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KIRCHE/505: Migrationsgemeinden in Deutschland (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz 4/2007 - Monatshefte für Gesellschaft und Religion

Weithin unbekannte Nachbarn
Migrationsgemeinden in Deutschland zeigen die Vielgestaltigkeit von Kirche

Von Andreas Heuser


In Großstädten wie Hamburg, Frankfurt oder Berlin gibt es weit über hundert so genannte Migrationskirchen. Sie bilden keineswegs eine homogene Sozialgestalt von Kirche. Unter den Migrationskirchen in Deutschland stellen die so genannten "afrikanischen" Kirchen die umfangreichste Gruppe.


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In einem Industriegebiet von Limburg an der Lahn feiert eine Gemeinde ihren Gottesdienst in mehreren Sprachen, darunter in einer afrikanischen lingua franca (Lingala, das gesprochen wird im Kongobecken), in einer globalen lingua franca, Englisch, und natürlich in der Muttersprache der anwesenden Kinder und Jugendlichen, nämlich Deutsch. Die Liturgie hat deutlich charismatisch-pfingstliche Anteile. Zur Gemeinde zählen Afro-Deutsche und Afrikaner unterschiedlichster nationaler Herkunft, die meisten - wie auch der Gemeindeleiter - aus der Republik Kongo, aus Nigeria, Angola und auch aus Mosambik. Doch es finden sich genauso selbstverständlich Menschen mit europäischen, genauer osteuropäischen Migrationsbiographien, Menschen aus der Ukraine, aus der Slowakei.

So unterschiedlich ist ihre geographische Herkunft, so unterschiedlich ihre konfessionelle Herkunft als beispielsweise ehemalige Katholiken, Anglikaner oder auch Atheisten. Und schließlich gibt es auch Gemeindemitglieder mit genuin deutschen Wanderbiographien, nämlich solche, die auf der spirituellen Suche sind, die von Landeskirche zu Freikirche wanderten, und die aufgrund von bestimmten Traumeingebungen über eine - ich zitiere - "Kirche unter Bananenstauden" in der von ihnen so charakterisierten "afrikanischen" Kirche landeten. Eine "afrikanische" Kirche - oder mehr eine Art Volkskirche von Menschen mit unterschiedlichen Migrationshintergründen? Der Sprachgebrauch der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) würde sie in die "Gemeinden und Kirchen anderer Sprache und Herkunft" eingliedern. Die Gemeindeleitung selbst wehrt sich gegen diese Labels, die sie erst durch den Blick der Aufnahmegesellschaft erhalten und ihr eine Identität zuschreiben, die sich durch kulturelle Fremdheit, Distanz und auch Exotismus auszeichnen. Sie besteht schlicht darauf, als eine "christliche" Kirche in Deutschland wahrgenommen zu werden.

Insofern handelt es sich bei der hier verwendeten Bezeichnung "Migrationskirche" wieder um eine Fremdkategorie. Allerdings ist es ein nützlicher Suchbegriff, der der Erfahrung von Migration eine grundlegende Verstehenshilfe zuweist. In solchen Gemeinden versammeln sich vorwiegend Gläubige mit Migrationshintergrund, sie sind von Migranten gegründet, um Menschen eine spirituelle Heimat anzubieten. Sie bringen ungeläufige Dialekte des Christlichen in den Nahbereich ein und diversifizieren das kirchliche Leben mit eigenen Akzenten. Vor allem vermeidet der Begriff Migrationskirchen eine Gefahr, die die alternativ gebräuchliche Bezeichnung der "Diasporakirchen" bereit hält. Im europäischen Kontext könnte diese Begriffsbestimmung den ideologischen Missbrauch nähren, dass Mitglieder dieser Kirchen nicht "zu uns", sondern "dorthin" gehörten.

