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STANDPUNKT/344: Entwicklungsverträgliche Klimapolitik (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 11/2009

Entwicklungsverträgliche Klimapolitik
Maßstäbe einer gerechten Globalisierung

Von Johannes Wallacher


Zentrale Entwicklungsprobleme wie Ernährungssicherheit, Gesundheits-, Wasser- und Energieversorgung oder Migration sind eng mit dem Klimawandel verknüpft. Klimaschutz und eine armenorientierte Entwicklungspolitik dürfen daher nicht gegeneinander ausgespielt werden. Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer integrierten Klima- und Entwicklungspolitik ist die bevorstehende UN-Konferenz in Kopenhagen für ein umfassendes Klimaschutzabkommen ab dem Jahr 2012.

Die Globalisierung ist, wie Benedikt XVI. in seiner im Juli veröffentlichten Enzyklika "Caritas in veritate" zusammenfasst, "ein vielschichtiges und polyvalentes Phänomen, das in der Verschiedenheit und in der Einheit all seiner Dimensionen - einschließlich der theologischen - erfasst werden muss" (42). Die damit verbundene Verdichtung und Beschleunigung weltweiter Verflechtungen ist nicht einfach eine Naturgewalt, der man hilflos ausgeliefert ist, sondern die Globalisierung "wird das sein, was die Menschen aus ihr machen". Daher ist allen Christen und Menschen guten Willens aufgetragen, den Prozess der Globalisierung im Dienst "des ganzen Menschen und aller Menschen" zu gestalten.


Dabei ergeben sich freilich ganz neue Herausforderungen, da die Globalisierung die weltweiten, oft ungleichen Verflechtungen und Abhängigkeiten noch erheblich vertieft. Krisenphänomene können sich, wie bei der Finanz- und Wirtschaftskrise zu beobachten, weltweit immer schneller ausbreiten. Auch führt dies zu einer höchst ungleichen Verteilung zwischen Verursachern und den existenziell von solchen Krisen Betroffenen. Besonders deutlich wird dies am Klimawandel, einem der dringlichsten globalen Probleme, das seit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise in der öffentlichen Aufmerksamkeit nur noch eine nachrangige Bedeutung zu spielen scheint.

Auch in "Caritas in veritate" wird der Klimawandel nur mit einem Nebensatz erwähnt und Überlegungen zur strukturpolitischen Bearbeitung dieses Problems sucht man vergebens, was angesichts der damit verbundenen neuen Herausforderungen gerade für die Armutsbekämpfung kaum nachvollziehbar ist (vgl. HK, August 2009, 388ff.). Möglicherweise steht dahinter die Vorstellung, dass Entwicklungspolitik grundsätzlich Vorrang habe, weil Klimaschutz jetzt zu teuer sei und bei entsprechender wirtschaftlicher Entwicklung zukünftige Generationen in der Lage sein würden, sich zu günstigeren Preisen an die veränderten Bedingungen anzupassen. Diese Position vertritt beispielsweise eine vom dänischen Publizisten Bjørn Lomborg initiierte Gruppe einflussreicher Ökonomen, die auf der Basis klassischer Kosten-Nutzen-Analysen eine Prioritätenliste der wichtigsten globalen Herausforderungen erarbeitet hat, auf der der Klimawandel abgeschlagen an letzter Stelle auftaucht.

Diese Sicht ist allerdings in mehrerlei Hinsicht fragwürdig, weil sie zum einen die negativen Folgen des Klimawandels systematisch unterschätzt und zum anderen vernachlässigt, dass zentrale Entwicklungsprobleme wie Ernährungssicherheit, Gesundheits-, Wasser- und Energieversorgung oder Migration schon heute eng mit dem Klimawandel verknüpft sind. Klimaschutz und eine armenorientierte Entwicklungspolitik dürfen daher nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern es braucht Strategien, die beide Ziele integrieren, das heißt möglichst gemeinsam verfolgen. Genau dieses Ziel verfolgt das Projekt "Klimawandel, Armut und Gerechtigkeit" (www.klima-und-gerechtigkeit.de), das das Institut für Gesellschaftspolitik an der Hochschule für Philosophie derzeit zusammen mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung im Auftrag des katholischen Hilfswerks Misereor und der Münchener Rück-Stiftung bearbeitet.


