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BERICHT/232: Gespräch mit Prior der Communauté de Taizé (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz 1/2007 - Monatshefte für Gesellschaft und Religion

"Der Welt die Einheit schuldig"
Ein Gespräch mit Frère Alois, dem Prior der Communauté de Taizé

Interview von Stefan Orth


Im August 2005 fiel Frère Roger einem Attentat zum Opfer. Wie versteht sich die Gemeinschaft nach dem Tod ihres Gründers? Welche Erwartungen haben die Jugendlichen, die nach Taizé kommen? Und wie verfolgen die Brüder die angestrebte Einheit der Christen weiter? Darüber sprachen wir mit Frère Alois, dem neuen Prior der Communauté de Taizé. Die Fragen stellte Stefan Orth.


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HK: Frère Alois: der Tod des Gründers von Taizé, der die Gemeinschaft der Brüder, die Communauté de Taizé, und die von ihr veranstalteten Jugendtreffen bis vor gut eineinhalb Jahren einzigartig verkörpert hat, bedeutet eine tiefe Zäsur in der Geschichte des Ortes. Wo steht Taizé heute?

FRERE ALOIS: Natürlich war der gewaltsame Tod von Frère Roger ein unglaublich harter Einschnitt. Gleichzeitig sind wir erstaunt, wie alles weiter geht - als ob es vorbereitet gewesen wäre. Wir sind dankbar für die innere Anteilnahme und die große Unterstützung aus so vielen Ländern, gerade auch aus Deutschland, die uns sehr geholfen haben. Im vergangenen Jahr sind eher noch mehr Jugendliche gekommen. Es bewahrheitet sich jetzt, dass Frère Roger nicht auf sich selbst gezeigt hat, sondern auf die lebendige Gegenwart Gottes - und dass die Jugendlichen das nach wie vor wahrnehmen.

HK: Welche Bedeutung hat Frère Roger für die Jugendlichen, die jetzt nach Taizé kommen? Oder steht die Ausstrahlung des Ortes ganz im Mittelpunkt ihres Interesses?

FRERE ALOIS: Der tiefe Einfluss Frère Rogers auf den Lebensweg unzähliger Menschen ist nach seinem Tod noch offensichtlicher geworden. Seine Ausstrahlung bleibt sehr lebendig, die Zukunft wird zeigen, wie sie weiterlebt. Jugendliche suchen heute wieder neu nach Vorbildern. Viele haben in Frère Roger eine Art Vaterfigur gefunden, aber sie sind dabei nicht stehen geblieben. Uns geht es letztlich um die persönliche Suche im Glauben. Es ist eindrucksvoll zu sehen, wie die Jugendlichen das hier Angestoßene leben und dabei begreifen, dass es um einen Schatz geht, den sie in der Kirche finden können.

HK: Inzwischen gibt es viele Generationen von Jugendlichen, die nach Taizé gekommen sind. Die Brüder müssen Jahr für Jahr vielen Erwachsenen, die möglicherweise als Jugendliche schon da waren und gerne wieder einmal für eine Woche kämen, absagen. Warum gibt es den Schwerpunkt auf der Arbeit mit Jugendlichen?

FRERE ALOIS: Sehr früh sah Frère Roger, dass es mühsamer wurde, den Glauben an die nächsten Generationen weiter zu geben. Wenn wir den Jugendlichen und ihrer Kreativität in der Kirche keinen Platz einräumen, wo sie sich aufgenommen fühlen und angehört werden, wird es schwierig, den Glauben zu tradieren. Deshalb wurde die Entscheidung getroffen, den Jugendlichen eine Priorität einzuräumen, was sich keineswegs gegen die Erwachsenen richtet, die wir ebenfalls, wenn auch in begrenzter Zahl, ständig zu Gast haben.

HK: Wie haben sich die Jugendlichen, die nach Taizé kommen, verändert? Was beschäftigt die jungen Leute, die heute kommen, besonders?