Die allmählich intensiver einsetzende Beschäftigung mit Migrationskirchen in Deutschland erhärtet allein mit statistischen Daten, dass es sich hierbei mitnichten um ein gesellschaftliches oder kirchliches Randphänomen handelt. In Großstädten wie Hamburg, Frankfurt oder Berlin bewegt sich ihre Zahl jeweils weit über einhundert Gemeinden - sofern diese bisher überhaupt wahrgenommen und erfasst sind. Doch sind Migrationskirchen nicht begrenzt auf urbane Milieus; wie unser Fallbeispiel zeigt, sind sie in regionalen Zentren des ländlichen Raums angelangt.

Migrationskirchen bilden keineswegs eine homogene Sozialgestalt von Kirche. Sie repräsentieren im Gegenteil eine Vielgestalt an Gemeinschaftsformen. Selbst solche Gemeinden, die mittels geographischer Zuweisung beispielsweise als "afrikanisch" bezeichnet werden könnten, sind in ihrer Organisationsstruktur, ihren liturgischen Abläufen und in ihrer jeweiligen theologischen Mitte Plural.

Eine typologische Erfassung dieser Vielzahl von Migrationskirchen könnte unterscheiden zwischen Tochtergemeinden von historischen und klassischen Pfingstkirchen, oder auch Ablegern von so genannten Afrikanischen Unabhängigen Kirchen. Neuerdings geben sich auch einige der vorwiegend in den neunziger Jahren gegründeten charismatischen Megakirchen ein internationales Gepräge mit einem weltweit verzweigten Netz an Ortsgemeinden.

Die institutionelle Anbindung der Ortsgemeinde an die Mutterkirche beziehungsweise der Grad an ortsgemeindlicher Autonomie ist jeweils recht unterschiedlich ausgebildet. Daneben finden sich Verbände von charismatisch-pentekostalen Gemeinden, die von Migranten in Deutschland gegründet wurden. Diese Gemeinden sind organisatorisch lose miteinander verbunden und haben ihre theologischen Inspirationsquellen häufig außerhalb Deutschlands (beispielsweise in Ghana oder in den USA).

Eng verwandt mit diesem Typ sind in Deutschland gegründete Gemeinden charismatischer Prägung, deren primäres Ziel darin besteht, sich als Ortsgemeinde zu konsolidieren. Sie verzichten darauf, sich in übernationale Vernetzungen einzubinden und sehen sich dezidierter als Teil der deutschen Kirchenlandschaft. Sie werben bewusst um eine gemischte Mitgliedschaft von deutschen und afrikanischen Christen. Ferner gibt es so genannte ökumenische Gemeinden, das heißt Gemeinden, die in Deutschland gegründet wurden, um Menschen verschiedener kirchlicher Herkunft in sich aufzunehmen. In ihrem gottesdienstlichen Leben verweben sie Kennzeichen charismatischer Frömmigkeit mit Traditionen der historischen Kirchen. Diese Gemeinden sind vielfach Ausgangspunkt von ökumenischen Initiativen innerhalb afrikanischer Kirchen und im Kontakt zu deutschen Ortsgemeinden. So haben durch ihre Vermittlung afrikanische Kirchen in Hamburg beispielsweise den Status der Gastmitgliedschaft in der dortigen Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) erhalten.

Schließlich findet man Kirchen, die sich in die Struktur ihrer deutschen Schwesterkirche mit voller Gleichberechtigung ihrer liturgischen und theologischen Eigenheiten integriert haben. Dieses Integrationsmodell ist bislang eine Ausnahme. Dem unterschiedlichen organisatorischen Charakter entsprechen auch diverse missionstheologische Konzeptionen. Insbesondere unter den pfingstlich-charismatisch geprägten Kirchen, die das Übergewicht stellen, finden sich Stimmen, die sich als entschieden missionarisch (im Sinne von evangelistisch) verstehen und Deutschland als Missionsland sehen.

