Schattenblick →INFOPOOL →RELIGION → CHRISTENTUM

STANDPUNKT/347: Kohelets Suche nach dem Glück (Bibel heute)


Presseinformation zu "Bibel heute"
Zeitschrift des Katholischen Bibelwerks e.V. Stuttgart - Heft 1/2010

Kohelets Suche nach dem Glück
"Welchen Gewinn hat der Mensch von seiner ganzen Mühe und Arbeit?"

Von Dieter Bauer


Der Autor des Buches Kohelet ist ein gründlicher Beobachter. Und er stellt die entscheidenden Fragen, denen sich jeder Mensch im Lauf seines Lebens zu stellen hat. Er spielt mehrere Lebens- und Glücksmodelle durch, um dahinterzukommen, worum es im Leben wirklich geht. Dabei ist er einerseits Kind seiner Zeit, andererseits aber auch sehr modern.


Das biblische Buch Kohelet ist in einer ganz ähnlichen Zeit wie der unseren entstanden. In Judäa hatte ein rasanter Umbruch stattgefunden. Die Eroberungen Alexanders des Großen hatten zu einer Art "Globalisierung" geführt. Griechische Kultur, Architektur und Philosophie hatten auch in Jerusalem Einzug gehalten. Und während die einen dieses "Neue" begrüßten, waren andere skeptisch. Zu ihnen gehört auch der Autor des Buches Kohelet: Nichtig und flüchtig, sprach Kohelet, nichtig und flüchtig, alles ist nichtig. Was einmal geschah, wird wieder geschehen. Welchen Gewinn hat der Mensch von seiner ganzen Mühe und Arbeit unter der Sonne? (Koh 1,2-9)

Kohelet ist skeptisch, ob dieses unbestritten "Neue", das die Griechen nach Jerusalem gebracht haben, wirklich so "neu" ist. Die Geschichte und das Vergessen werden seiner Meinung nach auch darüber hinweggehen: Wohl sagt man: Sieh dies an! Es ist neu! Es war längst schon einmal da, in den Zeiten, die vor uns waren. (Koh 1,10)

Es ist schon frappierend, wie sehr Kohelet recht behalten hat: Wir meinen heute, dass die Moderne, dass der Zusammenbruch der bürgerlichen Konventionen und die Verunsicherung durch neue Sinnsysteme in einer globalisierten Welt etwas "Neues" seien. Dabei hat es das alles schon einmal gegeben. Bereits Kohelet musste sich damit auseinandersetzen. Auch er war ein Sinnsucher in einer verunsichernden Welt.


Auf der Suche nach dem "Glück"

Was aber braucht es, um in einer solchen Welt glücklich zu sein? Ein naheliegender Gedanke, den wir alle kennen, ist der, dass uns eben etwas fehlt zum Glück: Wenn ich das (noch) hätte... Wenn ich das (noch) könnte...

Kohelet spielt diesen Gedanken konsequent durch: Wer auf dieser Welt wirklich alles hat und alles durchsetzen kann, was er will, der müsste doch dann glücklich sein. Zur Zeit Kohelets waren das die Könige. In großer Pracht residierte z. B. der König Ptolemaios II. Philadelphos im ägyptischen Alexandrien, wo ihm nicht nur alle Macht und alle erdenklichen Reichtümer zur Verfügung standen, sondern auch die größte und modernste Bibliothek mit dem gesammelten Wissen der damaligen Welt. Kohelet versetzt sich in die Rolle eines solchen Königs:

Tätigsein

Ich, Kohelet, wurde König über Israel in Jerusalem. Und aus dieser "königlichen Warte" möchte Kohelet nun alles erforschen und erkunden, was unter dem Himmel getan wird. Doch er merkt bald: Das ist eine leidige Mühe. Gott hat es den Menschen überlassen, sich damit abzumühen. (1,12f)

Das klingt nun - für ein biblisches Buch! - doch sehr überraschend. Kohelet fühlt sich in seiner Mühe von Gott alleingelassen. Dafür, dass im Buch Kohelet Gott hier zum ersten Mal auftaucht, ist der theologische Ertrag doch sehr ernüchternd: Der Mensch denkt - und Gott kümmert sich nicht weiter darum! Von ihm ist da also schon einmal keine Hilfe zu erwarten. Kohelet ist auf sich allein gestellt:

