Schattenblick →INFOPOOL →RELIGION → CHRISTENTUM

FORSCHUNG/039: Frühes Christentum im Originalton (Agora - Uni Eichstätt-Ingolstadt)


Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Ausgabe 2 - 2011

Frühes Christentum im Originalton

von Andreas Ellwardt u. Hubert Kaufhold


Einen Einblick in die Institutionalisierung des frühen Christentums bieten kirchenrechtliche Texte aus dem christlichen Orient des 5. und 6. Jahrhunderts, welche die Forschungsstelle Christlicher Orient mit Förderung der DFG in einem dreijährigen Projekt erforscht.


Wie alle menschlichen Gemeinschaften bedarf auch die Kirche näherer Regelungen ihres inneren Lebens. Ansätze dafür finden sich schon im Neuen Testament, vor allem in den Paulusbriefen. Im Laufe der ersten Jahrhunderten entstanden im Osten mehrere "Kirchenordnungen", die unter anderem Vorschriften für das Gemeindeleben, für die kirchlichen Feiern, die Ämter oder die Sakramente umfassen. Die ältesten geben sich als von den Aposteln verfasst aus, sind also "pseudo-apostolisch". Es handelt sich aber nicht um plumpe Fälschungen. Ihre Verfasser glaubten sicherlich, darin apostolisches Gedankengut zu überliefern. Die älteste erhaltene Kirchenordnung ist die griechisch verfasste "Lehre (griech.: Didache) der zwölf Apostel", die aus dem Anfang des 2. Jahrhunderts stammen dürfte. Wesentlich umfangreicher ist die in Syrien entstandene "Lehre (griech.: Didaskalia) der zwölf Apostel" vom Anfang des dritten Jahrhunderts. Auch sie wurde griechisch geschrieben, ist vollständig aber nur in syrischer Übersetzung erhalten. Die sogenannte "Apostolische Überlieferung" (Traditio apostolica) ist in ihrer ursprünglichen griechischen Form nicht erhalten, sondern lässt sich allenfalls aus einer Reihe von sehr unterschiedlichen Bearbeitungen erschließen, die in mehreren Sprachen im gesamten Orient verbreitet sind.

Die wichtigste Sprache der frühen Christenheit war die griechische. In ihr wurden damals die maßgeblichen theologischen Werke verfaßt. Neben dem Griechischen gab es aber weitere bedeutende Literatursprachen, derer sich die Christen im Orient bedienten. Es seien hier nur drei genannt: das (Alt-)Syrische, eine semitische Sprache (nicht zu verwechseln mit der heute im Staat Syrien gesprochenen Sprache, dem Arabischen), das Koptische, die letzte Stufe der alten ägyptischen Sprache (mit griechischen Buchstaben geschrieben) und das Äthiopische, ebenfalls eine semitische Sprache. Nach der Ausbreitung des Islams im 7. Jahrhundert wurden das Koptische und Syrische allmählich vom Arabischen abgelöst, in das dann ein großer Teil der vorhandenen christlich-orientalischen Literatur übersetzt wurde.

Es wird im Abendland häufig vergessen, dass der arabischsprachige Kulturkreis, bei uns meist als "islamische Länder" bezeichnet, auf eine lange christliche Tradition - vor dem Islam und neben ihm - zurückblicken kann und dass dort noch jetzt bodenständige Christen leben. Sie sind in arabischer Sprache bis heute literarisch tätig. Die Literaturen in den genannten und anderen orientalischen Sprachen sind deshalb von großer Bedeutung, weil sie zum einen Werke überliefern, deren griechische Vorlagen verloren gegangen sind, zum anderen, weil in den orientalischen Sprachen zahlreiche Originalwerke über Theologie, Geschichte, Recht u. a. geschrieben wurden. Viele davon sind bisher nicht gedruckt, geschweige denn in eine europäische Sprache übersetzt worden, sondern liegen nur in Handschriften vor. Die frühen griechischen Rechtsquellen, zu denen ab dem 4. Jahrhundert noch die Entscheidungen kirchlicher Synoden kamen, wurden ebenfalls schon bald in die orientalischen Sprachen übersetzt. Man stellte sie - unverändert oder bearbeitet - auch zu größeren Sammlungen zusammen. Das bekannteste Sammelwerk sind die griechischen "Apostolischen Konstitutionen", die aus acht Büchern bestehen. Die ersten sechs beruhen auf der "Didaskalia", das siebte auf der "Didache" und das achte auf der "Apostolischen Tradition"; angehängt sind die "Apostolischen Kanones", die sich an Synodalentscheidungen anlehnen. An Sammlungen, die nur in orientalischen Sprachen vorliegen, sind vor allem der sog. Octateuchus Clementinus (syrisch, arabisch) und der "Synodos" der ägyptischen Kirche (koptisch, arabisch, äthiopisch) zu nennen.

