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BERICHT/309: Die Aufgabe der Ständigen Diakone in Indien (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 07/2010

In einer Welt schreiender Ungerechtigkeit
Die Aufgabe der Ständigen Diakone in Indien

Von Klaus Kießling


Das Zweite Vatikanische Konzil hat ihn wiederentdeckt, den Diakon. Welche Rolle aber spielen die Diakone heute in der Weltkirche? Ein Forschungsprojekt des Internationalen Diakonatszentrums begab sich auf Spurensuche in Indien, mit überraschenden Ergebnissen.


Wer ist der Diakon? Welche spezifische Rolle kommt ihm zu? Fungiert er als Brücke zwischen gemeindlicher und verbandlicher Caritas? Als Stellvertreter der Armen? Wie entwickelte sich dieses Amt seit seiner Wiedereinführung durch das Zweite Vatikanische Konzil hierzulande - und wie in der Ferne? Das Projekt "Pro Diakonia" widmet sich der Stärkung des Ständigen Diakonats und seiner Eigenständigkeit im Zueinander der Ämter, denn anders wird dieses Amt nicht lebensfähig sein.

Das Projekt "Pro Diakonia" nahm in Deutschland seinen Anfang, näherhin in der Diözese Rottenburg-Stuttgart, und fand seine Fortsetzung in der weltweiten Vernetzungsarbeit des Internationalen Diakonatszentrums (IDZ) zum Studium und zur Förderung des Diakonats. Das IDZ wurde in der Zeit des Konzils gegründet. Diese von der Deutschen Bischofskonferenz anerkannte weltkirchliche Einrichtung hat ihren Sitz in Rottenburg, ihr Protektor ist Bischof Gebhard Fürst. Zu den Mitgliedern aus aller Welt zählen Diakone und ihre Ehefrauen, Priester, Bischöfe und Kardinäle, die den Ständigen Diakonat als Chance für eine Weltkirche der Zukunft wahrnehmen, sowie andere Frauen und Männer, die diese nachkonziliaren Entwicklungen tatkräftig unterstützen. Die Mitglieder zeigen wechselseitige Solidarität, etwa zwischen jenen Regionen, in denen es schon in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts zu ersten Ordinationen kam, und jenen Gegenden, in denen die Wiedereinführung dieses Amtes und die Etablierung eines zugehörigen Ausbildungsangebots erst noch bevorstehen.


Ständiger Diakonat in kulturell und religiös pluraler Welt

"Pro Diakonia" setzte sich inzwischen in Lateinamerika fort, insbesondere in Ländern, in denen Diakone unter politisch schwierigen und gefährlichen Bedingungen wirken, etwa in Gefängnissen, und im wahrsten Wortsinn Demut zeigen, ihren Dienst also mit einem großen Maß an Mut ausüben. "Pro Diakonia" kam auch ins südliche Afrika, in Gegenden also, in denen Diakone und die Ausbildungsverantwortlichen nach Solidaritätspartnern suchen und untereinander Netzwerke knüpfen. "Pro Diakonia" fand im Frühjahr dieses Jahres eine weitere Fortschreibung mit einem Forschungsprojekt zum Diakonat in Indien.

Diese Forschungsreise begann mit mehreren Kontrasten: aus dem vom Winter nochmals eingeholten Deutschland ins nahezu 50 Grad Celsius wärmere Indien; aus einer alternden Gesellschaft in ein Land, dessen Bevölkerungszahl sich innerhalb dreier Jahrzehnte verdoppelt hat - auf inzwischen 1,2 Milliarden Menschen, die mehr als 15 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen und in den nächsten Jahren vielleicht den Spitzenreiter China überholen, wenn die Politik zugunsten vierköpfiger Familien unter dem Motto "we two - our two" nicht greift. 2,3 Prozent sind Christinnen und Christen, unter ihnen am stärksten die Mitglieder der katholischen Kirche.

Kontraste prägen aber auch das Land selbst: zwischen scharf zubereiteten und mit bloßen Händen zum Mund geführten Reisgerichten ("very spicy") und süßen Getränken; zwischen hochqualifizierten, international gesuchten Fachkräften und einer Analphabetenrate von 40 Prozent. Zwischen Arm und Reich besteht eine anhaltend tiefe Kluft, das Bevölkerungswachstum konterkariert die wirtschaftlichen Erfolge im Kampf gegen die Armut fortwährend. Eine tiefe Kluft bleibt aber auch zwischen den Angehörigen verschiedener Kasten, vollends im Gegensatz zu den Kastenlosen, den Unberührbaren, den "Dalits", zu denen auch "tribals" aus den Stämmen der Ureinwohner gehören und die außerhalb eines Systems stehen, das Mahatma Gandhi als den größten Schandfleck des Hinduismus bezeichnete.

