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BERICHT/083: Frauenspiritualität - Hinduismus und Buddhismus (Frauensolidarität)


Frauensolidarität - Nr. 98, 4/06

Enge Institutionen - weite Räume
Frauenspiritualität in Hinduismus und Buddhismus

Von Ursula Baatz


Sowohl im Hinduismus als auch im Buddhismus stehen Frauen traditionellerweise spirituelle Räume zur Verfügung, die in ein männlich bestimmtes System eingebettet sind. Die Autorin geht der Frage nach, wie Frauen in beiden Religionen Autonomie und Stärke zu gewinnen versuchen.


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In meinem Zimmer in dem kleinen Hotel in Benares nahe am Ganges werde ich im Morgengrauen geweckt - draußen sind viele Stimmen zu hören, mehr als sonst, Frauenstimmen. Es ist noch vor Sonnenaufgang, und die Frauen eilen durch die enge Gasse über ein paar Stiegen hinunter zum Assi Ghat, dem südlichsten der Ghats von Benares. Noch schlaftrunken ziehe ich mich an und gehe hinaus in den Morgen. Die Frauen haben begonnen, kleine Figuren aus dem schweren grauen Gangesschlamm zu bilden. Sie umgeben sie mit orangefarbenen Tagetesblüten, gießen Flüssigkeiten darüber und singen dazu im Dialekt von Varanasi.

Langsam geht die Sonne auf, der Chai-Verkäufer auf den Stufen des Ghats hat sein Geschäft geöffnet, in dem ein kleiner Gaskocher das prominenteste Mobiliar ist. Allmählich belebt sich das Ghat, Frauen und Männer unterschiedlichsten Alters kommen, um sich zu waschen und ihr Morgenritual abzuhalten. Von den Frauengruppen nehmen sie kaum Notiz - sie wissen, es sind Gemeinschaften von Devotees des Gottes Krishna, die hier im Oktober ihr großes Ritual feiern. Das Ritual ist ausschließlich für Frauen, die Krishna verehren - und um Segen für ihren Mann oder auch um den passenden Ehemann bitten.

Auch wenn Frauen in den Ritualen der Hindu-Traditionen ihren eigenen, von den Männern getrennten Ort haben, ändert das nichts an der patriarchalen Ordnung. In Deepa Mehtas Film 'Fire' (Kanada/Indien 1996) z.B. fasten die beiden Heldinnen des Films zum Heil der Familie und halten damit eine alte Tradition aufrecht. Einer alten Tradition allerdings folgt auch der Ehemann, wenn er in dem Film seine Frau abzufackeln versucht. Das Bild dazu liefert die Geschichte von Sita, der Gattin des Königs Rama, die im großen Epos Ramayana erzählt wird. Rama testet die - außer Zweifel stehende - Treue seiner Frau, indem er sie der Feuerprobe unterzieht. Sita geht unversehrt daraus hervor; in einer der Varianten des Ramayana öffnet sich danach die Erde und die Erdgöttin nimmt Sita zu sich. Auch die Heldinnen des Films verlassen die patriarchale Ordnung: Am Ende treffen sie einander, um gemeinsam ein neues Leben zu beginnen, anderswo und unabhängig von der Familie, die sie fast zerstört hat.

Hinduismus

Die spirituellen Räume, die Frauen der Tradition nach zur Verfügung stehen, sind in ein männlich bestimmtes System eingebettet. Die Autonomie, die Frauen aus ihren eigenen Ritualen gewinnen können, hilft ihnen zwar, Stärke zu gewinnen. Doch die Ordnung der Verhältnisse wird dadurch nicht durchbrochen.

Auch moderne Heilige wie Amma, die in Kerala in der Nähe von Cochin in den "Backwaters" ihren Ashram errichtet hat, können sich den traditionellen Strukturen nur teilweise entziehen. Aus einer Fischerfamilie stammend, hat sie als Kind und Jugendliche Ausbeutung und Gewalt durch ihre Familie und ihre Umgebung erlebt. Als das junge Mädchen aus der niederen Kaste sich als Verkörperung der Kali, der großen wilden Mutter, manifestiert, die alle umarmt, gab es viele Widerstände. Erst im Laufe von Jahren wurde sie zur großen Heiligen. Die InderInnen, die zu ihr kommen, gehören mehrheitlich den unteren Kasten an. Sie verfügt heute über ein internationales Netzwerk und war in der Lage, nach dem Tsunami mehr als 40 Mill. Dollar für die Opfer zuzusagen. Amma hat in der letzten Zeit begonnen, Frauen zu Priesterdiensten zu bestellen. Das entspricht einem gewissen Trend, denn selbst in der heiligen Stadt Benares gibt es seit einer Weile eine Sanskrit-Schule, die Mädchen ausbildet, um als Priesterinnen die Rituale für die Ahnen an den Ghats vollziehen zu können - wenn man sie ruft, denn die Klientel der Ritualpriester wird vererbt.

Dass sich die Stellung der Frau weltweit in einem Wandlungsprozess befindet, merkt man also auch in den Hindu-Traditionen. Ein besonderes Beispiel ist die Brahma-Kumaris-Bewegung, die "Bewegung der Jungfrauen Brahmas". Dieser Orden wurde von einem Rechtsanwalt in den 1930er Jahren aufgrund einer Vision gegründet. Die Vision trug ihm auf, einen Orden für die spirituelle Entwicklung von Frauen zu schaffen. Die Brahma-Kumaris haben heute in Indien und im Westen Zentren und ihre Mitglieder sind Männer und Frauen, doch die Leitung des Ordens ist den Frauen vorbehalten.