Im Normalfall - und zwar selbst, wenn wir sie als Dauergäste in unseren Gotteshäusern und Gemeindesälen beherbergen - nehmen auch deutsche Gemeinden Migrationskirchen nur als weithin unbekannte Nachbarn wahr. Verfolgt man die Debatte um muttersprachliche Gemeinden beziehungsweise Missionen, dann gilt dies wohl selbst hinsichtlich der katholischen Kirche. Durch die Errichtung von muttersprachlichen Gemeinden verfolgt diese die Absicht, kirchliche Migrationsarbeit vorwiegend in die Hände von Mitarbeitern aus den Heimatkirchen der Migranten zu legen.

Die Folgen sind verschiedentlich und insbesondere bezüglich der pastoralen Dimensionen beschrieben worden. Zum einen, so wird kritisiert, fühlten sich deutschsprachige Pfarreien nicht zuständig für Migranten in ihrem Seelsorgebezirk, zum anderen fehle es den so genannten muttersprachlichen Missionaren an gemeinsamer Lebenserfahrung mit der zweiten oder dritten Generation der Migrantengemeinden. Es bestehe nicht nur seelsorgerlich eine Distanz, vielmehr eigne sich dieses Zuordnungsverfahren kaum dazu, die Integration von Migranten in die deutschsprachige Gesellschaft und Kirche zu begleiten. Die Dimension, um die es geht, verdeutlicht ein Blick auf Frankfurt, wo etwa ein Drittel aller katholischen Kirchenmitglieder zu den muttersprachlichen Missionen zu zählen sind. Bisweilen sprechen eher pessimistische Beobachter dieser Zweigleisigkeit von deutschsprachiger Ortskirche und Migrantenseelsorge von einer "Nebenkirche", die zumal kaum Beachtung gefunden habe in der deutschsprachigen Pastoraltheologie. Das bedeutet, dass wesentliche theologische Konzepte fehlen, dass muttersprachliche Migrantengemeinden auf sich selbst gestellt bleiben und die Gefahr einer Dualität besteht, dass also muttersprachliche Missionen sich als parallele und nichtintegrierte katholische Bevölkerungsteile entwickeln.


Überkonfessionelle Kompetenz und erstaunliche Konversionsbiographien

Freilich, es gibt auch das Gegenargument, das ein Lob der Verschiedenheit singt. Beklagt wird gerade nicht das mangelnde Miteinander zwischen deutsch- und muttersprachlichen Gemeinden, im Gegenteil wird die eigenständige Entwicklungsmöglichkeit von Migrantengemeinden hervorgehoben, die ihren eigenen Dialekt der katholischen Universalkirche in den deutschen Kontext eintragen.

Solche Stimmen, die bemerkenswerterweise hauptsächlich aus Kreisen der Migrantenseelsorge selbst stammen, postulieren das Recht auf Eigenheit, auf kulturelle und religiöse Verschiedenheit. Vorausgesetzt in diesem Argumentationsstrang ist eine behauptete Kontinuität von Glaubensformen in der Migration, die sich über Generationen hinweg vererbt. Darin verbirgt sich die religionssoziologische Annahme, dass sich volksreligiöse Konstanten etwa eines polnischen oder ghanaischen Katholizismus ausprägen, die auch dann erkennbar und unterscheidbar sind, wenn sich Menschen der zweiten und dritten Generation längst sicher in der Kultur und der Sprache des Einwanderungslandes bewegen.

Diese Voraussetzungen eines ethnisch verengten Religions- und Kulturbegriffs sind strittig, ebenso bedarf die Annahme einer statisch aufgefassten religiösen Identität näheren Hinsehens. Bei scharfer Lesart kann ein Recht auf Verschiedenheit, das von Minderheiten bewusst gesucht beziehungsweise das von der Mehrheitsgesellschaft auferlegt wird, leicht in die Ausprägung einer anderweitig viel beklagten "Parallelgesellschaft" führen. Migrationskirchen jedoch suchen durchaus ökumenische Nähe und bilden neue Formen von kirchlichen Vereinigungen!

