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FRAGEN/021: Gespräch mit Olaf Zimmermann zum Verhältnis von Religion und Kultur (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 10/2011

"Die unbekannte Macht der Kirchen"
Ein Gespräch mit dem Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann

Die Fragen stellte Stefan Orth


Erst langsam wird man sich in den Kirchen bewusst, welche große Bedeutung deren Engagement für das kulturelle Leben in Deutschland hat. Über das Verhältnis von Religion und Kultur sowie die Rolle der Kirchen sprachen wir mit Olaf Zimmermann, dem Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats.


HK: Herr Zimmermann, in den vergangenen Jahren hat sich der Deutsche Kulturrat als Dachverband der Kulturverbände zunehmend stärker mit dem Thema Religion beschäftigt. Wie ist es dazu gekommen?

ZIMMERMANN: Das hat mit dem 11. September zu tun, der auch im Kulturbereich zu großen Veränderungen geführt hat. Wir sind wie andere auch überrascht worden von dem Hass gegen die westliche Art zu leben. Diese Manifestation der Abneigung gegenüber unserem Way of Life war und ist meiner Meinung nach in der Angst begründet, dass unser Umgang mit Freiheit, unser Verhältnis zum Körper, die Rolle von Frauen in der Gesellschaft, die Akzeptanz von Homosexualität und viel anderes mehr, an das wir uns schon so gewöhnt hatten, weltweit zum Standard wird. Aber wenn wir ehrlich sind, haben auch viele Kulturschaffende in ähnlicher Weise Angst vor einem gigantischen kolonialen Hollywood. Gerade deshalb haben die Terroranschläge zu einer heftigen Erschütterung geführt, so dass wir uns wieder stärker religiösen Fragen widmen, die als Sinnfragen innerhalb der Kultur absolut entscheidend sind.

HK: War das vor den Terroranschlägen in New York und Washington denn anders? Gründe, die Sinnfrage zu stellen, gab es doch auch schon in den Jahren und Jahrzehnten davor mehr als genug?

ZIMMERMANN: Der Kulturbereich hat diese Fragen lange Zeit ausgeblendet, weil sie unschicklich und unzeitgemäß waren. Im Übrigen sind wir auch erst einmal durch die Hintertür in das Thema Religion eingestiegen und haben uns zuerst mit dem kulturellen Engagement der Kirchen beschäftigt. Wie bedeutsam ist ihre kulturelle Infrastruktur eigentlich, lautete die Ausgangsfrage. In der Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages "Kultur in Deutschland" hat der Vertreter der Kirchen, Thomas Sternberg, bei fast jedem Thema gemahnt, die kulturellen Leistungen der Kirchen nicht zu vergessen. Das hat mich als Mitglied der Enquête-Kommission zuerst richtig genervt. Um herauszufinden, ob die Kirchen wirklich so bedeutsam sind, hat die Enquête-Kommission dann eine eigene Studie in Auftrag gegeben. Schon während der Erarbeitung wurde deutlich, welche unglaublich große kulturelle Macht die Kirchen sind. Der Kulturrat hat dann vor fünf Jahren zusammen mit den Kirchen ein entsprechendes Schwerpunktheft seiner Zeitung "Politik und Kultur" gemacht. Das unglaubliche Interesse an dieser Ausgabe hat uns sehr überrascht: Sie wurde uns aus den Händen gerissen; das Büchlein "Die Kirchen, die unbekannte kulturpolitische Macht", das wir daraufhin mit den Beiträgen gemacht haben, ebenso.

HK: Sind die Vorbehalte im Kulturbereich gegenüber dem Thema Religion damit einfach vom Tisch? Im vergangenen Jahrzehnt wurde über die wieder neu aufgeworfenen religiösen Fragen ja durchaus kontrovers diskutiert ...