Ein wichtiger Meilenstein für eine integrierte Klima- und Entwicklungspolitik ist die bevorstehende 15. Vertragsstaatenkonferenz (COP-15) der 1992 in Rio verabschiedeten Klimarahmenkonvention (vgl. HK, November 2002, 550ff., und August 1992, 419ff.). Das Treffen findet vom 7. bis 18. Dezember in Kopenhagen statt. Die internationale Staatengemeinschaft steht hier vor der höchst ambitionierten Aufgabe, sich auf ein umfassendes Klimaschutzabkommen für die Zeit nach 2012 ("Post-Kyoto-Protokoll") zu verständigen. Die klimapolitischen Weichenstellungen, die dort zu treffen sind, werden zugleich weit reichende Folgen für die Entwicklungschancen armer Länder und Menschen haben. Schon einmal, 1995 beim Weltgipfel für soziale Entwicklung, war Kopenhagen Gastgeber einer wichtigen Konferenz der Vereinten Nationen. Was wie ein Zufall klingt, kann einmal mehr die engen Zusammenhänge zwischen Klimawandel, Entwicklung und weltweiter Armut verdeutlichen.


Eine entwicklungsverträgliche globale Klimapolitik konzipieren

Die Herausforderung wird darin bestehen, eine entwicklungsverträgliche globale Klimapolitik zu konzipieren und umzusetzen, die es den Entwicklungs- und Schwellenländern erlaubt, sich aktiv am Klimaschutz zu beteiligen, ohne ihre Chancen einer armenorientierten und breitenwirksamen Entwicklung zu schmälern. Nur dann besteht Aussicht auf wirkliche Fortschritte im Kampf gegen den Klimawandel und seine Folgen. Dazu müssen auch die mit dem Klimawandel verbundenen Fragen der Gerechtigkeit ausreichend berücksichtigt werden. Denn die Folgen des Klimawandels sind weltweit höchst ungleich verteilt und sie werden die Menschheit weit in die Zukunft hinein belasten.


Wenn man bei der ethischen Reflexion der Problematik wie "Caritas in veritate" von dem grundlegenden Maßstab ausgeht, dass alle Menschen einen begründeten Anspruch auf ausreichend Optionen haben, menschenwürdig zu leben, und zwar unabhängig davon wo und wann, so lassen sich daraus zunächst drei Anforderungen an eine integrierte Klima- und Entwicklungspolitik herleiten.

Ein ungebremster Klimawandel würde die Lebenschancen vieler zukünftiger Menschen existenziell gefährden, weil diese dann nicht mehr in der Lage wären, ihre grundlegenden Bedürfnisse zu befriedigen. Deshalb steht die Weltgemeinschaft heute als erstes in der Pflicht, gegenzusteuern und die globalen Treibhausgas-Emissionen erheblich zu reduzieren, damit zukünftige Klimaschäden überhaupt noch bewältigt werden können.

Selbst bei ehrgeizigsten Klimaschutzzielen werden aufgrund heutiger und früherer Treibhausgasemissionen jedoch negative Klimafolgen auftreten, die schon jetzt als Trend zu beobachten sind und besonders die Armen treffen. Sie leben in großer Zahl in geographisch besonders sensiblen Trockengebieten oder Küstenregionen, die von Dürren beziehungsweise dem steigenden Meeresspiegel, Überschwemmungen oder Wirbelstürmen bedroht sind. Solche Extremwetterereignisse sind in den letzten Jahren immer häufiger und intensiver geworden. Die damit verbundenen Schäden nehmen auch deshalb ständig zu, weil die besonders anfälligen Regionen aufgrund des Bevölkerungswachstums immer dichter besiedelt sind.