FRERE ALOIS: Es ist schwierig, die Vielfalt auf einen Nenner zu bringen. Wir hatten eben eine Woche lang 150, vor allem farbige Jugendliche mit ihrem Bischof aus der Pariser Banlieue zu Gast. Gleichzeitig war eine Gruppe Lutheraner aus Estland da, die bisher nur wenig Kontakt mit dem Westen hatten. Es kommen inzwischen sehr viele orthodoxe Christen aus Rumänien, aber auch aus Serbien, Russland und der Ukraine. Es ist beeindruckend, dass wir in dieser Vielfalt im Gebet zusammen kommen können und in diesem gemeinsamen Gebet Einheit vorweggenommen wird. In ihren Fragen, die vor allem den Sinn des Lebens betreffen, unterscheiden sich die Jugendlichen weniger. Ist Glaube in der modernen Gesellschaft möglich? Wie kann man ein Leben aus Gottvertrauen führen? Was heißt überhaupt Glauben? Was begründet die Hoffnung auf ein solidarisches und gerechtes Zusammenleben in der Welt? Diesen Fragen wollen wir hier Raum geben. Wenn die Brüder nach dem Abendgebet in der Kirche bleiben und allen, die dies wollen, auch ganz persönlich zuhören, dauert das oft sehr lange.

HK: Welche Antworten können die Jugendlichen hier in Taizé finden?

FRERE ALOIS: Es geht nicht darum, auf alles eine Antwort zu haben, sondern zu helfen, dass die Jugendlichen ihre tieferen Fragen selbst formulieren können. Das ist in ihrem Alltag vielfach nicht möglich. Nicht nur das Gebet, auch die Bibeleinführungen sowie das gemeinsame Leben mit den Mahlzeiten und den notwendigen Arbeiten tragen dazu bei. Die Einfachheit der Infrastruktur, die so sein muss, weil sich die Jugendtreffen durch den Beitrag der Jugendlichen selbst tragen müssen, ist ebenfalls ein enormer Vorteil. Die Jugendlichen entdecken dadurch auch manche tiefere Sehnsucht, etwa die nach Stille.

HK: Können die Jugendlichen diese Erfahrungen zu Hause nicht machen?

FRERE ALOIS: Oft haben sie zu Hause einfach zu viel um die Ohren. Hier spüren sie, dass ihnen ein Raum gegeben wird, wo sie sich diesen Fragen stellen können. Selbst Jugendliche, die im Glauben verwurzelt sind, fühlen sich oft sehr einsam. Die religiöse Suche der jungen Menschen und die Fragen, die wir Verantwortliche in den Kirchen diskutieren, driften zu sehr auseinander. Man muss heute der starken Individualisierung auch im Glauben Rechnung tragen. Glaube ist etwas sehr Persönliches und dieses stärkere Autonomiebewusstsein ist nicht nur negativ. Es ist sehr spannend, diese Frage jetzt in Polen zu verfolgen, wo in einer sehr traditionsbewussten Kirche bei vielen Jugendlichen gerade die persönliche Suche aufbricht. Diese persönliche Suche ist ohne weiteres in der Gemeinschaft der Kirche möglich. Das ist auch der Grund, warum wir vor 30 Jahren angefangen haben, auf unserem "Pilgerweg des Vertrauens" jedes Jahr in einer europäischen Großstadt, in Zagreb wie in Genf, in Hamburg wie in Lissabon - zusammen mit den Kirchengemeinden vor Ort - ein Jugendtreffen durchzuführen.

HK: Taizé lebt insgesamt von einer Internationalität, die sich nicht auf die Länder Europas beschränkt. Warum ist das so?

FRERE ALOIS: Wenn im Sommer beispielsweise jede Woche junge Afrikaner ein Forum anbieten und über ihre Situation sprechen, werden viele unserer europäischen Schwierigkeiten relativiert. Am Ende fangen die afrikanischen Jugendlichen an zu tanzen und zu singen. Da fragen sich viele, wie es möglich sein kann, in so schwierigen Situationen die Freude am Leben zu behalten und hoffnungsvoll in die Zukunft zu sehen. Auch wächst die Bereitschaft zur Solidarität durch persönliche Beziehungen. Wenn ich jemanden in Indonesien kenne, werde ich von den Naturkatastrophen, die sich dort ereignen, ganz anders getroffen. Diese gelebte Solidarität ist wichtig - gerade auch für Europa. Wir wollen verstärkt auch Jugendtreffen außerhalb Europas organisieren.

