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BERICHT/078: Imamausbildung in Deutschland (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 01/2010

Auf die Muslime kommt es an
Imamausbildung in Deutschland

Von Helmut Wiesmann


Derzeit gibt es in Deutschland Erwartungen, möglichst rasch eine universitäre Imamausbildung einzurichten. Während sich erste Planungen konkretisieren, stellt sich weiterhin das Problem der muslimischen Kooperationspartner. Letztlich müssen nicht Staat und Kirche, sondern die Muslime selbst entscheiden, ob Provisorien in ihrem Interesse liegen.


Im Zusammenhang mit der Einrichtung von Islamlehrstühlen an staatlichen deutschen Universitäten zur Ausbildung künftiger Lehrer für islamischen Religionsunterricht gemäß Artikel 7 Abs.3 GG wird in der interessierten deutschen Öffentlichkeit auch bereits über das Thema Imamausbildung in Deutschland diskutiert. Zum Teil hochgesteckte Erwartungen, die auf eine zügige Einrichtung einer universitären Imamausbildung in Deutschland zielen, richten sich insbesondere auf die Universität Osnabrück. Neben den Studienorten Erlangen-Nürnberg (Interdisziplinäres Zentrum für islamische Religionslehre), Münster (Centrum für religiöse Studien) und Frankfurt am Main hat sich in Osnabrück ein erster Schwerpunkt der islamischen religionspädagogischen Ausbildung in Deutschland etablieren können (vgl. HK-Spezial, Muslime in Deutschland, 2-2009).


Niedersachsen ist Vorreiter einer universitären Imamausbildung in Deutschland

In Osnabrück werden seit Wintersemester 2007/2008 in einem viersemestrigen Ergänzungsstudiengang mit dem Abschlussgrad Master islamische Religionspädagogen für Grund-, Haupt- und Realschulen ausgebildet. Seit Juni 2008 wirkt hier der 1977 geborene Jurist und Islamwissenschaftler Bülent Uçar als ordentlicher Professor für islamische Religionspädagogik, nachdem er diese Professur bereits seit 2007 verwaltet hatte. Uçar war in Bonn mit einer Arbeit über die türkische Debatte um die Scharia und die Rechtsschulen im 20. Jahrhundert promoviert worden und hatte sich 2008 in Erlangen mit einer Arbeit über "Moderne Koranexegese und die Wandelbarkeit der Scharia in der aktuellen Diskussion der Türkei" habilitiert.

Am 1. September 2009 hat der Diplomsozialpädagoge und promovierte Sozialwissenschaftler Rauf Ceylan die Professur für Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt islamische Religionspädagogik angetreten. Seine Studie "Imame in Deutschland" hat im Jahr 2008 eine Diskussion über traditionell-konservative Einstellungen der Imame und damit verbundene Schwierigkeiten bei der Integration ausgelöst. Vor wenigen Wochen ist der Studiengang "Islamische Religionspädagogik" mit guten Noten akkreditiert worden.


Auf der damit gegebenen Grundlage will die Universität Osnabrück die erste universitäre Ausbildung von Imamen in Deutschland aufbauen. Am 9. November 2009 unterzeichneten Niedersachsens Innen- und Integrationsminister Uwe Schünemann und der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Albert Maximilian Schmid, eine Absichtserklärung für einen bundesweiten Modellstudiengang zur Ausbildung von Imamen. Schon zum Wintersemester 2010 will die Universität einen einjährigen Weiterbildungsstudiengang anbieten, der sich zunächst an bereits ausgebildete Imame richtet, die aus den muslimischen Herkunftsländern - insbesondere aus der Türkei - entsandt werden.

Der geplante Weiterbildungskurs soll drei Module beinhalten und mit einem Zertifikat abgeschlossen werden. Bei den Modulen handelt es sich um eine praktische theologische Ausbildung, einen Deutschsprachkurs sowie einen Kurs zur Landes- und Staatsbürgerkunde. An der Erarbeitung dieser Inhalte haben die niedersächsischen Ministerien für Wissenschaft und Inneres mitgewirkt. Schon in etwa drei Jahren soll dann auch ein grundständiger Bachelorstudiengang zur Ausbildung von Imamen angeboten werden.

