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FRAGEN/034: "Der Gott, den wir brauchen" - Interview mit Prof. Karlheinz Ruhstorfer (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 16 vom 14. Oktober 2014

"Der Gott, den wir brauchen"
Von Religion und Wissenschaft, Theologie und Leben
Interview mit Prof. Karlheinz Ruhstorfer

Von Claudia Kallmeier



Hat Religion noch Platz in unserer modernen, durch die Technik geprägten Gesellschaft? Wie lässt sich das heutige Verständnis von wissenschaftlicher Erkenntnis mit dem Glauben an Gott vereinbaren? Wie kann eine Theologie für das 21. Jahrhundert aussehen? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der Tagung "Der Gott, den wir brauchen" am 23. und 24. Oktober in Dresden. UJ sprach darüber mit Prof. Karlheinz Ruhstorfer, Direktor des Instituts für Katholische Theologie der TU Dresden, der die Konferenz organisiert.


UJ: Sie stammen aus Niederbayern und haben lange im südlichen Baden-Württemberg gelebt und geforscht - Regionen, die stark vom Katholizismus geprägt sind. Seit 2013 sind Sie in Dresden, einer Stadt mit 80 Prozent Atheisten, 15 Prozent Protestanten und nur gut vier Prozent Katholiken. Was bedeutet ein solches Umfeld für einen Theologen?

Prof. Ruhstorfer: Die Zahlen kannte ich vorher, aber was es praktisch bedeutet, wenn die Religion als gemeinsame Basis der Gesellschaft fehlt, konnte ich erst hier vor Ort erfahren. Die DDR-Vergangenheit hat dafür gesorgt, dass die Religion über Generationen hinweg an Bedeutung verliert. Und als Katholiken sind wir hier natürlich eine Minderheit. In Baden-Württemberg ist der Anteil der Muslime größer als unserer hier. Dennoch ist das atheistische Umfeld für mich als Wissenschaftler sehr spannend. Denn hier ist ein viel breiteres Wirken gefragt als in katholischen Gebieten. Wir können und müssen ganz grundsätzliche Fragen von Religion und Spiritualität stellen und Wege finden, das Thema in die Öffentlichkeit hineinzutragen.


UJ: An der TU Dresden ist die Theologie, vor allem die katholische, ein Orchideenfach...

Prof. Ruhstorfer: Durchaus, doch sind Orchideen wunderbare Pflanzen. Zugegeben, wir haben nur sehr wenige Studenten, im aktuellen Wintersemester sind es 21 Studienanfänger, und bilden hier auch keine Priester aus. Unsere Hauptaufgabe ist - neben der Forschung - die Ausbildung von Religionslehrern. Insofern muss man sehr darum kämpfen, wahrgenommen zu werden. So auch bei unserer Tagung, bei der wir bewusst ein Thema gewählt haben, das über Konfessionsgrenzen hinausgeht und aktuelle Debatten aufgreift.


UJ: Die Tagung heißt "Der Gott, den wir brauchen". Warum brauchen wir noch Religion? Die Mehrheit der Menschen hierzulande scheint auch ohne Gott gut zurechtzukommen.

Prof. Ruhstorfer: Unsere Kultur ist viel mehr vom Christentum durchdrungen, als den meisten bewusst ist. Die kirchlichen Feiertage prägen den Jahresverlauf, viele bedeutende Bauwerke oder unsere Musiktradition haben einen starken religiösen Bezug. Gerade hier in Dresden. Man muss fragen: Warum haben die Menschen ausgerechnet die Frauenkirche wieder aufgebaut? Warum hat eine Kirche eine solche Strahlkraft, dass die Bevölkerung so viel Engagement und Geld investiert? Darüber hinaus ist auch unsere Ideengeschichte ohne Religion nicht vorstellbar. Selbst der Marxismus kommt nicht ohne sie aus. Die Vorstellung von der kommunistischen Gesellschaft ist nichts anderes als ein säkularisiertes Paradies. Auch unser Verständnis von Menschenrechten geht auf das Christentum zurück. Die Würde des Menschen, auf die wir uns berufen, liegt in der Vorstellung begründet, dass Gott Mensch wird und damit in jedem Menschen etwas Göttliches wohnt, das unantastbar ist.


UJ: Heute kann die Wissenschaft fast alles erklären, Religion gilt vielen als überflüssig. Warum ist sie es nicht?

Prof. Ruhstorfer: Wenn man Wissenschaft und Religion strikt trennt, erscheint das im ersten Moment harmlos, aber es hat Konsequenzen. Wenn sich alles einfach vermessen lässt, auch der Mensch, ist die Gefahr groß, dass die Menschenwürde irgendwann keine Rolle mehr spielt. Natürlich ist es legitim, dass sich die Wissenschaft ausdifferenziert hat. Allerdings wird in den technischen und naturwissenschaftlichen Fächern das Wesen des Menschen völlig ausgeblendet. Die technische Vernunft schaut: Wie geht das? Man macht, was geht. Aber der letzte Sinn und ein Ziel fehlen. Davon aber handelt die Religion: das absolute Geheimnis, das offenbar ist, und jeden Menschen angeht. Man muss jedoch immer auch fragen, welche Rolle diese Forschung im sozialethischen Kontext spielt, wie aktuell bei den Diskussionen um Gentechnik oder Sterbehilfe. Damit sind wir wieder beim Menschen und seinen Bedürfnissen. Hier setzen Religion und Theologie an. Was sollen wir tun? Was dürfen wir hoffen?