HK: Ein neuer Schwerpunkt in der Arbeit Taizés?

FRERE ALOIS: Dass wir im vergangenen Jahr ein Jugendtreffen in Kalkutta veranstaltet haben und für kommenden Oktober eines in Bolivien vorbereiten, ist ein Akzent unserer Arbeit, der nicht völlig neu ist. Er war nur in den vergangenen Jahren zu wenig präsent. Das lag freilich auch daran, dass es Frère Roger in den letzten zehn Jahren nicht mehr so ohne weiteres möglich war, auf andere Kontinente zu reisen.

HK: Wenn der Erfolg von Taizé zugleich auch ein Hinweis auf die Schwierigkeiten zu Hause ist: Was erwarten die Jugendlichen heute eigentlich von ihren Kirchen?

FRERE ALOIS: Viele suchen einen Ort der Freundschaft, wo sie als Jugendliche auch auf andere Jugendliche treffen. Das leistete früher in einem großen Maße die Volkskirche. Die Menschen gingen nicht nur zum Gottesdienst in die Kirche, sondern auch aus sozialen Gründen. Das war nicht negativ, ist heute aber in unseren Breiten weitgehend verloren gegangen. Über diese berechtigte Erwartung hinaus sind die Jugendlichen aber durchaus auf einer großen religiösen Suche. Wir in der Kirche tun uns nicht leicht, ihr zu entsprechen. Man müsste sich viel weiter hinauswagen, als es normalerweise geschieht.

HK: Was ist gemeint mit jener "neuen Form der Frömmigkeit, die allen zugänglich ist", die Sie in diesem Zusammenhang jüngst gefordert haben?

FRERE ALOIS: Sehr früh hatte Frère Roger gemerkt, wie wichtig es ist, dass wir die Form unseres Betens verändern. Anfangs gab es in Taizé ein sehr monastisch geprägtes Gebet. In den Vordergrund rückte aber bald das Anliegen, dass die Besucher bei diesen Gebeten ganz beteiligt sein können und nicht nur Zuhörer bleiben. Die Gebetsform musste dafür verändert werden - ganz im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils und der geforderten Teilhabe eines jeden Christen an der Liturgie, was ja auch ein grosses Anliegen der Reformation war. Wir haben hier eine einfache Form des gemeinsamen Singens entwickelt und dabei entdeckt, dass das eine Sprache ist, die Menschen öffnet, weil alle mittun können. Das Mitsingen weckt das Gebet in den Menschen. Singen ist etwas sehr Individuelles und stiftet gleichzeitig Gemeinschaft.

HK: Worauf legen sie neben den Gesängen besonderen Wert?

FRERE ALOIS: Einfache Symbole spielen bei uns eine große Rolle. Jeden Freitagabend haben wir das "Gebet vor dem Kreuz". Alle können kommen und die Stirn auf das Kreuz legen und durch diese Geste Christus die Lasten des Lebens anvertrauen. Als junge Christen in der damaligen Sowjetunion uns dieses Gebet ans Herz legten, hatten wir keine Vorstellung, wie wichtig solche Gesten einmal werden, wie viele durch eine solche Geste etwas zum Ausdruck zu bringen vermögen, was sie niemals mit Worten hätten formulieren können. Jeden Samstagabend feiern wir das Licht der Auferstehung, das auf die Herzmitte des Glaubens verweist. Wir haben diese Symbole nicht erfunden, aber wir wollen, dass sie für alle zugänglich werden.