Schünemann sieht Niedersachsen als Vorreiter einer universitären Imamausbildung in Deutschland. Angesichts des Interesses in anderen Bundesländern an der Osnabrücker Entwicklung geht er davon aus, dass eine universitäre Imamausbildung bald auch an weiteren Hochschulen angeboten wird. Eigenen Ankündigungen zufolge plant Schünemann, Imame auch als islamische Religionslehrer einzusetzen. Dazu sollen Imame, die den dreijährigen Bachelorstudiengang absolviert haben, einen ergänzenden Masterstudiengang durchlaufen. Für eine solche Kombination von universitärer Ausbildung für Imame und für islamische Religionslehrer sprechen laut Schünemann vor allem praktische Erwägungen.

Zum einen werden islamische Religionslehrer gesucht, zum anderen stehen die Moscheevereine vor der Schwierigkeit, dass sie ihre Imame, sofern diese nicht von der Türkei aus entsandt und bezahlt werden, nicht selbst finanzieren können. "Wir würden 50 Prozent der Arbeitszeit (ergänze: eines Imam) in der Schule anbieten", wird Schünemann vom Internet-Magazin "Quantara" zitiert; "damit könnte ein Imam ein Grundgehalt bekommen und damit wären die Moscheegemeinden in der Lage, ihre Imame dann auch selbst anzustellen". Unklar ist bislang, wie die Muslime an der inhaltlichen Ausgestaltung der Imamausbildung beteiligt werden.


Ein Schwerpunkt im Bereich islamischer Theologie bildet sich derzeit an der Universität Frankfurt. "Dank türkischer Entwicklungshilfe", so das Magazin "Fokus" am 7. November 2009, "soll Frankfurt als bundesweit erste Hochschule ein vollwertiges Studium der islamischen Theologie anbieten". Schon seit 2003 gibt es dort eine Stiftungsprofessur für Islamische Religion und seit 2005 eine Stiftungsgastprofessur. Die erstere hat derzeit der türkische Theologe Ömer Özsoy inne, die andere wird derzeit von Abdullah Takim bekleidet. Diese Stiftungsgastprofessur soll, wie der Leiter der türkischen Religionsbehörde und die Universität am 5. November 2009 vereinbart haben, in eine Stiftungsprofessur der Gehaltsstufe W2 umgewandelt werden. Zudem wird die türkische Religionsbehörde von 2010 an einen weiteren W2-Lehrstuhl, den dann dritten, finanzieren. Beide W2-Professuren sollen auf fünf Jahre befristet sein. Die erste Stiftungsprofessur war zunächst im Fachbereich Evangelische Theologie angesiedelt. Inzwischen wurde das "Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam" gegründet, dem die künftig drei Professuren zugeordnet sind und das laut Mitteilung der Universität auch die akademische Bildung von muslimischen Religionsfachkräften fördern soll.


Muslimische Initiativen

Während somit erste Planungen für eine Imamausbildung an staatlichen deutschen Hochschulen konkret geworden sind, haben verschiedene muslimische Vereine bereits zum Teil jahrelange Erfahrungen mit einer von ihnen betriebenen nicht staatlichen, vereinsinternen Imamausbildung. Der Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ) setzt seit Beginn seines Wirkens in Deutschland konsequent auf den Aufbau von Schülerwohnheimen und anderen vereinsinternen Bildungseinrichtungen. An ihnen wird neben anderen Inhalten auch eine theologische Bildung angeboten. Diese kann schon seit Mitte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit der Befähigung zum Amt des Vorbeters abgeschlossen werden.