Genauso gefährlich sind die schleichenden Klimaveränderungen, die die Fähigkeit der Armen vermindern, ihre Lage aus eigener Kraft zu verbessern. In Trockengebieten, wo die Bevölkerung bereits jetzt unter Wasserknappheit leidet, werden deutlich abnehmende Niederschlagsmengen vorhergesagt. Wassermangel und die Erhöhung der Durchschnittstemperaturen dürften in vielen armen Regionen auch erhebliche negative Folgen für die Ernährungssicherheit haben. Für tropische und subtropische Regionen - also dort, wo bereits jetzt die größte Gefahr von Hunger herrscht - ist ersten Ergebnissen des Projekts "Klimawandel, Armut und Gerechtigkeit" zufolge bis 2050 mit teilweise deutlichen Ertragsverlusten zu rechnen. Hinzu kommt, dass besonders verwundbare Menschen, Länder und Regionen kaum Möglichkeiten haben, sich an die schon jetzt unvermeidbaren Klimafolgen anzupassen. Daher sind sie bei der notwendigen Anpassung auf Unterstützung angewiesen.


Im Hinblick auf die angestrebte integrierte Klima- und Entwicklungspolitik sind die beiden Forderungen von globalen Emissionsminderungen und gemeinsamen Anpassungsbemühungen allein noch nicht ausreichend. Eine nachhaltige, entwicklungsgerechte Lösung des Klimaproblems macht es erforderlich, über Emissionsminderung und Anpassungsunterstützung hinaus zu gehen, da diese allein lediglich den Status-Quo extremer Armut fortschreiben würden. Dies würde nicht nur einer gerechten Globalisierung widersprechen, sondern auch verhindern, dass sich die Armen aktiv am Klimaschutz beteiligen können. Daher braucht es zusätzlich zu den beiden Strategien der Klimapolitik entschiedene entwicklungspolitische Maßnahmen, welche die Armen in ihren Bemühungen um eine eigenständige Entwicklung unterstützen und existierende strukturelle globale Ungerechtigkeiten abbauen.


Das Handlungsvermögen der ärmeren Länder und Regionen stärken

Wie lassen sich nun aber die drei Forderungen der Emissionsminderung, der Anpassung und einer auf Armutsbekämpfung fokussierten Entwicklungspolitik gemeinsam verwirklichen? Dazu ist es zuallererst notwendig, mögliche Synergien zwischen Klima- und Entwicklungspolitik aufzuzeigen und zu nutzen. Eine zukunftsorientierte Bekämpfung der Armut, die zugleich dazu beiträgt, die Folgen des Klimawandels besser bewältigen zu können, muss an erster Stelle das Handlungsvermögen der ärmeren Länder und Regionen und besonders der Armen vor Ort durch verbesserten Zugang zu Bildung und Gesundheit oder mehr demokratische Teilhabe- und Mitbestimmungsrechte stärken. Dies ist überdies eine effektive Doppelstrategie im Hinblick auf Emissionsminderung und Anpassung. Sie ist einerseits die Voraussetzung, um Menschen für ein klimagerechtes Verhalten zu gewinnen, andererseits der beste Weg für eine wirksame Armutsbekämpfung, was wiederum die Fähigkeit erhöht, die nicht vermeidbaren Folgen des Klimawandel zu bewältigen. Zudem ist weniger Armut der wohl wichtigste Faktor, um das Bevölkerungswachstum zu senken, was auch klimarelevant ist.


Ein Global Deal für eine entwicklungsverträgliche Klimapolitik

Auch wenn Klimaschutz und Armutsbekämpfung in vielerlei Hinsicht komplementäre Ziele sind, sind sie nicht immer leicht vereinbar, da die Schwerpunkte und Zeithorizonte von Klima- und Entwicklungspolitik unterschiedlich sind. Konkurrierende Ansprüche entstehen zum Beispiel, wenn Emissionsminderungsziele den Spielraum für wirtschaftliche Entwicklung der heutigen Armen einschränken, was auf die zentrale Bedeutung der Energieversorgung in diesem Zusammenhang verweist. Wie die Ansprüche von Klima- und Entwicklungspolitik im Fall solcher Spannungsfelder im Detail auszutarieren sind, ist unter Einbeziehung möglichst genauer Erkenntnisse über die Gefährdungen des Klimawandels, die Möglichkeiten des Klimaschutzes und der Anpassung konkret im politischen Prozess auszuhandeln.


