften Mitteleuropäern dient sie inzwischen als attraktive Zweit-, Neben- oder sogar Alternativreligion. Allerdings muss man berücksichtigen, dass der Buddhismus im Grunde oft gar nicht als eine Religion, sondern eher als praktische Lebensphilosophie und damit als eine der heutzutage so heiß begehrten Anleitungen zum Glücklichsein wahrgenommen wird.

Betrachtet man sich das Spektrum des Buddhismus in Deutschland näher, fällt auf, dass der tibetische und der Zen-Buddhismus mit Abstand die stärksten Traditionen sind. Im Gegensatz zur verwirrenden Götter-, Geister- und Bilderflut des tibetischen Buddhismus kommt der Zen-Buddhismus allerdings ausgesprochen nüchtern daher. Dies mag dazu beigetragen haben, dass es zu einer eigentlich christlich-buddhistischen Synthese kommen und dieser so genannte "christliche Zen" sich vor allem im Katholizismus breiten Raum schaffen konnte.

So heißt es etwa auf der Homepage des Lassalle-Hauses: "Es gibt verschiedene Gründe, Zen zu praktizieren: Stress abbauen, die Präsenz im Augenblick erhöhen, Einheit mit allem Leben erfahren, schöpferische Fähigkeiten entfalten, Sinn finden. Letztlich geht es um das Erwachen zum wahren Wesen und ein Leben in Achtsamkeit und Mitgefühl. Zen wurzelt als spiritueller Weg im Buddhismus und lässt sich als Übung des Loslassens aller Gedanken und Vorstellungen in verschiedene Lebensentwürfe und Religionen integrieren" (zitiert nach www.lassalle-haus.org/kurs/k_Zen_descr.php).

Ob es tatsächlich möglich ist, die Praxis des Zen "in verschiedene (...) Religionen [zu] integrieren", ist jedoch umstritten - und dies sowohl auf buddhistischer als auch auf katholischer Seite. Als der Vatikan 2002 dem Zen-Meister und Benediktinermönch Willigis Jäger ein Bußschweigen auferlegte, zeigte dies, dass der Vereinbarkeit von christlichem und buddhistischem Gedankengut zumindest aus römischer Perspektive Grenzen gesetzt sind.

Aber auch auf buddhistischer Seite wurden kritische Stimmen laut: Die Zen-Organisation "Mumonkai" sah Mitte der neunziger Jahre im "christlichen Zen" eine Vereinnahmung durch den Katholizismus, ja sogar einen Betrug, da buddhistische und christliche Lehren schlechtweg nicht zu vereinbaren seien. Somit stellt sich die Frage: Wie viel Zen verträgt das Christentum? Oder andersherum: Wie viel Christentum der Zen-Buddhismus?

Der Zen-Buddhismus als Resultat einer Verschmelzung des Mahayana-Buddhismus mit dem Taoismus, entstand im 7. nachchristlichen Jahrhundert in China und breitete sich von dort nach Vietnam, Korea und Japan aus. Das Wort "Zen" leitet sich vom Sanskrit-Begriff "dhyana" (= Meditation, Versenkung) ab. Für den Westen von Bedeutung ist vor allem die japanische Form des Zen, die sich im 12./13. Jahrhundert auszuprägen begann und unter anderem zur Lebensideologie der adligen Krieger, der Samurai, entwickelte. Auch japanische Kampfsportarten wie Judo, Aikido und andere sind auf den Zen zurückzuführen. Daneben stehen künstlerische Ausdrucksformen wie die Kalligraphie oder das Ikebana in der Zen-Tradition Japans.

