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KIRCHE/879: Statement - Hilfe für Haiti nach dem Erdbeben am 12. Januar 2010 (DBK)


Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz vom 23.02.2010

Hilfe für Haiti nach dem Erdbeben am 12. Januar 2010

Statement von Erzbischof Dr. Ludwig Schick, Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz, beim Pressegespräch der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 23. Februar 2010

Es gilt das gesprochene Wort!


Das Erbeben trifft eines der ärmsten Länder der Welt

Am späten Nachmittag des 12. Januar 2010 bebte in Haiti die Erde. Durch das Beben der Stärke 7,0 auf der Richterskala stürzten in dem Karibikstaat zahlreiche Häuser ein. Über 230.000 Menschen verloren dabei ihr Leben. Die Regierung geht zudem von mehr als 300.000 Verletzten aus. Bald zwei Millionen Menschen sind obdachlos und leben in Notlagern auf der Straße. Vor allem in den Städten nahe dem Epizentrum hat das Beben schwerste Schäden angerichtet: In Port-au-Prince, Léogane, Petit-Goave und Jacmel ist die Hälfte aller Gebäude zerstört.

Unter den Opfern sind auch der Erzbischof von Port-au-Prince, Serge Miot, und viele andere Geistliche und Seminaristen. Die Kathedrale im Zentrum von Port-au-Prince sowie die meisten anderen Kirchen des Erzbistums sind nur noch Ruinen. Unbenutzbar sind die drei Priesterseminare, die Katholische Universität, viele katholische Schulen, Gesundheits- und Sozialstationen und der Sender "Radio Soleil".

Der Wiederaufbau in dem bitterarmen Land wird mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Unterdessen wächst unter den Betroffenen die Kritik an der zögerlichen Reaktion der Regierung, die unmittelbar nach der Katastrophe kaum Präsenz zeigte und auch Wochen nach dem Beben weder ihrer Koordinierungs- noch ihrer Kontrollfunktion gerecht wird.


Hilfe von der katholischen Kirche in Deutschland

Ich möchte Ihnen heute einen ersten, natürlich noch vorläufigen Bericht über die Hilfsaktionen geben, die nach dem Erdbeben von den (Erz-)Diözesen in Deutschland und den Hilfswerken unternommen worden sind.

Direkt nach dem ersten Beben stellten mehrere (Erz-)Diözesen, kirchliche Hilfswerke und Ordensgemeinschaften größere Summen als Soforthilfe für Haiti bereit. Als nach einigen Tagen das Ausmaß der Katastrophe absehbar war, haben sich die deutschen Bischöfe dann für eine Sonderkollekte in allen katholischen Gottesdiensten am 23./24. Januar 2010 entschieden. Im Augenblick kann noch nicht das Endergebnis dieser Sonderkollekte beziffert werden. Aufgrund der vorliegenden Daten sind wir aber sicher, dass die Kollekte mindestens 7,5 Mio. Euro erbracht hat. Dieser Betrag wird nach einem festen Schlüssel unter den Hilfswerken Caritas international, Malteser Hilfsdienst, Misereor, Adveniat und dem Kindermissionswerk "Die Sternsinger" aufgeteilt und für die Katastrophenhilfe und den Wiederaufbau eingesetzt. Diese Hilfswerke sind Mitglieder des Katholischen Arbeitskreises Not- und Katastrophenhilfe, in dem die Unterstützung für Haiti abgestimmt wird. Gerade in den ersten Stunden und Tagen war der Informationsaustausch über die Situation, die Opfer und die überlebenden Partner in Haiti wichtig, aber auch jetzt, wo es um die Planungen des Wiederaufbaus geht.

Caritas international, das Katastrophenhilfswerk der katholischen Kirche in Deutschland, konnte schnell mit den einheimischen Mitarbeitern in der Erdbebenregion Kontakt aufnehmen. Bereits am 20. Januar traf ein gemeinsamer Hilfsflug von Caritas international und der Diakonie auf Port-au-Prince ein. Dieser Hilfsflug war mit mehr als 15 Tonnen Hilfsgütern beladen, darunter auch medizinische Nothilfepakete zur Basisversorgung von 80.000 Menschen für drei Monate. Vor Ort versorgt Caritas international die Erdbebenopfer medizinisch und hilft ihnen, in Notunterkünften unterzukommen bzw. solche aus den Trümmern zu errichten (u. a. mit Werkzeugen, Planen, Decken). Mit "Cash for work"-Programmen werden einheimische freiwillige Helfer für diese Arbeiten gewonnen, denen so gleichzeitig ein Einkommen ermöglicht wird. Eine weitere Ladung mit Hilfsgütern von Caritas international wurde am 2. Februar per Schiff von Panama aus nach Haiti transportiert. Zu der Ladung zählen u. a. Küchen-Sets, Hygiene-Kits, Werkzeug-Tools und Abdeckplanen. Die Arbeit mit der Caritas Haiti birgt den großen Vorteil, dass sie auf Strukturen in den Diözesen und Pfarreien vor Ort aufbauen kann, sodass die Menschen direkt erreicht werden und die Hilfe sofort wirken kann.

