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BERICHT/234: Prophezeiungen - Herr über die Zukunft (uni.kurier.magazin Erlangen)


uni.kurier.magazin - 107/September 2006
Wissenschaftsmagazin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Herr über die Zukunft
Von ungeliebten Mahnern, Traumdeutern und "wahren" Propheten

Von Johanna Haberer


Was sind Prophezeiungen wert? Wer ist der Herr der Zukunft? Beide Fragen stellt sich wohl der Mensch, seit er die Zeit als einen linearen Prozess in der Dynamik von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wahrzunehmen gelernt hat. Albert Einstein würde hier bereits sein Veto einlegen und auf die Relativität hinweisen, aber die Relativität von Zeit scheint das gemeine menschliche Vorstellungsvermögen zu überfordern. Und so tummeln sich bis heute Propheten aller Art auf dem Markt der Zukunftsforschung: Da wird der Ausgang von Wahlen vorhergesagt und der bevorstehende Verfall von Aktien oder deren Wertsteigerung, die Entwicklung künftiger Generationen wird in der Vorausschau skizziert und das Wetter in einer Woche, da werden Katastrophen angekündigt und wieder verschoben. Und immer wieder wird über den Wert von Vorhersagen debattiert, denn Vorhersagen scheinen immer dem besonders freundlich gesinnt, der sie am besten für die eigenen Zwecke zu nutzen versteht.

Das war schon immer so und besonders eindrücklich ist dies niedergelegt in der Bibel, einem Dokument verdichteter Menschheitserfahrung, das mit seinen kleinasiatischen Wurzeln die abendländische Kultur stark beeinflusste und ein Weltkulturerbe darstellt.

Dass ein Mensch ironisch das undurchdringliche Geheimnis künftiger Ereignisse respektiert, hat sich bis in die Alltagssprache gemendelt: "Bin ich denn ein Prophet?" Auch die Erfahrung, dass der Prophet im eigenen Lande nichts gilt, zieht sich durch die Jahrtausende.

Und bereits in biblischen Zeiten konnte man sich heftig über die rechte Form der Vorhersage, die rechte Technik der Zukunftserforschung und die Legitimität des Zukunftsforschers streiten.

Die seriöse, wissenschaftlich-politische Prognostik lebt heute vom modernen Glauben an die Erkennbarkeit des Weltlaufs und von der Überzeugung, man könne dem "Schicksal" in den Arm fallen, zum Beispiel vor dem nächsten Tsunami warnen, oder die Klimakatastrophe verhindern.

Demgegenüber hat die Subkultur der nicht seriösen Prognostiken ungebrochen Konjunktur: Astrologie und Kartenlegen, Traumdeutung und Würfeln. Diese esoterischen Künste halten eine Ahnung davon wach, dass die Zukunft des Menschen von diesem selbst weder wesentlich bestimmt, noch mit den Mitteln seiner Vernunft allein einsehbar wäre.

Die Zukunft ist Gottes Revier, davon zumindest war man im alten Israel in den 1.000 Jahren von David bis Christus fest überzeugt. Und Gott lässt nur seine Auserwählten und Berufenen einen Blick in die Zukunft tun. Trotz aller Katastrophen, die das jüdische Volk in dieser Zeit erlebte - verlorene Kriege, massenhaftes Sterben, Verschleppung, das Exil eines ganzen Volkes -, in der Rückschau kommentiert das alte und das neue Testament die Abwesenheit von Propheten als Abwesenheit Gottes. Solange Gott Propheten sandte, davon war man im Geburtsland der Bibel überzeugt, solange bewies er sein vitales Interesse am Ergehen der Menschen.

Dennoch spielten auch hier Fragen der Technik, mit der ein Prophet an sein Zukunftswissen gelangte, eine bedeutende Rolle.

Beinahe wie heute konnte man schon in alten Zeiten unterscheiden zwischen einer intuitiven Kunst der Prognostik und einer induktiven.


Die Kunst der Mantik

Wie heute die Auslegung einer Umfrage, lehrte man in alten Zeiten die Kunst der Mantik, die Kunst, Zeichen zu deuten, den Flug der Vögel, die Eingeweide von Schafen und Ziegen, das geworfene Los oder den Stand der Sterne.

Die Wahrnehmung und Deutung äußerer Zeichen gehörte traditionell in den Tempel, die Männer, die das Geschäft betrieben, waren ausgebildet und hatten ihr priesterliches Handwerk, so wie sie es verstanden, gelernt. Sie beantworteten Fragen, die in der gleichen Logik auch heute die wissenschaftlichen Auguren beschäftigen: Wie geht es mit der Stadt, dem Land, den Politikern weiter? Wird es Krieg geben? Und wenn Ja, wer wird ihn gewinnen? Oder, wenn ein Einzelner fragte, erhielt er Antwort auf Fragen, die ungebrochen bis heute jeden Astrologen beschäftigen: Wird es eine Heirat geben oder ein Begräbnis?