Ich betrachtete alle Werke, die unter der Sonne vollbracht wurden, und siehe, alles war nichtig und ein Greifen nach Wind. Was krumm ist, kann nicht gerade werden, und was fehlt, kann man nicht zählen. (1,14f)

Warum kommt er zu diesem negativen Ergebnis? Als König hat er den Anspruch, wirklich alles tun zu können. Er erlebt aber, dass nicht alles machbar ist: Der Mensch ist an gewisse Voraussetzungen gebunden, die auch die Allmachtsphantasien eines Königs einschränken müssen. Er vermag vielleicht vieles zu krümmen oder auch geradezubiegen, aber eben nicht alles! Das muss ihn frustrieren.

Weisheit

Er unternimmt einen zweiten Versuch, glücklich zu werden:

Ich dachte mir: Sieh, ich bin größer und weiser als jeder, der vor mir über Jerusalem geherrscht hat, und mein Herz hat viel Weisheit und Erkenntnis gesehen. So nahm ich mir vor zu erkennen, was Weisheit ist, und zu erkennen, was Verblendung ist und Torheit. (Koh 1,16f)

Die dahinterstehende Theorie ist die, dass genaues Überlegen und Forschen, dass das Streben nach Weisheit in besonderem Maße zu einem gelungenen Leben führen könne. So jedenfalls ist dies bei anderen Weisheitslehrern zu hören und nachzulesen (z. B. Spr 3,13-16).

Kohelets Erfahrung aber ist eine andere, und das Ergebnis seiner Forschungen ist frustrierend: Ich erkannte, dass auch dies ein Greifen nach Wind war. Denn mit viel Weisheit kommt viel Verdruss, und wer mehr erkennt, hat mehr zu leiden. (Koh 1,17f) Obwohl ihm also tatsächlich die Weisheit der ganzen Welt zur Verfügung steht, macht ihn das nicht glücklich. Was nun?

Genießen

Weder sein Tun und Machen, noch sein Streben nach Glück auf dem Wege der Weisheit haben ihm Glück beschert. Kohelet beschließt, sein Ziel nun direkter anzusteuern: Ich dachte mir: Versuch es doch mit der Freude und genieße etwas Gutes! Doch auch der Genuss des Lebens für sich alleine erweist sich als frustrierend: Und siehe, auch dies war nichtig. Vom Lachen sagte ich: töricht! Und von der Freude: Was kann sie bewirken? (2,1f)

Irgendwie scheint Kohelet eine sehr genaue Vorstellung davon zu haben, was zu einem wirklich gelungenen Leben dazugehören müsste: Tätigsein, Weisheit und Genuss. Jeweils allein für sich genommen, so haben seine Experimente gezeigt, vermögen sie nicht glücklich zu machen. Aber vielleicht alle miteinander in Kombination?


Tun und lassen, was man will

Sein "kombinierter Glücksversuch", den Kohelet nun unternimmt, muss allerdings Kompromisse eingehen: Wirkliches Genießenwollen und Weisheit lassen sich eben nur auf Kosten von ein wenig Torheit vereinbaren: Ich dachte mir aus, meinen Leib im Wein zu baden, doch sollte mein Verstand in Weisheit die Führung behalten. Und nach der Torheit wollte ich greifen, bis ich sehen würde, was gut ist für die Menschen, was sie tun sollten unter dem Himmel, solange sie leben. (2,3)

Man kann sich natürlich schon fragen, wie die Weisheit die Führung behalten soll, wenn der Leib im Wein badet, aber wir wollen nicht kleinlich sein. Jedenfalls vollbringt "König Kohelet" nun große Dinge: Ich vollbrachte große Werke: Ich baute mir Häuser, ich pflanzte mir Weinberge. Ich legte mir Gärten an und Haine und pflanzte darin Fruchtbäume jeglicher Art. Ich machte mir Wasserteiche, um aus ihnen den Wald zu tränken, voller sprießender Bäume. Ich kaufte Sklaven und Sklavinnen und besaß auch im Haus geborene. Auch Herden, Rinder und Schafe hatte ich mehr als alle, die vor mir in Jerusalem waren. Auch häufte ich mir Silber an und Gold und den Besitz von Königen und Ländern. Ich verschaffte mir Sänger und Sängerinnen und die Lust der Männer: Frauen und nochmals Frauen. So wurde ich größer und reicher als jeder, der vor mir in Jerusalem war. Auch blieb mir meine Weisheit erhalten. Und was immer meine Augen begehrten, verwehrte ich ihnen nicht. Keine Freude versagte ich meinem Herzen. Mein Herz freute sich nach all meiner Mühe, und das war mein Teil nach all meiner Mühe. (2,4-10)