In seinen Zentren in Köln-Mülheim und Bergisch-Gladbach werden junge Männer ab einem Alter von 18 Jahren zu Imamen ausgebildet. In Köln-Kalk soll im Jahre 2010 ein Zentrum zur verbandsinternen Imamausbildung eröffnet werden, das an die Stelle der Villa Hahnenburg in Mülheim treten soll. Die internatsmäßige Imamausbildung soll, so hofft derVIKZ, einer eigenen Presserklärung von März 2009 zufolge künftig bereits für Schüler im Alter von 16 Jahren an möglich sein. Entsprechende Anträge wurden beim Landesjugendamt gestellt, sollen Medienberichten zufolge aber im Frühjahr 2008 abgelehnt worden sein - was sich inzwischen geändert zu haben scheint. Zu den ersten Absolventen der verbandsinternen Imamausbildung zählt dessen derzeitiger Dialogreferent Erol Pürlü.


Die von dem türkischen Politiker Necmettin Erbakan gegründete Bewegung Milli Görüs betreibt und fördert Nachwuchsausbildung in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Bei der Imamausbildung im französischen Château-Chinon arbeitet die Bewegung, deren deutscher Zweig die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) ist, mit einer "islamischen Partnerorganisation" zusammen. Dabei handelt es sich der Meinung vieler Beobachter zufolge um die Muslimbruderschaft.

Das "Institut Européen des Sciences Humaines" (IESH) bei Château-Chinon im Departement Nièvre in Burgund ist eine private islamische Hochschule, die von der Föderation Islamischer Organisationen in Europa (FIOE) zusammen mit der "Union des Organisations Islamiques de France" (UOIF) gegründet wurde. Es bietet drei Ausbildungsgänge an, darunter eine zwei Jahre dauernde Imamausbildung. In Wales und in Saint Denis bei Paris wurden weitere Standorte errichtet.

Die inhaltliche Ausrichtung des IESH wird von einem wissenschaftlichen Beirat bestimmt, dem Beobachtern zufolge als Vorsitzender Yusuf al-Qaradawi und Faisal Mawlawi angehören, die auch Präsident und stellvertretender Präsident des "Europäischen Rat für Fatwa und Forschung" (ECFR) sind. Eine IGMG-eigene Zeitschrift berichtet in ihrer Novemberausgabe 2000 von "16 neuen Studenten", die sich an der IESH eingeschrieben hätten. Medienberichten zufolge soll die IGMG bis zum Jahre 2002 40 Studenten mit einem Stipendium dorthin entsandt haben.

Der Trägerverein der überregional bekannt gewordenen Moschee in Penzberg (Oberbayern) plant die Errichtung eines "Zentrum für Islam in Europa München" (ZIEM), zu dem auch eine Akademie zur Imamausbildung gehört. Der Islam müsse seine Werte überdenken, sich zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Pluralismus als grundlegende Glaubensinhalte der Muslime bekennen, erklärt der Penzberger Imam Benjamin Idriz, der in Damaskus Theologie studiert hat. Er wurde in Mazedonien geboren. Sein religiöses Oberhaupt ist das Oberhaupt der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Bosnien-Herzegowina, Mustafa Ceric, der ihn in Penzberg besucht hat.

In Deutschland arbeiten rund 50 Imame, die von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Bosnien-Herzegowina entsandt werden. Der Entsendung liegen ein vom Oberhaupt der Islamischen Glaubensgemeinschaft ausgefertigtes Dekret und ein Vertrag mit der jeweiligen Moscheegemeinde zugrunde. Die Laufzeit beträgt drei Jahre, und es besteht die Option auf eine einmalige Verlängerung. Eine künftige Imamausbildung in Penzberg soll Idriz zufolge auf Deutsch und in Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium erfolgen. Die Finanzierung des Zentrums hat Sultan Bin Mohammed Al Qasimi, Emir von Sharjah am Persischen Golf, zugesagt. Der Emir, der auch schon die Penzberger Moschee weitgehend finanziert haben soll, macht aber zur Voraussetzung, dass ein solches Engagement den bayerischen Behörden willkommen ist. Idriz erklärt hierzu, ihm wäre es lieber, wenn statt des Emirs die Stadt den Bau des Zentrums unterstützen würde. Er plädiert für eine Lösung des Islam in Deutschland von den islamischen Herkunftsländern.