Die Techniken der Zukunftsforschung folgten einer beinahe naturwissenschaftlichen Logik. Das anatomische Modell einer Schafsleber zum Beispiel wurde als Weltmodell im Kleinen angesehen. In ihr sah man den Lebensraum einer Stadt vom Pförtner über die Galle. Und je nach Zustand und Lage der Eingeweide konnte dann die Auskunft auf eine konkrete Frage lauten: "Wenn die Palastpforte weit ist, werden deine Gegner in dein Stadttor eintreten" oder: "Wenn die Gallenblase offen ist, wird im Lande Hungersnot herrschen". Diese Art der Prognostik war in der alten Welt überall üblich.

Die biblische Tradition zeigte sich solchen Techniken der Zukunftserforschung gegenüber geduldig und gelassen, nur die Befragung von Verstorbenen war strikt verboten und wurde mit harten Konsequenzen bestraft. Denn der Gott Israels verstand sich selbst als einen Gott der Lebenden.

Im Namen dieses Gottes traten große Propheten Israels auf. Sie fanden sich in der Rolle der ungeliebten Mahner wieder, die sich widerwillig auf ihre Aufgabe einließen oder - wie der Prophet Jona - erst einmal Fersengeld gaben und wegliefen. Sie spielten im alten Israel eine Rolle, wie sie heute den Sozial- und Kulturwissenschaften zukommt oder manchem Philosophen oder Journalisten. Sie verstehen sich als das Gegenüber zur Macht. Als archetypisch für die Rolle des Propheten in der Politik kann man die Geschichte von König David und seinem Propheten Nathan beschreiben. Nathan lässt den Ehebruch des Königs mit Batseba öffentlich auffliegen und das Verbrechen Davids an dem betrogenen Ehemann. Im Namen Gottes schafft er Öffentlichkeit, ruft zur Buße und versucht den verloren gegangenen Schalom, den sozialen Ausgleich in der Gesellschaft wieder her zu stellen.


Balance zwischen Diagnostik und Prognose

Was die großen und meist äußerst unbeliebten Propheten im Namen Gottes zu sagen haben, lebt von der intelligenten Balance zwischen Diagnose und Prognose.

Der Prophet analysiert ohne Tünche präzise und scharfsinnig den Zustand der Gesellschaft und dann skizziert er die daraus resultierenden Folgen für die Zukunft: dass eine immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen arm und reich die Gesellschaft langfristig zerstört, gehört zu den immer wieder traktierten Themen der Propheten. Der Irrtum, schnelle Gewalt sei ein Mittel der Politik, wird von den Propheten immer wieder gegeißelt, ebenso wie ungerechte Rechtssprechung und Korruption. Auch die kurzfristige Präferenz ökonomischer Erfolge gegenüber nachhaltigem Wirtschaften, wird als ein Verlust an Zukunft diagnostiziert. Außerdem wird immer wieder darauf hingewiesen, dass ein kluges politisches Handeln aus der genauen Kenntnis der Geschichte komme.

Nicht jeder konnte Prophet werden und die gängige Redeweise von den falschen Propheten meinte schon vor tausenden von Jahren diejenigen, die den Status quo segneten, die nicht an einer Veränderung interessiert waren, den Mächtigen nach dem Munde redeten und damit Geld verdienten. Die wahren Propheten waren einsame Gestalten. Sie berichteten von Visionen und Auditionen, die ihnen zuteil wurden in Ekstase oder im Traum - oft gegen ihren eigenen Willen. Gott spricht und Gott erscheint und er kündigt seinem Volk die Zukunft an.

Meist legitimierten sie sich durch eine Berufung, die sie auf eine Anrede Gottes zurückführten. Sie hafteten für ihre Worte mit ihrer Freiheit oder auch mit ihrem Leben und sie galten erst als "wahre" Propheten, wenn ihre Prognose eintraf oder ihre Diagnose der gesellschaftlichen Zustände treffender nicht hätte formuliert werden können.

Würdige Namen gehören in diese Reihe, von denen einige bis heute als Wächter in der sixtinischen Kapelle Michelangelos in Rom die göttlichen Geheimnisse hüten: Amos, Hosea, Jesaja, Jeremia, Hesekiel. Sie waren die Ersten, die ihre Worte als Autoren kennzeichneten und mit ihrem Leben dafür hafteten. Die Liste ihrer Nachfolger ist lang, auch wenn Gott sich über die Zeiten die direkte Rede abgewöhnt haben sollte.


Johanna Haberer leitet seit 2001 die Abteilung für Christliche Publizistik der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg. Sie ist seit dem Wintersemester 2003/04 Universitätspredigerin.


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Quelle:
uni.kurier.magazin Nr. 107/September 2006, S. 6-8
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. August