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STANDPUNKT/368: Theologenkommission - Monotheismus und Gewalt (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 3/2014

Theologenkommission: Monotheismus und Gewalt



Als neuestes Ergebnis ihrer Arbeit hat die Internationale Theologenkommission, die seit 1969 besteht und der Glaubenskongregation zugeordnet ist, einen Text über Monotheismus und Gewalt vorgelegt. Er verdient Interesse, weil er aktuelle Anfragen an Christentum und Kirche aufgreift.


Die Internationale Theologenkommission gehört in ihrer aktuellen Zusammensetzung für den Zeitraum von 2009 bis 2014 zu den Erbstücken, die Benedikt XVI. seinem Nachfolger hinterlassen hat. Zu ihrer ersten Plenartagung im Pontifikat von Papst Franziskus traf sich die vom Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal (damals noch Erzbischof) Gerhard Ludwig Müller, geleitete Kommission vom 2. bis zum 6. Dezember 2013. Auf der Tagesordnung standen dabei drei Themen: Der Stellenwert der kirchlichen Soziallehre im Ganzen der christlichen Lehre, das Problem des "sensus fidei" und die Frage des Monotheismus.

Zu Letzterem kann die Kommission jetzt ein Ergebnis vorweisen. Am Ende ihrer Tagung im vergangenen Dezember verabschiedete sie ein umfangreiches Dokument mit dem Titel: "Dreiniger Gott, Einheit der Menschen. Der christliche Monotheismus gegen die Gewalt" (der italienische Text ist in der römischen Jesuitenzeitschrift "La Civiltà Cattolica" erschienen; Nr. 3926 vom 18. Januar 2014, 157-212). Das Dokument wurde von einer Unterkommission unter Leitung von Philippe Vallin erarbeitet, der unter anderem der Bischof von Lausanne-Genf-Freiburg, der Dominikaner Charles Morerod, angehörte. Von den deutschen beziehungsweise deutschsprachigen Kommissionsmitgliedern (Barbara Hallensleben, Johannes Reiter, Thomas Söding) war niemand in der Unterkommission vertreten.


Einleitend skizziert der Text den aktuellen, philosophisch-politischen Kontext der Fragestellung: Es geht um den teilweise gegen den Monotheismus vorgebrachten Vorwurf, er begünstige die Gewalt. Im Umkreis der theoretischen und kritischen Kultur des abendländischen Rationalismus werde das Christentum vorzugsweise als "beispielhaft für die despotische Tendenz des religiösen Monotheismus" gedeutet (Nr. 11).


Im Gegenzug kritisiert die Theologenkommission die Neigung des heutigen Denkens zum "radikalen Relativismus als letztem und unübersteigbarem Horizont bei der Suche nach dem Wahren, Gerechten und Guten" (Nr. 4). Man verkenne unbegreiflicherweise grundlegende Wahrheiten des Christentums wie die originelle und unerhörte, in der Fleischwerdung des Gottessohnes verankerte Verbindung von Gottes- und Nächstenliebe; diese Verbindung sei in jeder Epoche das Erkennungszeichen des Christentums geblieben: "Die authentische Verkündigung Christi, ausgehend von den Berichten der Evangelien über sein Auftreten, ist ein grundlegender Schlüssel für die heutige Diskussion über den Monotheismus und seine Fehldeutungen" (Nr. 18).

Für das Dokument sind durchgängig zwei Gedanken leitend: Zum einen deutet es die heutige Position des Christentums beziehungsweise speziell der katholischen Kirche in der Gewaltfrage als Ergebnis eines Reinigungsprozesses, in dem der ursprüngliche christliche Impuls einer Überwindung der Gewalt durch die im Schicksal Jesu Christi erkennbar gewordene Liebe Gottes wieder freigelegt worden sei. Zum anderen besteht die Theologenkommission darauf, dass dieser christliche Grundimpuls dazu geeignet sei, Pathologien des gegenwärtigen Denkens in Bezug auf das Verständnis Gottes wie auch des Menschen zu heilen.


Im Blick auf die alttestamentlichen Passagen, in denen Gott als gewalttätig beschrieben wird und die von Christentumskritikern immer wieder ins Feld geführt werden, urteilt das Dokument: "Wir werden uns mit immer größerer Klarheit im Licht des Christusereignisses und durch die Erleuchtung, die der Heilige Geist der Kirche ständig zu Teil werden lässt, des Unterschiedes bewusst, der zwischen der authentischen Lehre des Wortes Gottes und den sprachlichen und kulturellen Stereotypen des Mythos, der Kosmologie, der Anthropologie, der Ethik und der Politik, sowie der Volksreligiosität und des Common sense festgestellt werden muss" (Nr. 27). Der Kraft der Liebe gebühre in der Geschichte des Menschen das letzte Wort bezüglich der Wahrheit des Geheimnisses Gottes.