Seit 1947 Republik, heute Atommacht, kennt Indien als Amtssprache Englisch, ansonsten aber keine gemeinsame Sprache, sondern 22 von der Verfassung anerkannte Hauptsprachen und mehr als 1600 andere kleinere Sprachen und Dialekte. Hindi ist die in Indien am meisten verbreitete indoarische Sprache.


Das "Pro-Diakonia"-Projekt konzentriert sich auf Mumbai, die Hauptstadt des Staates Maharashtra. Maharashtra ist seinerseits fast so groß wie Deutschland, mit dem "Gate of India", jenem Tor im britisch-indischen Stil am Hafen zur Begrüßung der Westler, als sie noch per Schiff durch das Arabische Meer nach Indien gelangten. Der Name der Stadt Mumbai erinnert an die Hindu-Göttin Mumba - in (zufälligem?) Gleichklang mit dem kolonialherrschaftlichen Bombay: Im 16. Jahrhundert nannten Portugiesen ihre Besitzung "Bom Bahia", also "schöne Bucht".

Diese war seit 1661 britisch und zählt heute 16 Millionen Einwohner, es können aber auch 18 sein, wie man vor Ort sagt. Diese flirrende Metropole durchzieht dröhnender Verkehr, der distanzlos zwischen Slumbewohnern auf der einen und Verkäufern von Bananen und Mangos auf der anderen Seite hindurch fegt und für einen derart dichten Smog sorgt, dass man die Plakate kaum erkennen kann, die für "clean Mumbai" werben.

Nirgendwo scheinen die Kontraste stärker zu sein als in dieser irgendwie funktionierenden Anarchie: 25 Prozent der Bevölkerung leben dort unterhalb der Armutsgrenze, vorwiegend Dalits, tribals, Frauen und Kinder. "Malabar Hill", das mehr Millionäre beherbergt als Manhattan, erhebt sich über die weitläufigen Slums wie eine von den Briten hinterlassene Kulisse - neben Tempeln, Moscheen und Märkten.


Eine Welt der Beziehungsnetze

Wer ist der Diakon hier? Laut Weltstatistik (vgl. Diaconia Christi 43 [2008] 138ff.) leben in Nord- und Südamerika insgesamt 24276 und in Europa 11628 Diakone. Netzwerke bilden sich in Kooperation mit dem Internationalen Diakonatszentrum in Afrika mit 379 Diakonen. Australien und Ozeanien melden 268 Diakone, ganz Asien bisher lediglich 143 Diakone. Hier spielt Indien schon deshalb eine spezifische Rolle, weil die Catholic Bishops' Conference of India (CBCI) als eine der größten Bischofskonferenzen der Welt 164 Diözesen umfasst. Im März 2010 wurde Kardinal Oswald Gracias zu ihrem Vorsitzenden gewählt.

Er leitet die Erzdiözese Mumbai und damit das einzige indische Bistum, das seit dem Konzil den Diakonat wiedereingeführt hat: Die erste Weihe fand im Jahr 2006 statt, eine weitere im Jahr 2009. Ausnahmslos alle Diakone und zudem die Kandidaten, die sich derzeit in der Ausbildung befinden, haben sich am Forschungsprojekt "Pro Diakonia" beteiligt; die wissenschaftliche Auswertung der Gespräche mit ihnen läuft.


Wer also ist der Diakon hier - unter mindestens 80 Prozent Hindus, 13 Prozent Muslime und 1,6 Prozent Sikhs? Weite Verbreitung genießt der Glaube an die Wiedergeburt, doch dieser ist nicht zu verwechseln mit der im Westen gängigen Idee einer individuellen Reinkarnation. Diese Vorstellung passt in eine anthropisch geprägte Geschichte, nicht aber in die karmische Tradition, in eine Welt der Beziehungsnetze, die nicht nur Menschen miteinander verbinden.

Darum begegnen in Indien auch heilige Flüsse, heilige Berge, heilige Bäume und heilige Tiere. Auch können indische Spiritualitäten keinesfalls als weltverneinend gelten, vielmehr anerkennen sie Leiden und Vergänglichkeit, und gleichzeitig hoffen sie auf eine Welt, in der Leiden und Unbeständigkeit nicht mehr sind. Sie setzen auf eine Erfahrung, die ganz in der Zeit begründet, durch sie aber nicht erschöpft ist, auf die Fülle der Zeit, auf "tempiternity".