Das bayerische Innenministerium steht dem Vorhaben ablehnend gegenüber. Seinen Erkenntnissen zufolge gehört der Moscheeverein zur IGMG. Sein Vorsitzender soll seine langjährige Mitgliedschaft nur infolge der öffentlichen Kontroversen um seine Person und damit auch um das geplante Vorhaben beendet haben. Gegen entsprechende Aussagen des bayerischen Verfassungsschutzes hat der Moscheeverein im Frühsommer 2009 Klage erhoben. Ein Ergebnis liegt noch nicht vor. Unabhängig davon, wie es ausgeht, wird es auf großes öffentliches Interesse stoßen. Der dritte Bürgermeister von München, Hep Monatzeder (Bündnis 90/Die Grünen) hatte vor rund zwei Jahren eine Studienfahrt nach Sarajewo organisiert und sieht Medienberichten zufolge die dortige theologische Lehre in einer Vorbildfunktion für eine künftige Imamausbildung in München.

Andere Beobachter und Fachleute für die Region indessen sehen dort auch Indizien für zunehmenden Einfluss des Salafismus und berichten, dass liberale Muslime im südserbischen Sandschak sich nicht mehr an islamischen Autoritäten in Sarajewo, sondern in Belgrad orientieren würden. Ceric ist wie die führenden Gelehrten des Institut Européen des Sciences Humaines in Château-Chinon, in Wales und in Saint Denis Mitglied des von Yussuf al-Qaradawi gegründeten Europäischen Rats für Fatwa und Forschung.


Im Frühjahr 2009 wurde in Berlin-Karlshorst eine private Imamschule eröffnet - laut Medienberichten angeblich die erste in Deutschland. Trägerverein ist das "Institut Buhara", das von Mitgliedern der Semerkand-Moscheegemeinde in Berlin-Schöneberg gegründet wurde, die dem mystisch geprägten Sufi-Islam nahestehen sollen. Es handelt sich um eine so genannte Ergänzungsschule, die keine staatlich anerkannten Abschlüsse anbietet. Deshalb muss der Schulaufsichtsbehörde lediglich der Lehrplan offengelegt und die Qualifikation der Lehrkräfte nachgewiesen werden. Ferner müssen die gesetzlichen Bildungsziele für Berliner Schulen eingehalten werden.

Für die angeblich sechs Jahre dauernde Ausbildung fordert die Schule jährlich 4000 Euro Schulgeld zur Deckung der Kosten für die internatsmäßige Unterbringung. Schulleiter ist der 37-jährige Politologe Alexander Weiger, der zwei Jahre zuvor zum Islam konvertiert sein soll. Die Lehrer arbeiten, wie "Neues Deutschland" am 5. Februar 2009 berichtete, ehrenamtlich. Die Finanzierung der Schule soll durch Spenden erfolgen. Auf dem Lehrplan stehen neben Deutsch und Gesellschaftskunde die weiteren Pflichtfächer Religion, Koran, Kunst, Arabisch und Türkisch. Deutsch und Gesellschaftskunde unterrichtet Schulleiter Weiger selbst.


Die Islamische Föderation, die mit der IGMG eng verbunden ist, unterstützt das Projekt. Die Lichtenberger Bürgermeisterin Christina Emmrich (Die Linke) zeigt sich als von dem Projekt "richtig angetan". Der Berliner Integrationsbeauftragte Günter Piening beobachtet das Projekt zwar mit Interesse, erklärt dazu aber, die Schule entlaste nicht davon, über universitäre Ausbildung für muslimische Geistliche in Deutschland nachzudenken.


Eine Angelegenheit allein der Muslime

Die deutschen Bischöfe haben sich bislang nicht dazu geäußert, wie sie sich eine zukünftige Imamausbildung in Deutschland vorstellen könnten oder wünschen würden. Hierzu entsprechende Vorstellungen zu entwickeln und die Möglichkeiten ihrer Realisierung in Gesprächen mit Politikern und Behörden auszuloten, ist Angelegenheit allein der Muslime. Die katholische Kirche würde es umgekehrt auch nicht schätzen, wenn Vertreter islamischer Organisationen der deutschen Politik und Öffentlichkeit Vorschläge zur Ausbildung katholischer Priester und Theologen unterbreiten würden.

