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BERICHT/093: Wie dem Islam begegnen? (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion
11/2008

Wie dem Islam begegnen?

Von Stefan Orth


Wir glauben an denselben Gott, den einzigen, den lebendigen, den Gott, der die Welt schafft und seine Geschöpfe zur Vollendung führt.

(Johannes Paul II.)


Auch in Deutschland ist der Islam inzwischen ein Faktor des gesellschaftlichen Lebens. Auf dem Buchmarkt gehören Biographien über den Propheten Mohammed zu den Schwerpunktthemen religiöser Titel der vergangenen Monate. Beachtung finden auch jene Neuerscheinungen, die für den islamischen Religionsunterricht oder die weitere Unterweisung muslimischer Mädchen und Jungen gedacht sind. Die Etablierung dieses Schulfaches schreitet zwar nur sehr langsam, aber doch stetig voran. Kontinuierlich ausgebaut, wie zuletzt in Osnabrück, werden auch die universitären Institute, an denen man die zukünftigen Lehrer ausbildet.

Am deutlichsten wird die neue Sichtbarkeit muslimischen Lebens hierzulande an der Errichtung neuer repräsentativer Moscheen, zumeist im osmanischen Stil. Ende Oktober wurde jetzt etwa in Duisburg-Marxloh eine Moschee eingeweiht, die für 1300 Besucher Platz bietet. Nach muslimischen Angaben sind derzeit rund 180 größere Moscheen in Planung oder bereits im Bau. Das ist bei 160 existierenden eine stattliche Zahl, auch wenn sich die meisten der insgesamt etwa 2500 Gebetsstätten weiterhin in ausgemusterten Gewerbeimmobilien und Hinterhöfen von Mietskasernen befinden.

Dazu passt, dass die nur grob zu schätzenden rund 3 Millionen deutschen Muslime sich selbst religiöser verstehen als es die Christen des Landes tun, wie die Ergebnisse der Bertelsmann-Umfrage "Muslimische Religiosität in Deutschland" belegen, die Ende September veröffentlicht wurden. Interessanterweise gilt das verstärkt für die Jüngeren. Auch beteten Muslime etwa signifikant häufiger als Katholiken oder Protestanten. Die Autoren des "Religionsmonitors" schlussfolgern darüber hinaus, dass unter den Muslimen nur wenig Neigung zu Dogmatismus und Fundamentalismus bestehe. Ist vor dem Hintergrund des etablierten und bewährten Verhältnisses zwischen Religion und Gesellschaft in Deutschland die gegenwärtige Entwicklung unter den Muslimen also einfach ein Zeichen von Normalität?


Nagelprobe für das Verhältnis von Islam und Staat

Angesichts der neuen Präsenz der deutschen Muslime sind keineswegs die Schwierigkeiten zu verkennen - die teilweise deshalb entstehen, weil Muslime in einer in erster Linie christlich geprägten Mehrheitsgesellschaft vom Staat jene Rechte fordern, die den Kirchen weiterhin mit großer Selbstverständlichkeit gewährt werden.

Vor allem an den Bauplänen neuer Moscheen mit Kuppel und Minarett entzünden sich, regional allerdings höchst unterschiedlich, entsprechende Auseinandersetzungen. Was in Duisburg in einer langen Vorbereitungsphase gelingen konnte, ist in Köln missglückt und hat zu (kommunal-)politischen Verwerfungen geführt.

Aber auch die allgemeine Einführung eines islamischen Religionsunterrichts wird zu einer Nagelprobe für das Verhältnis von Islam und Staat beziehungsweise Gesellschaft, ist die Schule doch die breiteste Schnittstelle zur muslimischen Bevölkerung. Nicht umsonst fällt gerade beim geplanten, von Politik und Kirchen gleichermaßen befürworteten islamischen Religionsunterrichts auf, wie schwer sich die Muslime mit der Etablierung entsprechender Strukturen tun, die unabdingbare Voraussetzung für die Zusammenarbeit sind.