Buddhismus

Auch wenn es im Buddhismus seit frühen Zeiten für Frauen die Möglichkeit der Ordination(1) als Nonne gibt, so ist der Buddhismus in seinen Strukturen nicht weniger patriarchal als die Hindu-Traditionen oder eine der anderen großen Religionen. Das kommt schon durch die Überlieferung zum Ausdruck, die erzählt, dass der Buddha nur widerstrebend der dringenden Bitte seiner Amme entsprochen habe, einen eigenen Orden für Frauen zu gründen, und nach der Gründung einen rascheren Verfall seiner Lehre prophezeit haben soll. Die moderne Forschung sieht diese Passagen in den Schriften des Pali-Kanon als spätere Einfügungen an. Wie auch immer: Die Gründung des Nonnenordens war zur Zeit des Buddha eine die brahmanische Tradition sprengende Tat. Als Nonne konnten Frauen ein selbstständiges Leben führen, außerhalb familiärer Bindungen. Was für einen Gewinn an Freiheit das bedeutete, spürt man bis heute in den Therigatha, den Liedern der Nonnen, die vom familiären Druck befreit waren.

Der Status und das Leben von Mönchen wie Nonnen wird durch den Vinaya, das Ordensrecht, geregelt. Da aus unterschiedlichen historischen Gründen in vielen buddhistischen Ländern die Bedingungen für die Ordination nicht erfüllt werden konnten, ist der Nonnenorden dort ausgestorben - oft seit vielen hundert Jahren. Frauen, die das Leben einer Nonne führen wollen, können dies vielfach bis heute nur tun, wenn sie bereit sind, auf den rechtlichen Status und die Privilegien der Ordination zu verzichten. Ungeachtet dieser Schwierigkeiten wählten aber trotzdem viele Frauen das Leben einer "Laiennonne", die nur die zehn Gebote für LaiInnen befolgen muss und nicht die mehreren hundert Regeln für Ordinierte.

Die weiß gekleideten Maejis in Thailand z.B. leben zwar wie Nonnen zölibatär und besitzlos, dürfen aber nicht lehren und haben keinen Anspruch auf Almosen. Das sind Privilegien der Vollordinierten. Nur in China, Korea und Vietnam gibt es eine durchgehende Vollordination von Nonnen. Da diese aber anderen Rechtsschulen angehören als die buddhistische Sanghas (Gemeinschaft) z.B. in Sri Lanka, Thailand, Burma, Tibet oder Japan, stieß der beharrliche Versuch der 1987 gegründeten internationalen buddhistischen Frauenorganisation Sakyadhita, eine Ordination von Frauen zu erreichen, auf anhaltende Widerstände. Vor allem zu Anfang waren westliche Nonnen - eine verschwindende Minorität von einigen hundert im Vergleich zu rund einer halben Million asiatischer Nonnen - die treibenden Kräfte. Unterstützt durch die moralische Autorität des Dalai Lama gelang es schließlich, 1996 die ersten Nonnen aus Sri Lanka zu ordinieren. Doch das Problem der Vollordination von Frauen ist bis jetzt nicht zufrieden stellend gelöst.(2)

Unterordnung

Erschwerend ist, dass die buddhistischen Institutionen patriarchal strukturiert sind. Bis heute gilt die Regel, dass eine Nonne, egal wie alt sie ist, einem Mönch untergeordnet ist, auch wenn der viel jünger und weniger lang im Kloster ist als sie. Auf der anderen Seite gab und gibt es vor allem im Mahayana- und im tantrischen Buddhismus hervorragende Frauen, die sich als Einsiedlerinnen der spirituellen Praxis widmen. Es gibt im tibetischen Buddhismus nicht nur Wiedergeburten von hochrangigen Lamas, sondern auch von Nonnen. Diese weiblichen Heiligen sind durch Publikationen wie die der Italienerin Tsultrim Allione bekannt geworden.

Die Idee eines "Buddhismus nach dem Patriarchat" (so das Buch von Rita Gross(3)) greift die vielen weiblichen Gestalten des buddhistischen Pantheons auf. In den Darstellungen des tibetischen tantrischen Buddhismus sind die Konsortinnen der Bodhisattvas (Erleuchtungswesen) und Buddhas unübersehbar; und weibliche Bodhisattvas wie die grüne oder die weiße Tara sind mächtige spirituelle Gestalten. Ob es möglich ist, einen "gereinigten" Buddhismus nach dem Patriarchat daraus zu entwickeln, wird die Zukunft zeigen. Für westliche Frauen ist z.B. die Tara eine Identifikationsfigur. Doch das ist etwas völlig anderes als die Frömmigkeit, mit der ChinesInnen oder JapanerInnen Guanyin (jap. Kannon) verehren, den Bodhisattva der Barmherzigkeit, der in Ostasien weibliche Gestalt angenommen hat und den Menschen in Notlagen beisteht.


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Anmerkungen:

(1) Ordination bezeichnet die Weihe zum geistlichen Amt
in einer Religionsgemeinschaft.
(2) Im Sommer 2007 wird in Hamburg eine Tagung
unter der Schirmherrschaft des Dalai Lama stattfinden,
in der die rechtlichen Probleme erörtert werden sollen.
(3) Gross, Rita M.: Buddhism after patriarchy
(Albany 1993).

Zur Autorin:

Ursula Baatz ist Hörfunkredakteurin, Lektorin am Institut für Philosophie an der Universität Wien und Autorin. Sie lebt in Wien.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 98, 4/2006, S. 12-13
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Berggasse 7, 1090 Wien,
Fon: 0043-(0)1/317 40 20-0, Fax: 0043-(0)1/317 40 20-355,
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis ab 2007: 5,-- Euro.
Abonnement ab 2007: Inland 20,-- Euro,
Ausland 25,-- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2007