HK: Wie begegnen Sie der Gefahr, dass der Aufenthalt in Taizé oder bei einem der Jugendtreffen zwar eindrucksvoll sein mag, die jungen Leute aber keine Möglichkeit finden, die neuen Erfahrungen auch bei sich zu Hause fruchtbar werden zu lassen? Wie nachhaltig sind die Eindrücke, die Jugendliche hier machen?

FRERE ALOIS: Zu allererst ist wichtig, dass die Jugendlichen Freiheit spüren. Sie werden hier in nichts eingebunden, für das sie sich noch nicht entscheiden können. Sie können da sein, wie sie sind. Es werden keine Bedingungen gestellt - außer am Leben hier teilzunehmen. Da braucht es manchmal große Geduld. Aber der hier vertiefte oder gar begonnene Weg soll natürlich im Alltag weitergehen. Dafür sind wir jedoch auf die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Kirchen vor Ort angewiesen. Zum Glück kommen viele Priester, Pastoren oder Pastorinnen und zumal aus Deutschland auch andere Hauptamtliche, die mit ihren Jugendlichen eine Woche hier sind und sich dann mit ihnen um eine entsprechende Nachhaltigkeit bemühen. Diese Zusammenarbeit wollen wir durch Besuchsreisen von uns Brüdern in die jeweiligen Herkunftsländer noch ausweiten.

HK: In der Pastoralplanung vieler Kirchen wie auch in der Theologie gibt es durchaus Ansätze, jene Ausdifferenzierung religiösen Lebens zu würdigen, aufgrund derer die Pfarrgemeinde nicht der alleinige oder zumindest maßgebliche Ort religiöser Praxis ist. Ist Taizé nicht faktisch doch eine Alternative, so dass für manche Glauben und christliche Praxis außerhalb der gelegentlich als zu eng empfundenen eigenen Gemeinde erst möglich wird?

FRERE ALOIS: Wir wollen die Jugendlichen nicht an Taizé binden. Im Gegenteil: Jeder, der hier eine zweite Woche bleiben will, muss mit einem von uns Brüdern ein persönliches Gespräch über die Motivation dafür führen. Es kann nicht einfach um die Verlängerung eines schönen Aufenthalts gehen, sondern muss einen weiteren Schritt im Glauben bedeuten. Es hat in der Kirchengeschichte immer die Komplementarität der Kirche vor Ort und der herausgehobenen Zeiten, der Wallfahrten und Pilgerwege gegeben. Das ist nichts Neues. Kirche bedeutet auf jeden Fall Gemeinschaft vor Ort, im Alltag. Taizé kann das für die Jugendlichen nicht sein. Wir sagen ihnen, dass sie in ihre Kirchengemeinden, ihre Verbände, ihre Gruppen gehen sollen. In der Kirchengemeinde treffen sich alle Generationen. Gerade dass Gott uns zusammenruft und wir uns nicht ausgewählt haben, ist ein wichtiger Aspekt von Kirche. Das sehen die Jugendlichen auch an unserer Communauté.

HK: "Taizégebete", die es in manchen Gemeinden regelmäßig gibt, sind demnach für die Brüdergemeinschaft eine höchst zwiespältige Angelegenheit...

FRERE ALOIS: Es sind oft die Jugendlichen selbst, die auch zu Hause zusammen kommen wollen und von sich aus ein so genanntes "Taizégebet" organisieren. Darüber kann man sich nur freuen. Die Gesänge spielen für viele eine große Rolle. Aber das Engagement vor Ort soll nicht im Namen von Taizé, sondern im Namen des Evangeliums weitergehen. Die Jugendlichen können andere Bezeichnungen finden. In einer Schule hieß dies beispielsweise "Die sechste Stunde", im Kleingedruckten konnte man dann lesen: mit Gesängen aus Taizé. In dieser Frage darf man nicht allzu streng sein. Wir erwarten aber insbesondere von den Trägern der Jugendarbeit, dass sie versuchen, den richtigen Kontext herzustellen. Man kann den Namen "Taizé" nicht beliebig verwenden.

HK: Grenzt sich Taizé damit auch von den geistlichen Gemeinschaften ab?

