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KIRCHE/1916: Interkulturelle Woche 2016 in Friedland eröffnet (DBK)


Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz vom 25.09.2016

Interkulturelle Woche 2016 in Friedland eröffnet

Vielfalt. Das Beste gegen Einfalt.


Mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Kirche St. Norbert am Rande des Grenzdurchgangslagers Friedland und einem anschließenden Begegnungsfest ist heute (Sonntag, 25. September 2016) die 41. Interkulturelle Woche eröffnet worden. Der Gottesdienst wurde geleitet von Bischof Norbert Trelle (Hildesheim), stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, Dr. Johann Hinrich Claussen, dem Kulturbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland, und Archimandrit Gerasimos Frangoulakis als Vertreter der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland.

In seiner Einführung während des ökumenischen Gottesdienstes nahm Bischof Trelle Bezug auf die bewegte Geschichte des Grenzdurchgangslagers Friedland: "Friedland ist ein Synonym geworden für das Ankommen in Deutschland, für die ersten Schritte auf dem Weg der Begegnung, der Teilhabe und der Integration. Dieser Weg des Eröffnens von Perspektiven, der aktiven Teilhabe und der Suche nach neuen Gemeinsamkeiten ist auch das Kernanliegen der Interkulturellen Woche." Er fügte hinzu: "Wir wollen eine umfassende Solidarität mit Migranten, mit denen, die aus Krieg und Hunger, aus Verfolgung und Erniedrigung geflohen sind - mit den Schwächsten zuerst. Wir halten euch einen Platz frei. Das ist die moralische Substanz unserer gemeinsamen Überzeugungen und unterschiedlichen religiösen Traditionen, die ein gemeinsames Fundament haben in den Grundwerten von Barmherzigkeit, Gastfreundschaft und tätiger Nächstenliebe."

In seiner Predigt betonte Dr. Johann Hinrich Clausen die gewachsene Bedeutung der Interkulturellen Woche: "Deutschland steht mehr denn je vor großen Herausforderungen und Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Wie gut, dass es die Interkulturelle Woche dafür gibt, um gemeinsam zu überlegen, wie wir einträchtig in Vielfalt leben können."

Mit einem Friedensgruß von Vertretern der jüdischen Gemeinde Göttingen und der muslimischen Gemeinschaft schloss der ökumenische Gottesdienst.

In einem Gemeinsamen Wort würdigen der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm, und der Vorsitzende der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland, Metropolit Dr. h.c. Augoustinos von Deutschland, die Hilfsbereitschaft der vielen Engagierten und das beeindruckende Maß an Solidarität und Unterstützung für die Flüchtlinge. Das "macht Mut für die vor uns liegenden Aufgaben und zeigt, Deutschland ist eine starke und menschliche Gesellschaft. Wir vertrauen darauf, dass durch dieses Engagement die neue Vielfalt in unserem Land nicht nur als Gegebenheit, sondern auch als Chance wahrgenommen wird".

Dem ökumenischen Gottesdienst schloss sich ein Begegnungsfest an, an dem Bewohner des Grenzdurchgangslagers und viele Flüchtlinge, die in Orten in der Umgebung untergebracht sind, mit Mitarbeitenden der Caritas, der Inneren Mission und der staatlichen Dienststellen sowie mit Einwohnern der niedersächsischen Gemeinde Friedland im Grenzdurchgangslager gemeinsam feierten.


Hintergrund:

Die Interkulturelle Woche findet 2016 zum 41. Mal statt. Sie ist eine bundesweite Initiative der Deutschen Bischofskonferenz, der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Griechisch-Orthodoxen Metropolie. Deutschlandweit sind während der Interkulturellen Woche mehr als 5.000 Veranstaltungen an über 500 Orten geplant.

Für die Vorbereitung der Interkulturellen Wochen hat der Ökumenische Vorbereitungsausschuss eine Reihe von Materialien (Materialheft, Plakate und Postkarten) erstellt, die unter www.interkulturellewoche.de bestellt werden können. Dort finden Sie auch weitere Informationen.

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Gemeinsames Wort der Kirchen zur Interkulturellen Woche 2016

VIELFALT. DAS BESTE GEGEN EINFALT.