Diese kirchenrechtlichen Quellen sind nicht nur aus theologischer und kirchenrechtlicher Sicht von großem Interesse, sondern auch aus sozialwissenschaftlicher, stellen sie doch geradezu einen Modellfall für die fortschreitende Organisation und Institutionalisierung der Ausdehnung eines sozialen Systems, nämlich der Kirchen, dar. Sie sind noch längst nicht ausreichend erforscht. Es fehlt nicht nur weithin an inhaltlichen Untersuchungen, sondern bereits an verlässlichen Textausgaben und Übersetzungen der unterschiedlichen Werke, ohne die jede weitere Forschung auf tönernen Füßen steht. Das seit dem 1. Juni laufende Projekt "Orientalische Quellen zum Kirchenrecht" bezweckt die Edition und Übersetzung der pseudo-apostolischen Schriften in der arabischen Überlieferung der ägyptischen (koptischen) Kirche.

Der erste Schritt bestand darin, Kopien der in europäischen Bibliotheken (Oxford, Birmingham, London, St. Petersburg, Paris, Rom), aber auch im Orient (Mardin/Südtürkei, Aleppo, Kairo und in ägyptischen Klöstern) vorhandenen Handschriften zu beschaffen. Es sind nicht weniger als dreißig aus der Zeit zwischen 1228 und 1914. Während frühere orientalistische Textausgaben oftmals auf der Grundlage einiger weniger oder sogar nur einer einzigen Handschrift erstellt wurden, sollen, den Standards der klassischen Philologie folgend, möglichst alle bekannten Handschriften berücksichtigt werden. Erfreulicherweise sind die europäischen und orientalischen Handschriftenbestände weitgehend katalogisiert. Das hat die Suche nach einschlägigen Textzeugen wesentlich erleichtert. In früherer Zeit mussten die Editoren die betreffenden Bibliotheken aufsuchen und die Texte aus den dortigen Handschriften abschreiben. Später arbeitete man mit Photographien, dann mit Mikrofilmen oder Microfiches. Inzwischen erhält man von den meisten Bibliotheken Handschriftenkopien in digitalisierter Form. Das erleichtert die Lesung, weil die Aufnahmen farbig sind und man sie beliebig vergrößern kann. Der Zugang zu den Handschriften im Orient bereitet allerdings auch heute noch erhebliche Schwierigkeiten.

In einem zweiten Schritt müssen die Handschriften miteinander verglichen ("kollationiert") werden. Da die Quellen vor langer Zeit entstanden sind, gibt es natürlich keine Autographen der Verfasser. Ziel einer Edition ist es, möglichst den ursprünglichen Wortlaut eines Werks wieder herzustellen, der in aller Regel durch Fehler beim Abschreiben und Wiederabschreiben verändert wurde. Dieser Text soll dann mit einer Übersetzung ins Deutsche gedruckt werden. Schwierigkeiten bereitet, dass die im christlichen Milieu entstandenen Übersetzungen nicht die arabische Hochsprache repräsentieren, sondern dem bislang nur wenig untersuchten volkstümlicheren "Mittelarabischen" zuzurechnen sind. Im Rahmen des dreijährigen Projektes soll die lexikalische Erschließung durch die Erstellung einer Datenbank in eine ausbaufähige Form gebracht werden. Zunächst werden die Apostolischen Konstitutionen bearbeitet. Nach derzeitigem Kenntnisstand gibt es drei voneinander unabhängige arabische Übersetzungen, oder besser: Bearbeitungen. Eine der zu klärenden Fragen ist, wie sich die arabischen Versionen zum überlieferten griechischen Text verhalten. Bei den erhaltenen griechischen Handschriften dürfte es sich nämlich um reichskirchlich-orthodox überarbeitete Fassungen handeln, wurden die Apostolischen Konstitutionen doch 691 durch Kanon 2 der Trullanischen Synode (Quinisextum) wegen häretischer, arianischer Züge verurteilt. Die Rezeption der Apostolischen Konstitutionen in Ägypten, zunächst in koptischer, dann in arabischer Sprache, und, auf dieser beruhend, die Weiterübersetzung ins Äthiopische, konnte hiervon jedoch nicht mehr beeinflusst werden, da es bereits 451 zum Bruch zwischen der byzantinischen Reichskirche und der ägyptischen Kirche gekommen war. Somit dürfte die Überlieferung innerhalb der koptischen Kirche einen unabhängigen Textzeugen darstellen.


Andreas Ellwardt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle Christlicher Orient der KU.

Prof. Dr. Dr. Hubert Kaufhold ist Honorarprofessor für Antike Rechtsgeschichte, insbesondere das Recht des Christlichen Orients an der Universität München und Mitglied der Forschungsstelle Christlicher Orient.


*


Quelle:
Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 2/2011, Seite 18-19
Herausgeber: Der Präsident der Katholischen Universität, Prof. Dr. Richard Schenk
Redaktion: Presse- und Öffentlichkeitsreferat der KU, 85071 Eichstätt
Tel.: 08421 / 93-1594 oder -1248, Fax: 08421 / 93-2594
E-Mail: pressestelle@ku-eichstaett.de
Internet: www.ku-eichstaett.de

AGORA erscheint einmal pro Semester und kann kostenlos bezogen werden.


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Dezember 2011