Man könnte meinen: Nun hat er es endlich geschafft! Was will man mehr? Man kann sich zwar fragen, welche "Mühen" es einen König kostet, all das anzuhäufen - sicher müssen sich da andere mühen -, aber immerhin: Er kann sich freuen. Doch Kohelet ist frustriert:

Doch als ich alle meine Werke ansah, die meine Hände vollbracht hatten, und alles, was ich mit Mühe und Arbeit geschaffen hatte, siehe, da war alles nichtig und ein Greifen nach Wind, und es gab keinen Gewinn unter der Sonne. Was hat der Mensch von all seinem Mühen? (2,11)


Was ist eigentlich Kohelets Problem?

Kohelet hat offensichtlich ein Kriterium verinnerlicht, das für ihn zum Glücklichsein hinzugehört: den Gewinn. Dass alles, was er unternommen hatte, keinen "Gewinn" brachte, ist für ihn frustrierend. Was bringt es? Was springt dabei heraus? Was bleibt (am Ende) übrig? Unter dieser Fragestellung bleibt für Kohelet alles nichtig! Kohelet bestreitet nicht, dass der Mensch etwas von seinen Mühen "habe" oder dass es Freude gibt, im Gegenteil: Dass der Mensch sich freuen kann an seinen Werken, ist sein (An)Teil nach all seiner Mühe (2,10). Was Kohelet bestreitet, ist, dass ein "Gewinn" übrig bleibt.

Bei seinem Tätigsein hat ihn frustriert, dass nicht alles machbar war. Beim Streben nach Weisheit hat ihn frustriert, dass weise Menschen nicht automatisch schon glückliche Menschen sind. Und beim Genießen hat ihn frustriert, dass es letztlich nichts bewirkt (2,2): Es kommt nichts heraus dabei.

Woran das unter anderem liegt, zeigt er in seinem Nachdenken über den Tod, das sein Buch bis zum Ende immer wieder bestimmen wird: Und ich hasste alles, was ich mir mühevoll erarbeitet hatte unter der Sonne, denn dem Menschen, der nach mir kommt, muss ich es hinterlassen. Und wer weiß, ob es ein Weiser oder ein Tor sein wird? Und doch wird er über alles verfügen, wofür ich Mühe und Weisheit aufgewandt habe unter der Sonne. Auch das ist nichtig. So kam ich dazu, an allem zu verzweifeln, wofür ich mich abgemüht hatte unter der Sonne. Denn da müht sich nun einer ab mit Weisheit und Erkenntnis und mit Geschick, und dann muss er es einem Menschen als Erbteil überlassen, der sich nicht dafür abgemüht hat. Auch das ist nichtig und ein großes Übel. (2,18-21)

Die Tatsache, dass der Mensch von seinem Erarbeiteten nichts mitnehmen kann, also keinen "Gewinn" hat, treibt "König Kohelet" in die Verzweiflung. Und das umso mehr bei dem Gedanken, dass ein Nachfolgender womöglich das von ihm Erarbeitete verprasst. Das macht alle Mühe und Arbeit für Kohelet sinnlos: Was hat denn der Mensch von all seinem Mühen und Streben, davon dass er sich abmüht unter der Sonne? Sein Leben bringt ihm nur Leiden und seine Mühe Verdruss, und selbst bei Nacht kommt sein Herz nicht zur Ruhe. Auch das ist nichtig. (2,22f)