»Vielfalt. Das Beste gegen Einfalt.« - So lautet das Motto der Interkulturellen Woche 2016. Für manche mag es naiv oder provokant klingen angesichts der komplexen Herausforderungen, vor denen die Gesellschaft in Deutschland steht. Tatsächlich erleben wir eine Zeit der Umbrüche und Veränderungen, wie wir sie seit der Wiedervereinigung nicht gesehen haben: Fünf Jahre Bürgerkrieg in Syrien zwingen immer mehr Menschen zur Flucht. Vergeblich haben wir bislang gehofft, dass dieser Krieg bald ein Ende finden werde und Menschen sich nicht länger auf die gefährlichen Fluchtwege machen müssen. Auch von anderen Orten der Welt brechen Menschen auf und hoffen auf Schutz und Chancen in Europa. Dies wirft viele Fragen auf: Wie geht es weiter mit den Flüchtlingen? Wie gelingt die Integration von Menschen mit unterschiedlichen Kulturen, Sprachen und Religionen? Wie können die Werte von Freiheit, Sicherheit und Recht in Europa bewahrt werden? Was ist unsere Verantwortung als Christen?

»Mein Vater war ein heimatloser Aramäer« (Dtn 26,5). So beginnt im fünften Buch Mose das Bekenntnis, das das Volk Israel nach der Befreiung aus Sklaverei und Unterdrückung und nach der ersten Ernte im Gelobten Land sprechen soll. Aktueller geht es kaum. Wir stehen als Christen in der Nachfolge dieser heimatlosen Aramäer aus dem Gebiet des heutigen Syrien, des Irak und der anderen Länder im Mittleren Osten. Das Christentum ist eine Religion, die auch aus den Flüchtlingserfahrungen des Alten Testaments gewachsen ist. Im Buch Levitikus wird die Konsequenz formuliert: »Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr euer Gott« (Lev 19,33f.) In der Sprache des Neuen Testaments gesprochen: Das Gebot, den Fremden zu lieben, ist für Christen die Erfüllung der Gottes- und Nächstenliebe. Der Flüchtling ist unser Nächster. Fremdenhass ist mit der christlichen Botschaft unvereinbar.

Der Herausforderung durch die Not der Flüchtlinge können und dürfen wir nicht ausweichen. Es nützt nichts, ja es ist gefährlich und lähmt unser Vermögen, konkret auf die Herausforderungen zu antworten, wenn wir uns von Sorgen, Ängsten und Bedenken gefangen nehmen lassen. Auf die Probleme der globalisierten Welt können wir nicht mit Abschottung reagieren: Obergrenzen, Stacheldraht und Zäune führen nur dazu, dass die Schutzsuchenden auf neuen, meist gefährlicheren Routen fliehen. Stattdessen ist Mut zur Menschlichkeit und zu unseren Werten gefragt. Dem Recht auf Asyl, das im Grundgesetz niedergelegt ist, und den Verpflichtungen, die sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention ergeben, wird unser Land nur gerecht, wenn jeder, der bei uns Zuflucht sucht, Zugang zu einem individuellen, fairen und unvoreingenommenen Verfahren hat - unabhängig davon, wie viele Menschen gerade schutzbedürftig sind und unabhängig davon, aus welchem Herkunftsland ein Schutzsuchender stammt. Es gibt in der gegenwärtigen Situation keine einfachen und schnellen Lösungen.

Mit großer Sorge sehen wir, dass Populisten in Deutschland und anderswo in Europa wachsenden Zuspruch finden. Doch der Rückzug in nationales Denken ist fatal, die versprochene Sicherheit ein Trugschluss. Längst leben wir in einer vielfältigen Gesellschaft, die geprägt ist von Jahrzehnten der Zu- und Abwanderung. Dieser bunten Gegenwart gehört auch die Zukunft - trotz aller Probleme, die damit verbunden sind. Mit Angst und Abgrenzung ist kein Staat zu machen. Eine solche Politik vertrüge sich nicht mit der offenen Gesellschaft, an deren Aufbau gerade auch Christen beteiligt waren und sind. Und sie vertrüge sich nicht mit einem Europa der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, einem Europa, in dem die Menschenrechte das höchste Gut sind. Europa ist nicht nur als Wirtschaftsunion eine einzigartige Erfolgsgeschichte, sondern auch als Werteunion unersetzlich. Gerade in diesen Tagen gilt es, diese europäische Idee zu verteidigen.