Übertritte zum Christentum vollziehen vor allem Ureinwohner (Adivasi), ehemalige Hindus aus niedrigen Kasten und Dalits - in der Hoffnung auf Befreiung von Diskriminierungen, von denen Frauen besonders massiv betroffen sind. Weibliche Föten werden gezielt abgetrieben, weil Mädchen als minderwertig gelten und ihre Verheiratung immense Kosten verursacht. Auf 1000 männliche Neugeborene kommen heute lediglich 933 weibliche - in Indien, der größten Demokratie der Welt.

Asiatische Religionen nehmen ihre politische Aufgabe oft nicht im nötigen Maß wahr, so dass es zu politisch motivierten interreligiösen Konflikten kommt. Wichtig erscheint es darum all denen, die dazu im Rahmen von "Pro Diakonia" befragt und konsultiert wurden, dass sich die Kirchen einlassen auf das Leben der Armen, die dynamischen Kulturen und die lebendigen religiösen Traditionen Asiens.

Dabei zeigt die Kirche trotz ihrer Minderheitenrolle schon jetzt eine starke Präsenz, insbesondere durch katholische Schulen und andere Bildungsangebote sowie durch kirchliche Krankenhäuser und Caritas. Hierzu werden in Zukunft auch die Diakone ihren spezifischen Beitrag leisten können - in eine multikulturelle und multireligiöse Gemengelage hinein, in der die Religion der Kultur eine Vision schenkt und in der die Kultur der Religion ihre Sprache gibt. Eine in Indien lebendige "kosmotheandrische" Spiritualität richtet sich gleichermaßen auf Gott, Mensch und Welt, wenn sie die Erde als Sakrament der Gegenwart Gottes versteht. Darin und daraus leben ökologische und soziale Bewegungen, die der Welt Einzigartiges bieten.


Nach seiner Motivation befragt, den Ständigen Diakonat in der Erzdiözese Mumbai zu fördern, kommt der Vorsitzende der Indischen Bischofskonferenz, Kardinal Oswald Gracias, auf das Konzil zu sprechen, das im Anschluss an die Alte Kirche den Diakonat wiedereinführte. Viele Laien standen und stehen bereits im diakonischen Dienst ihrer Kirche, ihr Einsatz sollte gewürdigt werden und in einem ganz eigenen Amt Anerkennung finden. Der Kardinal verhehlt nicht, dass auch er dabei zunächst mit Widerstand zu kämpfen hatte ("initial resistance") - mit dem Argument, dass doch genügend Priester und auch andere pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrer Kirche tätig seien.

Doch die Idee, dass sich mit dem diakonalen Amt eine eigene Würde verbindet und verheirateten Geistlichen ein ständiger und eigenständiger Auftrag zukommt, setzt sich durch: "Deacons have a slot of their own." Dies gilt zumindest für die Erzdiözese Mumbai, die dabei eine echte Pionierrolle einnimmt. Es besteht Grund zur Hoffnung, dass diese Entwicklung auch auf andere Diözesen ausgreift. Kardinal Gracias sieht dafür vor allem in jenen Regionen Indiens gute Chancen, in denen nur wenige Priester und wenige Sozialarbeiter wirken, insbesondere im Nordosten des Landes. Diakone sind zwar weder mit Priestern noch mit Sozialarbeitern zu verwechseln, aber in diesen Gegenden zeichnet sich nach seiner Überzeugung ein Bedarf, eine pastorale Herausforderung ab, der Ständige Diakone auf ihre eigene Weise begegnen können.

Die aktuell laufende Ausbildung zum Diakonat gestaltet sich ausgesprochen intensiv: als mehrere Jahre andauerndes Vollzeitstudium in Philosophie und Theologie für Männer aus ganz anderen Zivilberufen, die sie nach der Ordination wieder aufnehmen. Dieses Studium steht nicht nur Priester- und Diakonatskandidaten offen, sondern auch anderen Männern und Frauen, die sich als Ordensleute oder als Laien auf Tätigkeiten als "pastoral workers" vorbereiten. Darauf kommt der Kardinal zu sprechen, gefragt, wie sich denn der Umstand, dass in Indien vor allem Frauen um ihre Rechte bangen mussten und müssen, mit einem personalen Angebot verträgt, das im Klerus ausschließlich aus Männern besteht.