ZIMMERMANN: Am Anfang gab es innerhalb des Deutschen Kulturrates und bei seinen Verbänden auch Gegenwehr. Ist die Auseinandersetzung mit religiösen Fragen nicht ein Verrat an der Aufklärung? Heute gibt es diese Debatte so nicht mehr, weil inzwischen Konsens herrscht, dass beides zusammengeht - zumindest mit Blick auf die evangelische und die katholische Kirche hierzulande. Erste Treffen fanden dann mit der evangelischen Kirche statt, später auch mit der katholischen. Eine Delegation des Kulturrats ist vor drei Jahren sogar in den Vatikan gefahren, um dort über die Kulturpolitik der katholischen Kirche zu sprechen - eine unglaublich spannende Woche. Anfang September gab es jetzt ein Spitzengespräch mit der Deutschen Bischofskonferenz. Natürlich ist das eine langsame Annäherung, aber ich bin über die Fortschritte sehr froh. Letztlich konnte man sich vor fünf Jahren nicht in den kühnsten Träumen ausmalen, dass sich da ein wirklicher Schwerpunkt der Arbeit im Deutschen Kulturrat ergeben wird, wir jetzt regelmäßig miteinander sprechen, stärker kooperieren und auch bestimmte Themen miteinander debattieren wollen.

HK: Welche Bedeutung hat umgekehrt das Christentum heute im deutschen Kulturleben? Gehören Künstler nicht eher zu den gesellschaftlichen Akteuren, die dezidiert auf Distanz zu ihm gehen?

ZIMMERMANN: Das Christentum hat in Deutschland eine zentrale kulturelle Relevanz. Wir haben einen zutiefst christlichen Ursprung; es gibt hierzulande keine Kunst ohne den Einfluss des Christentums. Alle unsere kulturellen Ausdrucksformen sind davon durch und durch geprägt - und wir als Menschen deshalb auch. Das gilt selbst für die fundamentalsten Atheisten. Natürlich haben sich die Verhältnisse in den vergangenen einhundert, zweihundert Jahren verändert: Aber wenn man sich mit offenen Augen in der Welt umschaut, ist völlig offenkundig, dass die Impulse keinesfalls verschwunden sind. Wir müssen heute allerdings auch einiges dafür tun, um die christlichen Ursprünge und ihre Wirkmacht zu verstehen. Kulturelle und religiöse Bildung sind deshalb immer zusammenzusehen; sonst hat man keine Chance, die Welt, in der wir leben, zu verstehen. Es gibt deshalb das mit den Kirchen gemeinsame Interesse, bei der kulturellen Bildung auch die religiöse stärker mit einfließen zu lassen. Und dabei geht es nicht nur um den Religionsunterricht an den Schulen. Kulturleistung"

HK: Der Kulturrat hat sich zuletzt dann auch stärker mit dem Islam befasst ...

ZIMMERMANN: Als wir uns den christlichen Kirchen stärker geöffnet haben, gab es eine heftige Debatte innerhalb der Kulturverbände. Viele haben mit Recht gefordert, dass wir uns dann auch stärker mit dem Judentum und dem Islam in Deutschland befassen sollen. Es hat im Fall des Islams etwas länger gedauert, bis wir ihm uns nähern konnten - weil wir auch nicht nur dilettieren wollten. Anfang des Jahres gab es dann eine eigene Ausgabe von "Politik und Kultur" und wir haben zum zweiten Mal die Erfahrung gemacht, dass die Printausgabe mit einem Schwerpunkt zum Thema Religion innerhalb weniger Tage vergriffen war. Das Dossier wurde im Internet mittlerweile mehr als eine halbe Million Mal abgerufen.

HK: Ist der Islam denn, was ja im Anschluss an eine entsprechende Feststellung von Bundespräsident Christian Wulff viel kommentiert wurde, Teil deutscher Kultur?

ZIMMERMANN: Die Muslime, die in Deutschland leben, sind Teil dieses Landes und seiner Kultur. Als Deutscher Kulturrat sind wir mit dafür verantwortlich, dass sie eine kulturelle Heimat in Deutschland haben. Was das heißen kann in einem christlich geprägten Land, dessen Prägung auch unbedingt erhalten bleiben soll, ist eine wichtige Frage. Welche Freiräume muss ich schaffen? Da geht es um ganz handfeste politische Fragen, etwa beim Moscheebau. Angesichts des Streits um die Höhe der Minarette, die letztlich doch abgekupferte Kirchtürme sind, wünsche ich uns Christen durchaus mehr Gelassenheit und Selbstbewusstsein. Eine architektonisch anspruchsvolle Moschee zu bauen, ist eine Kulturleistung. Überall, wo es solche Moscheen gibt, sind sie auch geöffnet worden und damit keine unscheinbaren öffentlichkeitsscheuen Hinterhofmoscheen mehr. Der Tag der offenen Moschee Anfang Oktober ist zu einem richtigen Publikumsmagnet geworden. Aus diesen Gründen sprechen wir als Deutscher Kulturrat ganz selbstverständlich auch mit den islamischen Verbänden. Das ist strukturell nicht so einfach wie mit den christlichen Kirchen, jene sind heterogener und in der Regel weniger gut durchorganisiert. Es muss aber unser gemeinsames Anliegen sein, das zu ändern. Auch die Kirchen sollten hier brüderliche Entwicklungshilfe leisten.

