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KIRCHE/702: Erzbischof Marx zur Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise (DBK)


Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz vom 04.03.2009

Erzbischof Dr. Reinhard Marx,
Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen,
anlässlich des Studienhalbtags der Frühjahrs-Vollversammlung der
Deutschen Bischofskonferenz zur Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise


Schlussfolgerungen: Eckpunkte einer kirchlichen Positionierung

Der heutige Vormittag hat uns einen Einblick in die Ursachen und die Komplexität der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise gegeben.

Grundlegende ordnungspolitische und sozialethische Aspekte wurden dargelegt und mögliche Konsequenzen für die Zukunft entwickelt.

Am Ende des Studienhalbtages stellt sich Frage nach dem kirchlichen Sprechen und Handeln in der Krise: Muss sich die Kirche nicht selbst bewusst werden, auf welchen Schatz sie mit der Katholischen Soziallehre und ihrer einmaligen Tradition sozialethischer Verkündigung zurückgreifen kann? Das Erbe der Katholischen Soziallehre ist insofern auch eine Herausforderung an uns selbst. Die große Linie der Sozialenzykliken hat sich bewährt und besitzt gerade aus heutiger Perspektive eine geradezu zeitlose Gültigkeit. Worauf kommt es jetzt also an? Im Folgenden will ich versuchen, mit Blick auf die Ergebnisse des heutigen Tages erste Eckpunkte einer kirchlichen Bewertung der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise zu formulieren.

1. Ausgang unserer Bewertung ist das christliche Verständnis vom Menschen: Im Mittelpunkt steht immer der Mensch. Unser Blick richtet sich deshalb zunächst auf all diejenigen, die national und international am meisten von der derzeitigen Krise betroffen sind. Denn eine solche Krise ist nicht nur eine Frage der Stabilität und Effizienz eines wirtschaftlichen Systems, etwa im Zuge von Wachstumseinbußen oder einem gefährdeten Finanzmarkt, sondern sie ist insbesondere eine Frage der Gerechtigkeit. Uns bewegt die Krise nicht aus wirtschaftstheoretischem Interesse, sondern weil es uns um die Menschen geht - die Menschen, die in Deutschland besonders von der Krise betroffen sind, und die Menschen, die anderswo wegen der Krise hungern! Deshalb müssen wir uns fragen, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um zukünftige Krisen möglichst zu vermeiden. Natürlich ist das Risiko von Finanz- und Wirtschaftskrisen nicht generell auszuschließen, aber soziale Gerechtigkeit und Gemeinwohl verpflichten uns, alles zu tun, um die Wahrscheinlichkeit und Häufigkeit von Finanzkrisen zu reduzieren.

2. Eine grundlegende Voraussetzung der Prävention ist allerdings, die Ursachen und den Verlauf der Finanzmarktkrise zu verstehen. Die Ursachen sind vielfältig: die Verselbständigung von Finanzmarktprodukten, eine fehlerhafte Geschäftspolitik und zu große Risikobereitschaft von Banken, eine unzureichende staatliche Aufsicht, falsche politische Anreize und staatliche Geldpolitik sowie nicht zuletzt auch individuelles Versagen, das sich unter anderem in überhöhten Renditeerwartungen niedergeschlagen hat. Daneben hat aber auch das Zusammentreffen an sich guter Ideen zu Fehlentwicklungen geführt, wie etwa die Verbindung von Wohnungseigentumspolitik und laxer Kreditvergabe in den USA oder aber die leistungsorientierte Entlohnung, die erst in Verbindung mit kurzfristigen Gewinnerwartungen zu schlechten Ergebnissen geführt hat. Auch wenn wir das ganze Ausmaß noch nicht absehen können, wissen wir: Es gibt eine Krise im System! Es handelt sich dabei auch um eine moralische Krise: Freiheit, Verantwortung und Ordnung sind aus dem Gleichgewicht geraten. Keiner von uns will deshalb ein neues System, aber wir brauchen eine Erneuerung im Sinne einer Renaissance der Sozialen Marktwirtschaft.