Die Schlussverse dieses Gedankenganges zeigen in aller Deutlichkeit das Problem von "König Kohelet": Er möchte selbst etwas zustande bringen und erfährt doch immer wieder, dass die eigentlich wichtigen Dinge im Leben aus Gottes Hand kommen: Nichts Gutes bringt der Mensch selbst zustande: Dass er essen und trinken und sich etwas Gutes gönnen kann bei seiner Mühe, auch das kommt, so sah ich, aus Gottes Hand. (2,24)

Was er als "Entlastung" erfahren könnte, vermag er aber in seinem "Machbarkeitswahn" nicht zu würdigen. Seinen Leserinnen und Lesern hält er damit das Bild eines Menschen vor Augen, der selber Gott sein möchte und der daran verzweifelt, dass er Gottes Pläne nicht durchschaut: Wer kann essen und wer muss sich sorgen, wenn nicht ich? Einem Menschen, der ihm gefällt, gibt er Weisheit und Einsicht und Freude. Den aber, dessen Leben verfehlt ist, lässt er sammeln und anhäufen, um es dann dem zu geben, der Gott gefällt. Auch das ist nichtig und ein Greifen nach Wind. (2,25f)


Das Scheitern des "Königs Kohelet"

Der Gedankengang der Glückssuche von "König Kohelet" ist hier zu Ende. Im Folgenden kann man sehen, dass Kohelet sehr wohl weiter gedacht hat als der "König", der in seiner Verzweiflung manchmal fast karikaturistische Züge trägt. Im folgenden Kapitel mit seinem Nachdenken über die rechte Zeit und Gelegenheit eröffnet der "Weise Kohelet" nämlich tatsächlich Perspektiven für ein glückliches Leben im Hier und Jetzt.


Dieter Bauer leitet die Bibelpastorale Arbeitsstelle des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks in Zürich. Gleichzeitig ist er als Mitglied der Redaktion "Bibel heute" verantwortlich für zwei Ausgaben im Jahr.




KOHELET

Das biblische Buch trägt die Überschrift: "Die Worte Kohelets, des Sohnes Davids, des Königs in Jerusalem." Da es historisch keinen König in Jerusalem namens Kohelet gegeben hat, wird gleich schon in der Überschrift klar, dass es sich um eine Fiktion handeln muss. Der Verfasser spielt mit der Nähe zu Salomo, dem Sohn Davids, was seinen Aussagen zum "König" und zum "Weisen" (beides war Salomo) eine gewisse Brisanz verleiht.

Wer genau Kohelet war, wissen wir nicht. Sein Name, wohl ein Spitzname, rührt vom hebräischen kahol ("versammeln"). Wen oder was er "versammelt" hat, Weisheiten oder Menschen, ist nicht eindeutig. Martin Luther dachte an einen "Versammler" von Zuhörern und übersetzte Kohelet mit "Prediger". Womöglich war es so, dass "Kohelet seine Lehre nach Art der griechischen Wanderphilosophen auf dem Marktplatz öffentlich (= dem 'Volk') angeboten hat, natürlich wie diese gegen angemessene Bezahlung. Das muss dann in Jerusalem etwas Neues gewesen sein und hat Aufsehen erregt. Es entstand ein Schülerkreis um ihn herum, und von ihm her bekam er den Namen. Mit diesem hat er dann, als er seine Lehre in einem Buch zusammenfasste, kokettiert."
(Norbert Lohfink)


*


"Bibel heute" vermittelt 4x im Jahr Informationen und Auslegungen zu biblischen Themen, - auch für Bibel-Einsteiger.
Die Zeitschrift ist für Blinde und Sehbehinderte auch als pdf-Datei erhältlich.
Bestellung: bibelinfo@bibelwerk.de, Tel. 0711/ 6 19 20 - 50


*


Quelle:
Presseinformation zu "Bibel heute" - 1. Quartal 2010, Nr. 181, Seite 7-10
Zeitschrift des Katholischen Bibelwerks e.V. Stuttgart
Silberburgstraße 121, 70176 Stuttgart
Tel.: 0711/619 20 50, Telefax: 0711/619 20 77
www.bibelwerk.de oder www.bibelheute.de

Erscheinungsweise: viermal jährlich.
Der Bezugspreis für 2008 beträgt:
Einzelheft: 6,00 Euro
4 Ausgaben im Jahr (Abo): 22,- Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2010