Zwar gibt es inzwischen den Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland (KMR), in dem sich die vier unterschiedlich großen Dachverbände, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religionen (DITIB), der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland, der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) und der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) auf Druck der Politik zusammengeschlossen haben. Aber dessen Arbeit läuft nach mehr als einem Jahr seiner Existenz noch nicht rund. So ist das Gremium bisher kaum über den Charakter einer Arbeitsgemeinschaft hinausgekommen. Erst recht ist es bisher nicht gelungen, entsprechende Strukturen auf der Ebene der Bundesländer zu schaffen, die Ansprech- und Verhandlungspartner für die rechtlichen Rahmenbedingungen des islamischen Religionsunterrichts sein könnten.


Die Rolle der Verbände offenbart ein Dilemma

Gerade der Fall des Münsteraner Professors für "Religion des Islam", Muhammed Sven Kalisch, demonstriert, wie wenig selbstverständlich die Zusammenarbeit bisher läuft. Kalisch ist seit 2004 der erste Inhaber eines Lehrstuhls für muslimische Theologie. Nachdem es seit längerem Kritik an seiner Arbeit aus den Reihen der Verbände gab, haben diese jetzt die Mitarbeit im Beirat des "Centrums für religiöse Studien", zu dem der Lehrstuhl Kalischs gehört, aufgekündigt. Seine Absolventen könnten nicht damit rechnen, als Lehrer für den islamischen Religionsunterricht akzeptiert zu werden. Hintergrund sind Äußerungen von Kalisch über den Propheten Mohammed. Er kommt aufgrund seiner historisch-kritischen Studien des Korans als Wissenschaftler zu dem Schluss, dass es keine Beweise für dessen Existenz gebe - man diese freilich auch nicht ausschließen könne.

Dass die nordrhein-westfälische Landesregierung den islamischen Verbänden versprochen hat, rasch eine weitere Professur für Islamische Religionspädagogik zu besetzen, um die Ausbildung von Religionslehrern gewährleisten zu können, hat Peter Hünseler, Geschäftsführer von Cibedo, der Fachstelle der Deutschen Bischofskonferenz für den christlich-islamischen Dialog, als ein vorschnelles "Einknicken" kritisiert. Und selbst wenn Kalischs These auch unter aufgeschlossenen Muslimen nur wenig Verfechter findet: Die Beteiligung der allesamt konservativ ausgerichteten Verbände bei der Auswahl und Aufsicht der Hochschullehrer für angehende muslimische Religionslehrer wie bei der Organisation dieses Unterrichts sehen auch die Moderaten durchaus mit einer gewissen Skepsis.

Das Dilemma bleibt: Selbst wenn die Verbände faktisch für deutlich mehr als die 15 bis höchstens 20 Prozent "eingeschriebenen" Mitglieder des Islam in Deutschland sprechen, wird ein großer Teil der gemäßigten oder gar liberalen Muslime, die ihre religiöse Identität ohne größere Probleme in der säkularen Gesellschaft leben, nicht vertreten. Keiner der vier Dachverbände ist umgekehrt über alle Vorbehalte erhaben, was das Bekenntnis zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten betrifft.

Auf der anderen Seite gibt es bisher nur diese Ansprechpartner, sind die anderen Muslime schlicht zu wenig institutionalisiert. Gerade weil ihnen ihre Religiosität nicht vergleichbar wichtig ist oder zumindest der Status quo akzeptabler erscheint, wird sich nach Lage der Dinge daran auch in absehbarer Zukunft nur wenig ändern.

Ähnlich ist momentan völlig offen, ob aus dem so genannten Euro-Islam mehr als ein Schlagwort wird. Natürlich gibt es heute eine Reihe von Ansätzen zu einer historisch-kritischen Lesart des Korans, zum Überdenken der Geschlechterrollen bei den Muslimen, zur Weiterentwicklung des islamischen Rechts und zum Umgang mit beziehungsweise zum Leben in pluralistischen Gesellschaften. Einmal abgesehen davon, dass die muslimische Existenz in den europäischen Gesellschaften aufgrund von unterschiedlichen ethnischen und anderen kulturellen Prägungen selbst höchst vielfältig ist: Es ist noch nicht abzusehen, ob solche Versuche einer neuen Verhältnisbestimmung von Islam und Moderne die muslimische Identität in westlichen Gesellschaften werden prägen können.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, dessen Islamkonferenz ebenfalls noch vor dem entscheidenden Durchbruch steht, hat jüngst abermals Geduld angemahnt. Mit Recht hat er daran erinnert, dass es auch in den christlichen Kirchen vergleichsweise lange gedauert habe, bis sie sich mit den Prinzipien der aufgeklärten Moderne konstruktiv auseinandergesetzt und diese in ihr Selbstverständnis integriert hatten. Auch der Islam sei zu einem solchen historischen Lernprozess in der Lage.