Unter den Migrationskirchen in Deutschland stellen die so genannten "afrikanischen" Kirchen die umfangreichste Gruppe. Sam Kobia, der Generalsekretär des ÖRK, hatte gerade sie im Auge, als er im Jahr 2005 anregte, zu einem "breiteren Verständnis von ökumenischen Beziehungen" in Europa vorzudringen. Freilich, er blieb die inhaltliche Füllung dessen schuldig. Hier hilft ein Blick auf Migrationskirchen weiter.

Die Mitglieder von Migrationskirchen verfügen in der Mehrzahl über eine hohe überkonfessionelle Kompetenz. Die Konversionsbiographien, die sich aufgrund von Migrationserfahrungen ergeben, sind erstaunlich. Es kommt vor, dass an die 90 Prozent der Mitglieder einer charismatisch-pentekostalen Migrationskirche in Deutschland zum Zeitpunkt ihrer Migration, also in ihren Herkunftsländern, keiner solchen charismatisch-pentekostalen Kirche angehörten. Wir sprechen also über ehemalige Katholiken, Presbyterianer, Methodisten usw. In Deutschland jedoch durchschreiten sie die religiöse Landschaft. Sie suchen nach einer kirchlichen Heimat und finden sie nur selten in unseren etablierten Kirchen. So manche experimentieren sogar mal mit der einen, mal mit der anderen Migrationskirche. Nicht wenige haben multiple kirchliche Zugehörigkeiten. Viele Mitglieder von Migrationskirchen sind selbstverständlich Kirchensteuerzahler, also formelle Mitglieder der Evangelischen oder Katholischen Kirche.

Erleichtert wird dieser gewagt anmutende Balanceakt, den sie zwischen weit auseinander liegenden Kirchenkulturen in Deutschland vollziehen, durch den religiösen Experimentierraum, in dem sich die Herkunftskirchen vieler Migranten bewegen. Beispielsweise entstammen viele Mitglieder von Migrationskirchen in Deutschland dem kirchlichen Laboratorium Westafrikas, derzeit vielleicht eine der vitalsten Regionen, in denen sich die Formen des Christentums wandeln und neu herausschälen.

In Westafrika unterliegen ausnahmslos alle Kirchen einem Prozess der Charismatisierung des gesamtkirchlichen Lebens. Wer an einem Gottesdienst teilnimmt, kann die Kirche zu einem bestimmten Zeitpunkt kaum mehr von anderen unterscheiden. Die Lieder, die gesungen werden, die Gebete, die laut gesprochen werden, die Musik, die elektrisch verstärkt von einer jungen Band gespielt wird, alles gleicht sich an. Selbst die Rhetorik der Prediger ist austauschbar. Diese Neuordnung der kirchlichen Topographie wirkt über die Migrationskirchen zurück auf unsere kirchliche Landschaft. Allerdings sind diese neuen Zuordnungsprozesse innerhalb des Christentums hierzulande noch wenig bekannt. Vielfach beherrschen theologische Vorurteile gegenüber charismatischen Bewegungen die Szene.

Auch um ökumenische Lernprozesse zu initiieren, gibt es seit wenigen Jahren erste theologische Ausbildungsprojekte, die sich gezielt an Migrationsgemeinden wenden. Diese überkonfessionell angebotenen Projekte sind mittlerweile in mehreren evangelischen Landeskirchen angesiedelt. Zu ihren Angeboten zählt es, Hilfestellungen zu geben, um die Aufnahmegesellschaft besser zu verstehen - religiös, kirchlich, aber auch bezogen auf das gesellschaftliche Umfeld überhaupt. Verkürzt gesagt, binden alle Teilnehmenden ihre Wahrnehmung von Differenz ein in ein produktives theologisches Ringen um Verstehen der anderen. Diese Ausbildungsgänge werden von Migrationsgemeinden mit hohem Engagement wahrgenommen.

