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KIRCHE/1880: Gibt es Hoffnung für den Nahen Osten? (ÖRK)


Ökumenischer Rat der Kirchen - Meldung vom 25. Juni 2016

Gibt es Hoffnung für den Nahen Osten?

Deutsche Fassung veröffentlicht am: 28. Juni 2016


Krieg, ethnische Konflikte, Millionen von Flüchtlingen und eine sich verschärfende humanitäre Situation sind die deprimierende Ausgangslage für die Diskussion über den Nahen Osten.

Trotzdem ist es nach Einschätzung mehrere Zeugen dieses tödlichen Dramas, das hier inszeniert wird, zu früh, vor Desillusionierung und Angst zu kapitulieren.

Die Realitäten des Nahen Ostens waren die Grundlage für eine Podiumsdiskussion am 25. Juni während der Sitzung des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Trondheim, Norwegen. Die Leitung der Diskussion hatte der ÖRK-Präsident für die Region Europa, Bischof Anders Wejryd.

Dr. Tarek Mitri vom Griechisch-Orthodoxen Patriarchat von Antiochien und Professor an der Amerikanischen Universität Beirut sagte, dass die Sehnsucht nach Demokratie, die der Urheber des Arabischen Frühlings gewesen sei, immer noch unter der Asche glühe, die Teile der Region bedecke - allerdings nicht unbedingt nach dem starken westlichen Vorbild, das sich Europa und Amerika vorgestellt hätten.

Mitri bestätigte, dass sich die Kämpfe gegen die früheren autoritären Regierungen in Syrien, im Irak und in Libyen zu vorwiegend ethnischen und religiösen Konflikten entwickelt oder wie in Ägypten andere autoritäre Machtstrukturen hervorgebracht hätten.

"Ethnische Gruppen und religiöse Gruppen sind sowohl Akteure als auch Opfer der Identitätspolitik in der arabischen Welt", sagt Mitri. "Es gibt genug Anlass zu der Sorge, dass immer mehr Staaten in einen Prozess der Auflösung, der Gewalt und des Chaos abgleiten. Allerdings sind auch Kräfte des Wandels am Werk, die .... den Weg für eine Neubesinnung ebnen könnten."

Unter Hinweis auf Rückschläge in Syrien und im Irak sowie in Ägypten, Libyen und Palästina bestätigte Mitri, dass sich der "Übergang von einen autoritären Herrschaftsform zur Demokratie als schwieriger erwiesen hat, als vorausgesagt wurde." Und "der steinige Weg zu einem demokratischen Wandel wird nicht zu erreichen sein, indem man ein angeblich universelles Modell für diesen Übergang anwendet."

Statt dessen sollte der Schwerpunkt seiner Meinung nach eher auf einer Kultur der Inklusion sowohl auf interethnischer als auch interreligiöser Ebene liegen. "Das Christentum verfügt über die intellektuellen Werkzeuge und die moralische Motivation für eine solche Arbeit" und ebenfalls über die "spirituellen Ressourcen, dem Kriegsalarmismus zu widerstehen", sagte er. Die Zukunft des Christentums sowie anderer Glaubensgruppen im Nahen Osten hängt von "der Fähigkeit aller ab, Staaten auf dem Grundsatz der Bürgerrechte und der Rechtsstaatlichkeit wieder aufzubauen und dabei den Wert religiöser und kultureller Vielfalt zu erkennen."

Die traurige Bilanz in Syrien - ca. eine halbe Million Tote, 124 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen, 6 Millionen Binnenvertriebene und 5 Millionen Flüchtlinge - war der Hintergrund von Hind Kabawats Präsentation über die "ethischen Imperative der überaus kritischen Situation" in Syrien. Kabawat ist eine leitende Programmbeauftragte am United States Institute of Peace mit Arbeitsschwerpunkt Diplomatie.

"Trotz dieser tragischen Situation", sagte sie, "gibt es immer noch Zeichen von Hoffnung sowie ausgezeichnete Friedensinitiativen vor Ort." Sie lobte die Initiativen des ÖRK auf der Suche nach einer nicht militärischen Lösung und nach interreligiösem Engagement und rief die Kirchen auf, kurzfristig mit humanitärer Hilfe Menschen in konkreten Notlagen zu helfen und langfristig Bildungseinrichtungen und andere örtliche Gemeinschaftsinstitutionen aufzubauen und damit Zeichen der Hoffnung für die gesamte Bevölkerung zu setzen. Sie forderte ebenfalls die Kirchen nachdrücklich auf, sich für einen echten Waffenstillstand einzusetzen, Belagerungen einzustellen und das "Aushungern der Bevölkerung als Waffe" zu ächten und Kriegsgefangene freizulassen.

Dr. Muna Mushahwar, Ko-Vorsitzende des Ökumenischen Forums für Israel/Palästina (eine Initiative des ÖRK), ging näher auf den Teufelskreis von "Besatzung, Demütigung und Inhaftierung" in Gaza, in Jerusalem und im Westjordanland ein. Im Israel-Gaza-Konflikt des Sommers 2014, so sagte sie, seien 2 139 Menschen getötet worden (darunter etwa 500 Kinder), 11 000 wurden verwundet, und 500 000 vertrieben, und "Gaza wurde zu einem Trümmerfeld.?

Was können die Kirchen tun? Mushahwar sagte ebenfalls, dass sich die Christenheit "auf den Menschen" und dessen konkrete Bedürfnisse konzentrieren müsse, an Schulen, Büchereien und lokalen Initiativen mitarbeiten müsse und ihre Pilgerwege ins Heilige Land dazu nutzen müsse, sich mit den dort lebenden Menschen zu treffen und mit ihnen zu arbeiten im Sinne des Kairos-Palästina-Dokuments mit seinem Aufruf zu gewaltfreiem Widerstand.

Herr Hany Fawzi von der Koptischen Orthodoxen Kirche erkannte Zeichen der Hoffnung und bezog sich dabei auf die Rolle der "Millennials", der Anfang bis Ende Zwanzigjährigen, in Ägypten während und nach der Revolution von 2011. Mehr als 40 Prozent der ägyptischen Bevölkerung sei unter 40 Jahre alt, so Fawzi, und ihre Nutzung der sozialen Medien prädestiniere sie nicht nur als Hoffnungsträger für eine andere Zukunft, sondern signalisiere auch das Heranwachsen und die Bedeutung einer neuen Aktivistengeneration im Nahen Osten. "Globale Netzwerke der Empörung und der Hoffnung", so sagte er "verteidigen die gleichen universellen Werte im Kampf gegen die Unterdrückung". Sie seien die Vorzeichen des langfristigen Siegs inklusiver Regierungen, der Menschenrechte und eines offenen pluralistischen religiösen Lebens.


Weitere Informationen:

ÖRK-Programm "Kirchen im Nahen Osten":
http://www.oikoumene.org/de/press-centre/news/was-wir-tun/kirchen-und-naher-osten-solidaritaet-und-zeugnis-fuer-den-frieden?set_language=de

Gerechten Frieden fördern:
http://www.oikoumene.org/de/press-centre/news/was-wir-tun/gerechten-frieden-foerdern?set_language=de

Tagung des ÖRK-Zentralausschusses:
http://www.oikoumene.org/de/press-centre/news/central-committee-2016/wcc-central-committee-meeting-2016?set_language=de

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Quelle:
Meldung vom 28. Juni 2016
Herausgeber: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)
150 rte de Ferney, Postfach 2100, 1211 Genf 2, Schweiz
Internet: http://www.oikoumene.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2016

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