Für eine entwicklungsverträgliche Klimapolitik lassen sich zumindest zwei wichtige ethische Leitplanken formulieren, an denen auch die Verhandlungen in Kopenhagen zu messen sind: Der Klimawandel darf erstens kein Vorwand sein, die notwendigen entwicklungspolitischen Beiträge der einzelnen Länder und der Staatengemeinschaft zu reduzieren. Klimaschutz darf nicht auf Kosten von Entwicklung betrieben werden, etwa indem für die Armutsbekämpfung bestimmte Mittel einfach umgewidmet werden. Aus dem Klimawandel erwächst vielmehr die Notwendigkeit, auf solche Entwicklungsstrategien zu setzen, welche Armutsbekämpfung, Anpassung und Klimaschutz möglichst gleichzeitig verfolgen.

Auch verbietet es sich, ärmeren Ländern sofortige und radikale Pflichten zur Emissionsminderung aufzubürden. Das würde ihr Recht auf Entwicklung beschneiden. Allerdings muss der Klimawandel auf ein Ausmaß beschränkt werden, das eine Anpassung an die Schäden überhaupt noch zulässt. Das inzwischen auch vom diesjährigen G-8-Treffen in L'Aquila verkündete Klimaziel, den Anstieg der globalen Mitteltemperatur im Vergleich zum vorindustriellen Niveau auf 2°C zu begrenzen, scheint dafür ein plausibler Kompromiss zu sein. Viele Klimaforscher halten diese Marke zwar inzwischen für unzureichend, auf der anderen Seite dürften noch ehrgeizigere Ziele politisch kaum zu realisieren sein.


Die Umsetzung dieser Leitplanken wird schwerlich durch eine einzelne politische Maßnahme zu erreichen sein. Vielmehr braucht es eine kluge Kombination wechselseitig verknüpfter Strategien in einem Global Deal für eine entwicklungsverträgliche Klimapolitik, der auf insgesamt fünf Säulen beruht:

Eine erste Säule ist das viel diskutierte globale Handelssystem mit CO2-Emissionsrechten, da damit die notwendige globale Emissionsreduzierung effizient und zugleich zielgenau durchgeführt werden kann. Die noch erlaubten globalen Emissionen können entsprechend dem 2°C-Ziel begrenzt und weltweit gerecht verteilt werden. Länder mit hohen Vermeidungskosten können dann Emissionsrechte von den Ländern erwerben, die ihre Emissionen zu geringeren Kosten senken können. Den Industrieländern würde dadurch der Übergang hin zu einer emissionsarmen Wirtschaft erleichtert. Zugleich könnten die armen Länder erhebliche finanzielle Mittel erhalten, die die heutige Entwicklungshilfe um ein Vielfaches übersteigen würden. Dieses System wird jedoch nur dann wirksam sein, wenn es weltweit gilt und wenn es gelingt, globale Institutionen mit transparenten und demokratischen Entscheidungsstrukturen zu etablieren, an denen die armen Menschen und Länder angemessen beteiligt werden. Gerechte Verfahren sind daher eine Grundvoraussetzung.


Zweitens sind deutlich höhere öffentliche Investitionen in die Forschung und Entwicklung von emissionsarmen Energietechnologien sowie der Transfer solcher Technologien in die Entwicklungsländer notwendig. Nur dann können alle Länder ihre Energie- und Kohlenstoffintensität möglichst schnell absenken und ihren rasch wachsenden Energiebedarf in einer Weise decken, der mit den Klimaschutzzielen vereinbar ist.