Der Zen-Buddhismus ist stark weltimmanent ausgerichtet und sucht die Erleuchtung gerade in der Profanität des Alltags, eine stark rituell geprägte oder sogar arkane Sakralität, wie sie etwa den tibetischen Buddhismus kennzeichnet, ist im Zen kaum zu finden. Er liefert eine Gebrauchsspiritualität für den Alltag, der - um es einmal etwas spöttisch zu formulieren - selbst den ungeliebten Abwasch oder Hausputz zum meditativen Erlebnis werden lassen kann. Nicht metaphysische Spekulationen, sondern das Aufspüren einer letztendlichen Wahrheit und das Finden der Erleuchtung im Hier und jetzt sind Anliegen des Zen.


Eine Gebrauchsspiritualität für den Alltag

Dies soll nicht bedeuten, dass es sich beim Zen selbst um eine profane Discountspiritualität handle, die quasi die Erleuchtung zum Nulltarif verspricht. Vielmehr kennzeichnet ihn eine fast unerbittlich zu nennende Disziplin. Die fröhliche Spontaneität und Leichtigkeit, wie sie die Nyingma-Tradition des tibetischen Buddhismus kennt, ist dem Zen völlig fremd. Jan Willem van de Wetering hat in seinem wunderbaren und immer noch lesenswerten Buch "Der leere Spiegel. Erfahrungen in einem japanischen Zen-Kloster" sehr anschaulich beschrieben, welche körperlichen Qualen gerade zu Beginn der intensiven Meditation auf den Zen-Schüler warten. Besonders die strengen Exerzitien der so genannten Sesshins stellen sich für den Anfänger als strapaziös und oftmals kaum zu bewältigende Herausforderung heraus.

Daneben werden dem Zen-Schüler scheinbar unsinnige Rätsel, so genannte Koans, gestellt. Ein solches Koan lautet etwa: "Wenn man mit beiden Händen klatscht, hört man einen Ton - welches ist der Ton der einen Hand?" Oder: "Zeig mir das Gesicht, das du hattest, bevor deine Eltern geboren wurden. Zeig mir dein ursprüngliches Gesicht!" Mit solchen Übungen kultiviert der Zen eine ganz bewusst irrationale Denkweise, deren Ziel es ist, das Denken aus den gewohnten Gleisen zu werfen, die Verkrustungen des Geistes zu sprengen und ihn so für die Erleuchtung zu öffnen. Das Koan ist oft der Anfang eines langen Dialogs zwischen Meister und Schüler, und nur der Meister entscheidet, wann die Aufgabe gelöst ist.

Einer der Wegbereiter des japanischen Zen war der deutsche Jesuit Hugo Lassalle, der 1929 in Japan seine Tätigkeit für die Ostasien-Mission begann und sechs Jahre später zum Missionssuperior der Jesuiten aufstieg. 1943 wurde er Schüler des Zen-Meisters Shimada Roshi. Bis zu seinem Tod setzte sich Lassalle für die Vereinbarkeit von Christentum und Zen-Buddhismus ein und gab dieser Überzeugung auch dadurch Ausdruck, dass er japanischer Staatsbürger wurde und sich den deutsch-japanischen Doppelnamen Hugo-Makibi Enomya-Lassalle gab.

Ab Ende der sechziger Jahre begann Enomya-Lassalle die Tradition des Zen auf Vortragsreisen im Westen bekannt zu machen. Beeinflusst vom Wirken Lassalles wurden unter anderem der Schweizer Jesuit Niklaus Brantschen und der bereits erwähnte Benediktiner Willigis Jäger. Daneben gibt es in den katholischen Orden eine ganze Anzahl weiterer Protagonisten des "Christlichen Zen". Der Koan hinter Klostermauern zählt in so manchem Ordenshaus mittlerweile zum festen Bestandteil des spirituellen Weges.