3. Auf den internationalen Finanzmärkten bestehen strukturelle Schwächen und Defizite, die einer dringenden Reform und Neuordnung bedürfen. Es ist nicht Aufgabe der Bischöfe, konkrete Reformvorschläge zu machen, dennoch seien einige Felder kurz benannt, auf denen Handlungsbedarf besteht:

- Die Weiterentwicklung der Bankenregulierung ist eine drängende Aufgabe. Hierbei geht es vor allem um eine effiziente Bankenaufsicht, die Finanzmarktprodukte und Finanzinstitute wirkungsvoll überwacht. Löcher in der Regulierung müssen erkannt, analysiert und geschlossen werden; dazu gibt es geeignete Instrumente, die auch angewandt werden müssen. Aufgabe der Bankenregulierung ist es, die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Finanzmarktes zu sichern; eine wesentliche Voraussetzung hierfür ist die Solvenz der Banken. Daher muss dafür Sorge getragen werden, dass die Risiken der Finanzinstitute mit angemessenem Eigenkapital unterlegt sind. Dies zu umgehen, darf nicht mehr möglich sein. Sicher gehört zur Funktionsfähigkeit des Finanzmarktes die Erwartung, dass beim Zusammenbruch einer Bank letzten Endes der Staat einspringt und die Einlagen zu einem gewissen Maß sichert. Doch darf diese Erwartungshaltung nicht dazu führen, dass Risiken ungeniert eingegangen werden können und die Idee der Haftung an Bedeutung verliert, weil im Zweifelsfall andere für den Schaden aufkommen.

- Eine weitere Fehlentwicklung waren überhöhte und zum Teil unrealistische Renditeerwartungen, die vor allem auf eine unzureichende Abwägung von Ertrag und Risiko zurückgehen. Wie mehrfach angeklungen darf trotz aller Kritik nicht vergessen werden, dass ein gesundes Gewinnstreben die Grundlage einer funktionierenden Wirtschaft ist. Doch ist auch der Gewinn einer gewissen Ordnung verpflichtet. Gewinn um jeden Preis trägt nicht über den Tag hinaus und vernachlässigt die Perspektive langfristigen, zukunftsfähigen Handelns.

- Auch die Gehaltstrukturen der Manager scheinen reformbedürftig. Bei Bonuszahlungen werden leistungsorientierte Zulagen vereinbart, die wohl weniger am langfristigen Erfolg orientiert, sondern primär auf Quartalsberichte und kurzfristige Gewinne fixiert sind, die sich dann oftmals nur durch eine exzessive, aber verborgene Risikoübernahme maximieren lassen. Für die Zukunft müssen Leistungsbewertungen und Vergütungssysteme mit Blick auf ihre Anreizstrukturen neu überdacht werden.

- Außerdem scheint ein kritischer Blick auf die Geld- und Zinspolitik der Notenbanken erforderlich. Lange Zeit galt die Geldpolitik der US Notenbank als vorbildlich, mit billigem Geld den Konsum und einen scheinbaren Wohlstand zu fördern, tatsächlich wurde jedoch über die Verhältnisse gelebt, wie sich jetzt zeigt. Es wurde dabei außer Acht gelassen, dass es Aufgabe der Notenbanken ist, für Geldstabilität zu sorgen. Gerade im europäischen und internationalen Rahmen muss an dieser Position festgehalten werden.

4. Neben diesen sehr konkreten Aspekten zur Neuordnung der Finanzmärkte ist aber auch eine Rückbesinnung auf grundlegende ordnungspolitische und sozialethische Überlegungen erforderlich. In Krisenzeiten wird der Ruf nach einem starken Staat immer lauter. Dabei dürfen aber die Grenzen des Staates und der Wert einer freiheitlichen sozialen Marktordnung nicht übersehen werden. Der Staat muss einen Ordnungsrahmen setzen, dieser allein reicht aber nicht aus. Schon im gemeinsamen Text der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland ,,Demokratie braucht Tugenden" haben wir festgestellt: ,,Die Vorstellung, in einer Ordnung der Freiheit könne jeder ohne Rücksicht auf das Ganze seinen Interessen nachgehen, weil die Regeln aus eigener Kraft im Stande seien, einen vernünftigen Ausgleich zu bewirken, ist zwar weit verbreitet [...]. Aber sie ist illusionär. Freiheitliche Institutionen, so klug sie auch entworfen sein mögen, können nicht aus sich heraus das notwendige Minimum an Gemeinwohlorientierung [...] gewährleisten." (S. 16) Mit der Freiheit muss persönliche Verantwortung korrespondieren. Die Idee der Sozialen Marktwirtschaft verknüpft beides untrennbar miteinander und verpflichtet so zur Ausbildung von Werten und Grundhaltungen. Gerade dies ist in letzter Zeit zu kurz gekommen! Nicht nur Demokratie, auch Soziale Marktwirtschaft braucht Tugenden!