Die notwendigen Reduktionsziele werden drittens nur dann zu erreichen sein, wenn auch die rapide fortschreitende Abholzung der Wälder, insbesondere der tropischen, gestoppt wird, da dies etwa ein Fünftel der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verursacht. Die Abholzung gefährdet zudem die biologische Vielfalt und den Lebens- und Wirtschaftsraum vieler armer Menschen. Insofern ist der langfristige Erhalt der Wälder gleichzeitig eine wichtige Grundlage für globale Emissionsminderungen wie für eine nachhaltige Entwicklung im Interesse der Armen.

Die Anpassung an die unvermeidbaren Folgen des Klimawandels als vierte Säule entwicklungsverträglicher Klimapolitik muss je nach Problemlage lokal und regional erfolgen. Gleichwohl ist auch hier eine globale Zusammenarbeit notwendig, weil die armen Menschen, Länder und Regionen Unterstützung benötigen. Hier stehen die wohlhabenderen Länder mit ihren finanziellen und technologischen Möglichkeiten in der Pflicht, auch weil sie aufgrund der viel höheren Treibhausgasemissionen in der Vergangenheit eine besondere historische Verantwortung tragen. Denkbar wäre eine deutliche Aufstockung des globalen Anpassungsfonds, wobei sicherzustellen ist, dass die zusätzlichen Mittel in den armen Ländern auch wirklich den Armen zugute kommen und entwicklungsfördernd eingesetzt werden.

Dies verweist darauf, dass all diese Maßnahmen eng mit der Entwicklungspolitik als fünfter Säule verknüpft werden müssen. Armut und Unterentwicklung zu überwinden, liegt zuerst in der Verantwortung der jeweiligen Staaten und ihrer Regierungen. Sie müssen geeignete politische, ökonomische und soziale Rahmenbedingungen dafür schaffen. Wegen der fortschreitenden globalen Interdependenzen ist die Wirkung nationaler Entwicklungsbemühungen jedoch begrenzt. Insofern muss eine internationale Entwicklungspolitik die globalen Strukturen so gestalten, dass sich die armen Länder durch eigene politische Reformen selbstständig entwickeln können. Da die wohlhabenden Staaten über die entsprechende wirtschaftliche und politische Macht verfügen, müssen vor allem sie sich aktiv für entwicklungsförderliche globale Strukturen einsetzen. Von zentraler Bedeutung ist dabei, die Klima- und Entwicklungspolitik besser mit anderen Ressorts abzustimmen, allen voran der Handels- und Agrarpolitik.


Ein begrenztes Zeitfenster für entschiedenes Handelnl

Angesichts der widerstreitenden Interessen, die sich in den Vorbereitungen der Konferenz von Kopenhagen gezeigt haben, ist es höchst unsicher, ob man sich bereits im Dezember auf die Grundzüge einer entwicklungsverträglichen Klimapolitik mit konkreten Maßnahmen zur Realisierung des 2°C-Ziels einigen kann. Der Handlungsbedarf, die Weichen für einen Global Deal zu stellen, ist jedoch enorm, da fast alle neueren Studien zum Klimawandel zu dem Ergebnis kommen, dass dieser noch weit schneller verläuft und schwerwiegendere Folgen zu erwarten sind als bisher angenommen. Um einen gefährlichen Klimawandel noch vermeiden zu können, braucht es viel ehrgeizigere Reduktionsziele, die nur dann realisierbar sind, wenn weltweit die Energiesysteme schnell und radikal umgebaut werden.


Das Zeitfenster für den Einstieg in eine kohlenstoffarme Wirtschaftsweise und Zivilisation wird jedoch nur noch zehn bis 15 Jahre offen sein, zumindest wenn das notwendige Umsteuern zu moderaten Kosten gelingen soll. Denn in dieser Zeit werden aufgrund des rasch wachsenden Energiebedarfs vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern immens hohe Investitionen in den Ausbau neuer Kraftwerke oder die Infrastruktur der rasch wachsenden Metropolen getätigt werden. Wenn diese in fossile Kraftwerke und wenig effiziente Anlagen fließen, werden Abhängigkeiten geschaffen, die auf Jahrzehnte kaum umkehrbar sein dürften.

