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LATEINAMERIKA/079: Mexiko - Kritik am scheidenden Papst, lasches Vorgehen gegen pädophile Priester (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Februar 2013

Mexiko: Scheidender Papst in der Kritik - Lasches Vorgehen gegen pädophile Priester vorgeworfen

von Emilio Godoy



Mexiko-Stadt, 12. Februar (IPS) - Nach der Rücktrittsankündigung von Papst Benedikt XVI. würdigt die Öffentlichkeit in Europa vor allem die Verdienste des 85-jährigen Kirchenoberhaupts. Aus Mexiko kommen dagegen unverhohlen kritische Töne. Unabhängige Experten werfen Benedikt vor, sexuellen Missbrauch durch Bischöfe und Priester nicht ausreichend geahndet und die Opfer weitgehend sich selbst überlassen zu haben.

Joseph Ratzinger, der sich am 28. Februar aus dem Papstamt zurückziehen wird, hinterlässt nach Ansicht des mexikanischen Religionssoziologen Bernardo Barranco "ein sehr schwieriges Erbe". Er kehre seinem Amt zu einem Zeitpunkt den Rücken, in dem sich die Kirche "mitten in einer ernsten Krise" befinde, betont Barranco. Der Umgang mit dem Thema habe deutlich gezeigt, dass es in der Kurie zu Spannungen darüber gekommen sei, wie mit Fällen von sexuellem Missbrauch umzugehen sei und inwiefern sie vertuscht werden sollten.

Mexiko mit seinen fast 117 Millionen Menschen gehört zu den Ländern mit dem höchsten Anteil sexueller Missbrauchsfälle, die von katholischen Geistlichen begangen worden sind. In der Regel kamen die Verantwortlichen ohne Strafe davon.

Ratzinger rückte nach dem Tod seines Vorgängers Papst Johannes Paul II. am 19. April 2005 an die Spitze des Vatikans auf. Im März kommen 118 Kardinäle zu einem Konklave zusammen, um einen Nachfolger zu wählen.

Nachdem der Deutsche 1981 Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre geworden war, wurde er immer wieder mit Fällen von Pädophilie konfrontiert. In solche Handlungen war auch der mexikanische Priester Marcial Maciel verwickelt, der 1941 die römisch-katholische Kongregation Legionäre Christi gegründet hatte. Der Generalobere der Kongregation unterhielt intime Beziehungen zu zwei Frauen, mit denen er zwischen 1941 und 1970 mindestens sechs Kinder zeugte. Zeugenaussagen zufolge missbrauchte er zudem viele Seminaristen.


Milde gegen pädophilen Ordensgründer

2006, zwei Jahre vor seinem Tod, musste Maciel nach einer Untersuchung durch den Vatikan zwar sein Amt als Generaloberer der Legionäre Christi aufgeben und Buße tun. Beobachter werfen Benedikt XIV. jedoch vor, von strengen Maßnahmen gegen ihn und die übrigen Mitglieder der Legionäre Christi abgesehen zu haben. Gleichwohl bezeichnete der Vatikan Maciels Verstöße als "schwerwiegend und objektiv unmoralisch". Nach einer umfassenden Untersuchung, deren Ergebnisse zwei Jahre nach Maciels Tod verbreitet wurden, warf ihm die Kirche vor, "skrupellos" gelebt zu haben.

Eine Lawine ähnlicher Vorwürfe entlud sich 2002 gegen Priester in den USA, bevor sie auch europäische Länder wie Deutschland, Irland und Belgien erreichte. Auch in Lateinamerika, vor allem in Mexiko und Chile, wurden Kirchenvertreter beschuldigt, sich an Zöglingen vergriffen zu haben.