Gerechtfertigt wird dies ganz im Sinne Lassalles mit den Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Buddhismus auf dem Gebiet der Mystik. Dennoch bleibt festzustellen, dass der Buddhismus und das Christentum große und im Grunde kaum überbrückbare Differenzen aufweisen: Das Christentum glaubt an einen Schöpfergott und geht von einem personalen Gottesbegriff aus. Des Weiteren sieht das Christentum den Menschen grundsätzlich unter einen "eschatologischen Vorbehalt" gestellt: Der Mensch ist einerseits erlösungsbedürftig, aber andererseits nicht zur Selbsterlösung fähig. Der Buddhismus dagegen kennt weder einen Schöpfer- noch einen personalen Gott und geht grundsätzlich davon aus, dass der Mensch aus eigener Kraft ins Nirwana eingehen kann, das heißt, dass er sehr wohl zur Selbsterlösung befähigt ist.

Die von Rom beanstandeten Äußerungen von Willigis Jäger lassen diese Diskrepanz recht deutlich werden: Denn auch Jäger entgeht nicht dem Widerspruch der Gottesbilder - allerdings zog er daraus offenbar die Konsequenz, sich auf die Seite eines buddhistischen oder doch zumindest nicht-personalen Gottesverständnisses zu schlagen: "Gott offenbart sich im Baum als Baum, im Tier als Tier und im Menschen als Mensch. Er ist die Symphonie, die erklingt. Der Komponist steht nicht außerhalb und dirigiert. Er erklingt als diese Symphonie. Er ist ihre Musik, und alle Formen sind nur Noten. Was wir Gott nennen, erschafft sich Augenblick für Augenblick neu."


Auf dem Weg zu einem transkonfessionellen Zeitalter?

Dieses Verständnis hat zur Konsequenz, dass sich Jäger auch von einer genuin christlichen Erlösung durch Jesus Christus verabschiedet hat: "Erlösung (...) ist die Erkenntnis, dass alles eins ist. Erlösung ist gleich Erwachen zu unserem wahren Wesen, zu unserer wahren Identität. Es ist ein Prozess der Enthüllung und Befreiung. Was wir wirklich sind, beginnt nicht mit der Geburt und endet nicht mit dem Tod. Die vorpersonale Wirklichkeit entfaltet sich auf einem zeitlosen Hintergrund. Das Personale und Individuelle entsteht, wenn diese erste Wirklichkeit heraustritt und sich in die unzähligen Formen ergießt" (zitiert nach www.willigis-jaeger.de/kont/mystik.html). Der evangelische Theologe Harald Lamprecht kommentierte diese Sichtweise wohl sehr zutreffend, als er schrieb: "Dass Jesus Christus vor 2000 Jahren am Kreuz in Golgatha gestorben ist, hat für Willigis Jäger keine einmalige Bedeutung mehr. Erlösung geschehe nach seiner Meinung nicht durch einen stellvertretenden Sühnetod Jesu, sondern durch Erkenntnis der inneren Einheit des Menschen mit Gott. Diese letzte Einheit schließe alle Religionen ein. Zwar auf verschiedenen Wegen würden sie doch letztlich alle zum gleichen Ziel führen. Im äußeren Bereich der Kulte und Riten sei dies zwar nicht zu sehen, die esoterischen Wege der Religionen würden sich aber entsprechen und von verschiedenen Seiten auf den einen Gipfel des Berges führen - eben der Erkenntnis der wesenhaften Einheit mit Gott oder Brahman oder Allah oder dem Nichts des Buddhismus. Dies meint er, wenn er davon spricht, dass die Mystik 'transkonfessionell' sei, dass sie sich über die traditionellen Grenzen der Konfessionen (bei ihm auch: der Religionen) hinwegsetzt. Wie viel eine solche Interpretation der mystischen Erfahrung allerdings noch mit dem Wesen der jeweiligen Religionen gemein hat, darf und muss gefragt werden" (zitiert nach www.confessio.de/cf/042/Conf042-2.html).