Die katholische Kirche, die sich auch in islamisch geprägten Ländern dafür einsetzt, dass ihre Priester und Theologen ordnungsgemäß ausgebildet werden können, hat Verständnis, wenn Muslime den Wunsch nach ausgebildeten, kompetenten Imamen haben, dort, wo sie leben - mithin auch in Deutschland.


Die bislang überwiegend aus den islamischen Herkunftsländern nach Deutschland entsandten Imame sind - wie immer wieder und nicht immer zu Unrecht kritisiert wird - oft nicht oder nur unzureichend der deutschen Sprache mächtig und nicht mit den hiesigen Lebensverhältnissen der muslimischen Gläubigen vertraut. Aus Sicht der katholischen Kirche ist es daher vollauf nachvollziehbar, wenn Muslime vermehrt über die Frage nachdenken sollten, ob die Trägervereine der rund 2500 Moscheen weiterhin ausländische, zeitlich befristet in Deutschland lebende Imame einstellen wollen, oder ob sie sich nicht eher für eine Ausbildung eigener Imame in Deutschland engagieren sollten.


Die traditionelle Imamausbildung in der islamischen Welt beziehungsweise in Ländern mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung ist überwiegend keine wissenschaftlich fundierte. Es ist aber festzustellen, dass sich dies seit einiger Zeit - so zum Beispiel in Bosnien-Herzegowina - zu ändern begonnen hat. Gerade die Türkei, die die meisten Imame nach Deutschland entsendet, unternimmt seit Jahren Anstrengungen mit dem Ziel, dass die in den staatlichen Religionsschulen (Imam-Hatip-Schulen) ausgebildeten jungen Imame ihre Kenntnisse und Fähigkeiten durch ein anschließendes theologisches Studium wissenschaftlich vertiefen müssen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sie die Aufgabe des Vorbeters an einer wichtigen, das heißt in einer größeren Stadt gelegenen Moschee übernehmen wollen.

Es ist nur zu begrüßen, wenn als Folge dieser Entwicklung auch mehr und mehr der nach Deutschland entsandten Imame über eine wissenschaftlich fundierte theologische Ausbildung verfügen. Gerade auf Imame kommen angesichts der sich auch für Muslime wandelnden Lebensverhältnisse in der modernen Welt immer neue, zusätzliche Aufgaben zu. In den letzten Jahren gab es verstärkte Bemühungen des Bundesministeriums des Innern sowie verschiedener gesellschaftlicher Organisationen, den nach Deutschland entsandten Imamen Kenntnisse der deutschen Sprache und das für ihr erfolgreiches Wirken notwendige Wissen über den deutschen Staat und die deutsche Gesellschaft zu vermitteln. Katholische Akademien in Stuttgart und Essen haben als lokale Träger entsprechender Veranstaltungen bereits mit der Bundeszentrale für politische Bildung in diesem Bereich kooperiert.


Die deutschen Bischöfe halten es für durchaus naheliegend und sinnvoll, wenn eine Universität es sich zur Aufgabe machen will, solche Fortbildungen in Deutsch und Landeskunde für bereits ausgebildete Imame zu bündeln, auf ein wissenschaftliches Niveau zu heben und den Imamen dadurch ihren Einstieg in die deutschen Lebensverhältnisse zu erleichtern. Mit solchen Fortbildungen können staatliche Universitäten für die Muslime Wertvolles leisten.


Muslime müssen eine der deutschen Rechtsordnung entsprechende Form der Selbstorganisation finden

Ganz in diesem Sinne hat die Universität Wien eine neuartige Fortbildung namens "Muslime in Europa" eingerichtet, deren Ziel es ist, Imame auf ihre Aufgaben in Österreich vorzubereiten. Leiter des Lehrgangs, der vor wenigen Tagen begonnen hat, ist Ednan Aslan, Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Wien.