Die indische Verfassung garantiert jedem und jeder, unabhängig von Kaste, Religion und Geschlecht, Grundrechte - auf dem Papier. Diese werden noch immer massiv verletzt, auch wenn Menschenrechtsbewegungen an Kraft gewinnen. Trotz "Empowerment" von und für Frauen wird in Indien alle drei Minuten eine Frau Opfer eines Verbrechens, wird alle neun Minuten eine Frau von ihrem Mann oder einem Verwandten misshandelt, wird alle 29 Minuten eine Frau vergewaltigt, wird alle 77 Minuten ein Mitgiftmord verübt: Wenn Herkunftsfamilien der Frauen die geforderten Mitgiftleistungen nicht erbringen können, kommt es zur Verbrennung von Bräuten. Das Projekt "Maher", in der Marathi-Sprache "Haus der Mutter", bietet ein Zuhause für misshandelte und verlassene Frauen und ihre Kinder.

Zugleich geht von Stammesfrauen beispielsweise die Chipko-Umweltbewegung aus: Sie nahm in der Himalayaregion ihren Anfang - bei Frauen, die von Rodungen bedrohte Bäume vor denen schützten, die für ihren Schutz verantwortlich waren, indem sie die Bäume umarmten und mit "Rakhis" versahen, also mit gesegneten Armbändern, wie sie eine Frau am Rakshabhandan-Fest einem Mann ums rechte Handgelenk bindet, der sie und ihre Ehre dann wie ein Bruder schützen muss, während sie ihm Respekt entgegenbringt. "Rakhis" symbolisieren in der Umweltbewegung einen heiligen Bund mit der Natur.


Kardinal Gracias fördert in seiner Diözese nicht nur den Einsatz von Frauen in pastoralen Berufen, sondern initiiert zugleich einen Förder-Prozess von weiblichen und männlichen Laien in den Gemeinden. Auf diese Weise erweist sich die aktuelle Entwicklung nicht als Klerikalisierung, sondern als Eröffnung eines breiten pastoralen Spektrums, das die Zeichen der Zeit vor Ort wahr- und ernst nimmt.

Der Kardinal will an einer soliden Ausbildung seiner Diakone festhalten, in Zukunft Theorie und Praxis stärker als bisher miteinander vernetzen und dem Umstand begegnen, dass nur wenige Interessenten die Ausbildung in der gegebenen Form wahrnehmen können: Nur Männer, die entweder dem Ruhestand entgegengehen oder deren Familien die berufliche Auszeit des Diakonatskandidaten finanziell überbrücken können, kommen dafür in Frage. Er bestätigt, dass zahlreiche geeignete Interessenten - jüngere und aus verschiedenen beruflichen und gesellschaftlichen Zusammenhängen stammende - mit dem aktuellen Ausbildungskonzept nicht erreicht werden können, und sieht Veränderungsbedarf.


Wer unterwegs ist in den Slums und auf den Straßen, wo Frauen und ihre Kinder sich zwischen den Autos und den ebenfalls motorisierten Rikschas hindurch schieben und bettelnd an die Fenster klopfen und verkrüppelte Menschen, denen die Beine fehlen, sich mühsam auf einem Holzbrett mit Rollen fortbewegen und Gefahr laufen, dabei übersehen und überfahren zu werden, der fühlt sich neben viel anderem erinnert an "Slumdog Millionaire": jenen Film, den Danny Boyle im Jahr 2008 in Mumbai drehte und der 2009 zum wahren Oscar-Abräumer wurde; jene abgründige Szene, in der eine Bettlerorganisation Kinder entführt und blendet, weil blinde Kinder besonders viel Mitleid erregen und darum besonders viele Mittel eintreiben können.

In der Arbeit in Slums leben manche Diakone ihren Auftrag, oft schon lange bevor ihr Bischof oder sie selbst die Weihe ins Spiel brachten. Befragt nach ihrer Berufung, berufen sie sich auf die Erfahrungen, die sie dort sammelten, und machen jene Präsenz stark, die sie dort weiterhin zeigen, nunmehr sogar "von Amts wegen".


Stärken und Schwächen der so genannten Kleinen Christlichen Gemeinschaften

In der Motivation für den Ständigen Diakonat und überhaupt in der Pastoral spielen auch "Small Christian Communities" (SCCs) eine wichtige Rolle - als Gestalt einer "local Church", wie sie auch aus Lateinamerika und aus Afrika bekannt ist, auch wenn sie regional ein eigenes Gesicht bekommt. Kardinal Gracias betont dazu: In Indien sind die sozialen, politischen, spirituellen Bedürfnisse andere, sichtbar insbesondere angesichts der interreligiösen Ausrichtung dieser Gruppen und der Chance, so über die eigenen Grenzen hinauszulangen. Diese SCCs feierten jüngst ihr "silver jubilee", nachdem sie vor 25 Jahren in St. Thomas Church in Goregaon/Mumbai begründet wurden.