Ratzinger habe es nicht nur versäumt, entschlossene Maßnahmen durchzuführen, um die Risiken für weitere Übergriffe zu beseitigen, kritisierte der ehemalige mexikanische Priester Alberto Athié. "Noch dazu ordnete er Schutzmechanismen bei Fällen an, von denen er in seiner Zeit als Leiter der vatikanischen Glaubenskongregation erfahren hatte. Obwohl er später als Papst die Möglichkeit zum Handeln hatte, tat er dies nicht." Nach Ansicht von Athié hatte Ratzinger entweder niemanden informiert und somit wichtige Fakten geheim gehalten. Oder er habe dem damaligen Papst Mitteilung erstattet, ohne dass dieser darauf reagiert habe.

Zwar ordnete Benedikt XVI. eine Neustrukturierung der in 22 Ländern vertretenden Legionäre Christi an und ließ die Führer austauschen, die Maciel nahe gestanden hatten. Maßnahmen zur Entschädigung der Opfer hat er jedoch nicht entworfen. Gegen Maciels Kongregation sind in den USA mehrere Klagen anhängig. Die Legionäre Christi werden dabei der Mitwisserschaft bezichtigt.

Athié ist einer der Autoren des 2012 erschienenen Buches 'La voluntad de no saber' (Der Wille, nicht zu wissen), das Dokumente vorstellt, in denen die Straftaten von Maciel aufgeführt sind und die Untätigkeit des Vatikans offenkundig wird.

Gemeinsam mit anderen Experten will Athié die geplante Heiligsprechung von Johannes Paul II. anfechten, indem er auf dessen Verhältnis zu Maciel hinweist. Der Gründer der Legionäre Christi stand in einem besonders engen Verhältnis zu dem polnischen Kirchenoberhaupt. Maciel war somit innerhalb der hierarchischen Struktur der Katholischen Kirche nahezu unantastbar.


Katholizismus in Mexiko in tiefer Krise

Fast 84 Millionen Mexikaner bekennen sich zum katholischen Glauben, weitere 10,9 Prozent zum Protestantismus und zu anderen Glaubensrichtungen, wie die Volkszählung 2010 belegt. Tatsächlich befindet sich der Katholizismus in Mexiko aber in einer tiefen Krise, ebenso wie in Zentralamerika und in Brasilien, wo die meisten Gläubigen des gesamten Kontinents leben. Benedikt XVI. besuchte Mexiko im vergangen Jahr, ohne die Missbrauchsfälle anzusprechen. Er war außerdem nicht bereit, sich mit Missbrauchsopfern zu treffen.

Nach Erkenntnissen der unabhängigen Abteilung für Untersuchungen von Missbrauch innerhalb der Kirche haben sich etwa 30 Prozent der 14.000 amtierenden Priester in Mexiko sexuelle Übergriffe auf Schutzbefohlene zuschulden kommen lassen.

Das Netzwerk der Überlebenden von Missbrauch durch Priester (SNAP) forderte Benedikt XVI. auf, seine verbleibende Zeit im Amt dazu zu nutzen, Kinder vor solchen Übergriffen zu schützen. "Auf die Taten kommt es an, nicht auf die Worte", erklärte SNAP. "Und Benedikt hat leider sehr wenig getan, um die Raubtiere bloßzustellen, diejenigen zu bestrafen, die solche Übergriffe möglich machten, und die Kinder zu schützen."

Die mexikanische Bischofskonferenz (CEM) verteidigte dagegen den Papst gegen die Vorwürfe. "Er ist ein offener, ehrlicher und transparenter Mensch gewesen, der starke Entscheidungen getroffen hat. Denken wir nur an die gravierendsten Fälle, mit denen die Kirche konfrontiert war, wie Missbrauch an Minderjährigen. Ihm hat nicht die Hand gezittert, sondern er hat entschlossen gehandelt, mit null Toleranz", erklärte CEM-Generalsekretär Monsignore Eugenio Lira. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.lavoluntaddenosaber.com/
http://www.snapnetwork.org/
http://www.cem.org.mx/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=102346

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 13. Februar 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2013