Wir sind erschrocken über die zunehmende Verrohung der Sprache und die Radikalisierung des Denkens in manchen Teilen der Gesellschaft. Ressentiments und Aggressivität bis hin zu öffentlichen Gewaltfantasien werden spürbar mehr. Wie gefährlich diese Entwicklung ist, zeigt nicht nur die deutsche Geschichte, sondern auch die Gegenwart: Die steigende Zahl von Anschlägen auf Moscheen, die unzähligen antisemitischen Angriffe, die anhaltende Gewalt gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte müssen uns alle entsetzen. Mitunter schlägt den Geflüchteten offener Hass entgegen, es kommt zu Pöbeleien oder gar körperlichen Angriffen.

So groß die Herausforderungen sind, vor denen wir stehen: Wir dürfen nicht die Getriebenen unserer Ängste werden, sondern müssen die Herausforderungen angehen. Daher rufen wir auf zur Solidarität mit den Geflüchteten, die angesichts von Gewalt und Perspektivlosigkeit zu uns gekommen sind: Begegnen wir ihnen mit Offenheit - im Geiste der Nächstenliebe!

Die Integration der Flüchtlinge - auch derjenigen, die nur für eine begrenzte Zeit in Deutschland bleiben können - ist der Schlüssel für ein gutes Miteinander in unserem Land. Besonders in den Bereichen Wohnen, Spracherwerb, Kindergärten und Schulen hat der Staat hier eine herausragende Aufgabe. Aber auch die Gesellschaft und nicht zuletzt die Kirchen sind gefordert. Mit Dankbarkeit erfüllt uns das große Engagement und die ungebrochene Bereitschaft von hunderttausenden Menschen in Deutschland, die weiter zuversichtlich anpacken und Menschen in Not helfen. Das Maß an Solidarität und Unterstützung, das Flüchtlinge in Kirchen und anderswo in unserer Gesellschaft erfahren, ist beeindruckend. Viele Helferinnen und Helfer beraten schutzsuchende Familien, sie begleiten Flüchtlinge bei Behördengängen und der Wohnungssuche oder stellen selbst Unterkünfte zur Verfügung.

Wer mit Helferinnen und Helfern spricht, hört nicht nur von Schwierigkeiten, sondern auch von viel Neuem, das entsteht, von Chancen und Freundschaften. Die unzähligen Momente der Begegnung mit den Fremden halten für die Helfenden wertvolle Erfahrungen bereit: Flüchtlinge werden als Menschen mit individuellen Geschichten erlebt; mit ihnen kommen neue Erfahrungen, Hoffnungen und Ideen zu uns. Wir sind überzeugt: Je mehr sich die Menschen begegnen, umso weniger bleibt Platz für Vorurteile, Hass und Ablehnung.

Die Hilfsbereitschaft der Vielen macht Mut für die vor uns liegenden Aufgaben und zeigt: Deutschland ist eine starke und menschliche Gesellschaft. Wir vertrauen darauf, dass durch dieses Engagement die neue Vielfalt in unserem Land nicht nur als Gegebenheit, sondern auch als Chance wahrgenommen wird.

Die Interkulturelle Woche ist mit ihren 5.000 Veranstaltungen an mehr als 500 Orten in ganz Deutschland breit verankert. Lassen Sie uns die in über 40 Jahren gewachsenen Erfahrungen nutzen! Denn wo Angst und Hass sich ausbreiten wollen, kann Begegnung helfen, Vorurteile abzubauen. Wir treffen Menschen mit ähnlichen Hoffnungen und Sorgen und der Sehnsucht nach einem Leben in Frieden.

So wünschen wir allen Mitwirkenden an Veranstaltungen im Rahmen der Interkulturellen Woche, dass sie in diesem Jahr die Vielfalt Deutschlands zeigen. Zusammen stehen wir ein gegen Gewalt und Rassismus. Vielfalt ist der Raum, in dem wir gemeinsam unser Christsein leben und die Zukunft in Deutschland und Europa gestalten wollen: zum Wohle alle Menschen, die hier leben.

Reinhard Kardinal Marx
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

Metropolit Dr. h.c. Augoustinos von Deutschland
Vorsitzender der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland

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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 183 vom 25. September 2016
Herausgeber: P. Dr. Hans Langendörfer SJ,
Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz
Deutsche Bischofskonferenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. September 2016

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