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BERICHT/251: Was ist "Kindertheologie"? (Junge.Kirche)


Junge.Kirche 1/2008
Unterwegs für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung
Focus dieses Heftes: Kind uns gegeben

Was ist "Kindertheologie"?

Von Erhard Reschke-Rank


Dass Kinder Theologinnen und Theologen sind, ist für Mitarbeitende im Kindergottesdienst keine überraschend neue Erkenntnis. Umso erstaunlicher ist es, dass die zahlreichen Veröffentlichungen der letzten Jahre zur Kindertheologie beinahe ausschließlich aus dem schulischen Bereich stammen. Übersehen wurde, dass gerade in Gottesdiensten Kinder einen Ort haben, an dem sie ihrem Glauben Ausdruck verleihen und über Gott, den Glauben und die biblische Botschaft nachdenken.

Wird von Kindertheologie gesprochen, so ist damit zunächst gemeint, die theologischen Denkleistungen von Kindern wahrzunehmen und zu würdigen. Kinder denken im Rahmen ihrer intellektuellen Möglichkeiten und Fähigkeiten über Gott und die Welt nach, stellen Fragen, suchen nach Antworten. In der Kindertheologie geht es darum, die "Religion des Kindes" sowie die Produktivität und Fähigkeit des Kindes zu theologischer Reflexion zu entdecken. Abschied genommen wird dabei von dem Bild des Kindes als "unfertiges Wesen", als "leeres Gefäß", das mit den "richtigen erwachsenen Wahrheiten" gefüllt werden muss. Dabei bleibt die Kindertheologie aber nicht dabei stehen, das Nachdenken der Kinder, das selbstverständlich nicht nur in Gesprächen, Erzählungen und Gedichten, sondern auch in Bildern, Basteleien und vielem mehr Ausdruck findet, zu beobachten. In einem zweiten Schritt geht es darum, Kinder zu ermutigen, ihre Erfahrungen und ihre Fragen, ihren Glauben und ihre Zweifel zum Ausdruck zu bringen: für sich, in der Gemeinschaft mit anderen Kindern und Erwachsenen. Aufgabe der Erwachsenen ist es dabei, den Kindern Raum für ihre Gedanken zu eröffnen, neugierig zuzuhören, die Deutungen der Kinder ernst zu nehmen und zum weiteren Nachfragen zu provozieren.


"Kindertheologie" und Kindergottesdienst

Die Erkenntnisse der Kindertheologie werden den Kindergottesdienst verändern - ohne dass sein Charakter als Fest und Feier, als Gottesdienst, Schaden nimmt. Das Nachdenken darüber, wie ein "Theologisieren mit Kindern" im Kindergottesdienst geschehen kann, steckt noch in den Anfängen. Doch die Fortbildungsangebote für Mitarbeitende der "Kirche mit Kindern" zeigen, dass die bisherigen Ergebnisse der Kindertheologie aufgenommen und ihre Ergebnisse in die Praxis umgesetzt werden.


Die Theologie der Kinder wahrnehmen

Im eigenen Kindergottesdienst könnten über einen längeren Zeitraum hinweg Kinderäußerungen gesammelt werden. Ideen, die uns staunen ließen und biblische Texte in einem neuen Licht erscheinen lassen. Solche Sammlungen können helfen, nicht bei der möglichst korrekten Exegese und der Frage, was dieser Text für uns bedeuten könnte, stehen zu bleiben, sondern intensiv danach zu fragen, welche Bedeutung er für die Kinder haben könnte. Wenn wir uns z. B. einmal Zeit nehmen, Gottesbilder von Kindern (gemalte oder in Worten ausgedrückte) anzuschauen, wird uns dies zu einem kritischen Umgang mit unserer Rede von Gott führen. Was bedeutet es z. B. für einen Jungen, wenn wir ihm immer nur einen sanften, liebevollen Gott nahe bringen und andere, kraftvolle Gottesbilder, die die Bibel auch kennt, verschweigen?

Eine weitere Hilfe, offen für die "Theologie der Kinder" zu werden, ist es, sich Zeit zu nehmen für die Beschäftigung mit der Theologie der eigenen Kindheit. Welche Vorstellung hatte ich von Gott, als ich fünf Jahre alt war? Welche Jesusgeschichten gefielen mir am besten? Warum? Was hat mir geholfen, wenn ich Angst hatte? Wie wirkte die Geschichte vom "Durchzug durch das Schilfmeer und der Vernichtung der ägyptischen Reiter" auf mich als Kind?


Kindern Raum und Zeit geben, Theologie zu treiben

Die Bedeutung des Gesprächs scheint mir in den vergangenen Jahren im Kindergottesdienst etwas in Misskredit geraten zu sein. In Mitarbeitendenzeitschriften schließen sich an ausführliche Erzählungen meist höchst kreative Spiel- und Bastelideen an, die vor allem zeigen, dass der Autor genau weiß, was die biblische Erzählung für die Kinder bedeutet. Selten werden Anregungen zu einem Gespräch mit Kindern geboten. In seinem Arbeitsbuch "Erzähl doch wieder" kam Eberhard Dietrich noch 1988 "die Galle hoch", wenn er an ein Gespräch nach einer Erzählung dachte. Er wertete ein Gespräch vor allem als Zeichen mangelnden Zutrauens des Erzählers zu seiner Geschichte. Dabei ist es eine erlernbare Kunst, Kindern Gesprächsmöglichkeiten zu eröffnen, ihnen Gelegenheit zu geben, ihren eigenen Gedanken nachzugehen und diese im Austausch mit anderen weiter zu entwickeln.