Tatsächlich hält Willigis Jäger die verschiedenen Konfessionen und Religionen in ihrer charakteristischen Ausprägung für überholt und propagiert stattdessen das "transkonfessionelle Zeitalter": "Viele Menschen in Europa gehören keiner Religion mehr an. Eine große Zahl ist nicht mehr getauft. Unter diesen Menschen sind nicht wenige, die sehr religiös sind, aber keiner Konfession angehören wollen. Man kann durchaus ohne Konfession einen spirituellen Weg gehen. Denn jeder spirituelle Weg führt letztlich über die Konfession hinaus. Manche Menschen wenden sich den östlichen Praktiken zu und gehen zu Yoga, zu Zen, zu den Tibetern oder Sufis. Sie haben nicht vor, einer neuen Religion beizutreten und fühlen sich daher dort oft durch religiöse Formen irritiert" (Willigis Jäger, "Körper und Spiritualität", in ders. und Beatrice Grimm, Der Himmel in dir. Einübung ins Körpergebet, München 2000, 11-44, hier 43).

Der Befund, dass viele Menschen in Europa sozusagen konfessionsmüde sind, ist sicher richtig. Falsch ist jedoch die Unterstellung, sie fühlten sich generell von "religiösen Formen irritiert" - denn wer sich dem tibetischen Buddhismus oder dem Islam der Sufis zuwendet, sucht und findet dort sogar sehr ausgeprägte religiöse Formen. Was die Menschen irritiert, und eben gerade nach alternativen Formen religiösen Lebens suchen lässt, sind allenfalls die Formen christlicher Religiosität.

Als blutleer empfundene, öde Gottesdienste und ein oft sterbenslangweiliger Religionsunterricht in der Schulzeit haben offenbar Heerscharen von Getauften aus den Kirchen und in die Arme exotischer Religionsformen getrieben. Anscheinend füllen der Buddhismus und andere Religionen ein spirituelles Vakuum, für das auch und gerade die christlichen Kirchen zur Verantwortung zu ziehen sind. So sind die Attraktivität des Zen-Buddhismus und die mangelnde Attraktivität des Christentums wohl nur die beiden Seiten ein- und derselben Medaille.

Doch um so mehr stellt sich die Frage, warum ausgerechnet Vertreter katholischer Orden und Bildungshäuser nicht versuchen, daran etwas zu ändern, sondern mit dem Einbezug zen-buddhistischer Elemente weiter zur spirituellen Verwässerung beitragen. Der Jesuit Lukas Niederberger, Leiter des Lassalle-Hauses, weist diesen Vorwurf allerdings weit von sich, denn ihm "als Jesuitenpater und als Leiter vom Lassalle-Haus" sei es vielmehr "sehr wichtig, dass der Anteil an spezifisch christlichen Kursen dominiert. Und dass wir aus anderen Religionen und Kulturen nicht irgendwelche Programme vermitteln, die in den letzten 30 Jahren im sonnigen Kalifornien entstanden sind und gerade 'in' sind, sondern aus einer klaren Tradition entstanden sind und sich zum Teil über Jahrhunderte bewährt haben. Als Zentrum für den Interreligiösen Dialog und als Bildungszentrum des Jesuitenordens verstehe ich das Einlassen auf spirituelle Wege und Methoden anderer Religionen und Kulturen aber nicht als Möglichkeit, die Auslastung des Hauses mit einem Hauch Exotik zu steigern, sondern ich erachte es als eine zentrale Aufgabe einer aufgeklärten Religiosität und religiösen Erwachsenenbildung, dass man sich nicht nur mit der eigenen Tradition auseinandersetzt. Diesem Vorgehen müsste eigentlich jeder Sektenexperte zustimmen" (zit. nach www.lassalle-haus.org/download/ Hugo% 20Stamm%203. 10.2006.pdf).

Diese Auseinandersetzung mit dem Eigenen und mit dem Fremden ist sicher zu begrüßen - fraglich bleibt allerdings, ob sie gelingt. Denn wer von den durchschnittlichen Teilnehmern an einem kirchlichen Bildungsseminar ist heute noch so katechetisch gefestigt, dass er Gemeinsamkeiten und Trennendes zwischen Christentum und Buddhismus mühelos auseinanderzuhalten vermag? Wohlgemerkt: dies ist kein Vorwurf an die Adresse der religiös interessierten Seminarteilnehmer, sondern eher an die schwache Bindungs- und Bildungskraft der Kirchen.