UJ: Was macht die Theologie, die Lehre von Gott, zur Wissenschaft? Steht Religion nicht gerade im Gegensatz zur rationalen Wissenschaft?

Prof. Ruhstorfer: Religion ist nicht irrational. Es gibt durchaus vernünftige Gründe, von der Existenz Gottes auszugehen. Die eine Theologie gibt es auch gar nicht. Theologie ist Cluster von Wissenschaften. Bibelwissenschaftler bedienen sich zum Beispiel linguistischer, geschichts- und kulturwissenschaftlicher Methoden, Pastoraltheologen nutzen Erkenntnisse und Arbeitsweisen aus Psychologie und Soziologie. Mein Fachgebiet, die Systematische Theologie, ist über weite Strecken deckungsgleich mit der Philosophie. Ich gehe nur in einem Punkt darüber hinaus, indem ich den Glauben an Jesus von Nazareth voraussetze. Doch auch dieser Glaube erhebt den Anspruch, der Vernunft nicht zu widersprechen.


UJ: Welchen Herausforderungen müssen sich Theologie und Kirchen jetzt und in den kommenden Jahrzehnten stellen?

Prof. Ruhstorfer: Ich denke, wir leben in einer Zeit eines gewaltigen Umbruchs. Spiritualität, ob mit oder ohne Gott, gewinnt im Leben vieler Menschen wieder an Bedeutung. Ich bin überzeugt: In 30 Jahren geht es nicht mehr darum, ob ich glaube, sondern woran. Die großen Fragen der Menschheit werden wieder präsenter: Was ist der Mensch? Was ist die Welt? Wie wollen wir miteinander leben? Das sind alles Themen der Religionen. Bisher tun sich die Kirchen schwer, den richtigen Ton zu finden, um die Menschen zu erreichen. Die Herausforderung besteht darin, eine Mitte zu finden zwischen der Treue zur Überlieferung und dem Mut zur Veränderung. Das geht weit über die Grenzen der Konfessionen und Religionen hinaus. Wir müssen uns der kulturellen Pluralität stellen; die eine Lösung für alle Probleme gibt es schon längst nicht mehr.

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RELIGION UND/ODER WISSENSCHAFT?

Wissenschaft und Religion werden oft als Gegensätze verstanden. In früheren Jahrhunderten mussten sich beide nicht ausschließen, wenn es auch wie bei Galilei nie ohne Konflikte ging. Immerhin waren im Mittelalter die Klöster Zentren der Wissenschaft. Erst mit der Aufklärung setzte sich eine strikte Trennung durch. Seitdem war das Verhältnis von Wissenschaft und Religion immer wieder Thema gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Vertreter des naturwissenschaftlichen Materialismus wie der Astrophysiker Stephen Hawking sprechen der Religion jede Existenzberechtigung ab. Religiös fundamentalistische Strömungen wie der Kreationismus stellen dagegen die Naturwissenschaft komplett infrage. Es gibt aber auch Modelle, nach denen beide Sichtweisen einander ergänzen. Während sich Naturwissenschaften und Technik mit der rational erklärbaren materiellen Welt beschäftigen, ist die Religion für die transzendentale Wirklichkeit zuständig. So hielt etwa Albert Einstein beide für notwendig: "Naturwissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Naturwissenschaft ist blind." Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich "Wissenschaft und Religion" als eigenständiges Forschungsgebiet herausgebildet.

Den Begriff der Theologie, "die Lehre von Gott", gibt es seit der Antike. Heute verstehen sich die christlichen Theologien als wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Glauben und seinen Quellen. Allerdings ist die Wissenschaftlichkeit der Theologie umstritten, weil sie auf der ebenfalls umstrittenen Grundannahme der Existenz Gottes beruht. 2010 empfahl der Wissenschaftsrat angesichts der wachsenden Pluralität religiöser Bekenntnisse in Deutschland die bedarfsgerechte Anpassung aller Theologien und somit einen Ausbau der Islamischen und Jüdischen Studien. An der TU Dresden waren 1994 im Zuge der Neustrukturierung der Hochschullandschaft die Institute für Evangelische und Katholische Theologie mit jeweils vier Professuren gegründet worden. (ckm)



Die Tagung "Der Gott, den wir brauchen. Kulturelle Pluralität, ökologische Realität und neue Spiritualität" findet am 23. und 24. Oktober im Haus der Kathedrale Dresden statt. Alle Veranstaltungen sind öffentlich, der Eintritt ist frei. Prominenter Gast ist die amerikanische Theologin Prof. Catherine Keller, eine der kreativsten und originellsten Geisteswissenschaftlerinnen der Gegenwart. In ihrer Prozesstheologie beschreibt sie, wie sich der Glaube an Gott mit den neuesten Erkenntnissen der Naturwissenschaft und der Lebenserfahrung der Menschen von heute vereinbaren lässt. Ihr Vortrag über eine Theologie für das 21. Jahrhundert beginnt am 24. Oktober um 19 Uhr.
Weitere Informationen und das komplette Programm steht unter
http://tinyurl.com/tud-kat-tag

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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 25. Jg., Nr. 16 vom 14.10.2014, S. 10
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
Telefon: 0351/463-328 82
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2014