Manchmal stellen Kinder ihre drängenden Fragen ganz unvermutet - dann ist es wichtig, sich Zeit zu nehmen, auch wenn der Gottesdienst schon vorüber ist. Manchmal gehen Kinder in der Entwicklung ihrer Gedankengänge (scheinbar) Umwege - dann ist es wichtig, diese mit zu gehen und eventuell auch einmal vorsichtig an das Thema zu erinnern. Nicht zuletzt muss ich als Erwachsener mir darüber im Klaren sein, dass ich den Verlauf des Gesprächs nicht vorherbestimmen kann. Es gibt keine "richtigen" oder "falschen" Gedanken, es sei denn, ich will den Kindern meine Sicht der Dinge aufzwingen. Und vielleicht stellt sich am Ende ja heraus, dass meine Auslegung einer biblischen Geschichte nur eine von mehreren möglichen ist und die Kinder mit ihren Gedanken der Fülle der biblischen Botschaft viel näher sind!

Wenn Jesus erzählte, verkündigte er keine dogmatischen Richtigkeiten, sondern erzählte so, dass die Menschen sich eingeladen fühlten, sich eigene Gedanken zu machen: eigene Fragen zu stellen und eigene Antworten für ihr Leben zu suchen. In seiner Tradition können wir den Geschichten der Bibel einiges zutrauen und sie Kindern so erzählen, dass sie ihnen Anknüpfungspunkte bieten, über Grunderfahrungen des Lebens aus der Perspektive des Glaubens nachzudenken und (auch) darüber zu sprechen.


Erhard Reschke-Rank, Pfarrer, Theologischer Sekretär des Gesamtverbandes für Kindergottesdienst in der EKD e.V.


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Inhaltsverzeichnis - Junge.Kirche 1/2008

Focus: Kind uns gegeben
- Kinder und Kindheit in der Bibel / Isa Breitmaier
- Das religiöse Denkens und Empfinden von Kindern / Anna-Katharina Szagun
- Wiegenlied für Stefan / Peter Härtling/Gunther Schendel
- Was ist "Kindertheologie"? / Erhard Reschke-Rank
- Wir haben keine / Christian Reiser
- Kinder dürfen Kinder sein / Brigitte Messerschmidt und Erhard Reschke-Rank
- Jedes Kind ist exzellent / Nina Kölsch-Bunzen, Dieter Kaufmann, Susanne Schick
- Wenn Geburts- und Todestag zusammenfallen / Kerstin Schiffner
- Ich bin ein Kind von Himmel und Erde / Dirk Schliephake
- Genau in dieser Stunde / Nancy Cardoso Pereira
- Kinderrechte ins Grundgesetz / Doris Riffelmann
- Kirche mit (hör-)behinderten Kindern / Monika Kindsgrab
- Kahlkopf, Opa, Hure, Fotze / Peter Andersen
- Starke Mädchen - starke Jungs / Silvia Wagner
- Glaube und Kunst / Traumwelten
- Lob der Disziplin? / Folkert Rickers, Eva Butting-Weiland, Barbara Klingbeil

Forum
- Mädchen, Frauen und HIV/AIDS in Afrika / Verena Grüter
- Brauchen Freunde Gegner? / Martin Stöhr
- Das Judentum und die tridentinische Messe / Micha Brumlik
- Das theologische Problem der Judenmission / Robert Brandau
- Straßenexerzitien in Berlin-Kreuzberg / Jens Haasen
- Lothar-Kreyssig-Friedenspreis für Joachim Garstecki / Paul Oestreicher
- Lieber mitleiden als Leidenschaft / Erik Borgman

Sozialgeschichtliche Perspektive
- Jesaja 53 aus einer jüdischen Bibelauslegung / Walter Rothschild

Predigt
- Warum bin ich auf der Welt? / Kerstin Bonk

Geh hin und lerne!
- Vielleicht kann man sie noch retten / Gernot Jonas und Paul Petzel

Buchseiten, Veranstaltungen
Impressum und Vorschau


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Quelle:
Junge Kirche, 69. Jahrgang, Nr. 1/2008, Seite 14-15
Herausgeber: Erev-Rav, Verein für biblische und politische Bildung
Redaktion: Junge Kirche, Luisenstraße 54, 29525 Uelzen
Tel. & Fax 05 81/77 666
E-Mail: verlag@jungekirche.de
Internet: www.jungekirche.de

Die Junge Kirche erscheint viermal im Jahr.
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Einzelheft 6,50 Euro inkl. Versandkosten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2008