In Frankreich, wo man überwiegend glaubt, wegen der strikten Trennung von Staat und Kirche sei eine Hilfestellung dieser Art nicht möglich, hat sich von Januar 2008 an eine katholische Bildungseinrichtung, das "Institut Catholique" in Paris, bereitgefunden, den einjährigen Fortbildungskurs "Religionen, Laizität, Interkulturalität" anzubieten. Die katholische Hochschule ist auf Bitten des Innen- und Einwanderungsministeriums eingesprungen, nachdem staatliche Universitäten eine Absage erteilt hatten. Der Kurs richtet sich nicht ausschließlich, aber doch insbesondere an bereits tätige oder künftige Imame. Er soll ihnen einen Einblick in die westliche Kultur verschaffen. Der Lehrgang vermittelt keine theologischen Inhalte, sondern es geht um die Vermittlung nichtkonfessioneller Aspekte wie französische Geschichte, Recht, Verwaltung und interkulturellen Dialog. Das "Institut Catholique" hat zu diesem Zweck ein Abkommen mit der Pariser Moschee abgeschlossen, wo zur Zeit rund 120 künftige Imame ausgebildet werden.


Manche der in Deutschland lebenden muslimischen Gemeinschaften haben schon vor Jahren begonnen, ihren Bedarf an Imamen durch eigene verbandsinterne Schulungen - sei es im Ausland oder hier in Deutschland - zu decken. Andere hingegen sind erst vor kurzem mit entsprechenden Vorhaben oder Planungen an die Öffentlichkeit getreten. Es ist nicht Angelegenheit der Kirche, sondern Sache der Behörden, auf die in dieser Hinsicht notwendigen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen zu achten.


Die 1919 beziehungsweise 1949 getroffene Entscheidung, die Lehre der katholischen und der evangelischen Theologie an staatlichen Hochschulen verankert zu lassen, ist ein für alle Beteiligten vorteilhafter Rahmen für die wissenschaftlich betriebene Theologie. Auch unter dem Aspekt der Gleichberechtigung der Religionen im religionsneutralen, aber wertgebundenen, demokratischen Rechtsstaat wäre es nur zu begrüßen, wenn nicht nur Staat und Gesellschaft, sondern vor allem auch die Muslime selbst im Hinblick auf die Ausbildung ihrer Theologen zu einer ähnlich positiven Bewertung wissenschaftlich begründeter Theologie an staatlichen Fakultäten kommen könnten.


Die wissenschaftliche Lehre der Theologie ist in Deutschland an staatlichen Hochschulen möglich, weil Staat und Kirche in vorbildlicher Weise miteinander kooperieren. Die hierfür erforderlichen Regelungen sind in allen Details im Staatskirchenrecht getroffen worden. Die entscheidende Voraussetzung für die Fähigkeit und die Bereitschaft zu einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit, wie sie bei der theologischen Lehre an staatlichen Hochschulen praktiziert wird, ist die klare Unterscheidung der jeweiligen Verantwortungsbereiche und Kompetenzen, in denen Staat und Kirche sich wechselseitig Autonomie garantieren. Die Inhalte der theologischen Lehre sind nicht Sache des Staates, sondern sie gehören zum Kernbereich der Kirche und sind allein von der Kirche zu bestimmen. Andererseits kann der demokratische Rechtsstaat keine theologische Lehre dulden oder fördern, die seine ethischen und rechtlichen Grundlagen oder die Menschenrechte in Frage stellt.


Der in diesem Zusammenhang zentrale Begriff des Staatskirchenrechts ist der Begriff der Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes. Der Staat, der mit einer Gruppe oder Gemeinschaft von Gläubigen in Fragen der Religion kooperieren will, braucht ein klar strukturiertes Gegenüber, das unter anderem über eine eindeutig definierte Mitgliedschaft und eine legitime religiöse Autorität verfügt, die gegenüber ihm in einer für alle Angehörigen der Gemeinschaft bindenden Weise definieren kann, welche Glaubensinhalte verbindlich sind und Gegenstand der Lehre sein sollen.