HK: Welche besonderen Akzente sind hervorzuheben, die die drei bis vier Millionen Muslime mit ihren Beiträgen zum kulturellen Leben in diesem Land setzen?

ZIMMERMANN: Die Muslime sind im Moment erst einmal dabei, sich zu finden. Bisher beschäftigt sie vor allem die Frage, wie die Kultur der jeweiligen Heimatländer bewahrt werden kann. Was ist davon in die neue Heimat hinüberzuretten? Je mehr Deutschland zur Heimat wird, stellen sich neue Fragen, etwa die nach der Begräbniskultur. Ist es möglich, sich auf dem deutschen Friedhof in einem muslimischen Ritus bestatten zu lassen? In Berlin ist man jetzt dazu übergegangen, dass man nicht mehr in einen Sarg gelegt werden muss, sondern in Leintüchern beerdigt werden kann. Das ist ein nicht zu unterschätzender Schritt: In dem Land, in dem ich mich begraben lasse, wo also gewissermaßen die Heimaterde ist, bin ich doch wirklich angekommen. Dann muss man allerdings auch die jeweiligen Begräbnisriten zulassen. Der Fokus der Diskussion darf sich aber nicht nur auf die Moschee und ihre unmittelbare religiöse Funktion beschränken. Welche anderen Räume gibt es etwa für muslimische Jugendliche, um eine eigene Kultur entwickeln zu können? Darüber sprechen wir als Kulturrat mit den Verbänden.

HK: Welche Kulturbereiche oder Kunstsparten sind auf der anderen Seite heute besonders interessiert an religiösen Fragestellungen, ohne dass sich die Künstler selbst zwingend als kirchlich gebunden verstehen?

ZIMMERMANN: Die meiste Bewegung, das größte Interesse an religiösen Themen sehe ich derzeit in der bildenden Kunst. Bildende Künstler arbeiten in der Regel alleine, sie müssen ihr Werk im Kopf erschaffen und dann realisieren - sie sind mit den Schriftstellern am autonomsten in der großen Künstlerfamilie. Deshalb müssen sie auch am wenigsten Angst vor der Kirche haben und können deren Angebote unkomplizierter wahrnehmen. Faktisch gibt es das klassische Auftragswesen nicht mehr. Selbst wenn die Kirche heute einen Auftrag erteilt, ist das nicht vergleichbar mit der Praxis im Mittelalter. Es bedeutet letztendlich, einem Künstler in einem bestimmten Rahmen, möglicherweise mit einer bestimmten Grundidee einen Raum zur Verfügung zu stellen, den dieser in seiner künstlerischen Autonomie füllen und gestalten kann. Und die Möglichkeit, sich mit einem religiösen Thema zu beschäftigen und dies noch in einem sakralen Raum zu machen, ist für Künstler unglaublich attraktiv. Es gibt wenige Räume, in denen Künstler ihre Werke lieber zeigen als in einem Kirchenraum.

HK: Woran liegt das?

ZIMMERMANN: Ein sakraler Raum wird anders gesehen als andere Ausstellungsräume. Künstler spüren richtigerweise, dass ihrer Kunst dort eine andere Bedeutung zugebilligt wird. Wenn sie dann noch die Möglichkeit haben, etwa ein Kirchenfenster zu machen, kommt der Ewigkeitsaspekt hinzu. Das ist die höchste Weihe, wenn das Kunstwerk aus der Kirche nicht mehr so ohne Weiteres entfernt werden kann. Es ist auch für einen Weltkünstler wie Gerhard Richter etwas Besonderes, Fenster im Kölner Dom zu gestalten. Wie für die meisten Menschen ist für alle Künstler das Überleben ein Thema. Wie können sie mit ihren Werken Teil der Ewigkeit werden? Ähnlich der Religion geht es um das Weiterleben nach dem Tod - und das geht für Kunstwerke am ehesten in einer Kirche. Bei aller Veränderung sind die Kirchen weiterhin die beständigste Institution, die wir in unserem Leben haben.