Bischof Bosco Penha trägt in der Erzdiözese Mumbai sowohl für den Ständigen Diakonat als auch für Small Christian Communities sowie für die Laien die Verantwortung. Auch er macht deutlich, dass er das mit dem Konzil gegebene Recht ernst nimmt, engagierte Laien zu stärken, weiter zu qualifizieren und auch zu ordinieren.


Den Diakonen im Zivilberuf ist die Entscheidung anheimgestellt, welche Aufgaben sie in den Gemeinden, in die sie entsandt werden, übernehmen. Keiner von ihnen arbeitet in der Gemeinde, in der er wohnt. Keinem von ihnen fließt dafür eine Bezahlung durch die Kirche zu. Jedoch erhalten Familien, deren Lebensunterhalt nicht gesichert ist, eine Unterstützung, indem die Diakone eine Anstellung bei der Kirche finden.

Rückblickend erklärt Bischof Bosco, dass vor allem die Priester sich anfangs gegen die Einführung eines zweiten Amtes ausgesprochen haben und es sehr darauf ankäme, in wachsendem Maße deren Zustimmung zu finden. Konflikten vor Ort lässt sich vorbeugen, indem die Gemeinden in Veranstaltungen über die Aufgaben eines Diakons informiert werden und ihm eine spezifische Rolle zuwächst, die die Erzdiözese aber erst noch finden muss, insbesondere im Zueinander von Spiritualität und politischem Auftrag.

Auf diese Weise können Diakone nicht allein in den Gemeinden, sondern auch in der diözesanen Caritas profiliert zum Einsatz kommen, vielleicht als Anwälte, als Stellvertreter der Armen. Dabei wünscht der Bischof eine weitere Zusammenarbeit mit dem Internationalen Diakonatszentrum. Auch hält er es für möglich, dass sich Mumbai, der Ort zugespitzter Gegensätze, als Ausbildungsstätte so etabliert, dass auch Interessenten aus anderen indischen Diözesen hier aufgenommen werden können.

Die Absicht, die kirchlich engagierten Laien zu stärken, wandelt sich unter der Hand (des ordinierenden Bischofs) zu einer Stärkung des Klerus, dem die Diakone angehören. Die Tendenz zur Klerikalisierung bestätigt der Bischof, aber er begrüßt sie nicht, im Gegenteil: Ihm liegt sehr daran, parallel zur Einführung des Diakonats auch die pastorale Arbeit weiblicher und männlicher Laien zu stärken. Eine wichtige Rolle spielen in der Erzdiözese die inzwischen etwa 2000 Small Christian Communities, die sich aus jeweils 25 bis 50 Familien zusammensetzen.

Als Schwerpunkt dieser SCCs sieht er den Versuch, "Eucharistie zu leben, miteinander zu teilen und füreinander Sorge zu tragen". Er weiß es zu schätzen, dass Laien hier Verantwortung übernehmen, und kennzeichnet die kleinen Gemeinschaften als "besonders stark im Feiern von Gottesdiensten in nachbarschaftlicher Verantwortung und gegenseitiger Hilfe". Ihre Schwächen sieht Bischof Bosco aber im interreligiösen Dialog und in der Wahrnehmung politischer Herausforderungen. In dieser Mischung aus Wohlwollen und Kritik nennt er sie "like the church". Aber gerade im Umgang mit diesen Defiziten könnten die Diakone, auf die er setzt, in Zukunft ein auf sie zugeschnittenes Aufgabenfeld finden - in einer Welt schmerzlicher Gegensätze, zum Himmel schreiender Ungerechtigkeit, zugleich großer Lebendigkeit und spirituellen Reichtums.


Prof. Dr. Dr. Klaus Kießling ist Leiter des Instituts für Pastoralpsychologie und Spiritualität sowie des Seminars für Religionspädagogik, Katechetik und Didaktik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main. Er ist Ständiger Diakon der Diözese Rottenburg-Stuttgart und Präsident des Internationalen Diakonatszentrums (IDZ) sowie Schriftleiter der Zeitschrift Diaconia Christi.


Weiterführende Literatur
Klaus Kießling (Hg.), Ständige Diakone - Stellvertreter der Armen? Projekt Pro Diakonia: Prozess - Positionen - Perspektiven (Diakonie und Ökumene, Bd. 2), Münster 2006
Klaus Kießling (Hg.), Diakonische Spiritualität. Beiträge aus Wissenschaft, Ausbildung und Praxis (Diakonie und Ökumene, Bd. 3), Münster 2009
Zeitschrift Diaconia Christi, begründet im Jahr 1966, im Jahr 2010 im 45. Jahrgang

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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
64. Jahrgang, Heft 7, Juli 2010, S. 353-357
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2010