Gleichsam als Überschrift für die teilweise etwa hermetisch formulierten Ausführungen wird betont, die Inkarnation des Sohnes und die Sendung des Geistes offenbarten das unübersteigbare Geheimnis der Einheit Gottes als Liebe. In der Beziehung "verliere" sich Gott nicht, er lasse sich genau darin vielmehr "finden". Das Christusereignis falsifiziere radikal "jede Berufung auf eine religiöse Rechtfertigung der Gewalt" (Nr. 51). Der Sohn ziehe in Liebe zum Vater die Gewalt auf sich und spare damit gleichermaßen Freunde wie Feinde aus, also alle Menschen. Das Dokument geht noch einen Schritt weiter: Das Handeln des Gottes, der uns vom Bösen und von der Gewalt befreie, habe seine Grundlage im trinitarischen Wesen Gottes.


Faszinierend und risikoreich

Ein eigenes Kapitel gilt der Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft, wobei sich das Dokument an die "klassisch" gewordene Lehre des Thomas von Aquin anschließt und sich auf einschlägige Aussagen der beiden Vatikanischen Konzilien beruft. Die Theologenkommission spricht von einem gegenwärtig wirksamen Prozess der "Dekonstruktion Gottes", an dem sich "viele Formen des Agnostizismus, des Indifferentismus, des Relativismus orientieren, die jeden Gedanken einer spirituellen Qualität und eines transzendenten Sinns des Menschen als illusorisch, als Ergebnis von Projektion und letztlich als despotisch denunzieren" (Nr. 68).


In diesem Zusammenhang setzt sich das Dokument auch ausdrücklich (allerdings ohne Namensnennung einzelner Autoren) mit aktueller "Propaganda für den Atheismus" auseinander (Nr. 73). Es beruft sich dabei auf die Gegenargumente von theistischen und vor allem christlichen Philosophen und geißelt einen "Reduktionismus" in Bezug auf das Menschenbild. Man müsse demgegenüber zeigen, wie der religiösen Bekräftigung der Existenz Gottes eine Erfahrung der Wirklichkeit des Menschen entspreche, die im anderen Fall unerklärlich und unbenennbar sei.

"Die gegenwärtige Kultur scheint von der diffusen Unfähigkeit durchzogen, die konstitutiven Aspekte des Menschen zu artikulieren" (Nr. 85) - so heißt es einleitend zum letzten Kapitel des Textes aus der Theologenkommission. Als Antwort auf dieses kulturelle Defizit wird formuliert, das geoffenbarte Geheimnis des göttlichen Ursprungs, der in der trinitarischen Einheit Gottes kulminiere, unterstütze die Öffnung des Humanismus für die eingestiftete Korrelation zwischen dem "positiven Element des Selbst und dem positiven Element des Anderen", die beide untrennbar die menschliche Person konstituierten (Nr. 86).


Das Dokument mündet in die emphatische Feststellung: "Das Bekenntnis des Glaubens gegenüber dem militanten Atheismus und der religiösen Gewalt wird heute vom Geist zu der prophetischen Grenze eines neuen religiösen und humanen Zyklus der Völker geführt." (Nr. 100). Gleichzeitig äußert die Theologenkommission ihre Dankesschuld gegenüber den vielen Menschen, die wegen ihrer Zugehörigkeit zum Christentum heute verfolgt würden. Man ehre ihr Zeugnis als entscheidende Antwort auf die Frage nach dem Sinn der christlichen Mission zugunsten aller.

Die Sendung der Theologenkommission selber bezeichnete Papst Franziskus zum Abschluss ihrer Plenartagung im vergangenen Dezember als "gleichzeitig faszinierend und risikoreich". Sie sei faszinierend, weil theologische Lehre und Forschung nach dem Zeugnis vieler Kirchenväter und Kirchenlehrer ein wirklicher Weg der Heiligkeit sein könne, und riskant, weil sie Versuchungen mit sich bringe: die Verhärtung des Herzens, den Stolz, bis hin zur Überheblichkeit.

Unter Verweis auf das 2012 veröffentlichte Dokument der Internationalen Theologenkommission über "Theologie heute: Perspektiven, Prinzipien und Kriterien" (vgl. HK, April 2012, 185) sagte der Papst, Theologen seien "Pioniere im Dialog der Kirche mit den Kulturen". Das sei wichtig zu betonen, weil man manchmal den Eindruck gewinnen könne, die Theologen blieben zurück in der Kaserne; sie gehörten aber an die vorderste Front. In absehbarer Zeit steht die Neubenennung der Mitglieder der Theologenkommission für das nächste fünfjährige Mandat an. Sie kommen traditionsgemäß aus allen Kontinenten. Bei diesen Ernennungen wird sich zeigen, wie Papst Franziskus seine sympathische und herausfordernde Vision von den Theologen als Pionieren personell konkretisiert.


Ulrich Ruh, Chefredakteur Dr. theol., geboren 1950 in Elzach (Schwarzwald). Studium der Katholischen Theologie und Germanistik in Freiburg und Tübingen. 1974-1979 Wiss. Assistent bei Prof. Karl Lehmann in Freiburg. 1979 Promotion. Seit 1979 Redakteur der Herder Korrespondenz; seit 1991 Chefredakteur.
ruh@herder.de

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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
68. Jahrgang, Heft 3, März 2014, S. 117-119
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2014