HK: Ist also die Diskussion über die Spannung zwischen der Freiheit der Kunst und dem Verkündigungsauftrag, mit dem das kirchliche Engagement in der Regel immer auch in der einen oder anderen Weise verbunden ist, ruhiger geworden?

ZIMMERMANN: Mitte September hat in Berlin ein großer Kulturkongress der Evangelischen Kirche in Deutschland stattgefunden. Petra Bahr, die Kulturbeauftragte der EKD, hat dort in einer Rede einen engen missionarischen Kunstbegriff verwendet. Darüber muss man schon diskutieren und streiten. Das ist offensichtlich nicht nur ein Thema in den Gesprächen mit der katholischen Kirche. Man darf nämlich nicht automatisch davon ausgehen, dass Kunst in der Kirche von ihrer Grundidee her ein Teil der Verkündigung ist - selbst wenn der Raum eine entsprechende Ausstrahlung hat. Im Kulturbereich sind viele weiterhin allergisch gegen das Wort "Mission", auch weil sie damit intuitiv Zwang oder gar Gewalt verbinden. Künstler wehren sich mit Recht dagegen, wenn man ihnen sagen will, welche Kunst sie machen sollen. Schwierig wird es, wenn ein Kunstwerk einen bestimmten definierten Nutzen erfüllen soll.

HK: Was wären denn weitere wichtige Bedingungen für eine gelingende Zusammenarbeit von kirchlichen Auftraggebern und den einzelnen Künstlern, um zu für alle Seiten befriedigenden Ergebnissen zu kommen?

ZIMMERMANN: Sie müssen vorher darüber sprechen, was sie jeweils voneinander erwarten. Künstler wollen eben nicht für die Verkündigung da sein, gewissermaßen als Priester im Malerkittel. Aber wenn es darum geht, Türen in unbekannte Welten zu öffnen, dann sind Künstler genau die richtigen Partner. Beide werden dann auch während der Arbeit viele weitere Gemeinsamkeiten finden.

HK: Worin bestehen diese Gemeinsamkeiten zwischen Kunst und Religion genauer?

ZIMMERMANN: Wer eine Berufung in sich fühlt und für diese auch Opfer bringt, kann auch einen Künstler besser verstehen, der beispielsweise davon überzeugt ist, dass er gar nicht anders kann als Malen - und deshalb bereit ist, ein ganzes Leben lang ohne ein Mindestmaß an Wohlstand auszukommen. Zu den Übereinstimmungen gehört das gemeinsame Suchen: der Versuch, etwas einer anderen Sphäre zu fassen. Jeder ernsthaft arbeitende Künstler beschäftigt sich deshalb auch mit Religion. Als Künstler kann ich jene andere Sphäre nicht außen vor lassen, sonst würde ich mich einem Teil meiner Möglichkeiten verschließen. Künstler sind deshalb der Religion gegenüber an sich offen. Aber das bedeutet natürlich nicht, dass ein Künstler Christ, Muslim oder Jude sein muss.

HK: Sind solche Künstler aber nicht doch eher eine Minderheit und die gegenläufigen Tendenzen im Kulturbereich, Stichwort Eventisierung, viel wirkmächtiger? Erschweren sie es nicht, sich mit den eher sensiblen religiösen Fragestellungen wirklich ernsthaft auseinanderzusetzen?

ZIMMERMANN: Natürlich verändert sich die Welt und tatsächlich haben wir ja immer mehr Hollywood und immer weniger Nachdenklichkeit. Die Medienüberflutung macht uns allen zu schaffen. Aber es gibt eben auch eine Gegenbewegung in Richtung mehr Innerlichkeit: Genau deshalb sind die Erwartungen an die Religion größer geworden. Der Wunsch, einmal tiefsinniger zu sprechen, sich längere Zeit einmal nur einem Thema widmen zu können, ohne dass am Ende ein großer Knall oder ein Feuerwerk steht, ist allerorten, gerade aber auch bei den Künstlern, zu spüren. Hier ist im Übrigen die katholische Kirche auf Grund der - gelegentlich auch etwas zu selbstbewusst betonten - Ausstrahlung ihrer 2000 Jahre Tradition sogar besonders interessant.