5. Damit stehen wir aber auch in Zukunft fest auf dem Fundament der Sozialen Marktwirtschaft, weil es ihr gelingt, wirtschaftlichen Erfolg mit sozialem Ausgleich zu verbinden und der Freiheit eine Ordnung zu geben. Allerdings zeigen die Erfahrungen der Krise, dass die international agierende Finanzwirtschaft der nationalen Ordnungspolitik immer mehr entwächst und das globalisierte Wirtschaftssystem ebenfalls einen ordnenden Rahmen braucht. Es besteht jetzt die Notwendigkeit, im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft Einfluss auf die Ausgestaltung der internationalen Ordnung zu nehmen. Dabei müssen wir auch die außerökonomischen Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft im Blick haben: Das christliche Verständnis vom Menschen und die Idee der Demokratie sind der geistige Nährboden, auf dem sich die Soziale Marktwirtschaft entwickelt hat. Gerade deshalb könnte die Katholische Soziallehre Maßstab für die Gestaltung einer Weltwirtschaftsordnung sein. Europa, aber auch die transatlantische Wertegemeinschaft, müssen auf diesem Weg eine Vorreiterrolle spielen.

6. Neben der Neuordnung der Finanzmärkte kommt es in Zukunft aber auch darauf an, den Auswirkungen der Krise entgegenzuwirken. Das rasche Eingreifen der Bundesregierung und der Staats- und Regierungschefs der EU sowie die Einberufung des Finanzmarktgipfels der G20-Staaten im November 2008 haben gezeigt, dass in einer Situation, in der ein Kollaps der Finanzwirtschaft drohte, schnelle und entschlossene Maßnahmen dringend notwendig waren. Doch stellt sich nach einer ersten Stabilisierung des Systems die Frage: Wie soll es weitergehen? Wir müssen jetzt Lösungen entwickeln, die langfristig tragfähig sind. Die Krise macht ja unsere bisherigen wirtschafts- und sozialpolitischen Überlegungen nicht alle hinfällig. Bereits eingeschlagene und bewährte Wege dürfen jetzt nicht vorschnell über Bord geworfen werden. Ordnungspolitische Vernunft und sozialethische Ziele dürfen nicht unter die Räder der Erwartungen kommen, denen die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft derzeit gegenüber stehen. Gerade in der jetzigen Situation wird die Gefahr der Dominanz partikularer Interessen erneut virulent, auf die wir bereits mit dem Impulstext ,,Das Soziale neu denken" hingewiesen haben. Dies gilt national mit Blick auf große Konzerne im Gegensatz zu kleinen und mittelständischen Unternehmen, auf internationaler Ebene vor allem im Hinblick auf einen zunehmenden Protektionismus, mit dem Schwellen- und Transformationsländern zurückgedrängt und damit die positiven Effekte der Globalisierung untergraben werden. Auch in Europa darf der Protektionismus die grundlegenden Errungenschaften des Binnenmarktes nicht aufs Spiel setzen.

7. Bisher steht bei allen Maßnahmen primär die Krisenbewältigung im Vordergrund. Angesichts der Schuldenberge, die im Zuge der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise immens erhöht wurden, stellt sich aber auch die Frage, wie diese Verschuldung wieder abgebaut werden soll. Eine offene Diskussion unter den Aspekten der Generationen- und Beteiligungsgerechtigkeit ist jedoch dringend erforderlich, um geeignete Kriterien der Lastenverteilung zu entwickeln. Es ist zu vermeiden, dass die Verschuldungsfrage über eine Inflation mit allen damit verbundenen sozialen Verwerfungen gelöst wird. Darüber hinaus dürfen auch die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts - Ernährungssicherheit, Armutsbekämpfung und Klimawandel -, die sich in besonderem Maße auf die Armen der Welt auswirken, nicht aus dem Blick geraten. Wir müssen jetzt Konsequenzen ziehen, die Krise als Chance begreifen und als Lernort nutzen: Es reicht nicht aus, die Krise zu überwintern und danach weiterzumachen wie bisher.

Wir müssen die Wirtschafts- und Finanzmärkte neu ordnen und Verantwortung zur Leitwährung machen!

In der aktuellen Situation sind wir gefordert, der Gesellschaft Richtschnur zu geben! Wir müssen einerseits darauf drängen, dass die notwendigen Reformen vorangetrieben werden, wir müssen aber auch die Verantwortung der Akteure einfordern! Selten gab es in der Gesellschaft so fruchtbaren Boden für christliche Werte und Grundhaltungen! Kommen wir als Kirche also unserer Verpflichtung nach, Partner im Dialog über den Aufbau eines wertgebundenen Ordnungsrahmens zu sein!


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Quelle:
Pressemitteilung vom 4. März 2009
Herausgeber: P. Dr. Hans Langendörfer SJ,
Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz
Deutsche Bischofskonferenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2009