Die Integrationskapazität von Migrationskirchen zeigt sich auch in neuen ökumenischen Plattformen. Seit dem Jahr 2001 besteht mit dem 'Council of Christian Churches of an African Approach in Europe' (CCCAAE) ein Koordinationsrahmen für Migrationskirchen afrikanischer Herkunft auf europäischer Ebene. Die Geschichte des CCCAAE geht in die Mitte der neunziger Jahre zurück und findet bis heute Unterstützung vor allem durch Migrationskirchen in Großbritannien, Deutschland, Frankreich, der Schweiz und den Benelux-Staaten.

Die Hauptziele des CCCAAE bestehen darin, Migrationskirchen strukturell miteinander zu vernetzen und die Zusammenarbeit mit europäischen Kirchen zu fördern. Überdies stellt sich der CCCAAE gesellschaftspolitischen wie theologischen Herausforderungen. Er möchte ein Forum bilden für spezifische Problemlagen afrikanischer Immigranten wie etwa der Erfahrung rassistischer Diskriminierung, fordert die Gleichstellung afrikanischer Frauen in Kirche und Gesellschaft und stellt sich einer zunehmend bedrängenden Herausforderung, nämlich der Frage der Säkularität und ihrer Auswirkungen auf die Erziehung der zweiten und dritten Generation afrikanischer Immigranten.


Hohe Integrationskapazität der Migrationskirchen

Um sich ein erkennbares Profil im Reigen der europäischen Kirchen zu geben, strebt der CCCAAE ein theologisches Förderprogramm an, das vor allem der afrikanischen Kirchen- und Theologiegeschichte in Europa nachspürt und sich wesentlich auf Erkenntnisse der Diaspora- und Migrationsforschung beruft. Dabei bezieht sich die transnationale Dimension des CCCAAE nicht allein auf Afrika und Europa, sondern bindet die karibische Zerstreuungsgeschichte seit den Zeiten des transatlantischen Sklavenhandels unbedingt mit ein. Besonders bemerkenswert ist die Präsenz von afrikanisch-karibischen Migrationskirchen in Großbritannien.

Um die theologische Selbstverständigung voranzutreiben, führt der CCCAAE in Kooperation mit kirchlichen Institutionen wie universitären Instituten regelmäßige europäische Konferenzen durch. Die bislang letzte dieser anspruchsvollen Konferenzen fand 2003 in der Nähe von Berlin statt. Die Auswahl des Tagungsortes war von symbolischer Aussagekraft, denn sie handelte von der Aufteilung Afrikas seit der Berliner Kongo-Konferenz 1884/85 und bedachte ihre Tragweite für die Entwicklung und die Missionsgeschichte des Kontinents. Gleichfalls um die Bedeutsamkeit Berlins zu unterstreichen, richtete der CCCAAE das Büro des Generalsekretärs dort ein. Seit jüngster Zeit gibt es Gesprächsvereinbarungen über eine stärkere Anbindung des CCCAAE an den Ökumenischen Rat der Kirchen (und in Genf ist die nächste Konferenz für das Jahr 2008 geplant).

Auch wenn der CCCAAE sich auf gemeinsame Ziele verständigt hat und sich in kürzester Zeit eine feste Organisationsstruktur geben konnte, behindert doch der Mangel an finanziellen Ressourcen die Umsetzung manch eines erstrebenswerten Anliegens. In der Tat sind die institutionellen Voraussetzungen afrikanischer Migrationskirchen prekärer Natur. Diese kommen erst recht zum Vorschein, wenn man afrikanische beispielsweise mit asiatischen Migrationskirchen in Deutschland vergleicht und den jeweiligen Status von Migration herausarbeitet. Dann wird man erkennen können, wie sehr diese Kirchen in ihren strukturellen Voraussetzungen differieren, wie stark sie sich in ihrer sozialen Basis und in ihren personellen wie ökonomischen Ressourcen unterscheiden.

Einige Anhaltsdaten liegen vor am Beispiel von ausgewählten Migrationsgemeinden in Hamburg: Während an die 100 Prozent der Mitglieder von koreanischen und indonesischen Gemeinden über einen sicheren Rechtsstatus verfügen, beträgt dieser Anteil in einer afrikanischen Gemeinde vielleicht um 40 Prozent. Anders ausgedrückt, die große Mehrheit der Gemeindemitglieder hat keinen sicheren Aufenthaltsstatus.

