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BUCHTIP/096: Die Wunder Jesu - Protestgeschichten gegen den Zeitgeist (idw)


Johannes Gutenberg-Universität Mainz - 19.12.2013

Die Wunder Jesu: Protestgeschichten gegen den Zeitgeist

In einem Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen stellen 70 Autoren ihre Auslegung und verschiedene Deutungshorizonte der Wunder Jesu vor



Jesus wird in den neutestamentlichen Evangelienerzählungen als Wundertäter und Exorzist dargestellt. Er trieb Dämonen aus, heilte Aussätzige und ging über das Wasser, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Zahlreiche weitere Fälle sind in dem "Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen" versammelt, das auf knapp 1.100 Seiten die biblischen Erzählungen zu den Wundern Jesu neu übersetzt aufführt, sie sprachlich-erzähltheoretisch analysiert, in einem geschichtlichen Kontext betrachtet und den traditions- und religionsgeschichtlichen Hintergrund anführt.

Eine Besonderheit des Kompendiums sind die jeden Kommentar abschließenden Verstehensangebote und Deutungshorizonte, die die Autoren zur jeweiligen Wundererzählung anbieten, wobei zu jeder Erzählung zumindest drei Deutungsideen aufgeführt sind. "Dabei geht es nicht primär darum, ob die Wunder tatsächlich passiert sind, sondern vielmehr darum, die Erzählungen selbst und ihre gegenwärtigen Verstehensmöglichkeiten ins Zentrum zu stellen", erklärt Univ.-Prof. Dr. Ruben Zimmermann, Initiator und Hauptherausgeber des Kompendiums.

70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind in dem Kompendium mit der Präsentation einer Wundererzählung vertreten. Neben Ruben Zimmermann, Professor für Neues Testament an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), haben 4 Mitherausgeber die Texte betreut, die alle im Dialog mit den Autoren entstanden sind. "Diese neue Methodik der Bearbeitung im Dialog entspricht den Texten, die bereits im frühen Christentum vielfältig verstanden wurden, wie die Parallelüberlieferungen zeigen", so Zimmermann. Das literarische und hermeneutische Potenzial der Texte sei vielfach missachtet worden, indem man sich einseitig auf die Ereignisse konzentrierte: "Wundergeschichten haben rezeptionsästhetisch betrachtet Sprengkraft, die auch heute noch wirkt. Sie wollen zum Wundern führen, sie faszinieren und provozieren."

Zimmermann möchte auch mit alten Vorurteilen brechen wie dem, dass die Antike wundergläubig gewesen, die Neuzeit hingegen wunderkritisch sei. Auch gegenwärtig sei der Wunderdiskurs lebendig, wie ein flüchtiger Blick in die Medienwelt zeige, während auch in der Antike bereits ein kritischer Dialog über mögliche und unmögliche Wunder beispielsweise in der Historiographie geführt wurde.

Dass die neutestamentlichen Wundererzählungen in ihrer Anlage paradox sind, zeigte sich bereits den Zeitgenossen der Antike. Die Erzählungen sind im Erzählmodus faktual, beziehen sich also auf Ereignisse der Vergangenheit, und sprechen zugleich explizit davon, dass hier "Einmaliges" und "Unerklärliches" geschehen sei, dass von "Unglaublichem" berichtet werde. Damit stellen die Wundererzählungen eine Gegenwelt zur gewöhnlichen Welterklärung dar, mehr noch zum Siegeszug eines auf Wiederholbarkeit aufbauenden naturwissenschaftlichen Weltbildes. Sie sind laut Zimmermann ein "Stachel im Fleisch der geliebten Ordnung". Sie berichten von etwas, das stattgefunden hat, aber sagen zugleich, dass es eigentlich nicht stattfinden kann. Zimmermann nennt sie deshalb "phantastischen Tatsachenberichte."

Die Wundererzählungen sind also auch Protestgeschichten, indem sie sich dem Paradigma des "gesunden Menschenverstands" verweigern. Hier sieht Zimmermann sogar Potenzial in wissenschaftstheoretischer Hinsicht, denn - so Zimmermann wörtlich: "In der Deutung von Wirklichkeit meinen einige Disziplinen mit ihren Methoden und Voraussetzungen ein Primat beanspruchen zu können, das einem alternativlosen Dogmatismus gleicht, wie ihn Kirche und Theologie längst hinter sich haben." Hier setzt aber auch die theologische Faszination an: "Wunder führen in den Kern der christlichen Gottesrede. Die Wundererzählungen wollen zeigen, dass Gott in der Welt wirkt und durch die weltlichen Erfahrungen sichtbar wird", so Zimmermann weiter.

Das Thema der Wunder im Neuen Testament und seiner antiken Umwelt stellt an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz einen Forschungsschwerpunkt dar, der unter anderem durch das Publikationsprojekt dokumentiert wird. Für das Jahr 2014 sind weitere Publikationen in Vorbereitung: Band 2 des "Kompendiums der frühchristlichen Wundererzählungen" über die Wunder der Apostel sowie ein Begleitband über die "Hermeneutik der Wundererzählungen", in dem die Verstehensmöglichkeiten besonders auch im Dialog mit der englischsprachigen Forschung diskutiert werden.

Veröffentlichung:
Ruben Zimmermann et al (Hrsg.)
Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen
Band 1: Die Wunder Jesu
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2013


Weitere Informationen unter:
http://www.wunderkompendium.de
http://www.randomhouse.de/Buch/Die-Wunder-Jesu/Ruben-Zimmermann/e362430.rhd

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution218

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Petra Giegerich, 19.12.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Dezember 2013