FRERE ALOIS: Es ist sicher ein Zeichen der Zeit, dass es seit einigen Jahrzehnten geistliche Bewegungen gibt, die eine bestimmte Spiritualität leben und dankenswerterweise sehr viel in die Kirche einbringen. Unser Weg besteht darin, eine Gemeinschaft zu sein, die sich in der monastischen Tradition versteht. Darüberhinaus wollen und können wir keine organisierte Bewegung aufbauen.

HK: Wie hat sich das Interesse an einem längeren Aufenthalt oder gar Eintritt in die Gemeinschaft im vergangenen Jahr entwickelt?

FRERE ALOIS: In den vergangenen Monaten sind mehrere Brüder aus verschiedenen Kontinenten und unterschiedlichen Konfessionen eingetreten. Genauso wichtig ist für uns, dass Jugendliche weiterhin in gleichem Maße darum bitten, ein Jahr lang hier sein und mitarbeiten zu dürfen.

HK: Taizé, die Communauté wie die Jugendtreffen, lebt gerade auch von dieser Vielfalt der Konfessionen. Sie haben im ersten Jahr eine Reihe wichtiger Kirchenführer besucht. Was waren Ihre Erfahrungen? Wurden da nur Freundlichkeiten ausgetauscht oder gibt es dezidierte Erwartungen an Taizé?

FRERE ALOIS: Besuche waren sehr wichtig, um deutlich zu machen, dass wir mit den unterschiedlichen Konfessionen in Gemeinschaft sein wollen. Mit der Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation haben wir auch ein gemeinsames Anliegen. Das ist in allen Kirchen eine große Sorge. Benedikt XVI. hat uns große Wertschätzung und Anerkennung entgegengebracht, nachdem er Leben und Werk von Frère Roger mehrfach auch öffentlich gewürdigt hatte.

HK: Obwohl keiner der Brüder bisher aus einer orthodoxen Kirche stammt, spielt die Tradition der Ostkirchen in Taizé eine sehr große Rolle. Wird das in den orthodoxen Kirchen wahrgenommen und gewürdigt?

FRERE ALOIS: Bartholomäus I., der Patriarch von Konstantinopel, hat vor allem unterstrichen, dass wir eine monastische Gemeinschaft sind. Das ermöglicht es uns letztlich, hier junge Orthodoxe zu empfangen, für die ein Kloster ein Begriff ist. Aber auch der Besuch in Moskau war ganz wichtig, weil viele Jugendliche der großen russisch-orthodoxen Kirche mit ihren Priestern hierher kommen. Patriarch Aleksij II. hat uns gesagt, die russisch orthodoxe Kirche wolle die Zusammenarbeit mit Taizé vertiefen.

HK: Gerade auf orthodoxer Seite gibt es oft genug Vorbehalte gegenüber ökumenischen Treffen, weil sie eine Verwässerung des eigenen Glaubens befürchten ...

FRERE ALOIS: Alle Jugendlichen, das war übrigens auch Thema des Gesprächs mit Bischof Wolfgang Huber in Berlin, entdecken und vertiefen hier gerade angesichts der anderen Glaubenstraditionen ihre eigene konfessionelle Herkunft. Rumänische Gruppen feiern während der Woche natürlich auch ihre orthodoxe Liturgie. Die Schweden kommen sehr zahlreich und halten samstags in ihrer Sprache Abendmahl. Es ist ganz natürlich, dass die Jugendlichen in Taizé ihre Herkunft spüren - und gleichzeitig auch hineingenommen werden in die Einheit der Christen. Sie gehen dann weg mit einem weiteren Bild von Kirche, als sie es zuvor hatten.

HK: Innerhalb der Ökumene, so zumindest manche Beobachter, verschieben sich derzeit die Gewichte weg vom etablierten evangelischen-katholischen Dialog hin zu einer Annäherung zwischen Katholiken und Orthodoxen. Welche bilateralen Beziehungen sind Ihrer Erfahrung nach in Taizé leichter?