Insofern ist ein zügiger Umbau hin zu energiesparenden und kohlenstoffarmen Technologien nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit, sondern auch der ökonomischen Vernunft. Wenn es in Kopenhagen zumindest gelingt, verbindliche Zwischenziele zu formulieren, in denen sich die Staatengemeinschaft beispielsweise verpflichtet, den Anstieg weltweiter Treibhausgasemissionen ab 2020 zu stoppen und von da an die Emissionen bis 2050 schrittweise zu reduzieren, wäre dies ein positives Signal. Dies würde Planungssicherheit schaffen, die aus ökonomischer Sicht für den notwendigen Umbau dringend erforderlich ist.

Die weltweite Rezession hat der Weltgemeinschaft übrigens ein kleines zusätzliches Zeitfenster von ein bis zwei Jahren verschafft, weil seit Ausbruch der Finanzkrise weltweit viele Investitionen gestoppt oder verschoben wurden. Dies ist ein weiteres Argument für entschlossenes Handeln in Kopenhagen, weil die Investoren bei verbindlichen Reduktionszielen zusätzliche Anreize hätten, schon die anziehende Weltkonjunktur für eine Umsteuerung zu nutzen.


Klimaschutz und Armutsbekämpfung werden zusammen gelingen oder scheitern

Ein gewaltiges Hindernis dafür sind jedoch die nicht wenigen einflussreichen Akteure, die eine Abkehr von der fossilen Wirtschafts- und Energiepolitik zu verhindern suchen, weil sie kurz- und mittelfristige Einbußen befürchten. Diese Beharrungsblockaden gilt es von zwei sich wechselseitig unterstützenden Seiten aus aufzubrechen. Durch politische Führungskraft "von oben", welche eine neue Ära internationaler Kooperation einleitet, indem sie sich auf Grundzüge eines Global Deals für eine entwicklungsverträgliche Klimapolitik verständigt, die notwendigen institutionellen Voraussetzungen dafür schafft und die damit verbundenen Lasten in fairer Weise verteilt.

Zugleich gilt es "von unten" eine breite Allianz gesellschaftlicher Kräfte zu mobilisieren, angefangen von den Kirchen und Nichtregierungsorganisationen über Wissenschaftler bis hin zu innovativen Unternehme(r)n, die gewohnheitsmäßige Einstellungen in Frage stellen und durch Veränderungen des Bewusstseins und persönlichen Verhaltens sowie zivilgesellschaftliches Engagement ihre Bereitschaft signalisieren, die notwendigen Reformen politischer Rahmenbedingungen und gesellschaftlicher Leitbilder zu unterstützen.


Nur dann besteht eine reelle Chance, einen solchen Global Deal wirklich umzusetzen. Das zeigt noch einmal, dass es dabei nicht einfach um einen Kuhhandel geht, bei dem man sich international auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt. Angesichts der anstehenden Herausforderungen braucht es eine neue Qualität der weltweiten Partnerschaft, bei der man auf allen Seiten ernsthaft bereit ist, wechselseitige Verpflichtungen einzugehen und einzuhalten. Denn eines ist ganz deutlich: Klimaschutz und Armutsbekämpfung als zwei zentrale Herausforderungen der Globalisierung werden zusammen gelingen oder scheitern. Insofern ist eine entwicklungsverträgliche Klimapolitik ein entscheidender Lackmustest für eine gerechte Globalisierung.


Johannes Wallacher (geb. 1966) ist Professor für Sozialwissenschaften und Wirtschaftsethik an der Hochschule der Jesuiten für Philosophie in München und einer der Leiter des Projekts "Klimawandel, Armut und Gerechtigkeit" (www.klima-und-gerechtigkeit.de). Erste Projektergebnisse sind in dem von ihm und Karoline Scharpenseel herausgegebenen Buch veröffentlicht: "Klimawandel und globale Armut", Stuttgart 2009.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
63. Jahrgang, Heft 11, November 2009, S. 574-579
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2010