HK: Gibt es weitere konfessionelle Unterschiede der beiden Kirchen in der Art und Weise, sich mit Kunst und Kultur zu beschäftigen?

ZIMMERMANN: Ganz platt: Mit den Protestanten kann man schneller und einfacher zusammenarbeiten, es gibt weniger Berührungsängste; wenn es dann aber zur Kooperation kommt, geht es mit den Katholiken tiefer, weil die kulturelle Aura größer ist. Und in der katholischen Kirche gibt es von vornherein eine größere Aufgeschlossenheit gegenüber Bildern. Diese Unterschiede sind allerdings aufs Ganze gesehen geringer, als man anfangs denkt. Da können sich Protestanten und Katholiken so sehr angiften, wie sie wollen: Sie sind sich letztlich doch sehr nahe angesichts der Herausforderungen durch andere Religionen und Kulturkreise.

HK: Wo zeigt sich diese Nähe besonders beziehungsweise wo könnte sie noch fruchtbarer werden?

ZIMMERMANN: Nehmen Sie das Reformationsjubiläum. Als Kulturrat reden wir gemeinsam über das Jubiläum im Jahr 2017 - und zwar nicht nur mit der evangelischen, sondern auch mit der katholischen Kirche. Es ist ja nicht nur ein Fest für Protestanten. Mich ärgert es, dass einige in der evangelischen Kirche so tun, als wäre es ihr Jubiläum - da bin ich vollkommen anderer Meinung. Martin Luther ist unbestrittenermaßen ein wichtiger Teil der, aber er ist nicht die Reformation. Calvin, Zwingli aber auch die Gegenreformation gehören selbstverständlich dazu. Nicht nur wegen der Gegenreformation geht das Jubiläum auch die katholische Kirche etwas an, genauso wie alle zivilgesellschaftlichen Kräfte im Kulturbereich und nicht zuletzt die Gesamtgesellschaft. Da muss sich die evangelische Kirche bewegen - aber auch die katholische darf nicht verschnupft in der Ecke warten, bis man sie bittet, in den Reigen einzutreten. Die Kirchenspaltung ist ein Faktum, mit dem ich kulturell umgehen muss. Ich erhoffe mir, dass wir zum Jahr 2017 hin über dieses Jubiläum einen neuen Austausch zwischen den beiden christlichen Kirchen und dem Kulturbereich erreichen. Letztlich geht es um eine große Chance, uns selbst besser über unsere Kultur, konkret über unsere Idee des Verhältnisses von Religion und Freiheit klar zu werden. Da müssen wir aber auch bei beiden Kirchen und in unseren eigenen Kreisen noch erhebliche Überzeugungsarbeit leisten.

HK: Welche anderen Wünsche hat der Kulturrat an das kulturelle und auch kulturpolitische Engagement der Kirchen?

ZIMMERMANN: Wir haben mittlerweile die Bedeutung der Kirchen im Bereich der Kultur und der Kulturpolitik erkannt. Auch in den Kirchen gibt es viele, die darum wissen - aber es sind eben noch nicht alle. Wirklich wichtig wäre eine Normalität des Austausches, obwohl wir da in den vergangenen Jahren gut vorangekommen sind. Die Bischöfe brachten bei unserem Gespräch das 50-jährige Jubiläum des Zweiten Vatikanischen Konzil aufs Tapet, ein höchst interessantes kulturelles Thema. Das Zweite Vatikanum hat von einem Recht auf Kultur gesprochen. Warum nicht einen großen Kulturkongress der katholischen Kirche zu Fragen des Zweiten Vatikanischen Konzils organisieren, wo Künstler, Kulturschaffende und Theologen zusammenkommen und über genau diese Themen gemeinsam ohne Scheuklappen debattieren. Ich sehe darin intellektuelle Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen - und bis 2015 ist ja durchaus noch etwas Zeit, um sich darauf vorzubereiten.

HK: Auf dem Ökumenischen Kirchentag im vergangenen Jahr haben Sie ein kulturpolitisches Wort der Kirchen gefordert ...