Angesichts dieser höchst ambivalenten Situation konnten sich die deutschen Bischöfe der öffentlichen Aufmerksamkeit sicher sein, als sie sich Ende September auf ihrer Vollversammlung gleich zwei Mal mit dem Thema Islam befasst haben.

Zum einen ging es um die regelmäßig wiederkehrenden Diskussionen über den Bau von Moscheen. Die Bischöfe ergreifen in einer Erklärung Partei für die Muslime, indem sie auf eine Versachlichung der Diskussionen drängen und davor warnen, die Debatte über neue Moscheen von politischen Interessen überlagern zu lassen, gar gegen Muslime zu "hetzen". Vielmehr heben sie mit der gebotenen Deutlichkeit - ganz in der Linie der 2003 veröffentlichten Arbeitshilfe "Christen und Muslime in Deutschland" - hervor, dass der Bau "würdiger Gebetshäuser" zum allgemein garantierten Recht auf freie Religionsausübung gehört. Auf der Grundlage der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils gilt dies auch ohne Einschränkungen für die Muslime. Deshalb dürften deren Gotteshäuser "durchaus sichtbar" und als Moscheen erkennbar sein. Die Kirchen bieten sich selbst als Vermittler in solchen Auseinandersetzungen an und können zudem darauf verweisen, dass sich in diesem Sinne bisher schon viele Kirchengemeinden engagiert haben.

Auf der anderen Seite benennen die Bischöfe auch eine Reihe von Kriterien für die Planung, mit denen die Muslime selbst zu einem gedeihlichen Miteinander beizutragen vermögen: So müsste sich die Moschee in jedem Einzelfall auch in das Umfeld einfügen und sollte nicht zu einer weiteren Ghettoisierung führen. Vor allem dürfe es nicht darum gehen, einen Machtanspruch zu dokumentieren. Auch sei die Bereitschaft, Kritik auszuhalten und sich mit dieser konstruktiv auseinanderzusetzen, zentral. Schließlich sollten die Moscheevereine offenlegen, wer den Bau verantwortet und finanziert, um abwegigen Spekulationen den Boden zu entziehen. Maßhalten und Dialogbereitschaft lauten hier also die wichtigsten Maximen.


Kein Junktim mit der Situation in islamischen Ländern

Diese grundständig konstruktive Haltung der Erklärung ist zu begrüßen. Wieso sollten eigentlich in größeren Städten neben oft mehreren Kirchtürmen nicht auch eine Moschee das Stadtbild mitprägen, wie beispielsweise im 19. Jahrhundert ganz selbstverständlich an markanten Orten prächtige Synagogen - oft im "maurischen" Stil - gebaut worden sind, bevor diese Tradition gewaltsam unterbrochen wurde?

Besonders wichtig an der Erklärung ist jedoch, dass ein Junktim von einer wohlwollenden Haltung gegenüber solchen Bauvorhaben mit einer verbesserten Situation für Christen in islamischen Ländern ausdrücklich ausgeschlossen wird. Selbstredend erwarte man, dass auch die hiesigen Muslime in ihren Herkunftsländern für ein gutes Miteinander von Christen und Muslimen werben. Nachdem vor allem der Dachverband DITIB, abhängig von der türkischen Religionsbehörde Diyanet, in Deutschland große Moscheen baut, dürfte man tatsächlich mit Recht erwarten, dass beispielsweise in der Kirche in Tarsus nicht nur im Paulus-Jahr das Feiern von Gottesdiensten gelegentlich möglich ist - worauf vor allem Kardinal Joachim Meisner seit längerem insistiert. Eine Bedingung für die Unterstützung von Moscheebauten hierzulande darf dies aber gerade wegen des Universalitätsanspruchs unserer Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit nicht sein.