In dem Moment, in dem deutsche staatliche Universitäten nicht Fortbildung von bereits ausgebildeten Imamen, sondern selbst Ausbildung von Imamen leisten wollen, brauchen sie als Partner eine islamische Gemeinschaft, die die bis heute von Gerhard Anschütz gültig formulierten Kriterien einer Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes erfüllt. Mangels einer solchen islamischen Religionsgemeinschaft stehen wir bei einer künftigen universitären Imam-Ausbildung vor der gleichen Problematik wie bei der Einrichtung von islamischem Religionsunterricht gemäß Art. 7 Abs.3 GG.

Die deutschen Bischöfe sprechen sich seit zehn Jahren für die Einrichtung von islamischem Religionsunterricht an öffentlichen Schulen aus. Die Problematik des bislang fehlenden Kooperationspartners ist ihnen dabei bewusst. Modellversuche, in denen dieser Mangel provisorisch überbrückt wird, sind nur insoweit hinnehmbar, als dabei ernsthaft auf die schließlich vollständige Erfüllung der für Religionsunterricht gemäß Art. 7 Abs.3 GG erforderlichen Voraussetzungen hingearbeitet wird. Zu warnen ist in diesem Zusammenhang vor einer politisch begründeten Tendenz, durch die Ausweitung und Multiplizierung von Pilotprojekten Fakten zu schaffen, so dass das Pilotprojekt nicht mehr allein der Weg, sondern am Ende auch die Lösung ist.


Gleiches muss für eine Etablierung einer islamischen Theologie an staatlichen Hochschulen gelten. Wenn der Staat wegen des Mangels der Existenz einer autorisierten Religionsgemeinschaft selbst die Inhalte theologischer Lehre definiert, überschreitet er die ihm im Staatskirchenrecht gesetzten Grenzen, verletzt die Verteilung der Kompetenzen von Staat wie Religion und beschreitet einen Weg, der zu einer Auflösung weiter Teile des bewährten Staatskirchenrechts führen kann. Er würde mit anderen Worten dann gerade nicht Muslime in das deutsche Staatskirchenrecht integrieren, sondern die Gefahr in Kauf nehmen, dass das Staatskirchenrecht und damit die Rechtsgrundlage der in Deutschland erfolgreichen Kooperation von Staat und Kirche erodieren.

Mit Blick auf eine künftige Imamausbildung müssen letztlich nicht Staat und Kirche, sondern die Muslime entscheiden, ob eine wohlgemerkt gutgemeinte Forcierung von Provisorien tatsächlich in ihrem Interesse liegt. Ohne eine islamische Religionsgemeinschaft als legitimierter und verantwortlicher Kooperationspartner könnten die Einrichtung von Islamunterricht an den Schulen, die Ausbildung von muslimischen Religionslehrern und eines Tages vielleicht die Etablierung der Imamausbildung an staatlichen Hochschulen unverbindliche Provisorien bleiben - oder aber sie könnten dazu führen, dass unter Muslimen Ängste entstehen und verbreitet werden könnten, sie würden Gefahr laufen, letztendlich die Definitionshoheit über den Islam an den Staat zu verlieren.

Deshalb führt gerade auch im Hinblick auf eine künftige Imamausbildung in Deutschland kein Weg an der Notwendigkeit vorbei, dass die Muslime eine der deutschen Rechtsordnung entsprechende Form der Selbstorganisation finden. Nur dann können sie ihre Vertreter in die Lage versetzen, als Kooperationspartner des Staates beziehungsweise staatlicher Universitäten den eigenen Teil der im Blick auf eine universitäre Imamausbildung anstehenden Aufgaben zu erfüllen.


Helmut Wiesmann (geb. 1959) ist Geschäftsführer der Unterkommission für den Interreligiösen Dialog der Deutschen Bischofskonferenz. Im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz ist er für die Arbeitsbereiche Islam, Mittel- und Osteuropa und internationale Konflikte zuständig.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
64. Jahrgang, Heft 01, Januar 2010, S. 12-16
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2010