FRERE ALOIS: Das lässt sich so nicht vergleichen. Die Trennung zwischen dem Osten und dem Westen ist ja viel älter. Dazu kommt, dass die meisten orthodoxen Kirchen jahrzehntelang unterdrückt worden sind. Das erfordert eine für ihre Geschichte sensible Aufmerksamkeit. Sie leben zudem eine ganz andere Spiritualität, von der wir im Westen viel lernen können. Die orthodoxe Kirche setzt viel stärker darauf, dass der Glaube durch die Liturgie tradiert wird - in Russland gab es siebzig Jahre auch gar keinen anderen Weg.

HK: Kommen die verschiedenen Konfessionen in Taizé wirklich alle gleichberechtigt zusammen? Und welche Konsequenzen ziehen Sie daraus für die Einheit der Christen?

FRERE ALOIS: Bei den drei Gebetszeiten am Tag weiß ich nicht, ob mein Nachbar evangelisch, katholisch oder orthodox ist. Oft heißt es, der heilige Geist werde die Einheit schaffen. Aber wir müssen dem heiligen Geist auch die Gelegenheit dazu geben, die Einheit zu schenken. Wir geben sie ihm nur, wenn wir zusammenkommen. Wenn wir im Gebet zusammen vor Gott da sind, selbst und vielleicht gerade auch in Stille, geschieht schon Einheit, wird Einheit aufgebaut. Das schafft dann auch ganz andere Voraussetzungen für die notwendigen theologischen Gespräche, von gemeinsamen sozialen Aktionen ganz zu schweigen.

HK: Taizé hatte sich gelegentlich mit dem Vorwurf auseinanderzusetzen, dass es als eigentlich protestantische Gründung zunehmend katholischer geworden sei. Ist ein katholischer Prior ein weiterer Schritt in diese Richtung?

FRERE ALOIS: Die Tatsache, dass ich als Katholik jetzt der Prior bin, ist einfach ein Zeichen dafür, dass wir weiterhin eine ökumenische Gemeinschaft sind. Im Übrigen sah Frère Roger Taizé nicht einfach als eine protestantische Gründung.

HK: Inwiefern, Frère Roger war doch reformierten Glaubens?

FRERE ALOIS: Schon die Tatsache, dass Frère Roger eine monastische Gemeinschaft gegründet hat, war ein Schritt über seine eigene Konfession hinaus. Das hat damals nicht umsonst auf allen Seiten viel Erstaunen hervorgerufen. Frère Roger war entschlossen, die Versöhnung der Christen, die er von Anfang an wollte, in einem Gleichnis der Gemeinschaft vorwegzunehmen. Natürlich war sein Weg ein Vorantasten, kein selbstsicheres, durchgeplantes Voranschreiten. Frère Roger hat es lange vor seinem Tod für sich so formuliert: "Ich fand meine Identität als Christ darin, in mir den Glauben meiner Ursprünge mit dem Geheimnis des katholischen Glaubens zu versöhnen, ohne mit irgend jemandem zu brechen." Genau das ist heute die entscheidende Frage: Wollen wir wirklich eine sichtbare Einheit oder suchen wir unsere Identität durch Abgrenzung?

HK: Die Brüder in Taizé feiern seit den siebziger Jahren unabhängig von ihrer Konfession zusammen die katholische Liturgie und können auf diese Weise gemeinsam die Eucharistie empfangen. Wie groß ist angesichts der Diskussionen über die Abendmahls- beziehungsweise Eucharistiegemeinschaft der Druck auf Taizé, das zu ändern?