Ist es also nicht etwas naiv, einen interreligiösen Dialog betreiben zu wollen, wenn auf der eigenen, der christlichen Seite oft die Voraussetzungen dafür gar nicht mehr gegeben sind? Oder anders gefragt: kann es dem so genannten "christlichen Zen" wirklich gelingen, zu den eigenen, christlichen Wurzeln zurückzufinden? Oder führen seine buddhistischen Elemente nicht vielmehr noch weiter von ihnen weg?


Christen sollten dem Buddhismus mit Fairness begegnen

Selbst von den Vertreterinnen und Vertretern des "christlichen Zen" wird - völlig zu Recht - immer auf die reiche mystische Tradition des Christentums hingewiesen. Warum aber wendet man sich dann dieser nicht zu, ohne dabei ständig nach Osten zu schielen? Interessanterweise wurde genau diese Frage auch von buddhistischer Seite gestellt: Wenn es richtig sei, dass jede Religion Anteil an einer mystischen Grundwahrheit habe, warum müsse der Benediktiner Willigis Jäger dann nach dem Zen greifen? Sind ein Meister Eckhart, eine Hildegard von Bingen oder andere Mystiker(innen) nur dann etwas wert, wenn man sie mit Zen-Buddhismus garniert?

Viele Programm-Verantwortliche christlicher Bildungseinrichtungen scheinen diese Gefahr jedoch lieber in Kauf zu nehmen als auf ihre erfolgreichen Meditationskurse zu verzichten. Aus ihrer Sicht ist dies sogar durchaus verständlich, denn in Zeiten leerer Kirchenkassen sind viele Bildungsträger auf sich allein gestellt und vermögen nur dann einen rentablen Betrieb aufrechtzuerhalten, wenn sie das anbieten, was auch gefragt ist. Und dazu zählt eben auch und gerade der Buddhismus.

Zu fragen ist angesichts dieses Trends allerdings ebenso, ob hier nicht unbewusst Vorurteile gegeneinander ausgespielt werden: Das Vorurteil vom vermeintlich "guten" Buddhismus, der Freiheit und Selbstbestimmung garantiert, gegen das Vorurteil vom scheinbar "bösen" Christentum, dessen strafender Richtergott die Gläubigen versklavt. Macht denn der Buddhismus mit seinem unerbittlichen Gesetz des Karmas, das den Menschen selbst noch für die Fehler vergangener Leben büßen lässt, wirklich so frei? Und ist der Gott der christlichen Kirchen wirklich ein strafender Richtergott? Ist er nicht eher ein Gott, der durch das Werk seines Sohnes Jesus Christus die Menschen befreit?

Selbstverständlich geht es nicht um den Aufbau apologetischer Wagenburg-Positionen, wie sie bisweilen im evangelikal- fundamentalistischen Lager anzutreffen sind, wo der Buddhismus von vornherein als dämonisch verunglimpft wird. Christinnen und Christen sollten den diversen Traditionen des Buddhismus in Fairness und mit Respekt für ein äußerst reiches Erbe begegnen und im Dialog mit ihm die Gemeinsamkeiten pflegen, ohne das Eigene und auch das Trennende zu verleugnen. Dies gilt auch und gerade für den christlichen Umgang mit dem Zen-Buddhismus.


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Christian Ruch, geb. 1968, Dr. phil., Historiker und Soziologe, Mitglied der Arbeitsgruppe "Neue religiöse Bewegungen" der Schweizerischen Bischofskonferenz. Wohnt in Baden bei Zürich.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
61. Jahrgang, Heft 2, Februar 2007, S. 87-91
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2007