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FORSCHUNG/034: Theologie als Erzählung - Das Buch Jona (Bibel heute)


Bibel heute
Zeitschrift des Katholischen Bibelwerks e.V. Stuttgart - Heft 4/2008

Theologie als Erzählung
Das Buch Jona - Eine Lehrerzählung voller Anspielungen und Tiefendimensionen

Von Prof. Klaus Koenen


Das Buch Jona ist eine der schönsten und faszinierendsten biblischen Erzählungen. Das ungewöhnliche Prophetenbuch ist auf den ersten Blick eine recht einfache, auf den zweiten Blick eine kunstvoll erzählte Geschichte, die ihre Leser bis heute durch viele Wortspiele, Anspielungen, Unterbrechungen, offene Fragen und Humor anspricht.


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Die Jona-Erzählung

Das Jonabuch bietet anders als alle anderen Prophetenbücher nicht die Worte eines Propheten, sondern eine Erzählung. Die Kapitel 1-3 enthalten die Handlung: Jahwe beauftragt Jona, nach Ninive zu gehen und der Stadt Unheil anzukündigen. Der Prophet will jedoch nicht und sucht mit einem Schiff das Weite, aber Gott holt den Ausreißer zurück. Er schickt einen schrecklichen Sturm und jenen rettenden Fisch, der Jona wieder an Land bringt. In Kapitel 3 erhält Jona seinen Auftrag ein zweites Mal - und diesmal führt er ihn aus! Er geht nach Ninive, der Hauptstadt der feindlichen Assyrer, und kündigt diesem Sündenpfuhl Unheil an. Der König und die ganze Stadt einschließlich der Tiere tun daraufhin Buße, und Jahwe erbarmt sich ihrer.

Im abschließenden 4. Kapitel wird das Geschehen in einem Gespräch zwischen Jona und Jahwe reflektiert. Zornig wirft der Prophet Gott vor, dass er Ninive begnadigt hat. Jahwe antwortet darauf mit einer Zeichenhandlung und deren Deutung. Er lässt eine Kürbispflanze wachsen, dann jedoch eingehen, worüber der Prophet sehr traurig ist. Es folgt Gottes Erklärung mit einem Argument vom Kleineren zum Größeren: Wenn Jona schon über den Untergang einer Pflanze traurig ist, um wie viel mehr müsste dann Jahwe über den Untergang einer riesigen Stadt traurig sein? Mit dieser offenen Frage endet das Jonabuch und fordert so die Hörer heraus, selbst eine Antwort zu finden.


Ist die Jonaerzählung wahr?

Der Helmstedter Theologieprofessor Herrmann von der Hardt erhielt noch im 18. Jh. Vorlesungsverbot, weil er die Historizität des Jonabuchs anzweifelte. Doch er hatte recht! Die Erzählung ist kein historischer Bericht und will es auch gar nicht sein. Alle rationalistischen Erklärungen, bei dem großen Fisch habe es sich um einen Wal oder ein Schiff mit dem Namen "Großer Fisch" gehandelt, sind nicht nur fehl am Platz, sondern auch gefährlich, denn solche Versuche, die Erzählung als historischen Bericht zu lesen, erweisen ihr einen Bärendienst.

Die Bibel muss sich in unserer Gesellschaft immer wieder den Vorwurf gefallen lassen: "Ist doch alles gar nicht wahr, was darin steht!" Richtig - es ist nicht wahr, wenn man unter Wahrheit Historizität versteht. Der Vorwurf basiert jedoch auf dem Missverständnis, die biblischen Texte seien historische Berichte. Offensichtlich hat man Kindern die biblischen Erzählungen allzu lange als Berichte vorgelesen. Als sie dann kritische Jugendliche und Erwachsene wurden, haben sie den Erzählungen jeden Wahrheitsgehalt abgesprochen und die Bibel für immer ad acta gelegt. Für die Jona-Erzählung kann man sehr schnell zeigen, dass sie kein Bericht sein will. Man denke nur daran, dass in Ninive sogar die Kühe Buße tun - eher ein witziger Zug der Erzählung -, dass der Name des Königs - für einen Bericht mit das Wichtigste - fehlt und nicht gesagt wird, was Jona am Ende macht. Beharrt er auf seiner Position oder lenkt er ein?


Das Buch Jona - eine lehrreiche Erzählung!

Das Jonabuch ist vielmehr eine Lehr-Erzählung - wie die Josefsgeschichte. Das zeigt z. B. die rhetorische Frage am Ende, die an Jona, in Wirklichkeit natürlich an die Hörer gerichtet ist. Die Schrift will ihnen nicht etwas berichten, sondern sie von etwas überzeugen. Die eigentlich spannende Frage lautet jetzt: Wovon will sie überzeugen? Was will sie aussagen?

Die Erzählforschung hat gezeigt, dass Erzählungen normalerweise nicht nur eine Aussage beinhalten, sondern mehrere. Auch das Jonabuch enthält mehrere Sinnebenen, die sich keineswegs ausschließen. Jona und Ninive können nämlich für verschiedene Größen stehen: Jona für den sündigen Menschen, eine Gruppe in Israel oder die Propheten als Berufsgruppe; Ninive für den sündigen, aber zur Umkehr bereiten Menschen oder für die Völkerwelt. Je nachdem, für welche Größen sie stehen, lassen sich verschiedene Aussageabsichten unterscheiden, und wer die Erzählung - z.B. im Unterricht - vorstellt, sollte sich überlegen, welche Sinnebene er in den Vordergrund rücken will und die Präsentation dementsprechend gestalten.