FRERE ALOIS: Die augenblickliche Situation ist für uns eine Herausforderung, mit dieser Frage sehr sorgfältig umzugehen. Man muss diese Frage von der besonderen Geschichte Taizés her sehen. Insofern sind wir kein Modell, das man einfach übernehmen und auf andere Situationen übertragen kann. Ende der sechziger Jahre war Frère Roger bereits davon überzeugt, dass die ökumenische Begeisterung wieder abebben werde, wenn es keine konkreten Schritte gibt - so unvollkommen sie auch sein mögen. Kardinal Augustin Bea, seinerzeit Präsident des Sekretariats für die Förderung der Einheit der Christen, hatte ihm bereits zu den Zeiten des Konzils vorgeschlagen, in Taizé die katholische Eucharistie allen Brüdern zu öffnen. Frère Roger wollte zunächst damit warten, bis dies auch an anderen Orten möglich sei, kam aber Anfang der siebziger Jahre darauf zurück, als die ersten katholischen Brüder eingetreten waren. In Absprache mit Kardinal François Marty, dem damaligen Vorsitzenden der Französischen Bischofskonferenz, eröffnete Bischof Armand Le Bourgois von Autun den Brüdern die Möglichkeit, die katholische Kommunion zu empfangen. Auch in Rom haben alle Brüder unserer Communauté seit 1980, mehrmals in Gegenwart von Papst Johannes Paul II., die Kommunion empfangen.

HK: Und dieser Sonderstatus ist unangefochten?

FRERE ALOIS: Die verschiedenen Kirchenverantwortlichen tragen dem, was hier geschichtlich gewachsen ist, Rechnung. Einerseits tun wir nichts, was beim augenblicklichen Stand der Vereinbarungen nicht möglich wäre. Es wäre unverantwortlich, den Jugendlichen, die hierher kommen, vorzugaukeln, dass es keine Probleme gebe. Das würde die Jugendlichen verwirren und Spaltungen hervorrufen. Andererseits ist das zentrale Geheimnis der Eucharistie so wichtig, dass es für uns die gemeinsame Mitte sein soll. Wir sehen im Übrigen, wie wichtig es ist, vielen Jugendlichen, auch in der katholischen Kirche, einen tieferen Zugang zur Wirklichkeit der Eucharistie zu erschließen. In den Fragen der Eucharistie benötigen alle eine Vertiefung ihres Verständnisses. Wir wollen deshalb das Geheimnis der Eucharistie wieder stärker ins Bewusstsein rücken: durch die liturgische Praxis, aber auch das Bibelstudium oder Thementreffen mit Texten der Kirchenväter zur Eucharistie. Die Jugendlichen sollen dabei nicht in Diskussionen geführt werden, die ablenken vom Wesentlichen.

HK: Wie sieht die konkrete Praxis in Taizé für die jugendlichen Besucher aus?

FRERE ALOIS: Neben den Gebetszeiten können die Jugendlichen an einer Eucharistiefeier ihrer Kirche teilnehmen. Das geschieht meist nach Ländern und Sprachen getrennt, so dass die Jugendlichen auch die Feierformen ihrer Kirche wiederfinden. Während der Kommunionausteilung in den Gottesdiensten der Brüder wird jeweils gleichzeitig gesegnetes Brot ausgeteilt, so dass alle verstehen, dass Gott niemanden zurückweist. Es ist ein kleines Zeichen, das die Spannung etwas entschärft.

HK: Die Spannung also bleibt?

FRERE ALOIS: Die Frage bleibt schmerzlich für uns. Das Ziel der gemeinsamen Eucharistiefeier steht weiterhin aus. Wir leben in Taizé seit Anfang der siebziger Jahre in diesem Provisorium. Die Anfragen an unsere Praxis helfen uns durchaus, manches immer wieder neu zu überdenken und nicht einfach nur unbekümmert weiterzumachen. Das ändert nichts daran, dass wir Christen uns die Einheit schuldig sind. Und wir sind der Welt diese Einheit schuldig. Nur so können wir in Zukunft die Leuchtkraft des Evangeliums weitergeben.


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Frère Alois: (geb. 1954) ist seit dem Tod von Frère Roger im August 2005 Prior der Communauté de Taizé. Der Katholik Alois Löser wuchs in Stuttgart auf, lebt seit 1974 in Taizé und wurde bereits 1998 von Frère Roger nach den Regeln der Gemeinschaft als sein Nachfolger benannt.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
61. Jahrgang, Heft 4, April 2007, S. 179-183
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2007