Auch die Malteser starteten unmittelbar nach dem Erdbeben ihre Not- und Katastrophenhilfe in der Krisenregion. Dabei zielen sie eine langfristige Basis-Gesundheitsversorgung für die Bevölkerung, die Sicherung des Zugangs zu sauberem Trinkwasser sowie sanitäre Grundversorgung an. Regionale Schwerpunkte der Hilfe sind Port-au-Prince, Milot im Norden des Landes und Léogâne: Die nur 5 km nördlich des Epizentrums gelegene Stadt hatte rund 200.000 Einwohner und ist zu 90 % zerstört worden. Überall müssen die Überlebenden versorgt, Krankheiten bekämpft, Kinder geimpft werden. Mobile medizinische Teams gehen zu Kranken und Verletzten in die Dörfer.

Das Bischöfliche Hilfswerk Misereor hat zwei Soforthilfefonds in Höhe von 800.000 Euro aufgelegt, aus denen Nothilfen (Lebensmittel, Kleidung, Medikamente, Planen etc.) für die Diözesen Hinche, Les Cayes, Cap Haitien und Jacmel bewilligt sowie Nothilfetransporte aus der Dominikanischen Republik finanziert wurden. Für knapp 40.000 Euro konnten Schüppen, Hacken, Schubkarren und ähnliches Gerät bei haitianischen Eisenwarenhändlern aufgekauft und gegen Bezugsgutscheine an haitianische Gruppen von jeweils bis zu 12 Personen ausgegeben werden. Diese beteiligen sich an Räumarbeiten. Gerade bei diesem Projekt wird deutlich, wie die Haitianer ihr Schicksal auch selber in die Hand nehmen können. Über die agrarökologische Plattform "Paded" mit 18 einheimischen Partnerorganisationen hilft Misereor, die aus den betroffenen Städten fliehenden Menschen sinnvoll in eine nachhaltige ländliche Entwicklung einzubinden.

Auch Adveniat und das Kindermissionswerk "Die Sternsinger" stellten unmittelbar nach dem Erdbeben und in Abstimmung mit Caritas international Mittel für die Soforthilfe bereit. Adveniat hat zusätzlich zu den jährlichen Projektmitteln von rund 1,8 Mio. Euro einen Sonderfonds in Höhe von 1,5 Mio. Euro eingerichtet. Das Hauptaugenmerk beider Werke richtet sich jedoch nicht auf die Katastrophenhilfe, sondern auf den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur, insbesondere der Kirchen, Schulen, Behinderteneinrichtungen und Straßenkinderzentren.


Herausforderungen im nachhaltigen Wiederaufbau

Schon vor der Katastrophe gehörte Haiti zu den ärmsten Ländern der Erde. Dies hat mehrere Gründe, die beim Wiederaufbau auf jeden Fall berücksichtigt werden müssen:

Nach dem Sieg der aufständischen Sklaven über die französische Kolonialmacht 1791 musste Haiti die Anerkennung als unabhängiger Staat durch Frankreich mit Reparationszahlungen von 90 Millionen Gold-Francs erkaufen. Von Anfang an steckte Haiti so in einer Schuldenfalle, aus der es nie herauskam. Vor diesem Hintergrund klingt es fast zynisch, dass die Schuldentilgung jetzt nur gestundet werden soll. Haiti ist vielmehr auf einen konditionierten und umfassenden Schuldenerlass angewiesen.

Die politischen Führer von Haiti erwiesen sich als schlechte Verwalter, die wenig am Aufbau eines modernen Staatswesens und einer Entwicklung der ganzen Insel interessiert waren. Staats- und Entwicklungsgelder landeten auf ausländischen Bankkonten, Korruption ist heute allgegenwärtig. Fast alles wird nun davon abhängen, eine funktionierende öffentliche Verwaltung aufzubauen, die das Gemeinwohl und die Interessen der Bürger im Blick behält.

Die Umstellung der Landwirtschaft von einer Produktion für den eigenen Bedarf auf Exporte in die USA, die starke Abholzung der Wälder und in Folge dessen die Bodenerosion sowie eine verbreitete Misswirtschaft machten Haiti zum "Armenhaus Amerikas". 70 % der Nahrungsmittel mussten schon vor dem Erdbeben importiert werden. In den letzten Jahren ist das Bewusstsein für eine nachhaltige ländliche Entwicklung allerdings gewachsen. Diese muss engagiert vorangetrieben werden.

Ein großer Teil der meist katholischen Bevölkerung praktiziert Voodoo-Kulte, die nicht zur Eigenverantwortung ermutigen und eine schicksalsergebene Haltung begünstigen. Gerade mit Blick auf die internationale Hilfe kann aber nicht deutlich genug betont werden, dass Entwicklungsprojekte und -programme nicht ohne oder gar gegen die Menschen geplant werden dürfen. Die Eigenverantwortung der Haitianer kann langfristig nur durch Hilfe zur Selbsthilfe gestärkt werden.

Die Arbeit für einen langfristigen Aufbau des Landes darf jedoch nicht vergessen machen, dass die Menschen aktuell noch dringend auf Not- und Katastrophenhilfe angewiesen sind. Im März beginnt in Haiti normalerweise die Regenzeit. Bis dahin brauchen die Überlebenden möglichst wasserfeste Unterkünfte und ein Minimum an sanitären Vorrichtungen. Wir als Kirche in Deutschland stehen den Menschen in Haiti zur Seite. Wir tun dies in dem Bewusstsein, dass sich Christus selbst mit denen identifiziert, die Not und Mangel leiden. Ihre Not ist unser Auftrag.


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 029 vom 23. Februar 2010
Herausgeber: P. Dr. Hans Langendörfer SJ,
Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz
Deutsche Bischofskonferenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2010