Prof. Klaus Koenen ist Alttestamentler an der Universität Köln und Herausgeber des wissenschaftlichen Internetlexikons Wibilex.


Literatur

• Gerhards, M., Art. Jona/Jonabuch, in: WiBiLex 2008,
http://www.wibilex.de

• Koenen, K. Art. Erzählende Gattungen, WiBiLex 2006,
http://www.wibilex.de


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Historische Einordnung

Die Erzählung spielt im 8. Jh. v. Chr., in der Zeit, in der Jona ben Amittai nach 2 Kön 14,25-27 als letzter Heilsprophet des Nordreichs und Gegenspieler des Unheilspropheten Amos (vgl. Am 6,14) gewirkt hat. Die Stellung der Erzählung im Zwölfprophetenbuch orientiert sich an dieser zeitlichen Einordnung. Verfasst wurde sie jedoch erst viel später, vielleicht im 4. Jh.


Welche Aussageabsichten lassen sich im Buch Jona entdecken?

1. Begnadigung des Sünders und Aufruf zur Umkehr

Wenn Ninive für sündige, aber zur Umkehr bereite Menschen steht, verkündet die Erzählung, dass Gott seine Gnade auch schlimmsten Sündern erweist. Dabei kann die Erzählung zugleich als Mahnung zur Umkehr verstanden werden, in der Ninive dem unbußfertigen Israel (vgl. Jer 36,3.24) als Vorbild vor Augen geführt wird. Ihre Botschaft entspricht letztlich Jesu Botschaft von der Gnade (Gleichnis vom verlorenen Sohn; Lk 15,11-32) und seinem Umkehrruf (vgl. Lk 11.32; Mt 12,41).

2. Teilhabe der Völker am Heil

Wenn Ninive nicht den sündigen Menschen, sondern die Völker repräsentiert und Jona für eine fremdenfeindliche Strömung in Israel steht, so richtet sich die Erzählung gegen partikularistische Tendenzen in Israel und ist als ein mutiges Plädoyer für die Einbeziehung der Völker ins Heil zu verstehen, das in Jes 19,16-25 ein Pendant findet und im NT z.B. in der Vision des Petrus in Apg 10,1-11,18.

3. Mahnung zum Gehorsam

Wenn der negativ gezeichnete Prophet nicht speziell für eine gegnerische Gruppe in Israel, sondern in einem weiteren Sinne für den sündigen. gegen Gott rebellierenden Menschen steht, muss die Erzählung vor allem als eine Mahnung zum Gehorsam gegenüber Gott gelesen werden.

4. Wahre Prophetie, die sich nicht erfüllt

Wenn Jona weder eine Strömung in Israel noch den Menschen schlechthin repräsentiert, sondern für die Unheilspropheten steht, will die Erzählung das Nichteintreffen prophetischer Unheilsankündigungen mit einem Sinneswandel Gottes erklären. Jona zürnt dann nicht wegen der Begnadigung der Sünder oder des Fremdvolks, sondern weil sich sein Wort nicht erfüllt. Das Buch widerspricht insofern der Auffassung von Dtn 18,21-22, dass wahre Prophetie an der Erfüllung erkennbar ist.

5. Souveränität des Gottes der ganzen Welt und Geschichte

Die vorsichtige Formulierung von 3,9 "Wer weiß, ob Gott nicht umkehrt" zeigt, dass Gottes Souveränität gewahrt bleibt. Gottes Gnade ist kein Automatismus, sondern freies Geschenk, ein Gedanke, den im NT das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg )Mt 20.1-16) unterstreicht.


Die Erzählung spielt nach 2 Kön 14,25-27 im 8. Jh. v. Chr. in einer Zeit, bevor die Assyrer Israel eroberten. Ihre Begnadigung erklärt, dass die Assyrer nur dank Jahwes Hilfe überhaupt weiter existierten und zu einem Großreich werden konnten. Die Erzählung stellt so Jahwe als den Herrn der ganzen Geschichte dar, auch in Israels Niederlage. Da die Leser des erst in nachexilischer Zeit entstandenen Buches immer schon wussten, dass Ninive 612 v. Chr. schließlich doch zerstört worden ist, erkannten sie immer auch schon, dass Ninives Umkehr nur eine vorübergehende Episode war und Gott auch die Freiheit hat, die Begnadigung wieder zurückzunehmen. Den Untergang Ninives hat dann im 7. Jh. der Prophet Nahum erneut angekündigt - und dieses Mal hat Gott sich nicht erbarmt.


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Quelle:
Bibel heute - 4. Quartal 2008, Nr. 176, Seite 4-6
Zeitschrift des Katholischen Bibelwerks e.V. Stuttgart
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Erscheinungsweise: viermal jährlich.
Der Bezugspreis für 2008 beträgt:
Einzelheft: 6,- Euro
4 Ausgaben im Jahr (Abo): 22,- Euro
(Schüler, Studenten und Rentner 12,- Euro)


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2009