ZIMMERMANN: Wir fragen uns schon, warum sich die Kirchen kulturpolitisch nicht stärker positionieren. Warum melden sie sich nicht öfter zu solchen Fragen zu Wort. Vor drei Jahren sollte die Künstlersozialkasse, eine der wichtigsten Errungenschaft für Künstler, ohne die sehr viele Künstler keine Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung hätten, abgeschafft werden. Trotz unseres Drängens haben sich die Kirchen dazu nicht geäußert, obwohl es sich um ein wichtiges soziales und zugleich kulturelles Thema handelt. Angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise droht abermals, dass die kulturelle Infrastruktur zurückgefahren wird. Es ist jetzt schon für das nächste Jahr absehbar, dass wieder an der so genannten freiwilligen Leistung Kultur gespart werden wird. Warum stemmen sich die Kirchen nicht dagegen, wie sie das richtigerweise bei sozialen Fragen auch tun? Seit Jahren führen wir die Debatte über ein Staatsziel Kultur im Grundgesetz. Kein Bischof, mit dem ich gesprochen habe, hat das schlecht gefunden, aber es gibt meines Wissens nach keine offizielle Stellungnahme. Die kulturpolitische Verantwortung der Kirchen wird noch nicht so wahrgenommen, wie das wünschenswert wäre.

HK: In der gemeinsamen Presseerklärung nach dem Treffen von Kulturrat und Bischofskonferenz war vom "reichen Schatz an kulturellem Erbe" der Kirchen die Rede. Liegt da nicht der Kern des Problems, dass kirchliches Kulturengagement oft genug vergangenheitsbezogen ist, dadurch aber noch nicht zwingend eine Sensibilität für den gegenwärtigen Kunstbetrieb entsteht - von der künstlerischen Avantgarde ganz zu schweigen?

ZIMMERMANN: Beides gehört zusammen. Ohne die Vergangenheit existiert weder die Gegenwart noch die Zukunft. Kirchen, das gilt für die evangelische wie die katholische, sind strukturell konservative Organisationen, deshalb kommen sie mit der Avantgarde nicht so leicht zurecht - da geht es ihnen nicht anders als der Gesellschaft insgesamt. Sie versuchen aber vehement, die Vergangenheit am Leben zu halten; das ist wichtig und dafür müssen sie Unterstützung finden. Aber man muss dann natürlich auch den nächsten Schritt gehen und schauen, wie man in das Gegenwärtige kommt. Es ist wichtig, dass Räume geschaffen werden, wo Avantgarde existieren und sich entwickeln kann. Dafür gibt es immerhin ebenfalls gut Beispiele, allein in Köln mit der Tradition der Kunststation St. Peter oder jetzt mit dem neuen Diözesanmuseum. Das Kolumba ist ein besonders gelungenes Museum, weil dort Vergangenheit und Gegenwart gemeinsam dargestellt werden. Und manche Kunstwerke werden dabei mit Sicherheit nicht in allen klerikalen Kreisen auf Begeisterung stoßen.

HK: Was sind letztlich die Bedingungen dafür, dass die von Ihnen geforderte intensivierte Lobbyarbeit der Kirchen auch von den Künstlern und Kulturschaffenden ernst genommen wird?

ZIMMERMANN: Symbolische Handlungen, wenn etwa die evangelische Kirche eine Kulturbeauftragte beruft und ihr einen bestimmten Rang in der Hierarchie der Kirche gibt, werden als Wertschätzung verstanden und haben eine große Bedeutung. Dazu gehört auch, dass die Kirchen und ihre Vertreter die Künstler wirklich ernst nehmen. Es gibt wenige Bereiche, die wie der Kulturbereich so danach lechzen, gemocht zu werden. Wer uns mag, den mögen wir auch!


Olaf Zimmermann (geb. 1961) ist seit 1997 Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, der seinen Sitz in Berlin hat. Der Protestant Zimmermann ist ausgebildeter Kunsthändler und hat verschiedene Galerien geleitet. Herausgeber der Zeitung "Politik und Kultur"; Lehraufträge an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg und der Hochschule für Musik in Weimar. Das Buch "Die Kirchen, die unbekannte kulturpolitische Macht", das er zusammen mit Theo Geißler herausgegeben hat, kann unter www.kulturrat.de/dokumente/kirchen.pdf kostenlos geladen werden.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
65. Jahrgang, Heft 10, Oktober 2011, S. 555-558
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Dezember 2011