Erzbischof Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, gratulierte schließlich zum Abschluss der Vollversammlung den Muslimen zum Ende das Ramadans. Dass man jedoch auch auf Seiten der katholischen Kirche inzwischen genauer hinschaut, um sich im christlich-muslimischen Gespräch nicht als blauäugig und naiv kritisieren lassen zu müssen, war dann an einem weiteren Papier abzulesen, das die Vollversammlung verabschiedet hat.

Nachdem länger schon angekündigt war, dass eine 2003 veröffentlichte Arbeitshilfe über "multireligiöse Feiern" überarbeitet werde, wurde diese Neuauflage jetzt mit dem veränderten Titel "Leitlinien für das Gebet bei Treffen von Christen, Juden und Muslimen" beschlossen (vgl. ds. Heft, 547f.). Auch in ihr lehnen die Bischöfe Feiern mit gemeinsam von Christen und Muslimen gesprochenen Gebeten rundweg ab. Und für jene - alles in allem wenigen - Fälle, in denen man zusammenkommt, um im Angesicht der anderen nacheinander zu beten, werden detaillierte Empfehlungen gegeben und manche Einschränkungen gemacht.

Schaut man den Text genauer an, fallen zwei Dinge auf: So belegt die Tatsache, dass das Papier wie kaum ein anderes intensiv diskutiert worden ist, die Pluralität der Meinungen innerhalb der katholischen Kirche. Und während in der Berichterstattung über die Handreichung suggeriert wurde, dass jetzt auch die Katholiken auf Distanz zu den Muslimen gingen, nachdem die evangelische Kirche mit ihrem umstrittenen Dokument "Klarheit und gute Nachbarschaft" vor zwei Jahren die Muslime vergrätzt hatte, liest sich die Handreichung anders: Die Bischöfe schlagen den richtigen Ton an und begründen an den entscheidenden Stellen ihre Haltung überzeugend.

Auch dieses Dokument betont die unterschiedlichen Gottesbilder von Juden, Christen und Muslimen, unterstreicht aber gleichermaßen, dass es sich bei den drei monotheistischen Weltreligionen um jene handelt, die sich - bei aller Verschiedenheit - allesamt vom Gott Abrahams herleiten. Gerade aufgrund der jeweiligen Verwiesenheit auf Gott als Schöpfer lässt sich schließlich auch eine Verantwortung für ein friedliches Miteinander begründen - wie beim Katholisch-Muslimischen Forum im Mittelpunkt stehen wird, das sich jetzt Anfang November auf Einladung von Benedikt XVI. nach den Irritationen über seine Regensburger Rede das erste Mal im Vatikan treffen wird.


Die Kirche hat auch eine Bringschuld

Bei aller Ernüchterung über die bisherigen Ergebnisse des zuweilen mühsamen Dialogs und aller gebotenen Skepsis gegenüber noch nicht genauer bekannten Gesprächspartnern ist deutlich, dass auf lange Sicht ein befriedigendes Verhältnis von Religion und Gesellschaft beziehungsweise Staat nur erhalten werden kann, wenn dies unter Einbeziehung des Islam geschieht - und auf keinen Fall durch die Profilierung der einen Religion auf Kosten der anderen. Schon um des eigenen christlichen Glaubens und dessen Glaubwürdigkeit willen ist im Dialog der Religionen fundamental, jene Großherzigkeit an den Tag zu legen, die für jenes gedeihliche Miteinander, das sich auch schmerzhaft kritische Fragen zumuten muss, unabdingbar ist.

Ausdrücklich erkennen die Bischöfe in ihrer neu aufgelegten Arbeitshilfe abermals an, dass die Kirchengeschichte auch eine Geschichte des Versagens der Christen gewesen ist. Umso wichtiger wird es sein, dazu beizutragen, dass der Islam - angefangen von der Familie bis zum Miteinander der Staaten - in der öffentlichen Meinung nicht in erster Linie als eine Religion der Gewalt wahrgenommen wird, sondern dass auch sein theologisches Profil, sein spiritueller Reichtum und sein Beitrag zur europäischen Kultur gewürdigt werden. Angesichts des mit Recht erwarteten Respekts vor ihrer eigenen Tradition und nicht zuletzt mit Blick auf die eigene Historie hat die Kirche hier auch eine Bringschuld.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
62. Jahrgang, Heft 11, November 2008, S. 541-543
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Dezember 2008