Während koreanische Gemeinden mitunter über eine wöchentliche Kollekte von 1000 Euro verfügen, vermeiden es afrikanische Gemeinden diesbezüglich gar, konkrete Zahlen anzugeben. Ihr Gemeindeaufbau muss mit ungleich geringfügigeren Mitteln auskommen, die zudem nicht kontinuierlich fließen und somit nicht auf Dauer einplanbar sind. Auch die personellen Möglichkeiten sind andere. Indonesische Gemeinden, die sich ursprünglich in Diplomaten- und studentischen Kreisen bildeten, können auf eine gewisse Bildungsschicht vertrauen, die afrikanischen Migrationskirchen in dieser Breite fehlt.

Gleichwohl sind die Herausforderungen, denen sich afrikanische Migrationskirchen gegenübersehen, eminent. Die Seelsorge in afrikanischen Gemeinden hat vielfältige existentielle Krisen ihrer Mitglieder zu bewältigen. Eine jüngste Sozialstudie, die vom Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Auftrag gegeben wurde, offenbarte erstmals gesicherte Erkenntnisse über das Leben von Migranten ohne legalen Aufenthaltsstatus. Allein in Frankfurt leben schätzungsweise 42.000 Menschen ohne legale Papiere, ohne Rechte, ohne Perspektive. Darunter sind, eine aufschreckende Zahl, zwischen fünf und zehn Prozent Kinder. Die Illegalen arbeiten vorwiegend im klassischen Dienstleistungsgewerbe, im Niedriglohnsektor, in Haushalten, oder auch als Prostituierte. Die größte Zahl lebt in widrigen Wohnverhältnissen, muss überteuerte Mieten zahlen und wechselt häufig die Wohnung, viele sind dadurch immer wieder obdachlos.

Dies umschreibt die Ausgangssituation vieler Gemeinden mit afrikanischem Migrationshintergrund in Deutschland. Gläubige erwarten Antworten auf Probleme, die sich aus dem Umgang mit verschiedenen Behörden ergeben, sie erhoffen sich Unterstützung in aufenthalthaltsrechtlichen Angelegenheiten, die sich zuweilen am Rand der Legalität bewegt, sowie bei der Wohnungs- und Arbeitssuche. Hinzu kommt, dass der kontinuierliche Gemeindeaufbau oft genug dadurch gestört wird, dass selbst Gemeindeleiter bei strittigem Aufenthaltsstatus abgeschoben werden. Bislang wenig offen angesprochen ist das Thema von HIV/AIDS. Überdies erleben afrikanische Gemeinden den Umgang mit ihren heranwachsenden Jugendlichen als große Herausforderung. Diese entgleiten häufig den kirchlichen Erziehungsidealen und entschwinden in die große Unbekannte der Säkularität.

Im Reigen der Migrationskirchen haben afrikanische Gemeinden in der Tendenz die größten Probleme der Selbsterhaltung, und sie haben gleichzeitig ein enormes Übergewicht an diakonischen Herausforderungen zu bewältigen, wollen sie relevant sein für ihre Mitglieder. An die etablierten Kirchen geht die Frage, ob sie zu einem "breiteren Verständnis von ökumenischen Beziehungen", an das Sam Kobia gemahnte, bereit sind.


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Andreas Heuser (geb. 1961) bekleidet seit 2005 die Profilstelle für Ökumene und Bildung in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau mit Dienstsitz in Limburg/ Lahn. Zuvor war er Studienleiter an der Missionsakademie an der Universität Hamburg. Die Arbeitsschwerpunkte des Politologen und promovierten Theologen sind die Kirchen- und Missionsgeschichte Afrikas, afrikanische Religionen in Südafrika, Migrationskirchen in Europa und Deutschland und die Pfingstbewegung.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
61. Jahrgang, Heft 4, April 2007, S. 213-215
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2007